E-Book, Deutsch, Band 2, 368 Seiten
Bekeschus Hinter Liebfrauen
2024
ISBN: 978-3-8392-7576-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Niedersachsen-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 2, 368 Seiten
Reihe: Kriminalhauptkommissar Wim Schneider
ISBN: 978-3-8392-7576-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Während sich Kommissar Wim Schneider im Harz auf Kur erholt, untersucht Kommissarin Rosalie Helmer einen zweifelhaften Selbstmord in Braunschweig. Vor allem die frischen Bisswunden an der Leiche geben Rätsel auf. Als sich im Umfeld der Kurklinik ein mysteriöser Unfall ereignet, forscht Wim heimlich nach. Obwohl beide Fälle unterschiedlicher nicht sein könnten, überschneiden sich plötzlich die Spuren, und die Ermittler stoßen bei ihrer Suche nach den Hintergründen auf tragische Frauenschicksale.
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2. Kapitel
Wie ein dicker Marienkäfer nach einer Bruchlandung, so fühlte Wim Schneider sich, und er war überzeugt, dass er auch genauso aussah. Rücklings lag er auf einer hellblauen Yogamatte und starrte an die Decke, an der ein paar LED-Spots angeblich warmes Licht im Raum verteilen sollten. Wim runzelte die Stirn: LED und warmes Licht, das schloss sich eigentlich gegenseitig aus. »Stelle die Füße nun mattenbreit vor dir auf und ziehe sie in Richtung deiner Sitzbeinhöcker. Ungefähr so weit, dass du mit den Fingerspitzen deine Fersen berühren kannst. Spann deinen Bauch fest an und hebe dein Becken langsam. So aktivierst du dein Wurzelchakra und findest deine innere Mitte. Deine Hände und Unterarme liegen neben dir, sind angespannt und geben dir Halt. Wenn du magst, schließe deine Augen, um eins zu werden mit deinem Atem und mit deinem Körper. Horche in dich hinein. Welche Geschichte erzählt dir dein Körper gerade?« Wim verdrehte die Augen und schielte zu der Uhr, die über der Tür hing. Er wollte seine innere Mitte nicht finden und bei Sitzbeinhöckern dachte er unweigerlich an Kamele. Nur noch eine Viertelstunde musste er diesen esoterischen Quatsch über sich ergehen lassen. Länger hielt er es hier auch nicht mehr aus, denn seine Unterhose kniff nicht nur im Schritt, sondern hatte sich nun auch noch in seiner Poritze verfangen. Morgen würde er diesen Yogakurs ausfallen lassen oder wenigstens auf die Unterhose verzichten. Aber ging das überhaupt? Yoga nur in Jogginghose? Dann baumelte ja alles durch die Weltgeschichte. Nein, das ging definitiv nicht. Er brauchte einen gewissen Halt da unten und außerdem tröpfelte es manchmal immer noch nach. Der unerträgliche Geruch eines penetranten Duftöls hatte sich dank eines Aroma-Diffusers mittlerweile so im Raum verteilt, dass Wim selbst in Rückenlage schon ganz kodderig war. Wie sollte man sich da entspannen? Draußen prasselte der Sommerregen gegen die große bodentiefe Fensterfront und trennte ihn und seine Leidensgenossen von der erlösenden frischen Harzer Höhenluft. Zwei warme Hände, die sich von hinten auf seine Schulter legten, rissen ihn aus seinen Gedanken. »Magst du versuchen, dein Becken noch ein bisschen mehr anzuheben? Nur noch ein Stück, das schaffst du sicher und dein Wurzelchakra wird es dir danken.« Wim hasste es, von fremden Personen einfach so geduzt zu werden, aber das gehörte bei dieser Yogatante wie selbstverständlich zum Programm. Er deutete ein Lächeln an und versuchte, sein Gesäß wenigstens noch ein, zwei Zentimeter nach oben zu wuchten. Widerstand war zwecklos, auch das hatte er hier bereits gelernt. Als es zur Musik von MC Yogi endlich in die Schlussentspannung überging, seufzte Wim erleichtert. Mit einem unüberhörbaren Rumms ließ er seinen Hintern wie einen nassen Sack auf die Matte plumpsen, streckte seine Beine aus und schloss erschöpft die Augen. Shavasana! Biggi Höfgens stand auf dem überdachten Balkon ihrer Wohnung in der Hannoverschen List und gönnte sich einen tiefen Zug Nikotin. Die Zigarette glomm vor sich hin und der Regen hörte einfach nicht auf. Für Ende Juni war es viel zu kalt. Typisch Hannover. Biggi wohnte in der falschen Stadt, ach was, sie lebte im falschen Land! Was würde sie dafür geben, jetzt am Lago di Garda an der Hafenpromenade von Limone zu sitzen und sich die warme italienische Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Dazu an einem Aperol Spritz schlürfen – perfetto! Stattdessen das hier. Aber ihr Rotwein aus dem Supermarkt auf der Lister Meile kam wenigstens aus Bardolino und war ein kleiner Trost. Genauso wie die italienische Sprache, die sie so sehr liebte und gerade mit Hilfe einer Handy-App zu lernen begonnen hatte. Parli italiano? Seufzend lehnte sie sich an der rauverputzten Hauswand an, sah ihr Spiegelbild in der angelehnten Balkontür und fühlte sich zwangsläufig an einen Pandabären erinnert. Hatte sie wirklich so sehr geweint, dass ihre Wimperntusche vollständig den Geist aufgegeben hatte? Die verwischten Farbringe unter ihren geschminkten Augen ließen keinen anderen Schluss zu. Was war nur mit ihr los? Vielleicht waren es doch die Hormone? Mit Anfang 50 steckte sie mitten im Klimakterium und hatte seit Neuestem vor allem mit Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen zu kämpfen. Und jetzt zur Krönung diese Heulattacke. Es hatte sie einfach übermannt, sie war chancenlos gewesen. Wie ein Kloß, der sich aus ihrem Herzen seinen Weg über die Luftröhre bis in ihre Kehle gesucht und ihr die Luft abgeschnürt hatte, um sich dann in einer Flut von Tränen aufzulösen. Das Weinen hatte aber auch etwas Befreiendes gehabt, ein geöffnetes Ventil für ihre angestauten Emotionen. Die letzten drei Monate waren heftig gewesen und vielleicht zeigte ihre kleine Seele ihr nun auch deshalb die Rote Karte. Erst der mehr als außergewöhnliche Fall am Braunschweiger Gaußberg und dann natürlich Wim. »Routineeingriff«, hatten die Ärzte im Vorfeld seiner Blasenoperation gesagt, und schließlich hatte es doch Komplikationen gegeben. Eine innere Blutung und entzündetes Narbengewebe. Wim hatte nichts ausgelassen, um seine Schwester Sigrid und Biggi in Aufruhr zu versetzen. Da war seine anfängliche Inkontinenz nur eine Begleiterscheinung, mit der man umgehen konnte, auch wenn diese Wim sein letztes Stückchen Ehre genommen hatte, wie er immer zu betonen pflegte. Immerhin hatte es nun doch schneller als gedacht mit der Reha geklappt und der Harz war nicht zu weit weg. Da konnten sie ihn wenigstens besuchen, und genau das hatten Sigrid und Biggi für das kommende Wochenende geplant. Nach vorne schauen, nicht zurückblicken, das sagte Biggi sich seit Tagen immer wieder, aber es beschlich sie das ungute Gefühl, dass die Zukunft noch die eine oder andere böse Überraschung für sie parat halten würde. »Sigrid, du kannst dir dieses Affentheater hier nicht vorstellen!« »Meine Güte, Wim, jetzt beruhige dich mal! So schlimm kann es doch nun wirklich nicht sein.« Sigrid saß auf ihrer grünen Couch im Wohnzimmer und blätterte durch einen Harz-Reiseführer, während sie Wims Wuttirade am Telefon aushalten musste. Obwohl ihr mit Blick auf die Jahreszeit eigentlich der Sinn nach einem gekühlten Getränk stand, war es nun ein Pott heißer Ostfriesentee, der neben ihr auf dem kleinen Beistelltisch dampfte und die Kluntjes zum Knistern brachte. Das, was sich da draußen Sommer nannte, ließ ihr beim besten Willen keine andere Wahl. »Nicht schlimm? Hast du schon mal Yoga gemacht? Ich bin weder eine Katze noch ein Baum und schon gar kein herabschauender Hund!« »So heißen die Übungsabfolgen nun mal, Wim. Und Yoga ist hervorragend für dich. Du musst deinen Beckenboden trainieren, das weißt du ganz genau. Mal ganz davon abgesehen, dass dir ein bisschen mehr Bewegung und vor allem Entspannung auch nicht schaden würden. Ist doch eine ideale Kombination.« »Aber muss ich mich dafür von irgend so einer dahergelaufenen Shakuntala vollsäuseln lassen? Und dann diese Duzerei. Es sagt sich immer leichter ›du Arschloch‹ als ›Sie Arschloch‹! Ich mag das nicht.« »Shakuntala?« Sigrid stutzte. Das Wort hatte sie irgendwo schon mal gehört. Oder gelesen? Eventuell in einer Fernsehzeitung? »Ja, du hast mich ganz richtig verstanden. S-h-a-k-u-n-t-a-l-a«, buchstabierte Wim mit aufgeregter Stimme. »So nennt sich die Yogalehrerin. Und soll ich dir mal den größten Witz erzählen? Ich habe mich beim Abendessen mit Ludger schon darüber unterhalten. Shakuntala heißt übersetzt so etwas wie ›von einem Vogelpaar gehütet‹!« »Ja, und wo ist da jetzt der Witz? Lass die Frau sich doch nennen, wie sie will. Das gehört vielleicht bei den Yogaleuten dazu.« »Die Frau heißt Vogel mit Nachnamen, Sigrid! Vogel! Verstehst du das? Das ist doch lächerlich!«, regte sich Wim weiter auf. »Shakuntala Vogel?«, Sigrid musste lachen. »Von einem Vogelpaar gehüteter Vogel also?« »Nein, sie heißt eigentlich Veronika Vogel-Kumar, nennt sich aber Shakuntala, ohne Vogel und ohne Kumar.« Sigrid hielt sich den Bauch vor Lachen. »Also ›Veronika Vogel‹ finde ich auch aus der Yogaperspektive betrachtet nicht so überzeugend wie ›Shakuntala‹. Egal ob sie noch Kumar hinten drangehängt hat oder nicht. Was ist denn das überhaupt für ein Name? Kumar?« »Ludger meinte, dass sie – welche Überraschung – mit einem Inder verheiratet sein soll.« »Na, das passt ja wirklich. Alle Klischees erfüllt. Und jenseits deiner Yogastunden? Was veranstalten sie denn sonst noch mit dir?«, erkundigte sich Sigrid neugierig. »Ach, hör bloß auf! Gestern musste ich meine Hände in ein Sandbad tauchen. Hast du sonst noch irgendwelche Fragen?«, grummelte Wim. Sigrid lachte erneut. »Ich habe Bilder im Kopf. Warum denn ein Sandbad?« »Wegen meiner Arthrose im Daumensattelgelenk. Der Lack ist ab, Sigrid. Ich fühle mich hier wie eine Ganzkörperbaustelle.« »Bedenke dein Alter, kleiner Bruder. Du wirst nicht jünger.« »Nein, nur schöner! Haha! Aber mal im Ernst. So ganzheitlich hatte ich mir das hier in der Klinik nicht vorgestellt. Vormittags mache ich beim Nordic Walking mit, das ist eigentlich ganz schön, weil man hier rund um die Oberharzer Seen wunderbar spazieren gehen kann. Wenn es mal aufhören würde zu regnen, wäre es natürlich noch schöner, aber die jagen einen hier ja bei Wind und Wetter vor die Tür. Und nachmittags kann ich mich mit einem Seelenklempner unterhalten, wenn ich das möchte.« »Ach, das mit den Seen klingt ja wirklich toll! Dann können wir am Wochenende auch spazieren gehen.« »Wenn das Wetter denn mitspielt. Wie...