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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Baum Hotel Berlin


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8031-4237-5
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-8031-4237-5
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Die Frage, die mich Tag und Nacht nicht in Ruhe ließ, war: Wie sieht es jetzt in Deutschland aus? Was denken, fühlen, fürchten und hoffen die Deutschen in einem Augenblick, da schon die ganze Welt das Menetekel an der Wand lesen kann?"

Vierundzwanzig Stunden in einem Luxus-Hotel in Berlin in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Draußen fallen Bomben, drinnen haben die Nazigrößen ihr halboffizielles Quartier eingerichtet. Aber auch andere Menschen unterschiedlichster Herkunft finden Zuflucht im Hotel, darunter eine bekannte Schauspielerin namens Lisa Dorn, eine schillernde Figur, Freundin diverser Generäle. Sie entdeckt zufällig, dass sich in ihrem Zimmer der weithin gesuchte Student Martin Richter verbirgt, der kurz vor seiner geplanten Hinrichtung aus den Fängen der Gestapo fliehen konnte. Statt ihn zu verraten, versteckt sie ihn, und während draußen die Welt untergeht, verlieben sich die beiden ineinander …

Ein temporeicher Schicksalsroman, den man atemlos und mit Tränen in den Augen verschlingt.

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In ihren alten Männerstiefeln kam die Telegrafenbotin zur Hotelhalle hereingeschlurrt und nahm ihren Weg zum Empfangstresen. »Telegramme«, sagte sie und hielt Kliebert ihren Block zum Unterschreiben hin. »Was gibt’s Neues?« fragte Kliebert. »Es heißt, sie haben Bremen gestern nacht derartig zusammengebombt, daß kaum noch ein Haus steht. Sechzigtausend Tote. Die Züge sind gerammelt voll mit Verwundeten. Den Papst haben sie gefangengesetzt. Die Amerikaner haben Rom eingenommen. Unsere Soldaten in Rußland strecken die Waffen und wollen Kommunisten werden, aber Stalin hat sie alle erschießen lassen.« »Ist das alles?« »Den Richter haben sie noch nicht erwischt«, erklärte die alte Frau mit ihrer Totengräberstimme und schlurrte davon. »Was hat sie gesagt?« fragte Ahlsen, der schweißgebadet zum Tresen zurückkehrte. Da Schmidt fehlte und der Fahrstuhl außer Betrieb war, hatte er sich widerstrebend herabgelassen, die Koffer der Gäste zu tragen. »Die ist nicht ganz richtig im Oberstübchen«, sagte Kliebert, an seine Stirn tippend. Aber er wußte, und auch Ahlsen wußte, daß die absurden Gerüchte, welche die alte Frau abschnurrte wie eine zerbrochene Grammophonplatte, einen wahren Kern hatten. Mit anderen Worten: Gestern standen die Dinge gut, heute standen sie schlecht. In der Tat, an diesem hellen, sonnigen Morgen standen sie sehr schlecht. Im Hotel herrschte Sodom und Gomorrha. Es war, als ob sämtliche Hotelgäste sich zur gleichen Zeit an den Tresen drängten, alle vom gleichen Wunsch getrieben: fort, nur fort aus Berlin! Um jeden Preis nur weg aus dieser gefährdeten Stadt, aus diesem untergehenden Land. Da wurde nach Zügen gefragt, nach Flugzeugen, nach Fahrplänen, nach Abfahrtszeiten; von den beiden hilflosen alten Männern wurden Verbindungen für Ferngespräche nach Stockholm, Zürich, Ankara und Bukarest verlangt. Doktor Hüningen, der in seiner Ecke saß, diagnostizierte die Symptome und faßte bei sich zusammen: Die Euphorie ist vorbei; nun kommt das Ende. Er verließ seinen Tisch und stelzte zum Tresen. »Telegramm für mich?« »Nein. Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich Sie rufe, wenn es da ist«, schrie Ahlsen unhöflich. »Überreizt?« fragte Hüningen nicht unfreundlich. »Nein!« brüllte Ahlsen. »Aber ich kann nicht alles alleine machen. Wo stecken denn bloß die Pagen heute?« »Beruhigen Sie sich, Mensch«, sagte der Arzt. »Nehmen Sie’s nicht so tragisch. Das ist nicht die erste Panik dieses Krieges, und es wird nicht die letzte sein.« »Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Wir haben keine Panik. Warum sollten wir auch eine haben?« erwiderte Ahlsen, Parteidisziplin wahrend. »Ich könnte verschiedene Gründe dafür nennen«, meinte der Arzt leicht belustigt. Ich glaube, heute werden wir noch ein paar Nervenzusammenbrüche kriegen, sprach er zu sich selbst, als er zu seinem Tisch zurückging. Schmidt erschien um zehn Uhr dreißig, sozusagen in Vitriollaune. Er rammte sich die Portiermütze mit einem hohlen Knall auf den Kopf, riß seine Schlüssel, seinen Bleistift und seine Liste an sich und stürzte sich wütend in die Verwirrung, die um den Tresen herrschte. »Na, hat man Sie behalten?« fragte Ahlsen, vor Schadenfreude fast platzend. »Jawohl! Und Sie werden se genauso bei die Hammelbeene kriegn, und bald, mit samt Ihrem Parteiabzeichen und allem, das lassen se sich von mir sagen. Nu werden se bald jeden schielenden lahmen alten Krüppel zusammenkratzen, genauso wie sie’s 1918 gemacht haben; alles Kanonenfutter. Nich mal so viel Zeit lassense ’nem Menschen, sich um seine Familie zu kümmern. Heute ist mein letzter Tag im Hotel. Morgen bin ich Soldat, und Sie können sich Ihre dumme Lache sonstwo hinstecken. Sie werden auch bald einer sein.« »Ich wäre stolz, wenn sie mich nehmen würden, trotz meines Alters und meines Rheumatismus«, sagte Ahlsen großspurig. »Rheumatismus! Die werden Ihnen zeigen, was Rheumatismus ist!« sagte Schmidt in heller Wut. Er fühlte sich so elend, daß er sich am liebsten über den Tresen geworfen und geweint hätte. Plötzlich fing er an, die Pagen anzuschreien: »Was ist denn hier los? Wo sind denn diese Lümmels? Kaum bin ich nicht da, faulenzen se rum. Zur Inspektion anstellen! Aufgepaßt! Wo ist Nummer vier? Wo ist Nummer sechs?« Sein Arm schnellte vor und fing Adolf ein. »Wo steckst du die ganze Zeit, du Rotznase? Kämm dir deine Haare. Nummer 63 will die Post aufs Zimmer, 47 verlangt nach dem Hausknecht. Als ob wir noch einen Hausknecht hätten! Ach ja! Monsieur Rougier ist im Rauchzimmer und will gerufen werden, wenn der Herr Gauleiter Plottke nach ihm fragt! Los! Mach dich auf die Socken, oder ich will dir das Laufen schon beibringen!« Page Nummer sechs flitzte davon. Schmidt wischte sich den Schweiß vom Gesicht und setzte ein höfliches Lächeln auf wie eine Maske. »Heil Hitler, Herr Baron. Schöner Morgen, Herr Baron. Was darf ich für den Herrn Baron tun?« »Wenn Herr Kommissar Helm nach mir fragt: Ich bin im Konferenzzimmer mit Herrn Dahlin. Fahrstuhl noch immer außer Betrieb? Na, schon gut«, sagte von Stetten und ging hinauf zum Zwischenstock. Keiner hatte mehr Grund, einem Nervenzusammenbruch nahe zu sein, als Baron von Stetten, und keiner zeigte sich in besserer Stimmung, unberührter und zuversichtlicher als er. An Tagen wie heute, wenn jedermann hysterisch wurde, wenn alle Plottkes den Kopf verloren, und wenn Flüsterberichte davon sprachen, daß sogar der Führer eine seiner manischen Depressionen erlitten hätte, war Baron von Stetten seinen Vorfahren für die starken Nerven dankbar, die sie ihm vererbt hatten, und seiner Erziehung auf Offiziersschulen, wo Haltung gelehrt wurde. Wie General von Dahnwitz, Herr Schmidt und Millionen andere Deutsche hatte der Baron unter drei verschiedenen deutschen Fahnen gedient: unter dem Schwarz-Weiß-Rot des Kaiserreichs, unter dem Schwarz-Rot-Gold der kurzlebigen Republik und unter dem Hakenkreuz des Dritten Reiches. Er hatte allen dreien die Treue geschworen und an keine Regierung geglaubt. Wenn er in seinem Zynismus überhaupt an etwas glaubte, so war es an sein Vaterland, das immer Bestand haben würde, mochte seine politische Form auch veränderlich und vergänglich sein. Auf jedem Posten, der ihm anvertraut worden war, hatte er sein Bestes geleistet, und trotzdem war er eher Zuschauer geblieben als Anhänger. Er war sich nicht bewußt, je charakterlos gehandelt zu haben. Er hatte reine Hände und ein gutes Gewissen. Er hatte immer seine Pflicht getan und würde weiter seine Pflicht für Deutschland tun, unter was für einer Regierung es nach dem Krieg auch wiedererstehen mochte. Er zweifelte nie daran, daß eine künftige Regierung, welcher Art sie auch sein möge, ihn brauchen würde. Deshalb blieb er unbeteiligt und ging seinen Geschäften nach wie gewöhnlich. Um sieben Uhr früh hatte er auf seinem Schreibtisch im Auswärtigen Amt einen Auszug der letzten Rundfunksendungen vorgefunden, der legalen sowohl wie der illegalen, und sie mit den Nachrichten, die sein Büro während der Nacht direkt erhalten hatte, verglichen; sie übermittelten ihm ein ziemlich vollständiges Bild davon, wie die Dinge standen: Was gestern abend wie ein erfolgreich abgewendeter Luftangriff auf Berlin ausgesehen hatte, entpuppte sich als ein vernichtendes Bombardement von Bremen. Noch immer liefen Einzelheiten ein über eine Katastrophe. Die gleiche Geschichte wie in Hamburg und Köln. Fabriken zerstört; die Bevölkerung in panischer Furcht; überfüllte Spitäler; Züge, Eisenbahnen, Landstraßen mit Ausgebombten verstopft; dänische Arbeiter flohen in ihre Heimat. Die ganze musterhafte Organisation der Nahrungsmittelverteilung, der industriellen Produktion, des Transportes – alles unterbrochen. Das war das Schlimmste, denn die Maschinerie des Dritten Reiches war nicht auf Improvisationen eingestellt. Dies war Chaos – und Chaos war unerträglich für Deutschland. Von Stetten war froh, daß es nicht die Angelegenheit seines Amtes war, den tragischen Zusammenbruch im Nordwesten aufzuhalten. Mochten sich die Kollegen im Kriegsministerium den Kopf zerbrechen über den Zusammenbruch der Offensive in Rußland. Mochte sich die Gestapo um die wachsende Unruhe in den Großstädten kümmern, und mochten sich die alten Parteibonzen um den Gesundheitszustand von Hitler, Goebbels und Göring Gedanken machen. Sein drückendstes Problem und das Problem des gesamten Auswärtigen Amtes waren im Augenblick die Sturmsignale, die aus Italien kamen. Als verbündete Macht war Italien erledigt, ein nutzloser Kadaver. Für den Nachmittag war eine dringende Sitzung einberufen worden. Aber zwischen häßlichem Morgen und diesem stürmischen Nachmittag hatte von Stetten zum Überfluß noch verschiedene höchst unerfreuliche Konferenzen mit einigen Mitgliedern der Zentraleuropäischen Handelskommission anberaumt. Festreden halten und Banketten beiwohnen war ganz nett, aber von Stetten war ein Realist und wußte, daß die ernsthaften Verhandlungen mit den Männern aus der Türkei, Schwedens, Rumäniens und Hollands etwas ganz anderes waren. Als er das Konferenzzimmer betrat, wo er Dahlin absichtlich für zehn wohlberechnete Minuten hatte warten lassen, hätte indes niemand etwas anderes in seinem Gesicht lesen können als Selbstvertrauen und fröhlichen Optimismus. »Guten Morgen, Dahlin, guten Morgen, meine Herren«, sagte er flott, die Männer musternd, die um den ovalen Tisch saßen. »Bedaure, ein paar Minuten zu spät zu kommen. Ich habe mich bei meinem Chef noch im letzten Moment unbeliebt gemacht, nur um ein paar Vorteile für Sie herauszuschlagen, Dahlin«, sagte er zu dem Schweden. Dahlin war...


Vicki Baum, geboren 1888 in Wien, gestorben 1960 in Hollywood, war eine vom Deutschen Reich ausgebürgerte österreichische Musikerin und eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen der Weimarer Republik. Sie emigrierte schon 1932 in die USA und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Der Roman "Hotel Berlin", erschienen 1943 in New York, war eine Prophezeiung.



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