E-Book, Deutsch, Band 1, 352 Seiten
Bekeschus Gaußberg
2024
ISBN: 978-3-8392-7094-3
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Niedersachsen-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 1, 352 Seiten
Reihe: Kriminalhauptkommissar Wim Schneider
ISBN: 978-3-8392-7094-3
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Eine Tote im Mittellandkanal ruft Kommissar Wim Schneider auf den Plan. Die Ermittlungen führen den Hannoveraner, der mit seinem übermäßigen Ouzo-Konsum und gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat, ausgerechnet in seine Heimatstadt Braunschweig. Dort trifft er auf einen unliebsamen Ex-Kollegen und den Lebensgefährten der Toten, der etwas zu verbergen scheint. Der Druck auf die Ermittler wächst, als ein Kind verschwindet und eine zweite Leiche auftaucht. Was hat eine geheimnisvolle Villa am Gaußberg mit den Ereignissen zu tun?
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1. Kapitel
»Prost, Gemeinde, ich trinke für euch alle!« Kriminalhauptkommissar Wim Schneider hob das randvolle Schnapsglas in Richtung seiner kleinen Ahnengalerie, die er im Wohnzimmer seiner Wohnung in Hannovers Südstadt über der Hausbar aufgehängt hatte, zwinkerte Oma Inge zu – Gott hab sie selig – und stürzte den Ouzo in einem Zug herunter. Ein Schnäpschen am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen. Und davon hatte er derzeit wirklich mehr als genug. Der Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er schon wieder zu spät dran war. Die Nacht war einmal mehr die Hölle auf Erden gewesen. Dieses diffuse Stechen im Unterleib hatte ihm den Schlaf geraubt. Mehrere Male war er auf die Toilette gerannt, aber eine leere Blase konnte man irgendwann nicht mehr entleeren. Auf der verzweifelten Suche nach der richtigen Einschlafposition hatte er sich hin und her gewälzt – mal ein Bein über der Decke ausgestreckt, mal eines daruntergelegt – und im Viertelstundentakt auf seinen Wecker geschaut. Irgendwann, es musste am frühen Morgen gewesen sein, stellte er den Wecker einfach weiter, um wenigstens ein bisschen länger schlafen zu können. Erst gegen 05.30 Uhr war er schließlich eingenickt und wurde wenig später brutal aus dem Land der Träume gerissen, als ein schriller Piepton seinen Kopf zu sprengen drohte. Wim ging in die Küche, stellte das Schnapsglas zu Kaffeetasse und Frühstücksbrettchen in die Spüle und schnappte sich seinen Mantel von der Garderobe im Flur. Nun trennten ihn nur noch drei Sicherheitsschlösser und seine Wohnungstür von der neuen Nachbarin gegenüber, deren chronisch fröhliche Tochter er jetzt schon wieder rumkreischen hören konnte. Sollte er vielleicht lieber noch einen Moment warten? Auf »Guten Morgen, Herr Schneider, bla, bla, blub« hatte er nun wirklich keine Lust. Andererseits lief die Uhr gegen ihn und er hatte im Grunde keine Wahl. Augen zu und durch. So leise wie möglich entriegelte Wim die Tür, lugte ins Treppenhaus und sah, dass die gegenüberliegende Wohnungstür ebenfalls offen stand. Kein Wunder, dass er das Kind hatte hören können, keine optimalen Bedingungen für eine unbemerkte Flucht. Aber vielleicht hatte er ja Glück, die Nachbarin mit Kind war gerade nicht zu sehen. Schnell schlüpfte er aus seiner Wohnung, zog die Tür behutsam zu und begann alle Schlösser wieder zu verriegeln. Als plötzlich jemand von hinten an seinem Sakko zupfte, ließ er vor lauter Schreck fast das dicke Schlüsselbund fallen. »Du, Herr Schneider, gehst du jetzt zur Arbeit?« Wim drehte sich um und schaute auf das kleine Mädchen von gegenüber hinunter. »Ja, Leni, ich muss jetzt ganz schnell ins Büro.« Die Augen des Mädchens blitzten neugierig und noch immer hielt sie sich an Wims Sakko fest. »Ich gehe gleich in den Kindergarten. Willst du da mal mit hinkommen?« »Nein, das will ich nicht. Ich muss jetzt auch los. Geh mal zu deiner Mutter.« Er packte das kleine Mädchen an den Schultern und schob es sanft, aber bestimmt in Richtung Türschwelle der Nachbarwohnung. »Was machen Sie mit meiner Tochter, Herr Schneider?« Wims Nachbarin war aus der Küche kommend im Flur ihrer Wohnung aufgetaucht und hielt den rosa Rucksack ihrer Tochter in der Hand. Auf der Vorderseite strahlte ein Einhorn mit Regenbogenschweif nicht nur magische Kräfte aus, sondern zauberte Leni direkt ein Lächeln in das kleine runde Gesicht mit Sommersprossen. »Entschuldigung, Frau Fritsche, die Frage ist doch wohl eher, was Sie mit Ihrer Tochter machen! Die Kleine hat mich unbeaufsichtigt im Hausflur abgepasst! Ich weiß ja nicht, ob das seine Richtigkeit hat. Ist es angebracht, das kleine Mädchen allein im Treppenhaus spielen zu lassen?« »Das ist ja wohl die Höhe! Was fällt Ihnen ein?« Nina Fritsche schnappte nach Luft und trat einen Schritt auf Wim zu. »Meine Tochter sollte hier kurz warten. Ich habe eben noch ihren Rucksack …« »Der Rucksack Ihrer Tochter ist mir herzlich egal, Frau Fritsche!«, würgte Wim seiner Nachbarin das Wort ab. »Ihre Tochter hält mich davon ab, zur Arbeit zu gehen, und behindert damit Polizeiarbeit! Ich hoffe, das ist Ihnen klar? Und außerdem sollten Sie lieber nicht Ihre Aufsichtspflicht vernachlässigen!« Wim drängte sich an Mutter und Tochter vorbei, die ihm eindeutig im Weg standen, und nahm treppab gleich zwei Holzstufen auf einmal. Es könnte wieder einer dieser Tage werden, an denen er Menschen hasste. »Also wirklich! Darüber sprechen wir noch mal!« Empört rief Nina Fritsche ihm hinterher: »Herr Schneider, so geht das nicht! Das ist eine Frechheit, was Sie mir hier unterstellen! Ich bin Ihre Unverschämtheiten allmählich leid.« Doch Wim hatte bereits auf Durchzug geschaltet. Von dem Redeschwall seiner Nachbarin erreichten nur noch Wortfetzen seine Gehörgänge, um dort rechtzeitig abzuprallen und sich einfach in Luft aufzulösen. Der Berufsverkehr stadteinwärts war um kurz vor 09.00 Uhr eine mittlere Katastrophe. Mit bleiernen, müden Augen saß Wim am Steuer seines schwarzen Seat Ibiza und hielt den Blick starr auf das zweispurige Rudolf-von-Bennigsen-Ufer gerichtet. Leichte Nebelschwaden lagen über dem Maschsee, es schien ein diesiger Tag zu werden. Während die letzten Frühjogger an der Straße entlangliefen und akribisch auf Tempo und Atemfrequenz achteten, war Wim knapp dran und auf dem besten Weg, sich wieder einmal zu verspäten. Auf Höhe des Sprengelmuseums – Wim fühlte sich beim Anblick des Neubaus jedes Mal an einen Sarkophag erinnert – drehte er das Autoradio aus. So viel Heiterkeit am frühen Morgen konnte und wollte er nicht ertragen, vor allem nervte ihn die ständige Werbung. Er wollte Musik hören und nicht die neuesten Baumarktangebote. Als der Verkehr wegen einer Baustelle an der Kreuzung vor ihm endgültig zum Erliegen kam, griff er nach seinem Handy und rief im Büro an. »Biggi, äh, ich meine Birgit, hier ist Wim, sag jetzt nichts. Ich weiß, dass ich zu spät bin, und ich weiß auch, dass die Dienstbesprechung in drei Minuten anfängt. Bitte lass dir was einfallen!« Noch bevor Birgit Höfgens am anderen Ende der Leitung antworten konnte, drückte Wim sie einfach weg und schmiss das Handy in Richtung des Beifahrersitzes. Es war wieder einer dieser Tage, an denen das morgendliche Verkehrschaos seine Nerven über die Maße strapazierte. Er hasste die Rushhour und den zähen Stop-and-go-Verkehr, aber noch mehr hasste er es, in einer überfüllten U-Bahn zu fahren oder sich auf einem Fahrrad abzuquälen. Wim und Sport, lächerlich. Als ihn sein Handyklingelton aus den Gedanken riss, zuckte er zusammen und trat reflexartig auf die Bremse. Was wollte Biggi, die neuerdings unbedingt Birgit genannt werden wollte, denn jetzt noch? Es war doch alles gesagt! Mit der linken Hand am Steuer verrenkte er sich in Richtung Beifahrerfußraum und versuchte das Handy zu erreichen, welches dank seines abrupten Bremsmanövers einen Satz nach vorne gemacht hatte und zwischen Sitz und Fußmatte gerutscht war. Warum sprang die verdammte Mailbox nicht endlich an? Beim dritten und letzten Versuch erreichte er das Handy mit dem Ringfinger und zog es zu sich rüber. Er drückte die grüne Hörertaste und klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter, um beide Hände am Steuer behalten zu können. Es wurde höchste Zeit für eine Freisprechanlage. Ansonsten würde der Tag kommen, an dem man ihm hinterm Steuer die ausgeprägte Halswirbelsäulenverkrümmung nicht mehr abnehmen und irgendein Kollege ihn wegen einer Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr belangen würde. »Ja, was ist denn noch?«, grummelte Wim zur Begrüßung. »Urologische Praxis Dr. Plog hier, mein Name ist Wittig, guten Morgen! Spreche ich mit Herrn Schneider? Hören Sie mich? Sie klingen so weit weg!« Wim verdrehte die Augen und war sich sicher, dass die Frau am anderen Ende der Leitung gerade erst einen dieser Kundenfreundlichkeitskurse absolviert hatte. Und irgendwas mit Rhetorik. »Ja, ich höre Sie! Der Empfang scheint aber nicht optimal zu sein.« »In Ordnung. Also, Herr Schneider, Herr Dr. Plog bittet Sie zu einem persönlichen Gespräch in die Sprechstunde. Passt es Ihnen heute Nachmittag?« Auf Wims Kopfhaut kribbelten plötzlich Tausende Ameisen und sein Magen verkrampfte sich. »Persönliches Gespräch? Heute Nachmittag? Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Frau, Fräulein, entschuldigen Sie, wie war doch gleich Ihr Name?« »Mein Name ist Frau Wittig.« Wim seufzte und registrierte, wie seine Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung das »Frau« deutlich betonte. Er ärgerte sich, dass ihm das »Fräulein« überhaupt herausgerutscht war. Mit Sprechstundenhilfen musste man sich gut stellen, denn die hatten viel Macht und Einfluss in so einer Praxis. »Muss ich mir Sorgen machen? Ist es was Schlimmes?« Wim spürte, wie seine Handinnenflächen zu schwitzen begannen. »Herr Schneider, ich darf Ihnen leider keine telefonische Auskunft geben, ich kann Ihnen nur sagen, dass Ihre Laborwerte heute Morgen eingetroffen sind und Herr Dr. Plog diese heute Nachmittag gerne mit Ihnen persönlich besprechen möchte.« Als die Ampel auf Grün umsprang und der einspurige Verkehr auf der Linksabbiegerspur im Schneckentempo ins Rollen kam, setzte Wim den Blinker. »Hallo, Herr Schneider, sind Sie noch da? Ich höre Sie nicht mehr!« Mit quietschenden Reifen nahm Wim die Kurve und steuerte dabei fast in die Gegenfahrbahn. »Heute Nachmittag, ja, wann denn?« »15.00 Uhr? Gleich nach der Mittagspause.« »Ja, in Gottes Namen. Wenn es denn sein muss. Ich werde da sein.«...