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E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Baum Freiheit
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7109-5126-8
Verlag: Benevento
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Appell
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
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DIE FREIHEIT, FREI ZU SEIN
WAS ES ZU VERTEIDIGEN GILT
Was bedeutet, frei geboren zu sein, aber nicht frei zu leben?, fragte Hannah Arendt 1967 in ihrer berühmten Rede »Die Freiheit, frei zu sein«. Mit der Geburt eines jeden Menschen sei ein Neuanfang gemacht. Die Freiheitsgeschichte der Menschheit ist für Arendt eine Geschichte der Revolutionen, mit den Hoffnungen auf Freiheit derer, die sie in Bewegung gesetzt haben. Freiheit ist dabei nicht nur die Abwesenheit von Unterdrückung oder Bedrohung, sie ist mehr. Es geht um soziale und kulturelle Rechte. Die Freiheit der persönlichen Entfaltung und Teilhabe, das Recht, Rechte zu haben als »Gleicher unter Gleichen«. Arendts Denken und ihr Lebensschicksal als deutsche Jüdin sind untrennbar mit dem Holocaust und ihrer Vertreibung verbunden. Ihre philosophische Deutung der Freiheit, die sich an den Menschenrechten orientiert, hat für mich bis heute Bestand, wenn wir darüber nachdenken, was es eigentlich zu verteidigen gilt gegen die Demokratieverächter, Brandstifter und Freiheitsfeinde. Wir Deutschen haben unsere Freiheit nicht selbst erstritten. Wir mussten befreit werden vom Irrweg des Nationalsozialismus – nach einer totalen moralischen und militärischen Niederlage. Heute leben wir in einer weitgehend geglückten Demokratie. Unser Land wird, trotz aller inneren Probleme und Herausforderungen, als Trutzburg und Hafen in einer Welt voller Krisen und Kriege angesehen. Darauf können wir stolz sein. Es war ein langer Weg dorthin. Aufgrund unserer besonderen Geschichte erwächst uns aber auch eine besondere Verantwortung. Am Tegernsee, wohin meine Familie und ich nach der Dresdner Feuernacht geflohen waren, erlebte ich 1945 als Zwölfjähriger den Einmarsch der amerikanischen Truppen. Wir waren voller Angst und Sorge, als die Panzer über die Uferstraße fuhren und die Infanterie einmarschierte. In der amerikanischen Zone, in der wir dann lebten, hatten wir jedoch großes Glück. Es ging uns besser als den Menschen im französischen oder britischen Sektor, vom russischen ganz zu schweigen. Die amerikanischen Besatzer sannen nicht auf Rache, sondern vermittelten uns die Werte der Demokratie und waren gewillt, uns wieder in den Kreis der zivilisierten Welt aufzunehmen. Eine erstaunliche Reaktion, bedenkt man die Schwere deutscher Schuld. Die Neue Zeitung, die ersten Exemplare der Süddeutschen Zeitung – das ganze geistige Klima in Bayern wurde sehr stark von diesen Werten bestimmt. Der Kontrast zum Klima der Angst und der Unfreiheit im Nationalsozialismus hätte nicht größer sein können. Und doch: Die Menschen mussten erst wieder lernen, selbstbestimmt, in eigener politischer Verantwortung zu leben. LEHREN AUS DER BARBAREI: DAS RINGEN UM DAS GRUNDGESETZ
Um das Grundgesetz gab es damals, in den Nachkriegswirren, keine große öffentliche Diskussion. Das Volk hatte andere Sorgen. Es galt die Trümmer wegzuschaffen, die der Krieg hinterlassen hatte, den Hunger zu stillen, die Scham und die Sprachlosigkeit zu überwinden, die Hitlers Regime und seine Gräuel ausgelöst haben. Das Grundgesetz stand auch nicht zur Abstimmung. Wohl aus gutem Grund, denn den Menschen war die Demokratie damals suspekt bis egal, sie nahmen sie zunächst als aufoktroyiert wahr, als Diktat der Siegermächte. Politiker in Gestalt des Parlamentarischen Rats haben das, angestoßen von den Westmächten, unter sich ausgemacht – mitunter in heftigen Debatten über den Geist des neuen Staatswesens und darüber, welche Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik zu ziehen seien, vor allem aber aus der Katastrophe des Nationalsozialismus. Großen Respekt habe ich noch heute vor den vier Frauen in diesem Rat aus 61 Männern, vor allem vor der Sozialdemokratin Elisabeth Selbert. Sie hatte darauf bestanden, die Gleichheit zwischen Mann und Frau festzuschreiben. Da müssen wir ja das ganze BGB ändern, hielt ihr Thomas Dehler entgegen. Ihre Antwort: Na und? Nach langen Verhandlungen ist es dann durchgesetzt worden, später auch die dringend notwendigen Veränderungen in den anderen Gesetzen. Wirklich frei ist eben erst, wer als Gleicher unter Gleichen am öffentlichen politischen Leben teilnehmen kann, wie Hannah Arendt es später so treffend formulierte. Die Verfassung, die am 24. Mai 1949 in Kraft trat, war zunächst als Provisorium gedacht, weil man wusste, dass eine Staatsgründung im Westen die sich abzeichnende Teilung Deutschlands in West und Ost bestärken würde. Doch nur eine Woche später formierte sich der Staat der DDR mit einer eigenen, sozialistisch geprägten Verfassung und schuf Fakten, die Jahrzehnte überdauern sollten. Erst mit der Deutschen Einheit 1990 sollte aus dem vermeintlichen Provisorium ein gesamtdeutsches Definitivum werden. Das Grundgesetz war ein Segen für die Bundesrepublik. Geboren aus den bitteren Erfahrungen der Nazibarbarei, führte es Deutschland nicht nur wieder in die liberale Verfassungstradition der Aufklärung zurück, also zu den freiheitlichen Ideen von John Locke, Immanuel Kant, John Stuart Mill und Voltaire, sondern rückte die politische Selbstbestimmung in den Vordergrund. Das Grundgesetz war sehr viel kräftiger auf die Demokratie hin orientiert als die Weimarer Reichsverfassung. Was Revolutionen in Deutschland nicht geschafft haben, hat das Grundgesetz geschafft: die konsequente Abkehr vom Obrigkeitsstaat hin zu einer wehrhaften Demokratie mit Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und unverbrüchlichen, einklagbaren Individualrechten. Für die Amerikaner ist die individuelle Freiheit wichtigster Bezugspunkt in ihrer Verfassung. Unser Grundgesetz mit seinem sittlichen Prinzip der Menschenwürde ging noch ein Stück weiter und nahm den Staat in die Pflicht, und zwar schon im ersten Artikel: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Der Staat sollte fortan dem Wohl der Bürgerinnen und Bürger dienen, nicht umgekehrt. Auch die erste Verfassung der DDR trug demokratische Züge, doch der Einfluss der Sowjetunion nahm stetig zu. Das Bekenntnis zu Bürgerrechten und demokratischer Teilhabe spiegelte sich nie in der Realität wider. Das »Nie wieder!« schwang in allen Zeilen des Grundgesetzes mit. Es sollte gefeit sein gegen autoritäre Angriffe und wieder stabile Verhältnisse herstellen. Gleichwohl wussten die Verfassungsgeber, dass sich keine Verfassung vom Geist ihrer Zeit lösen kann, dass sie von der Zeit formbar bleiben muss. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Grundgesetz zum Leben erweckt, es in vielen Entscheidungen zum Sprechen gebracht und fortentwickelt sowie den Staat bei Grundrechtsverletzungen in die Schranken gewiesen. Wir Deutschen mussten lernen, dass es mitunter unangenehm ist, die Verfassung zu leben. Die Demonstrationsfreiheit greift in das öffentliche Leben ein. Es ist schwer zu akzeptieren, dass auch Verfassungsfeinde Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit genießen. Religionsfreiheit verlangt den Menschen Respekt vor anderen Religionsgemeinschaften ab, zum Beispiel vor dem Islam. Gerade in Krisensituationen muss sich unsere Verfassung bewähren, und Freiheit ist immer mit Risiken verbunden. Thomas Manns Nachkriegsroman Doktor Faustus hat mich als zwanzigjähriger Abiturient aufgewühlt. Mann unternimmt darin eine Analyse der Wurzeln des deutschen Verhängnisses, eine Analyse der Gründe, die diese Abkehr von der gesitteten Welt eingeleitet haben. Nicht die politischen oder ökonomischen Gründe interessieren ihn. Er beschreibt die kulturgeschichtlichen Entwicklungen und die besondere Mentalität der Deutschen, die auch in der Musikkultur zu finden ist, anhand des Schicksals eines genialen Musikers. Es waren eben nicht Barbaren, die den Pakt mit dem Teufel eingegangen waren und die Welt in Schutt und Asche gelegt haben, sondern auch die Kulturnation. Da steckt etwas drin in der deutschen Geschichte und Mentalität. Die Nazis sind nicht vom Himmel gefallen. Was ist deutsch? Ich lese dazu immer wieder Manns berühmten Rede »Deutschland und die Deutschen«, gehalten 1945 in der Library of Congress in Washington: »Der deutsche Freiheitsbegriff«, so schreibt er, »war immer nur nach außen gerichtet; er meinte das Recht, deutsch zu sein und nichts anderes … Er war ein protestierender Begriff selbstzentrierter Abwehr gegen alles, was den völkischen Egoismus bedingen und einschränken, ihn zähmen und zum Dienst an der Gemeinschaft, zum Menschheitsdienst anhalten wollte.« Thomas Mann kritisierte einen »vertrotzten Individualismus« im Verhältnis zur Welt und im Inneren ein »befremdendes Maß von Unfreiheit, Unmündigkeit, dumpfer Untertänigkeit und Knechtssinn«. Warum musste der deutsche Freiheitsdrang auf innere Unfreiheit hinauslaufen?, fragte er und gab die Antwort: »Der Grund ist, dass Deutschland nie eine Revolution gehabt und gelernt hat, den Begriff der Nation mit dem der Freiheit zu verbinden.« Als ich Doktor Faustus damals las, schrieb ich Thomas Mann einen Brief und fragte skeptisch, ob wir je zu dem »wahren, dem hochgeistig-humanen Deutschland zurückfinden« könnten. Er gab mir eine ermutigende Antwort. Heute kann ich feststellen, dass die damalige Analyse nicht mehr...