Bedford | Ein Liebling der Götter | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Bedford Ein Liebling der Götter

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-492-99132-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-492-99132-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Einer der berühmtesten europäischen Gesellschaftsromane des 20. Jahrhunderts Sybille Bedford entführt uns mit diesem Roman in die Welt der Aristokratie: mit Eleganz und Ironie erzählt sie die Geschichte dreier starker Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt steht die schöne, elegante Constanza, die die exzentrische Lebensweise ihrer Eltern - einer reichen Amerikanerin und eines dekadenten römischen Fürsten - kultiviert und auf die Spitze treibt. »Ein elegant-ironisches Familienporträt, in dessen Mittelpunkt drei wundervolle Frauen stehen.« - Brigitte

Sybille Bedford, geboren 1911 in Berlin als Tochter des Barons von Schoenebeck und seiner englischen Gattin, wuchs in Deutschland, England, Italien und Frankreich auf. Als junges Mädchen lebte sie mit ihrer Mutter und deren zweitem Ehemann, einem Italiener, an der Côte d'Azur, dem Zufluchtsort für viele europäische Künstler und Intellektuelle der Zeit. Alle ihre Romane und Reiseerzählungen schöpfen aus ihrem reichen biographischen Hintergrund. Sybille Bedford hat außerdem viele Jahre als Gerichtsreporterin berühmten Prozessen beigewohnt und darüber für Esquire und Life berichtet. Sie starb 2006 in London.
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Prolog


In einem Herbst Ende der Zwanzigerjahre ließen wir uns, wie es schien ohne ersichtlichen Grund, in Frankreich nieder.

Der Zug hielt. Meine Mutter legte ihre behandschuhte Hand an die Fensterscheibe: Ventimiglia.

Wir nahmen beide wieder unser Buch auf. Eine Zeit lang geschah nichts. Dann waren die Zöllner im Gang, zu zweit, in ihren wenig eleganten Uniformen, mit umgehängten Seitengewehren. Meine Mutter hielt sie geschickt in Schach. Arme Tölpel, sagte sie, und dass man auf Schwarz den Schmutz nicht sehe, könne nicht stimmen. Sie gingen. Wir fuhren aber noch nicht weiter.

Wieder versuchten wir zu lesen. Da sah ich den Bruder meiner Mutter in den Waggon steigen und rasch auf uns zukommen. »Constanza!«

»Du?« Er drückte ihr einen Kuss auf die Wangen, rechts, links. Sie blieb einfach sitzen. »Was willst du?«, fragte sie mit ihrer kalten Stimme.

Er sah mich. »Ciao, Flavia«, sagte er beiläufig. »Ich bin mit dem Auto aus Sestriere gekommen, weil ich dich noch erwischen wollte«, antwortete er auf Englisch. Ich mochte ihn nicht und verließ das Abteil; so hörte ich nichts weiter.

Vom Bahnsteig aus sah ich die beiden durchs Abteilfenster, meine Mutter saß mit sanfter, abwesender Miene da, ruhig. Sie war damals eine sehr schöne Frau, und auf dem leeren, staubigen, zugigen Bahnhof war sie an jenem Nachmittag, wie so häufig, eine Erscheinung wie aus einer anderen Welt. Ihr Bruder redete eindringlich und gestikulierte lebhaft. Ich ging ein paar Schritte. Etwas später sah ich ihn aus dem Zug springen, rasch die Schienen überqueren und dem Ausgang zueilen. Ich kehrte ins Abteil zurück. »Giorgio ist verrückt«, sagte meine Mutter. »Zu dumm, dass Mama ihm gesagt hat, wo er uns finden kann.«

»Was wollte er denn?«

»Weiß der Himmel«, sagte sie, »er plant irgendetwas Aberwitziges.« Meine Mutter mit ihrem analytischen Verstand versuchte immer, Menschen, ihr Verhalten und ihre Motive zu deuten, doch ihren Bruder nahm sie schon lange nicht mehr ernst. Ich fragte nicht weiter. Bald setzte der Zug sich auch in Bewegung, er rasselte über eine Brücke, und wir waren in Frankreich. »Alles in Ordnung?«, sagte ich.

»Ja«, sagte meine Mutter, »diesmal war ja auch nichts Besonderes.« Und dann mussten wir bereits daran denken, unsere Sachen zusammenzupacken. Wir wollten in Nizza umsteigen und dort den D-Zug nach Calais nehmen.

Wir fuhren ein, und ich wollte schon einen Gepäckträger herbeiwinken, da griff sich meine Mutter an die Hand und sagte: »Mein Ring.«

»Welcher Ring?«, sagte ich.

»Papas Ring«, erwiderte sie barsch, »der Rubin.«

»Oh«, sagte ich, und mir wurde bang. »Hast du ihn getragen?«

»Du weißt, dass ich ihn immer trage«, sagte sie. Das stimmte; ich konnte mich nicht erinnern, sie je ohne diesen Ring gesehen zu haben. Es war ein großer, schwerer Ring, ein Geschenk ihres Vaters, des Fürsten in Rom. So nannte ich ihn für mich, obwohl er mein Großvater war. Aber ich hatte ihn noch nie gesehen. Wir suchten auf dem Boden, wir suchten unter den Sitzen, besonders gründlich tasteten wir die Polster ab. Wir suchten, wie man in einer solchen Situation eben sucht. »Denk nach«, sagte ich. Wir gingen den Tag durch. »Du hast dir die Hände gewaschen.« Ich wollte im Waschraum nachsehen, doch der Gang war jetzt voller Reisender mit ihren Koffern, und der Waschraum war verschlossen. Wir suchten in Gepäckstücken, Mantel- und Jackentaschen. »Mummy«, sagte ich, »wir müssen aussteigen.« Unsere Betten im Nachtzug nach Calais waren gebucht. Unsinn, sagte sie, der Zug könne warten, wir würden eben ein wenig später an der Küste umsteigen, er halte doch bestimmt in Cannes und in all den anderen Orten. »Ohne den Ring steige ich nicht aus diesem Zug.«

Wir riefen den Schaffner, der rief den chef du train. Sie suchten genauso wie wir, nur fachmännischer. Unter ihren Händen klappten Sitze und Polster auseinander wie große Stücke eines Zickzackpuzzles. Ans Tageslicht kamen hauptsächlich Haarklemmen und abgebrannte Streichhölzer. Die Männer wirkten ebenso enttäuscht wie meine Mutter. Sie schienen auf ihrer Seite zu stehen.

»Une bague de valeur, Madame?«

»Valeur sentimentale.« Ihr Französisch war ein klein wenig harsch, so wie die Italiener es sprechen. »Aber da Sie fragen – ja. Es ist ein Rubin und ganz und gar ungewöhnlich. O ja, ein wertvoller Ring.«

Wir fuhren in den Bahnhof von Cannes ein, als sie dabei waren, die Formalitäten zu erledigen. »Hör auf, immer auf deine Uhr zu schauen, Flavia«, sagte meine Mutter. Den Ring, gab sie zu Protokoll, habe sie noch in Alassio am Finger gehabt; sie erinnere sich, ihn berührt zu haben, als wir einstiegen. Das Abteil sei leer gewesen. Der Personenzug, ein Bummelzug, habe überall gehalten. Doch damals gab es wenig kleinen Grenzverkehr nach Frankreich. Meine Mutter redete; die Männer notierten ihren Namen und ihren Mädchennamen.

»Nom de jeune fille de la mère? Lieu de naissance de la mère?«

Obwohl meine Mutter für derlei Lappalien sonst keine Geduld aufbrachte, ertrug sie dieses Prozedere gelassen und buchstabierte alles hilfsbereit.

»Providence?«, wiederholte der Zugführer. »Et où cela se trouve?«

»En Amérique du Nord«, sagte meine Mutter und lächelte ihn an.

»Bougre.«

Nun sagte meine Mutter, sie habe Hunger. Sie zückte ihr Portemonnaie. Ob sie wohl so freundlich wären und uns vom Buffetwagen eine Kleinigkeit besorgen würden? Die Männer erwiderten, sie solle ihr Geld nicht für ein vertrocknetes Hühnerbein, einen harten Pfirsich und ein Schlückchen Wein verschwenden. Guten Wein hätten wir selbst reichlich, sagte meine Mutter. Der Zugführer sagte: »Si Madame me permet«, und wickelte etwas aus einem braunen Papier. Meine Mutter nahm sich ein großes Kalbfleisch-Sandwich.

»Et la petite … Mademoiselle?«

So sah ich mich eigentlich nicht. Ich war schon damals groß gewachsen und fühlte mich – ohne überheblich zu sein, glaube ich – sehr viel älter, als ich war, nämlich bald sechzehn. Mein Hauptinteresse galt Büchern und politischen Utopien, bildete ich mir jedenfalls ein. Ich wollte nach Oxford, ich wollte Schriftstellerin werden, doch ich war wie meine Mutter, jederzeit bereit, den schönen Dingen des Lebens Vorrang zu geben.

Ich nahm eine der kleinen Flaschen Barolo, die der Chauffeur meiner Großmutter uns eingepackt hatte, der Korken steckte nur locker darin. Dann tranken wir zu viert.

Mittlerweile hatte sich der Zug wieder in Bewegung gesetzt, und draußen war es recht dunkel. Der chef du train nahm den Faden wieder auf. »Nationalité?«

»Anglaise«, sagte meine Mutter.

»On ne le dirait pas. Mariée?«

»Veuve«, sagte meine Mutter und zwinkerte mir zu. Sie war geschieden, doch nach dem Tod meines Vaters gab sie bisweilen diesen praktischeren Familienstand an.

Als die Männer alles schwarz auf weiß hatten, lag Fréjus schon hinter uns. Freudig, fasziniert riefen sie einander das Notierte zu.

»Veuve Herbert …« (Als solche war meine Mutter nun auf ihrem tintenbeklecksten Formular verewigt.)

»Née à Castelfonte …«

»De paternité Italienne …«

»De mère Américaine …«

»Sujet Britannique …«

»Sans domicile …«

»Accompagnée de sa fille …«

»Se rendant à – se rendant où?« Ja, wohin fuhren wir?

»Nach Brüssel«, sagte meine Mutter.

»Ich fahre nach England«, sagte ich.

»Heute Abend nicht mehr«, sagte der Zugführer.

Doch, doch, sagte meine Mutter und suchte wieder nach dem Ring. »Wo ist der nächste Halt?«

»Les Arcs.«

»Noch nie gehört.«

»Ein Eisenbahnknotenpunkt, Madame.«

»Ah, gut«, sagte sie, »dann können wir ja dort in den D-Zug umsteigen.«

»Welchen D-Zug?«

»Unseren.« Sie bat mich, den beiden das Heftchen mit der Schlafwagenreservierung zu zeigen.

Die Männer wurden ganz aufgeregt. »Den Achtzehn-Uhr-neunundfünfzig von Nizza? Das ist unmöglich, Madame.«

»Hält er nicht an Ihrem Knotenpunkt?«

»Hat er schon …«

»Halb so schlimm«, sagte meine Mutter, »dann steigen wir eben in Toulon zu.«

»Madame!«, riefen sie. »Wissen Sie, wie spät es ist?«

»Nicht genau«, sagte sie. »Wenn es wichtig ist, sagen Sie es mir.«

Wir alle sagten es ihr.

»So spät ist das auch wieder nicht«, sagte sie.

»Aber um die Zeit soll der D-Zug nach Calais schon in Avignon sein!«

»Oh«, sagte meine Mutter. »Dann ist er an uns vorbeigefahren. Verflixt! Ja, natürlich …« Sie wandte sich mir zu: »Das hättest du doch wissen müssen.«

Ich sagte, mir habe die ganze Zeit nichts Gutes geschwant.

»Ja, der Ring«, sagte sie rasch. »Kein gutes Omen. Wir dürfen den Ring nicht verlieren.« Die Männer warteten.

»Nun sieht die Sache natürlich anders aus«, sagte meine Mutter, aber es müsse doch noch weitere Züge geben. Ja, gewiss.

»Besorgen Sie uns wohl noch mal zwei Schlafwagenplätze?« Unmöglich, sagten die Männer, heute Abend nicht mehr, nicht während des Salon d’Autos. Im Umkreis von Lyon sei nicht einmal ein Liegewagenplatz zu kriegen.

»Ganz eindeutig«, sagte meine Mutter, »das Schicksal meint es nicht gut mit uns.«

Die Männer schlugen uns vor, irgendwo auszusteigen und im Hotel zu übernachten.

»Ja, diesen Zug...



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