Menschen sind kein zentrales Thema in Dietmar Kiffmanns Kunst. Zumindest nicht in ihrer unmittelbaren Form als Gestalt oder Porträt. Leidlich in frühen Lithografien tauchen Körper und Gesichter auf. Etwa in einem Blatt von 1968, auf dem ein „Gnom mit Blume“ zu sehen ist. Oder in einer Arbeit aus dem nämlichen Jahr, auf der ein menschliches Gesicht mit dem Kopf einer Ente verschmilzt. Ebenfalls aus dem genannten Jahr eine Lithografie mit dem Kopf eines Mannes vor einer stilisierten Landschaft, die dementsprechend „Gesicht vor Landschaft“ betitelt ist. Die Farbgebung und der expressive Duktus lassen an Edvard Munch denken.
Als Gestalter seiner Umwelt, als vielfältig schöpferisches Wesen spielt der Mensch aber doch eine ganz wichtige Rolle in Dietmar Kiffmanns Werk. Was der Künstler auf malerische und grafische Art und Weise untersucht, sind von Menschen geschaffene respektive von diesem wesentlich geprägte Dinge. Gegenstände, Architektur, Landschaften. Kiffmann findet die Motive seiner Arbeiten in unmittelbarer Lebensnähe, ihn interessiert die handfeste Materialität einer Mauer, die Form von landwirtschaftlichen Geräten, die vielen Ansichten, die ein einziges Bett ermöglicht. Der erwähnte „Gnom mit Blume“ ist auch so betrachtet eine Ausnahmeerscheinung (im doppelten Wortsinn).
Was Kiffmann nicht interessiert, ist Realismus. Seine Bilder der wirklichen Wirklichkeit versuchen nicht, diese möglichst genau wiederzugeben. Vielmehr sind es Um- beziehungsweise Einkreisungen des scheinbar Banalen, ist es die Suche nach Strukturen und Zusammenhängen. Ambitionen, die fast zwangsläufig zu kreativen Prozessen serieller Natur führen.
Ein markantes Beispiel für diese Methode des Arbeitens ist die Serie „Bettlandschaften“. Genauer: die Serien „Bettlandschaften“. Denn Kiffmann behandelt das Thema sowohl in Kohlezeichnungen als auch in Radierungen. Und Parallelen dieser Ansichten von Leintüchern, Decken und Pölstern zu Lithografien, die von „wirklichen“ Landschaften ausgehen, sind nicht zu übersehen. Vor allem dort, wo der Bildausschnitt, filmisch gesprochen, keine Totale sondern eine Nahaufnahme ist, bleibt offen, ob man sich in einem Außen- oder Innenraum befindet.
Wobei ein weiteres Feld geöffnet ist, in dem sich Dietmar Kiffmann künstlerisch bewegt: in dem der Beziehung von zweiter und dritter Dimension, von Fläche und Raum. Wie bei den Landschaftsbildern handeln jene Werkgruppen, die „Fenster“, „Wand“ und „Mauer“ im Titel tragen, von der Erkundung der Tiefe in der Fläche. „Kiffmanns Vorliebe für rauhe Oberflächen prägt sich vor allem in den Radierungen und Aquatinten aus, die er auf einer Tiefdruckpresse in seinem Atelier selbst druckt. Gerade in dieser Technik verwirklicht er sein Streben nach Wiederentdeckung räumlicher Naturen in der Fläche.“ Ein Zitat aus einem Text von Horst Gerhard Haberl, verfasst für den Katalog zur Ausstellung „Radierungen“, 1979 und 1980 in Graz und Wien zu sehen. Tatsächlich ist Kiffmann ein Künstler, der das Raue (das 1979 noch ein hin sich trug) dem Glatten eindeutig vorzieht. Eine gewisse Räumlichkeit, ein haptisches Moment ist dem Rauen wesensimmanent. Die Verwendung von Erden in der Mischtechnik-Serie „Mit Erde“ kommt dieser Vorliebe für Harmonien jenseits fader Gefälligkeit entgegen.
Bei aller Liebe zum Rauen ist Kiffmanns Umgang mit den Dingen seiner Kunst ein ganz behutsamer. Rauheit bedeutet Strenge und Sparsamkeit. Rauheit bedeutet Konzentration und Reduktion. Nie aber ist Rauheit Roheit. Die Einfachheit der Darstellung wird niemals als plump empfunden. Was besticht, ist die Klarheit der bildnerischen Reflexionen. In Tusche-Kohle-Blättern von 2019 findet der Künstler eine nahezu kalligrafische Form, für diese Widerspiegelung von Realitäten, die in den markanten Zeichen auf Papier zu erahnen sind. Und deshalb konsequenterweise „Ohne Titel“ bleiben.
Es ist natürlich immer problematisch, Rückschlüsse von der Person eines Künstlers, einer Künstlerin auf seine, ihre Werke zu ziehen (und umgekehrt). Aber, vermute ich, auch wer Dietmar Kiffmann nicht persönlich kennt, wird vor dessen Arbeiten eher das Bild eines stillen, in seinem Kern vielleicht melancholischen Menschen imaginieren. Eines Suchers nach dem Wesentlichen (was immer das sein mag). Jedenfalls eines Künstlers, der keine großen Gesten braucht, dem das Haschen nach Effekten fremd ist. Dietmar Kiffmanns Kunst ist nicht zuletzt ein überzeugender Beweis dafür, dass weniger mehr sein kann. Nein: mehr ist.
(Walter Titz, „Behutsam Raues“)
Behr / Fürpaß
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Weitere Infos & Material
Fürpaß, Josef
Josef Fürpaß: geboren 1960, lebt als Buchgestalter, Zeichner & Bandoneonist in Graz und St. Katharein an der Laming/Österreich.
Er ist Gründungsmitglied des Vereins DruckZeug, war 2012 bis 2014 Betreiber & Programmgestalter der Keplerkoje in Graz, er widmet sich inhaltlich und formal den gestalterischen Möglichkeiten an der Schnittstelle der Bereiche Typografie, Buchdruck, (Druck-)Grafik & Literatur.
Seit 2011 Lehrbeauftragter an der Meisterschule für Kunst & Gestaltung an der Ortweinschule in Graz.
Kiffmann, Dietmar
Dietmar Kiffmann: geboren 1940 in Marburg/Drau, lebt in St. Marein bei Graz.
1959–1962 Kunstgewerbeschule Graz (Prof. Otto Brunner)
1962–1967 Akademie für angewandte Kunst, Wien (Prof. Carl Unger/Prof. Franz Herberth)
1970 bis 2000 Kunsterzieher am BG Pestalozzi in Graz
1973 & 1974 Teilnahme an der Malerklausur in Graz-Mariatrost
1974 Mitglied des Forum Stadtpark
1979 Mitglied der Gruppe 77
Preise & Ankäufe:
1976 Grafikwettbewerb Krems a. d. Donau; Ankaufsempfehlung beim Kunstpreis des Landes Steiermark
1977 Kunstpreis für zeitgenössische Malerei in Köflach
1984 19. Österreichischer Grafikwettbewerb in Innsbruck; 4. Römerquelle-Grafikwettbewerb
Ankäufe durch die Artothek des Bundes (1974, 1977, 1979)
Personalausstellungen:
1966 Ganggalerie Graz
1967 Volksbank Bruck/Mur
1970 Forum Stadtpark, Graz
1973 Galerie in der Passage, Wien
1975 Galerie Ogris-Raffeiner, Klagenfurt; Forum Stadtpark, Graz
1977 Galerie beim Minoritensaal, Graz
1979 Galerie „Z“ (Katalog)
1980 Galerie auf der Stubenbastei, Wien (Katalog)
1990 Galerie der Gruppe 77, Graz
1998 „Erdhäuser und“, Weberhaus, Weiz
1999 „Erde und die Bilder“, Bildungshaus Mariatrost, Graz
Verschiedene Ausstellungsbeteiligungen der Gruppe 77 (s. link): http://www.gruppe77.at/ausstellungen/1990-dietmar-kiffmann/
Grafiken u. a. in der Zeitschrift STERZ: Nr. 24, 33, 34, 49
Behr, Martin
Martin Behr: Studium der Kunstgeschichte, Redakteur der „Salzburger Nachrichten“ und Mitglied der Künstlergruppe G.R.A.M.; Ausstellungen im In- und Ausland, Stipendien in Los Angeles, London und Chengdu; kuratorische Tätigkeiten sowie zahlreiche Texte für Publikationen im In- und Ausland; Mitherausgeber u.a. der Bücher „Wir sind Sturm! 100 Jahre Grazer Fußballgeschichte“, „Gerhard Roth – Atlas der Stille“, „Im unsichtbaren Wien – Fotonotizen von Gerhard Roth“ sowie „Campingbus, nie! Portraits, Positionen, Perspektiven zur Krise“.