Bauermeister Ich hänge im Triolengitter
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-05676-6
Verlag: Verlagsgruppe Random House
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-641-05676-6
Verlag: Verlagsgruppe Random House
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Karlheinz Stockhausen ist einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er experimentierte bereits in den 50er Jahren mit elektronischer Musik und beeinflusste neben der E-Musik auch Popgruppen wie Pink Floyd. In Mary Bauermeisters Kölner Atelier versammelte sich 1960-1962 die Avantgarde der internationalen Kunst- und Musikszene, neben Stockhausen etwa John Cage, Nam June Paik und Christo. Spektakuläre Happenings leiteten die Fluxus-Bewegung ein. Die Künstlerin, die ihren eigenen Durchbruch in New York errang, lebte mit ihm und seiner ersten Frau Doris mehrere Jahre in einer „ménage à trois”. In ihrem Buch erzählt sie, wie sie und Stockhausen sich künstlerisch beeinflussten und bei ihren Reisen durch die ganze Welt berühmten Künstlern wie Chagall, Miro oder Max Ernst begegneten. Sie schildert aber auch ganz ungeschminkt ihr unkonventionelles Lebens- und Liebesexperiment.
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(S. 229-230)
In unserer ehelichen Beziehung war tatsächlich eine Wandlung eingetreten. Zwar hatte Stockhausen während unserer Südafrikareise einen intensiven Flirt mit einer weiteren Frau gehabt, aber das war nicht der eigentliche Grund für meinen jetzt doch festen Wunsch, unsere zu enge Verbindung zu beenden oder zumindest noch einmal zu unterbrechen. Auch die fremde Haarspange, die ich eines Tages daheim in unserem Bett gefunden hatte, war es nicht.
Ich wunderte mich eher, dass eine solche Kleinigkeit mich gefühlsmäßig so aufwühlen konnte, mehr als andere, wesentlichere Dinge, denn ich hatte Symptome von Diabetes entwickelt. Mein Körper zeigte mir offensichtlich etwas an, was mein Verstand nicht wahrhaben wollte: Zu lange hatte ich eine Lebensweise akzeptiert, die ich nicht durchstehen konnte. Auch meine Mutter hatte eine Veränderung meines Wesens bemerkt: »Kind, du verlierst deinen Humor! Was ist los?«
Die von mir ins Auge gefasste Loslösung galt es diesmal bedachter, aber auch gründlicher als beim letzten Mal anzugehen. Es handelte sich ja nicht um einen dramatischen Konflikt, um eine entstehende Feindschaft, sondern um eine Verschiebung in unseren Gefühlen füreinander: von der erotischen Leidenschaft hin zu einer beinahe geschwisterlichen Liebe. Zunächst einmal zog ich aus unserem gemeinsamen Schlafzimmer im Kürtener Haus aus in das Zimmer, das Doris früher bei ihren Wochenendbesuchen benutzt hatte.
Es lag beim Kindertrakt und sollte mich in den nächsten Wochen inniger mit Julika und Simon verbinden. Ich lebte in ihrem Rhythmus, jeden Abend erfand ich für sie eine »Froschgeschichte«, eine Serie, auf deren Fortsetzung sie sich immer sehr freuten, und da ich ahnte, dass es wohl unsere letzte Zeit als vollständige Familie unter demselben Dach sein würde, versuchte ich, die Stimmung möglichst harmonisch zu halten. Ganz gelang mir das freilich nicht, immer wieder irritierten mich Kleinigkeiten, brachte mich etwas aus der Balance.
Einmal warf ich wütend einen Salatkopf in die Küchenecke, worauf Simon mich erstaunt fragte, was der mir denn getan hätte. Ich schämte mich für meine Unbeherrschtheit, so konnte und sollte es nicht weitergehen. Auch Doris schien etwas zu ahnen. Bei einem ihrer Besuche warf sie mir, als sie meinen Umzug in ihr Zimmer bemerkte, einen verständnisvollen Blick zu. Alles Organisatorische hatte ich an diverse Helferinnen und Helfer delegiert und wurde dafür nicht mehr gebraucht. Meine Bücher, die Kleider und die meisten Kindersachen waren bereits in Forsbach.
Mein Kürtener Atelier wurde zum großen Musikraum umfunktioniert, in meinem Zeichenzimmer richtete ich ein Büro ein. In der Folge all dieser Veränderungen verschwanden auch meine Diabetessymptome wieder. Stockhausen hatte mein Forsbacher Haus immer als Bedrohung unserer Einheit empfunden, obwohl ich dadurch von ihm vieles, was ihn störte, fernhalten konnte. Meine Arbeit vollzog sich dort, die Kinder durften im selbstorganisierten Kindergarten mit Gleichaltrigen toben, Menschen, die er nicht sehen wollte, konnten mich dort besuchen, und vieles mehr. Trotzdem hatte er meinen endgültigen Auszug immer befürchtet.