E-Book, Deutsch, 222 Seiten
Becker Josef in der Unterwelt
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7427-2608-7
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine fantastische Reise
E-Book, Deutsch, 222 Seiten
ISBN: 978-3-7427-2608-7
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Martin Becker, geboren 1957 im südlichen Hochland von Tansania, besuchte dort ein englisches In-ternat. Mit zehn Jahren reiste er mit der Familie nach Deutschland aus. Die Jugend verbrachte er in Gemmingen und in Büsingen am Rhein, wo er nach dem Gymnasium die berufliche Laufbahn in der Schweiz einschlug. Nach dem Zivildienst in Heidelberg zog Becker nach München. Er lebt heute bei Fürstenfeldbruck und ist freiberuflich im Großraum München tätig.
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Der Ausflug
Am Eingang des Steinbruchs hielt ein weißer Jeep. Eva stieg aus. Sie hatte sich heute hübsch gemacht für den Ausflug. Die Haare waren locker hochgesteckt, und ihr weißgepunktetes, rotes Kleid erlaubte einen Blick auf ihre langen, schlanken Beine. Klar, dass die Jungs im Bruch sofort laut johlten und pfiffen. Und Josef schritt, in einer Mischung aus Verlegenheit und Stolz, lächelnd, mit nacktem Oberkörper, sein Hemd geschultert, so männlich und heldenhaft, wie der Zigaretten-Mann zum Ausgang. Seine weißen Zähne strahlten im Sonnenlicht. Er blickte sich nicht nach seinen Kollegen um, die ihn auf seinem Weg mit Klatschen, Pfeifen und Motorengeheul aufmunterten. Er hatte seinen Blick nur noch für sie: Für seine Traumfrau.
Eva verschränkte ihre Arme, grinste und lehnte sich an den Jeep. Sie wusste, dass ihr Macho-Man diesen Abgang tierisch genoss.
Franz zündete sich einen Zigarrenstumpen an, als Josef die Baracke passierte.
„Viel Spaß, mein Junge.“
„Heute fahre ich“, lächelte sie selbstbewusst, nachdem er frisch geduscht aus dem Haus seiner Eltern kam und dabei strahlte, wie ein kleiner Junge auf dem Weg zum Jahrmarkt. Er hatte sein rotes Lieblingshemd angezogen und sah dabei einem kanadischen Holzfäller nicht unähnlich.
Die Sonne stand hoch am Himmel und hatte nicht mehr die Kraft eines Sommermittags. Dafür war das Licht so klar und hell, wie es nur im Herbst sein konnte. Die Bäume leuchteten, als hätte man sie in Brand gesteckt, dabei strahlten sie eine Ruhe und Ehrwürdigkeit aus, wie man es nur im Beisein von alten, klugen Menschen mit schneeweißen Haaren empfindet. Ein kräftiger Wind blies in die Zweige und wehte die ersten goldbraunen Blätter über die Straße. In kräftigen, runden Bogentürmen bauten sich die Wolken in den tiefblauen Himmel auf. Eva zeigte auf die Vögel, die scheinbar ohne Widerstand im Wind hin und her geweht wurden. Hinter dem weißen Jeep wirbelte das bunte Laub.
Die schmale Landstraße zur Stadt führte über den Kamm der lieblichen Hügellandschaft auf ein tiefes Flusstal zu. Josef liebte diese Strecke, die sich mit einem schnellen Auto so herrlich fahren ließ. Eva wollte jedoch nicht so schnell fahren. Sie genoss den Blick des Höhenwegs, hinweg über die bunten Laubwälder, zwischen denen kleine Dörfer und Siedlungen mit den roten Dächern hervorleuchteten, wie Fliegenpilze im Wald.
„Wir haben unheimlich viel vor“, freute sich Eva. „Zuerst müssen wir sämtliche Läden abklappern. Ich habe ja überhaupt nichts mehr anzuziehen. Dann brauche ich noch ein Geschenk für meinen Vater und ein neues Buch für mich. Und wenn wir noch Zeit haben, können wir ja noch in den Musikladen vorbei und heute Abend vielleicht ins Kino.“
Josef schaute sie von der Seite an und grinste.
„Eigentlich wollten wir noch auf die Burg spazieren“, sagte er und dachte an die schöne Parkbank, auf der es sich so herrlich schmusen ließ.
„Dazu haben wir keine Zeit. Vielleicht nach Ladenschluss. Vorher müssen wir ganz schön stressen.“
„Leider konnte ich nicht früher. Tut mir leid.“
„Warum haben dir deine Eltern auch nur den Nachmittag freigegeben. Ich fürchte, wir kommen mit dem Programm nicht ganz durch.“
„Ach, wir hatten wieder einmal eine dieser ewigen Diskussionen.“
„Das sollte dir doch langsam nichts mehr ausmachen, oder?“
Josef blieb still und schaute wie geistesabwesend vor sich auf die Straße.
„Ist was mit dir, Liebling?“ fragte Eva, die bemerkte, dass Josef schon die ganze Fahrt über recht schweigsam neben ihr saß.
„Heute bin ich in einen Steinschlag geraten“, sagte er.
„Liebling!“ rief sie erschreckt. „Hast du dich verletzt?“
„Nein, ich lag so in einem Spalt, dass die Steine über mich hinweggerollt sind.“
„Warum hast du mir das nicht gleich erzählt, als ich dich abgeholt habe?“
„Nein, nein“, beruhigte er sie. „Es ist ja nichts weiter passiert.“
„Dir sitzt aber doch noch der Schreck in den Knochen.“
„Es ist nichts passiert. Ich habe eben Glück gehabt.“
„Schatz“, Eva schaute ihn vorwurfsvoll an. „Du warst wieder leichtsinnig, stimmt’s?“
Der Weg ging steil abwärts. Die Kurven waren eng und unübersichtlich und bildeten durch das feuchte Laub gefährliche Rutschbahnen. Eva fuhr vorsichtig.
„Das ist vielleicht ein blödes Gefühl“, sagte Josef nach einer Weile, „wenn so ein Felsbrocken über dich rüberrollt.“ Er lachte verlegen und griff nach ihrer Hand.
„Sepp! Das ist nicht zum Lachen!“ sagte sie erschüttert. „Du hättest doch tot sein können!“
„Ha!“ rief Josef trotzig. „So schnell erwischt es mich nicht.“
Eva nahm ihre Hand zurück und schaute ihn von der Seite an. Dabei zog sie eine Augenbraue hoch.
„Heute habe ich mit Franz geredet“, sagte Josef schnell, um das Thema zu wechseln. „Er meint, es wäre besser, wenn ich mich mal nach etwas anderem umschaue, als noch zwanzig Jahre zu warten, bis sich meine Eltern zur Ruhe gesetzt haben.“
„Er hat Recht“, nickte sie. „An was denkst du dabei?“
„Oh, das ist ganz einfach“, sagte er und küsste erneut ihre Hand. „Wir heiraten und bekommen zehn Kinder. Du eröffnest eine Anwaltskanzlei, und ich werde dein Hausmann, hüte die Kinder und koche dein Süppchen, wenn du von der Arbeit kommst.“
Eva lachte belustigt auf. „Ist das etwa ein Antrag?“
„Ja, natürlich ist das ein Antrag. Eva. Du weißt, ich liebe dich, und ohne dich kann nicht mehr leben. Ich möchte mit dir für immer zusammen sein und uns jeden Tag lieben.“
„Ja, ja, das hättest du wohl gern. Und zwischendurch soll ich zehn Kinder bekommen?“
„Genau. Du gehst arbeiten, und ich koche, putze, hüte die Kinder und beschütze dich.“
„Wovor willst du mich beschützen?“
„Oh, ich beschütze dich vor Wölfen und Monstern, und ich beschütze dich gegen alle, die uns auseinanderbringen wollen.“
„Ist das wirklich wahr?“
„Liebling, ich schwöre es. Ich hole dich, wenn’s sein muss, vom Nordpol zurück.“
„Und wenn ich nicht am Nordpol bin?“
„Dann von überall her.“
„Na, wenn es so ist, dann kann ich wohl deinen Antrag nicht ablehnen.“ Sie zwinkerte Josef lächelnd zu.
„Ist das wahr?“ Josef war überglücklich und wollte ihr am liebsten jetzt und sofort einen dicken Kuss geben.
Er nahm ihre Hand und presste sie an seine Lippen. Plötzlich schoss vor ihnen aus der Linkskurve ein schneller Sportwagen entgegen. Das entgegenkommende Fahrzeug rutschte etwas am nassen Laub und geriet dadurch zu weit auf die Gegenspur. Eva riss das Steuer herum, um ihm auszuweichen, dabei rutschte auch ihr Wagen auf den feuchten Blättern, und die Räder gerieten von der Fahrbahn ab. Sie schaffte es nicht mehr, den Wagen rechtzeitig vor der Kurve zurück auf die Straße zu bringen, und der Jeep durchstieß mit seinen hohen Reifen die Leitplanke, hob sich in die Luft und fuhr krachend in das Gehölz des Abgrunds.
Mit voller Wucht landete der Wagen im Gebüsch des Abhangs und wurde dadurch stark gebremst. Josef und Eva hingen keuchend in den Sicherheitsgurten. Sie versuchte noch, den Wagen zu bremsen, doch das Gewicht zog den Jeep unweigerlich weiter in die Tiefe.
Josef öffnete schnell die Schnappverschlüsse der Sicherheitsgurte. „Raus, Eva, raus!“ schrie er und stieß seine Tür auf.
Da spürte er wieder eine enge Umklammerung an seinem Hals. Es war der gleiche würgende Griff, den er im Steinschlag spürte. Dieser Würgegriff, der einem den Willen raubt, sich selbst zu retten, hinaus zu springen, wurde ganz deutlich von Händen ausgeführt.
„Eva!“ brüllte Josef und griff noch an die Stelle, wo sie soeben saß. Doch er griff ins Leere. Evas Türe war geöffnet. Sie war bereits hinausgesprungen.
Der Junge wälzte sich zur Seite und fiel aus dem Fahrzeug in hartes, kratzendes Gestrüpp. Das weiße Fahrzeug rauschte krachend und polternd den steilen Abhang hinab, dicht an Josef vorbei, wie ein schmutziger Schneeball im Winter. Es überschlug sich und rollte seitwärts in die Tiefe. Noch hatte Josef keinen Halt gefunden. Der Hang war zu steil, um sich irgendwo festhalten zu können.
Da war wieder diese Umklammerung. Er fasste nach dem Würgegriff an seinem Hals und spürte einen fremden Körper. Irgendjemand war an seinem Hals und versuchte ihn zu erwürgen. Ihm wurde es schwindlig. Josef hatte keine Gewalt über sich, über seinen Sturz. Er fand keinen Hebel zum Ansetzen, um sich aus dieser Lage zu befreien. Er griff nach der Hand an seinem Hals. Mit dem Griff, den er für den Schraubenschlüssel am Lastwagenreifen brauchte, riss er die Hand von sich, befreite sich aus dem Würgegriff. Was war das? Ein Mann, eine fremde Figur. Irgendetwas Schwarzes wandte sich in seiner Hand.
Josefs Sinne kreisen. Ihm schwand allmählich das Bewusstsein. Er spürte seinen Körper nicht, wie er den Hang hinabstürzte und immer wieder an einem hervorstehenden Felsbrocken oder Busch aufschlug. Mit seinem eisernen Griff und mit seinem letzten Willen, zog er die Figur an sich heran. Der schwarze Fremde war stark und kräftig, aber Josefs Griff war so unlösbar, wie ein Schraubstock. Er umklammerte die Figur mit seinen beiden Armen und dachte an einen Lastwagenreifen, den er mit Schwung in die Achse hob. Es wurde ihm schwarz vor Augen, wie ein Nebel, der ihn umhüllte.
Als sich der schwarze Nebel vor seinen Augen verzog, lag Josef am Boden des Abgrundes und konnte sich nicht bewegen. Er konnte keinen Muskel rühren. Er konnte nicht atmen. Mühsam schlug er zunächst ein Auge...




