E-Book, Deutsch, 180 Seiten
ISBN: 978-3-8463-5911-2
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die verschiedensten Disziplinen setzen sich mit dem Phänomen Tourismus auseinander. Die Philosophie war bisher nur schlaglichtartig beteiligt. Dabei existieren viele tourismuswissenschaftliche Fragen, die die Philosophie durchaus beleuchten kann.
Genau auf diese Fragen gehen Julia E. Beelitz (Tourismuswissenschaftlerin) und Jonas Pfister (Philosoph) in diesem Buch im Dialog ein. Das Ergebnis ist eine interdisziplinäre Betrachtung zu individuellen, ethischen, ästhetischen, gesellschaftlichen und politischen Fragen.
Das Buch richtet sich an Studierende der Tourismuswissenschaften und der Philosophie. Es ist zudem für alle, die sich für philosophische und ethische Fragen des Tourismus interessieren, eine spannende Lektüre.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1 Neues wagen – wie alles begann
2 Was ist Tourismus?
3 Ist Tourismus Teil eines guten Lebens?
4 Ästhetik und die Macht der Bilder
5 Darf man so reisen? Ethische Erwägungen
6 Gesellschaftliche und politische Fragen
7 Zukunftsperspektiven – was werden könnte
Nachwort
Literatur
Register
Abbildungsverzeichnis
2 Was ist Tourismus?
15.02.2022 · SMS Jonas an Julia Liebe Julia, das waren interessante Stunden mit Dir in Innsbruck. Wirf doch einmal einen Blick in Dein E-Mail-Postfach. Ich habe ein paar meiner Gedanken zu unserer ersten Frage in einer kleinen Abhandlung zusammengefasst. Liebe Grüße Jonas 15.02.2022 · Jonas E-Mail-Anhang Betreff: Definition von „Tourismus“ Was ist Tourismus? Damit ist ein komplexes Phänomen gemeint, das verschiedene Akteure, Räume, Transportmittel, Unterkünfte und vieles weitere umfasst. Es ist somit erst einmal unklar, welcher Art von Gegenstand der Tourismus zuzuordnen ist. Ist es etwa ein Prozess, an dem Millionen von Menschen beteiligt sind und der sich über Jahre und Jahrzehnte ausdehnt? Wenn es etwas in der Art ist, so erscheint es zum einen schwierig, den Tourismus als Ganzes gedanklich zu erfassen, und zweitens erscheint es auch schwierig, eine vollständige Definition zu formulieren. Der Definitionsversuch des Begriffs Fremdenverkehr von Walter Hunziker und Kurt Krapf (1942) zeigt diese Schwierigkeiten auf. Hunziker und Krapf definieren den Begriff Fremdenverkehr als „die Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus der Reise und dem Aufenthalt Ortsfremder ergeben, sofern daraus keine dauernde Niederlassung entsteht und damit keine Erwerbstätigkeit verbunden ist“ (Hunziker & Krapf 1942, S. 43). Zum einen ist die Formulierung „sich ergeben“ zu umfassend, denn damit können unzählige Beziehungen und Erscheinungen miteingeschlossen sein. Zum anderen sind diese Phänomene und Beziehungen ganz unterschiedlicher Art, so dass durch ihre Zusammenfassung eine höchst heterogene Menge geschaffen wird. Abgesehen davon ist die Definition zudem zu weit, weil nicht alle irgendwie auf Reisen zurückzuführende Phänomene und Beziehungen zum Fremdenverkehr gehören. Zum Beispiel müsste man auch die zwischen zwei gemeinsam Reisenden entstehende Freundschaft, die im fremden Land geatmete Luft oder die Krankheit, mit der man sich auf der Reise ansteckte, als zum Fremdenverkehr gehörig ansehen. Auch wenn der Tourismus ein immens komplexer Prozess sein sollte, so setzt er sich doch aus unzähligen einzelnen, einfacheren Prozessen zusammen, nämlich den touristischen Reisen. Und da scheint eine gedankliche Erfassung und eine angemessene Definition viel einfacher zu finden zu sein. Wir haben ein intuitives Verständnis davon, was eine einzelne Reise ist, wo sie beginnt und wo sie endet. Und wir können sie einem Akteur zuschreiben, d. h. einer einzelnen Person oder einer Gruppe. Somit besteht die Aufgabe dann darin, das Touristische an der Reise zu erfassen. Einen entsprechenden Versuch, „Tourismus“ über die Personen zu definieren, die touristische Reisen machen, wurde bereits 1963 unternommen: Auf der United Nations Conference on International Travel and Tourism jenes Jahres einigte man sich darauf, dass ein Besucher (visitor) – im Unterschied zu einem Einwohner (resident) – einer ist, der ein anderes Land besucht, und der Tourist ein Besucher, der mindestens 24 h am Destinationsort bleibt. Diese Definition erwies sich jedoch als zu eng, da damit innerstaatliche Reisen ebenso wie Tagesausflüge u. a. ausgeschlossen wurden. Der Mangel wurde einige Jahre später behoben, als das Institute of Tourism (später Tourism Society) 1976 den Vorschlag machte, dass alle Bewegungen dazugehörten, die Menschen außerhalb der Orte vornehmen, an denen sie üblicherweise leben und arbeiten (Camilleri 2018, S. 4). Die heute gültigen Empfehlungen der Vereinten Nationen, wie in ? Abbildung 2 dargestellt, definieren eine Reise (trip) als die Ortsveränderung eines Menschen von seinem üblichen Wohnort und zurück. Ein Besucher (visitor) ist einer, der eine Reise außerhalb seines üblichen Umfelds unternimmt, für weniger als ein Jahr, zu einem beliebigen Hauptzweck (geschäftlich, Freizeit oder zu anderen persönlichen Zwecken) außer demjenigen, von einer in dem besuchten Land ansässigen Einheit beschäftigt zu werden. Eine solche Reise gilt als touristisch (United Nations 2008, S. 9f.). Damit werden die Aktivitäten anderer Reisender (traveller) ausgeschlossen, die etwa mit dem Ziel unterwegs sind, sich anderswo niederzulassen (Migration) oder die aufgrund spezifischer beruflicher Verpflichtungen reisen (z. B. Diplomaten, Militär). Auch das nomadische Reisen ist gemäß dieser Definition ausgeschlossen, da der ganze Raum der Aufenthaltsorte nichtsesshafter Menschen zu ihrem Wohn- und Arbeitsumfeld gehört. Tourismusdefinition nach UNWTO-Statistik | Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an UN (2008): International Recommendations for Tourism Statistics. Online: https://unstats.un.org/unsd/publication/Seriesm/SeriesM_83rev1e.pdf Gemäß der genannten Definition sind Reisen zu geschäftlichen Zwecken touristisch. Aus wirtschaftlicher Sicht ist dies nachvollziehbar, konsumieren doch die Geschäftsreisenden dieselben Produkte (von Verkehrsbetrieben, Hotels, Restaurants etc.) wie die anderen Reisenden. Doch ist fraglich, ob eine solche Definition noch dem alltäglichen Begriff entspricht. Denn Geschäftsreise und touristische Reise werden im Alltag unterschieden. Zwischen den beiden wird zuweilen gar ein Gegensatz wahrgenommen, etwa wenn die Frage gestellt wird: „Sind Sie zu Dienstzwecken oder als Touristin hier?“ Ebenfalls wäre es seltsam, wenn eine Geschäftsreisende sich selbst als „Touristin“ bezeichnen würde. Sie kann natürlich zugleich Geschäftsreisende und Touristin sein, zum Beispiel wenn sie am Destinationsort am Vormittag einen Kunden besucht und am Abend einen Stadtbummel macht, um Attraktionen des Orts anzuschauen. Aber dann tut sie eben etwas anderes, als wenn sie ihrer Arbeit nachgeht. Sie erholt sich und erkundet einen fremden Ort. Die Person würde vermutlich und korrekterweise sagen, dass sie zugleich als Geschäftsreisende und als Touristin da sei. Vermutlich muss man zwischen einem alltäglichen Begriff und einem Begriff unterscheiden, der für die Tourismuswirtschaft wichtig ist. Der wirtschaftliche Begriff schließt Geschäftsreisen mit ein, der alltägliche schließt sie aus. Der alltägliche Begriff beinhaltet, dass der Zweck, in der Tradition der Grand Tour, die Bildung, genauer würde ich sagen: die Erkundung fremder Orte, sowie der Zweck der Erholung sein kann. Den alltäglichen Begriff der touristischen Reise könnte man somit wie folgt definieren: Arbeitsdefinition | Eine Person P macht eine touristische Reise genau dann, wenn P sich außerhalb ihrer üblichen Wohn- und Arbeitsumgebung bewegt, P beabsichtigt, wieder an den Anfangsort zurückzukehren, und P die Reise zum Zweck der Erkundung fremder Orte oder zur Erholung vollzieht. Wissen | Definition Die Definition eines Begriffs ist die Angabe der Bedeutung des Begriffs. Es gibt verschiedene Arten von Definitionen. Nach klassischer Auffassung hat die Definition die Form einer logischen Äquivalenz: Ein Ding fällt unter einen bestimmten Begriff genau dann, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Die Formulierung „genau dann, wenn“ zeigt an, dass nun notwendige und hinreichende Bedingungen folgen. Notwendig ist eine Bedingung A für B, wenn es B ohne A nicht geben kann. Hinreichend ist eine Bedingung A für B, wenn A ausreicht, dass es B gibt. Zum Beispiel ist es eine notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung dafür, ein Mensch zu sein, dass man ein Lebewesen ist. Es ist eine hinreichende (aber nicht notwendige) Bedingung dafür, ein Mensch zu sein, wenn man das Wahlrecht in Deutschland hat. Schließt eine Definition Dinge mit ein, die nicht unter den Begriff fallen, so sagt man, sie sei zu weit. Schließt sie Dinge aus, die unter den Begriff fallen, so sagt man, sie sei zu eng. Gesucht ist eine Definition, die weder zu weit noch zu eng ist, d. h. die Bedingungen enthält, so dass nur und genau die Dinge sie erfüllen, die unter den Begriff fallen (siehe Pfister 2013). 25.02.2022 · E-Mail Julia an Jonas Betreff: Tourismus als System Lieber Jonas, Du warst aber schnell! Vielen Dank für die strukturierte Zusammenstellung dieser vielen interessanten Aspekte! Durch Deine Ausführungen wird meiner Meinung nach nochmal ganz deutlich, was wir schon in Innsbruck festhielten: Tourismus – obwohl mittlerweile ein Alltagsphänomen, zu dem aufgrund seiner ökonomischen Potenz, seiner ökologischen Folgen und seiner soziokulturellen Bewandtnis wohl der Großteil der Weltbevölkerung irgendeinen (nicht notwendigerweise positiven …) Zugang besitzt – wird ganz unterschiedlich verstanden. Das Phänomen einer Kategorie zuzuordnen und damit als Gegenstand, Beziehung o. Ä. zu klassifizieren, halte ich für nicht möglich. Gerade deshalb bezweifle ich auch, dass es zwingend notwendig ist, zwischen einem Alltagsbegriff und einem...