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E-Book, Deutsch, Band 47, 250 Seiten

Reihe: Matreier Gespräche zur Kulturethologie

Bender / Kanitscheider / Ruso Risiko

Gefahr und Wagnis
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7583-9274-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Gefahr und Wagnis

E-Book, Deutsch, Band 47, 250 Seiten

Reihe: Matreier Gespräche zur Kulturethologie

ISBN: 978-3-7583-9274-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Lehnwort "Risiko" soll dem griechisch-lateinischen Wort (rhiza/risco) für eine Klippe oder dem arabischen (rizq) für den schicksalsabhängigen Lebensunterhalt entstammen. Fachsprachlich wird es heute für eine Kombination der Eintrittswahrscheinlichkeit eines unerwünschten Ereignisses mit der Schadensschwere bei dessen Eintritt verwendet. Inhaltlich verwandte Begriffe sind "Gefahr" und "Wagnis", deren Bedeutungen sich mit "Risiko" überschneiden, was gelegentlich zu Missverständnissen führt. Die 47. Matreier Gespräche 2022 standen im Zeichen der großen Themen der Zeit - Klimawandel und Krieg -, befassten sich aber auch mit anscheinend weniger gravierenden Risikobeispielen, wie sie bei der Sprachverwendung, dem Klaubauflaufen, der Kapitalanlage oder im Hochgebirge entstehen können. In diesem Band beleuchten zwölf Tagungsbeiträge das Thema "Risiko" aus unterschiedlichsten fachlichen Perspektiven, um inter- und transdisziplinäre Querverbindungen herzustellen. Ein weiterer Beitrag blickt zurück auf 50 Jahre Matreier Gespräche und die Entstehungsgeschichte der Kulturethologie.

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Wolfgang Bonß Das Risiko und seine Grenzen.
Zum Umgang mit Unsicherheit in modernen Gesellschaften Zusammenfassung ‚Unsicherheit‘ wird in modernen Gesellschaften unterschiedlich perzipiert und eingeschätzt. Für die einen – und dies ist die Mehrheit – sind Unsicherheiten ein (negatives) ‚Ärgernis‘, das es zu beseitigen gilt. Für die anderen stellen sich Unsicherheiten als eine Herausforderung dar, die prinzipiell positiv ist, weil sie zu einem Umdenken und Innovation zwingt. In beiden Fällen wird Unsicherheit zumeist in einer spezifischen Form konstruiert und wahrgenommen, nämlich als ‚Risiko‘. Bei Risiken handelt es sich um einen besonderen Unsicherheitstypus, nämlich um Unsicherheiten, die handlungs- und entscheidungsbezogen entstehen, als haftbar perzipiert werden und in irgendeiner Weise als ‚kalkulierbar‘ gelten. Der vorliegende Beitrag zielt darauf ab, den Unsicherheitstypus ‚Risiko‘ historisch wie systematisch zu rekonstruieren und zu verdeutlichen, dass und wie er sich verändert – und damit auch der Umgang mit ihm. Dies zeigt nicht zuletzt die Unterscheidung zwischen ‚alten‘ und ‚neuen‘ Risiken. Letztere macht deutlich, dass es unter Umständen eines veränderten Umgangs mit ‚Risiken‘ bedarf und damit einer neuen ‚Risikokultur‘. 1 Unsicherheit als Ausgangsthema Unsicherheit ist ein Phänomen, das nicht nur Menschen betrifft. Auch Tieren kann es passieren, dass sie nicht recht wissen, was zu tun ist. Allerdings sind deren Reaktionen instinktgesteuert und damit recht vorhersehbar. Bei Menschen hingegen ist die Instinktprägung nur noch in Schwundformen vorhanden. Zwar weist auch der Mensch in seinem Verhalten ‚Automatismen‘ auf. Aber sofern er grundsätzlich so oder auch anders handeln kann, ist er ‚weltoffen‘ und verfügt genau deshalb über eine grundsätzliche Erfahrung von Unsicherheit. Interessanter als diese existentielle Unsicherheit (die letztlich eine entscheidende Voraussetzung von Handlungsfähigkeit darstellt) ist freilich, dass der Umgang mit Unsicherheit bei den Menschen keineswegs einheitlich ausfällt. Wie die Menschen mit Unsicherheit umgehen, unterscheidet sich sowohl individuell wie gesellschaftlich. Oder anders formuliert: Was als Unsicherheit wahrgenommen wird, ist gesellschaftlich ebenso geprägt wie die Art und Weise, wie auf Unsicherheiten reagiert wird. Was hiermit gemeint ist, lässt sich an dem von Mary Douglas und Aaron Wildavsky beschriebenen Fall der Lele verdeutlichen. Die Mitglieder dieses Stammes in der heutigen Republik Kongo haben eine relativ geringe Lebenserwartung und sind tagtäglich durch diverse Bedrohungen gefährdet. Diese reichen vom Schlangenbiss bis hin zu Infektionskrankheiten (vgl. Douglas & Wildavsky 1982, 7). Von der Vielzahl der Bedrohungen werden allerdings nur drei explizit wahrgenommen: Unfruchtbarkeit, die Möglichkeit vom Blitz erschlagen zu werden und Bronchitis. Die ‚Sicherheitsstrategien‘, also die Maßnahmen, mit denen sich die Lele vor Blitzschlag, Unfruchtbarkeit und Bronchitis zu schützen versuchen, entsprechen dabei kaum den Rationalitätskriterien, wie sie für Mitglieder okzidentaler Kulturen ‚normal‘ sind. So besteht die Bronchitisprävention nicht darin, sich um ‚heilklimatische Bedingungen‘ zu bemühen. Stattdessen kommen magische Praktiken zum Einsatz, wie Beschwörungen oder Amulette, und Ähnliches gilt für die Maßnahmen im Umgang mit Unfruchtbarkeit und Blitzschlag. Für die Angehörigen des Lele-Stammes haben Bronchitis und Unfruchtbarkeit keine ‚somatischen‘ Ursachen; sie ‚erklären‘ sich vielmehr aus irgendwelchen Verfehlungen der Einzelnen, die aus okzidentaler Perspektive eher diffus anmuten. Denn die potentiellen Verfehlungen werden für die Lele letztlich nur ex post sichtbar und können den Handelnden selbst kaum aktiv zugerechnet werden. Sie verweisen auf das Wirken unheilvoller Kräfte, die andauernd wirken und gleichermaßen belohnen wie strafen können. Sie können die Menschen mit Krankheiten und Strafen überziehen, von denen man nicht weiß, ob und warum genau sie kommen. Sie sind den eigenen Handlungsmöglichkeiten entzogen, und gerade deshalb kann man den Gefahren auch nur mit magischen Praktiken begegnen. Derartige magische Praktiken lassen sich nicht nur in Jäger- und Sammlergesellschaften beobachten. So waren abergläubische Sicherungsstrategien im europäischen Mittelalter ebenso verbreitet wie die traditionelle Naturfurcht, die erst mit der Aufklärung an Bedeutung verlor. Aber auch in modernen Gesellschaften sind magische Elemente bei der ‚Sicherheitsherstellung‘ verbreitet. Erinnert sei nur an die Beliebtheit des (vierblättrigen) Kleeblatts als Glücksbringer oder an die ‚Christophorus-Plakette‘, die das Fahrzeug (katholischer) Autobesitzer vor Unfällen schützen soll. Und auch auf Computergehäusen und Bildschirmen prangen nicht selten irgendwelche Talismane. Andererseits sind Kleeblatt, Christophorus-Plakette oder sonstige Glücksbringer nicht der Normalfall im Umgang mit Unsicherheit. Als typisch moderne Form kann vielmehr ein ganz spezifisches Unsicherheitskonzept gelten, nämlich das des Risikos. Letzteres wird meist in Abgrenzung vom Konzept der Gefahr beschrieben, und in der Tat gibt es Risiko und Gefahr als unterschiedliche Formen der Konstitution und Handhabung von Unsicherheit nur in der Moderne. Oder am Beispiel formuliert: Die Lele kennen sehr wohl Gefahren, die ‚irgendwie‘ von außen kommen; sie kennen aber keine Risiken, da dieser Typus von Unsicherheit an ein modernes Welt-und Selbstverständnis gebunden ist. 2 Die neuzeitliche Konzeption von Unsicherheit: Risiko Dass Risiken im Vergleich zu Gefahren eine vergleichsweise junge Angelegenheit sind, zeigt bereits die Etymologie des Risikobegriffs. Die ist zwar selbst unsicher. Aber nachgewiesen und abgegrenzt von anderen Unsicherheitsmustern findet sich die Rede vom ‚Risiko‘ zunächst in den italienischen Stadtstaaten des 12./13. Jahrhunderts (vgl. Scheller 2019, 2ff.). Genauer noch taucht das Stichwort im Kontext des Fern- und speziell des Seehandels auf. Dieser war eine ebenso aufwändige wie unsichere Angelegenheit und nicht immer von Erfolg gekrönt. Schiffe konnten untergehen oder gekapert werden, Wege unpassierbar sein, Waren verderben usw. Genau diese Unsicherheiten wurden freilich nicht als ‚Gefahren‘, sondern als ‚Risiken‘ bezeichnet. Warum? Weil der Kaufmann, der sie einging, jemand war, der etwas ‚riskierte‘, das heißt ‚wagte‘. Konkret bezog sich dies darauf, dass er sich traute, gefährliche Klippen zu umschiffen (ital. rischiare = ‚wagen‘, ‚Klippen umschiffen‘). Der Kaufmann, der aufs Meer hinausfuhr, um Güter zu erlangen, schreckte also nicht vor den damit verbundenen Unsicherheiten zurück, sondern forderte sie kalkulierend heraus und spekulierte gleichzeitig auf ein Quäntchen Glück. Zwar blieb vorab offen, ob die Kalkulation richtig und das Glück ihm hold war. Aber im Erfolgsfall konnte er sich mit Reichtümern schmücken. Bei einem Misserfolg ging er hingegen pleite, aber dies wurde von den Zeitgenossen (und zähneknirschend auch von ihm selbst) als letztlich ‚normal‘ akzeptiert (auch wenn man sich gegen mögliche Misserfolge schon früh durch eine ‚Risikogemeinschaft‘ zu ‚versichern‘ versuchte). Eine solche, rational kalkulierende Einstellung gegenüber Unsicherheiten konnte erst zu einer bestimmten Zeit unter angebbaren gesellschaftlichen Voraussetzungen entstehen. Sie setzt das voraus, was Max Weber (1919, 16) als ‚okzidentale‘ „Rationalisierung“ und „Entzauberung der Welt“ bezeichnet hat. Für Weber verwies die okzidentale Rationalisierung weniger auf „[...] eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: daß man, wenn man nur wollte, es jederzeit erfahren könnte, daß es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne“ (ebd.). Zwar konnte der italienische Kaufmann der frühen Neuzeit ebenso wenig wie seine Vorfahren dem Sturm Einhalt gebieten, und er besaß auch nicht unbedingt die Macht, Überfälle zu verhindern. Aber derartige Unsicherheiten wurden kaum noch als ‚schicksalhafte Bedrohung‘ angesehen. Stattdessen traten sie als ‚zu- und berechenbare Wagnisse‘ in den Blick, das heißt als Probleme, die sich nur dann negativ bemerkbar machten, wenn man falsch kalkulierte und keine Vorsichtsmaßnahmen traf. Der Gegensatz von ‚schicksalhafter Bedrohung‘ und ‚zurechenbarem Wagnis‘ verweist auf die entscheidende Veränderung. Wenn jemand, wie für Deutschland seit dem 16. Jahrhundert bezeugt, etwas uf unser Rysign nimmt, so gibt er damit zu erkennen, dass er die in Frage stehende Ungewissheit...



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