Beil | So friedlich, das Meer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Beil So friedlich, das Meer

Roman
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-13097-8
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-641-13097-8
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Immer schön locker bleiben«, empfiehlt Ilaria Costa ihrer Tochter, als sie erfährt, dass Camilla eine Affäre mit einem verheirateten Mann hat. In Italien eine alltägliche Sache. Obwohl Camilla eigentlich nicht in die Rolle der Gespielin auf Zeit passt, lässt sie sich, kaum dass sie ihren Job bei einer renommierten Vicentiner Werbeagentur angetreten hat, auf eine prickelnde Liaison mit ihrem Chef ein. Ein Rausch, der jäh endet, als dieser sie schnöde abhalftert. Camilla kennt die Spielregeln, verwindet die massive Kränkung – vermeintlich. Jahre später, sie ist längst glücklich verheiratet, holt die Geschichte sie wieder ein. Und urplötzlich springt sie der Verdacht an, Gianni, ihr geliebter Mann, könnte das übliche Spiel ebenfalls betreiben ...

Brigitte Beil, aufgewachsen in Münster, studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Publizistik und arbeitet als freie Journalistin und Buchautorin. Schwerpunkte ihrer zahlreichen Sachbücher sind soziale und psychologische Themen. Brigitte Beil hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in München. Zuletzt erschienen bei btb ihre Romane »Eiswinter« und »Ein Brief aus England« .
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Kapitel 2

Sollte Francesca – was ich für kaum denkbar halte – je nach verschwiegenen Nestern für heimlich Verliebte oder auf Seitenwegen Tändelnde (im Klartext: Ehebrecher) suchen, um ihrem Geschäft einen weiteren lukrativen Zweig aufzupfropfen, könnte ich ihr mittlerweile eine Menge Tipps geben. Paolo verfügte nämlich über einen Fundus von vielen und sehr unterschiedlichen Anlaufstellen, die ich im Laufe des beginnenden Sommers nach und nach kennenlernte. Neben der malerischen Locanda bei Schio gehörte dazu natürlich auch die Trattoria von Gioia und Alfredo, in deren als frisch renoviert angepriesenen Gästezimmern wir einige unserer umgewidmeten Kundentermine verbrachten, außerdem ein Albergo in den Weinbergen von Marostica, ein anderes in Lazise am Gardasee.

Fast überall wurde er wie ein alter Bekannter begrüßt, nicht selten mit einem vertraulichen Zwinkern, das ich, solange es eben ging, als unverfängliches Zeichen der Gastfreundschaft registrierte. Manchmal blieben wir über Nacht, manchmal ein ganzes Wochenende, und für die Fälle, in denen die Zeit knapp war, gab es ein erstaunlich dichtes Netzwerk von Freunden, die ihm offenbar problemlos ihre Haus- oder Wohnungsschlüssel für ein paar kurze Schmusestündchen überließen.

Sein Zuhause, seine Familie wurde nie erwähnt. In der Agentur hieß es, er wohne in einer der feinen Villen im Umkreis des Monte Berico, deshalb rutschte mir, als wir an einem Samstagabend auf der von Rosenbüschen und hohen Bäumen umstandenen Terrasse des Leonardo da Vinci saßen, eines am hinteren Hang des Vicentiner Hausbergs gelegenen 5-Sterne Hotels, unserer entschieden edelsten Absteige, spontan die Frage heraus, ob er nicht besorgt sei, von irgendjemandem hier mit mir gesehen zu werden, so nahe bei seinem Domizil.

Ein Tabubruch, für den ich mich im selben Augenblick am liebsten geohrfeigt hätte. Es gab nämlich zwischen uns die unausgesprochene Regel, den anderen nicht auszuhorchen, keine Schwüre oder Geständnisse zu erwarten, nicht einmal im Bett, wo wir den größten Teil unserer gemeinsamen Zeit verbrachten. Selbst da sagte Paolo niemals ich liebe dich, sondern bestenfalls du wirst so geliebt, was für mein Empfinden einen großen Unterschied ausmacht. Wir bewegten uns auf einem klar abgesteckten Spielfeld, auf dem nur wir beide vorkamen, nur im jeweils aktuellen Moment, ohne Vorher, ohne Nachher, mit ein paar ungeplanten Gedankenblitzen in Richtung unserer Arbeit als einzigem Außenbezug.

Und jetzt das! Genauso gut hätte ich mich direkt erkundigen können, was seine Frau von unserer Affäre hielt. Würde er mich nun zusammenstauchen? Den Chef herauskehren und fragen, ob mich das etwas anginge, ob ich mich etwa so wichtig fände? Erschrocken sah ich zu ihm hinüber. Eine Armlänge von mir entfernt saß er völlig entspannt in seinem Sessel, die langen Beine ausgestreckt, den Blick auf Olivenhaine und das tief im Tal zwischen sattgrünen Wiesen liegende Dorf gerichtet und zog nur kurz eine Braue hoch. Das konnte alles bedeuten, von dummes Ding bis was soll schon passieren.

Vorsichtshalber hakte ich nicht nach, sondern blieb still sitzen, kniff sogar die Augen zu, weil sich so vielleicht die Bilder einer wütend um die Ecke stürzenden Ehefrau und lästernder Freunde oder Nachbarn vertreiben ließen. Nur lauerten unter den dunklen Lidern andere Gestalten, um mir zuzusetzen. Weniger bösartige zwar, aber furchtbar aufdringlich mit ihrer Fragerei und ihren Andeutungen.

Natürlich war mir selbst auch nicht entgangen, dass ich mich in letzter Zeit verändert hatte. Es muss wenige Tage nach unserer dritten gemeinsam verbrachten Nacht gewesen sein – die vielen verturtelten Mittagspausen nicht mitgezählt –, als ich auf einmal etwas Ungewohntes in meinem Gesicht entdeckte. Ich hatte mir gerade die Brauen gezupft und betrachtete mich prüfend im Spiegel, und da sah ich es: Irgendetwas war neu, war fremd. Ein weicheres Lächeln? Ein selbstbewussterer Zug um den Mund? Ich legte den Kopf schief, nahm mich aus verschiedenen Perspektiven ins Visier, grimassierte eine Weile herum, konnte aber nicht ausmachen, was da so anders, so unvertraut wirkte.

Ich weiß noch, dass mir plötzlich ein altes Foto der Kennedy-Familie in den Sinn kam, vermutlich geknipst auf ihrem Feriensitz in Hyannisport. Mit seinem typischen breiten Lachen steht John hinter Jackie, die über einer Balkonbrüstung lehnt und in die Nachmittagssonne blinzelt. Kann sein, dass noch eines der Kinder durch das Geländer schaut, aber das spielt keine Rolle. Was mich an dem Bild fasziniert hatte, war allein Jackies Gesichtsausdruck: strahlend, vollkommen zufrieden, irgendwie satt, wie nach richtig gutem Sex. Etwas in der Richtung muss ich wohl an meinem Spiegelbild festgestellt haben – obwohl ich selbstverständlich entschieden weniger attraktiv als Jackie bin –, sonst wäre mir der Schnappschuss bestimmt nicht gerade in diesem Moment eingefallen. Und andere bemerkten offenbar Ähnliches.

Mein Vater ließ neuerdings ungewöhnlich häufig die Zeitung sinken, wenn ich mich in der Nähe aufhielt, und fixierte mich mit einem merkwürdigen Blick, einer Mixtur aus scharfer Beobachtung und verträumter Rückschau. So als fände er an mir etwas, das ihn an sein eigenes Früher erinnerte. Manchmal stieß er dabei einen kleinen Seufzer aus, kommentarlos.

Bei Mamma dauerte es ein Weilchen länger, bis ihr etwas auffiel, dann allerdings gab es kein Halten mehr. Der Zeitpunkt war nicht besonders günstig, weil Paolo unten wartete, den Schlüssel zu einem Landhaus von Freunden in der Tasche, in dem wir das Wochenende verbringen wollten. Ich hatte mit der Familie zu Abend gegessen, danach blitzartig meine Reisetasche gepackt und mich in ein Kleid geworfen, das Paolo besonders an mir mochte, veilchenfarben mit rasantem Rückenausschnitt, und trat noch einmal an den großen Esstisch, um ein paar Küsschen in die Runde zu streuen, als der Blick meiner Mutter nicht wie üblich nach kurzem Zwischenstopp von mir weg zu meinen Geschwistern oder irgendwelchen Utensilien schweifte, sondern bei mir hängenblieb. An meine häufige Aushäusigkeit waren hier alle längst gewöhnt, niemand wandte etwas dagegen ein oder bezweifelte, dass ich tatsächlich mit Kollegen ausging, eine Freundin traf oder bei Bekannten übernachtete, wenn ich dergleichen als Grund für meine Abwesenheit angab. Schließlich war ich erwachsen genug für eigene Unternehmungen. Woher also die plötzliche Skepsis im Gesicht meiner Mutter? Die unverhohlene Neugier, mit der sie nach meinem Arm griff und mich für eine eingehende Prüfung zu sich heranzog?

»Lass dich mal anschauen, Kind. Was ist los? Du siehst so anders aus.«

»Unsinn, Mamma, das bildest du dir bloß ein!« Ich beugte mich über sie, um ihr einen beschwichtigenden Kuss auf die Stirn zu drücken und sah dabei, wie sie, alarmiert durch sein gekünsteltes Hüsteln, zu meinem Vater hinüberblickte. Und auch sein warnendes Kopfschütteln, eine kaum sekundenlange Andeutung, entging mir nicht. Sollten sie denken, was sie wollten, wenn sie mich nur nicht aufhielten.

»Ciao, macht’s gut!« Ich war zur Tür hinaus, ehe meine Mutter weitere Fragen stellen konnte.

Das holte sie umso gründlicher nach, als ich am Sonntagabend gegen zehn Uhr heimkam. Noch ganz benommen von dem Wochenende, das wir, bis auf ein paar improvisierte Mahlzeiten am Küchentisch, ausschließlich im Bett verbracht hatten, jede Pore noch prickelnd von Paolos Zärtlichkeiten, schloss ich die Wohnungstür auf und lief ihnen direkt in die Arme: meiner Mutter, meiner Tante Luisa und Fernanda, einer Freundin der beiden, unentbehrliche Beraterin in prekären Familiensituationen. Sie mussten mir aufgelauert haben.

Wie Hyänen, die ihr Opfer von seinen Artgenossen isolieren, um sich dann vereint darauf zu stürzen, versperrten die drei mir den Weg ins Wohnzimmer, wo Papa und Polpo vor dem Fernseher lachten, genauso wie die Fluchtroute in mein eigenes Zimmer, in das sie mich zweifelsohne verfolgt hätten, wäre ich an ihnen vorbeigekommen. Aber dafür gab es keine Chance. Schulter an Schulter bauten sie sich mir gegenüber auf und spähten, statt mich wie üblich zu begrüßen, völlig ungehemmt in mein Gesicht.

»Guten Abend, ihr Lieben! Schön, euch zu sehen«, versuchte ich zu spaßen. Ohne Erfolg. Meine Mutter, in der Mitte der Phalanx , stieß den beiden Mitstreiterinnen ihre Ellbogen in die Rippen und wies dabei mit dem Kinn auf mich. »Da, da, was habe ich euch gesagt! Sieht sie nicht verändert aus? Heute sogar noch mehr als Freitagabend.«

Fernanda, eine drahtige, immer braungebrannte Person, der ihr kühnes Profil unter uns Kindern den Namen Sitting Bull eingetragen hatte, trat zwei Schritte vor, packte meinen Kopf mit beiden Händen und zog ihn etwas nach unten, in ihr Sichtfeld. »Wer ist er?« Eine kurze Inspektion meiner Miene reichte offenbar für die eindeutige Schlussfolgerung: Nur ein ER konnte dahinterstecken.

»Lass mich! Was soll das?« Wütend ließ ich meine Tasche fallen. Ich schüttelte die Hände ab und schob Fernanda ein Stück zurück. »Was fällt euch ein, mich hier abzufangen? Hast du die beiden etwa zur Verstärkung gerufen?«, fauchte ich meine Mutter an.

»Aber doch nur aus Sorge, Liebes«, sagte sie mit ihrer butterweichen Mammastimme, wohl in der Hoffnung, mich damit wieder in die Kindchenrolle schieben zu können, während Luisa meine Tasche aus dem Weg räumte. Unter beruhigendem Gebrummel wurde ich an den Esszimmertisch bugsiert und auf einen Stuhl gedrückt. Unsere große Teekanne stand in Reichweite zwischen drei Tassen, aus denen...


Beil, Brigitte
Brigitte Beil, aufgewachsen in Münster, studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Publizistik und arbeitet als freie Journalistin und Buchautorin. Schwerpunkte ihrer zahlreichen Sachbücher sind soziale und psychologische Themen. Brigitte Beil hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in München. Zuletzt erschienen bei btb ihre Romane »Eiswinter« und »Ein Brief aus England« .



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