E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Beneker / Plutarch Plutarch: Über die Kunst, ein Anführer zu sein
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96092-720-4
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alte Weisheiten über kluge Führung
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-96092-720-4
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jeffrey Beneker ist Professor für Klassische Literatur an der University of Wisconsin-Madison und Autor von The Passionate Statesman: Eros and Politics in Plutarch's Lives. Er lebt in Madison, Wisconsin. Plutarch (um 46 - 125 n. Chr.) war ein griechischer Historiker und Schriftsteller. Er verfasste zahlreiche biographische und philosophische Schriften, darunter die sogenannten Kaiserbiographien, die sich mit den römischen Kaisern von Augustus bis Vitellius befassen.
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EINLEITUNG
Wenn man im Jahre 100 unserer Zeitrechnung ein Baumeister oder Steinmetz war und zufällig in der Nähe von Chaironeia lebte, einer kleinen Stadt in Zentralgriechenland, wurde man womöglich von Plutarch für ein öffentliches Bauvorhaben engagiert. Damals war er etwa Mitte fünfzig, zu alt, um selbst noch harte, körperliche Arbeit zu verrichten, aber doch begierig, die Menschen von Chaironeia auf politischer Ebene zu repräsentieren und die Arbeit der Handwerker zu überwachen. Und wenn man ihn gefragt hätte, warum er – ein gebildeter und erfolgreicher Schriftsteller, der in Athen studiert und in Rom gelehrt hatte und über Verbindungen zu den Großen und Einflussreichen am kaiserlichen Hof verfügte – sich mit derlei alltäglichen Dingen befasste wie dem Einbau von Dachziegeln und dem Gießen von Zement, hätte er etwas gesagt wie: »Ich erbaue diese Dinge nicht für mich selbst, sondern für meine Geburtsstadt.«
»Staat vor Selbst«, dies hätte ein gutes Motto sein können, das er womöglich häufig wiederholte. Auf jeden Fall war dies das Grundprinzip seiner politischen Gedanken, die sich insbesondere in den drei Aufsätzen wiederfinden, die wir in diesem Bändchen zitieren. An einen Ungebildeten Herrscher, Regeln der Staatskunst und Soll ein Greis politisch tätig sein?
In den Jahrhunderten vor Plutarchs Zeit war die Stadt die fundamentale politische Einheit der griechischen Welt. Griechische Städte, die häufig auch als Stadtstaaten bezeichnet werden, waren vor dem Beginn des Römischen Kaiserreiches unabhängige Einheiten, die über eine eigene Armee, eigene Außenpolitik, eigene Handels- und politische Systeme verfügten. Unter römischer Besatzung – also zu Plutarchs Lebzeiten – blieben sie zumindest teilweise unabhängig. Sie führten keine direkten Kriege und betrieben auch keine Außenpolitik mehr, doch ihre internen Angelegenheiten oblagen nach wie vor ihrem eigenen Verantwortungsbereich. Dazu gehörte die Finanzierung von Festspielen, das Auftreiben von Kapital, die Regelung juristischer Streitigkeiten zwischen den Bürgern und natürlich die Errichtung öffentlicher Gebäude. Die Stadt war also damals die Umgebung, in der griechische Politiker agierten. Das Wort »Politik« hat sogar griechische Wurzeln. Es leitet sich von dem Begriff polis ab, dem griechischen Wort für »Stadt«.
Plutarch geht in seinen Schriften von der allgemeinen Annahme aus, dass alle, die staatsbürgerliche Führungsämter bekleiden wollten, zunächst das Vertrauen ihrer Wählerschaft gewinnen mussten, mit anderen Worten: ihrer Mitbürger. Durch ihre politische Tätigkeit schufen sie sich eine Reputation, indem sie vor Gericht auftraten, in öffentliche Ämter gewählt wurden, sich um wohltätige Belange kümmerten und ehrenamtliche Tätigkeiten übernahmen. Die Rostra, oder Rednerplattformen, spielten in Plutarchs Betrachtungen über das politische Leben eine besonders wichtige Rolle. Dort hatten Politiker die größte Sichtbarkeit, wenn sie versuchten, ihre Mitbürger zu überzeugen (und manchmal auch auszutricksen), um deren Stimme für Gesetze, Dekrete oder die Vergabe von Geldern zu gewinnen. Solange die Stadt florierte, gewannen auch die Staatsmänner in der Regel an Ansehen. War das nicht der Fall, mussten sie erwarten, dass es schwand. Der Prestigezuwachs (und das Vermeiden von Blamagen) hatte häufig nicht nur zur Folge, dass man in wichtigere Ämter gewählt wurde, sondern auch, dass einem bürgerliche Ehrenbezeugungen zuteilwurden und man mit offiziellen, repräsentativen Aufgaben betraut wurde. Dies konnte bedeuten, dass man als Gesandter zu einem römischen Würdenträger geschickt oder in ein führendes Gremium oder zum Priester berufen wurde. An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass Politiker keine Berufspolitiker waren. Sie stammten aus der Oberschicht, deren Vermögen ihnen den zeitlichen Freiraum gab, in den Dienst der Öffentlichkeit zu treten. Durch die Tätigkeit als Staatsmann vermochten sie ihren Status wahlweise zu etablieren oder in entsprechenden Führungspositionen sogar zu steigern. Man erwartete sogar von ihnen, dass sie ihr Vermögen zum Wohl der Städte einsetzten, indem sie beispielsweise Bauprojekte finanzierten oder als Sponsor bei Festlichkeiten fungierten. Die Politik war also ein Forum für Aristokraten, um den Verpflichtungen ihrer sozialen Stellung nachzukommen und gleichzeitig gegeneinander anzutreten.
Die politische Arena war tatsächlich der Sportarena sehr ähnlich, und Plutarch greift häufig auf die Sprache der Athleten zurück – zum Beispiel, wenn er von Wettkämpfen und Wettkampfteilnehmern spricht –, um die Interaktion von Politikern näher zu beschreiben. Im Sport wie in der Politik galt es, Rennen zu gewinnen, was wiederum ganz spezifische Probleme aufwarf. Viele Staatsmänner konzentrierten sich nämlich eher auf ihren eigenen Erfolg statt auf das Wohl des Staates. So fassten sie beispielsweise Wahlen als Wettkämpfe auf, die um des Sieges willen gewonnen werden mussten, und interpretierten einen Wahlsieg als Beweis ihrer generellen Überlegenheit. Ein solches Klima barg die Gefahr, dass Plutarchs mutmaßliches Motto »Staat vor Selbst« umgekehrt wurde, denn Politiker strebten nicht nur danach, ihr Ansehen zu erhöhen, sondern auch danach, ihre Freunde zu fördern und sich auf Kosten der Öffentlichkeit zu bereichern. Das Volk wurde politikmüde und interessierte sich nicht mehr dafür, wer aus einem Wettstreit siegreich hervorgegangen war, selbst dann, wenn der Betreffende tatsächlich das Wohl der Stadt im Sinn hatte. Statt also erfolgreiche Politiker zu loben, neigte man dazu, sie zu beneiden. Neid wiederum mündete gern in Versuchen, die aufstrebende Politikerkarriere zu torpedieren, wahlweise durch innerparteiliche Opposition oder persönliche Angriffe. Nichts davon diente dem Wohl des Stadtstaates.
In den drei hier vorgestellten Schriften versucht Plutarch vor allem herauszuarbeiten, dass Staatsmänner ihre eigenen Interessen denen des Staates unterzuordnen haben. Er argumentiert sogar, dass das Wohl des Einzelnen und das Wohl des Staates ein und dasselbe seien. Demzufolge erwartet er, dass eine erfolgreiche politische Karriere sich vor allem auf dem Charakter und der persönlichen Integrität eines Individuums begründet. Je besser der Mensch, umso besser die Führungspersönlichkeit. In An einen ungebildeten Herrscher führt er dies auf theoretischer Ebene aus. In den anderen beiden Schriften jedoch stützt Plutarch seine Argumentation auf die gelebten Erfahrungen der großen (und manchmal gescheiterten) Herrscher der Vergangenheit. Seine Essays sind also gewissermaßen als Appell der berühmtesten Politiker und militärischen Anführer der griechisch-römischen Geschichte zu verstehen. Ihm ist jedoch durchaus bewusst, dass die Zeiten sich geändert haben und dass die Herrscher der Vergangenheit große Armeen befehligten und mächtige Städte regierten, während die Anführer seiner Zeit nur in begrenzterem Rahmen agierten: Im Hintergrund lauert stets Rom, sorgt für Frieden und politische Stabilität, ist aber jederzeit bereit, einen übermäßig ehrgeizigen Herrscher, der nach den Sternen greift, zu Fall zu bringen. Deshalb achtet Plutarch darauf, aus seinen Beispielen die Essenz kluger politischer Staatsführung zu destillieren, statt sich nur auf das Lob der Größe zu konzentrieren. So lesen wir beispielsweise, wie Themistokles und Aristeides ihre politische Rivalität beilegten, wann immer sie Athen im Ausland repräsentierten; wie Cato der Ältere sein Leben in den Dienst Roms stellte, aber jegliche materiellen Ehrenbezeugungen ablehnte, wie Theopompos, der König von Sparta, einen Teil seiner Macht abgab, um die Monarchie zu stabilisieren, und wie Epameinondas von Theben es für genauso ehrenvoll hielt, die Straßen zu bewachen, wie eine Armee zu führen. Sich auf die Erfahrungen dieser und Dutzender anderer historischer Figuren stützend führt Plutarch Beispiele aus der Vergangenheit an, die nicht für die Zuhörerschaft seiner Zeit, sondern auch für die heutige Zuhörerschaft relevant sind.
Plutarch war auf einzigartige Weise befähigt, derlei theoretische ebenso wie praktische Schriften zu verfassen. Einerseits in Griechenland geboren, andererseits aber auch ein Bürger Roms, lebte er während des ersten und beginnenden zweiten Jahrhunderts der modernen Zeit. Obwohl er in Chaironeia beheimatet war, unternahm er viele Reisen, schloss Freundschaften in der römischen Aristokratie und hatte das Priesteramt in Delphi inne. Sein umfangreiches Wissen auf den Gebieten der Politik, der Philosophie und Geschichte versetzten ihn in die einzigartige Lage, nicht nur seine eigene Zeit zu beobachten und zu bewerten, also jene Phase, in der das Römische Imperium auf dem Gipfel seiner Macht stand, sondern sich zudem...