E-Book, Deutsch, Band 15, 280 Seiten
Reihe: Chefober Leopold W. Hofer
Bauer Schachmatt mit Melange
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8392-7310-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wiener Kaffeehauskrimi
E-Book, Deutsch, Band 15, 280 Seiten
Reihe: Chefober Leopold W. Hofer
ISBN: 978-3-8392-7310-4
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der wöchentliche Schachabend im Café Heller wird durch das Auftauchen von zwei Neulingen gestört. Plötzlich geht es um alte Rivalitäten und sexuelle Begierden. Nach der Sperrstunde verlagert sich das Geschehen in Alois Popeks Haus. Am nächsten Morgen wird dieser erstochen aufgefunden. Es muss eine letzte, tödliche Schachpartie stattgefunden haben. Aber niemand will als Letzter gegangen sein. Oberkellner Leopold prüft alle Kombinationen, um den Täter matt zu setzen.
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Kapitel 1
Donnerstag, 18. November, Abend Ein junger Mann mit langem, wehendem schwarzem Haar stürmte aus der Kälte des frostigen Novemberabends ins Café Heller. Oberkellner Leopold, der gerade hinter der Theke einen großen Braunen aus der Kaffeemaschine herunterdrückte, merkte auf. Man betrat ein Kaffeehaus nicht wie ein Gehetzter, schon gar nicht, wenn es drinnen so ruhig und beschaulich zuging wie gerade eben. »Suchen Sie jemanden?«, fragte Leopold deshalb den ungebärdigen Eindringling in schneidendem Ton. »Ja, meinen Vater, Herrn Popek«, kam es im Vorüberhuschen undeutlich über die Schulter des jungen Mannes. »Das geht nicht, der Herr Papa spielt gerade Schach«, rief Leopold ihm nach. Doch der Mann war bereits an den Billardtischen vorbei in den hinteren Teil des Heller geeilt. Nach einem kurzen forschenden Rundumblick hatte er seinen Vater erspäht. »Ich brauche das Geld«, redete er ihn grußlos an. Alois Popek verzog keine Miene und drehte sich auch nicht um. Seine Augen fixierten das Schachbrett vor ihm. »Du bekommst es aber nicht, Erich«, gab er mitleidslos zurück. »Und warum nicht?« »Erstens ist es nicht meine Schuld, wenn du dein Auto in den Graben fährst.« »Ich leihe es mir ja nur. Du bekommst alles zurück!« »Zweitens brauchst du an Zuwendungen meinerseits gar nicht zu denken, solang du mit dieser Schlampe liiert bist«, fuhr Popek unbeirrt fort. Dabei nahm er seinen weißen Läufer zwischen Daumen und Zeigefinger und schlug damit den gegnerischen Springer. »Ich bin erwachsen. Ich kann zusammenleben, mit wem ich will«, entgegnete der junge Mann erregt. »Und ich kann mit meinem Geld tun, was ich will. Wenn ich einmal tot bin, bekommst du sowieso alles«, erklärte Popek ihm. »Ich brauche es aber jetzt«, empörte sich sein Sohn. »Du hast genug davon.« Sein Kontrahent hatte inzwischen den Läufer mit seinem schwarzen Läufer geschlagen. Popek studierte die Situation auf dem Schachbrett. Sie gefiel ihm gar nicht. »Verschwinde jetzt! Sonst lasse ich dich aus dem Kaffeehaus entfernen«, schnauzte er Erich an. Schon längst war es im hinteren Teil des Heller, wo heute der wöchentliche Schachabend stattfand, unruhig geworden. Leopold bemerkte die hilfesuchenden Blicke in seine Richtung und kam herbeigeeilt. »Das geht nicht! Sie machen mir ja die Gäste nervös«, drang er in den jungen Mann. »Besprechen Sie das Problem mit Ihrem Vater bitte woanders. Unsere Spieler wollen nicht gestört werden.« Widerwillig, ein paar unverständliche Laute des Missmuts von sich gebend, bewegte sich Erich Popek daraufhin in Richtung Ausgang. Die Schachspieler atmeten auf und vertieften sich sofort wieder in ihre Partien. Im Nu war das unliebsame Ereignis vergessen. Beim Schachabend ließ sich niemand so schnell die Laune verderben. * Seit geraumer Zeit traf man sich jeden Donnerstagabend im Café Heller zum königlichen Spiel. Ob Jung oder Alt, Experte oder Liebhaber, man fand sich, egal, wie gut man das Schach beherrschte, in ungezwungener Weise dazu ein. Es gab Spieler, die ihre Kräfte immer mit demselben Gegner maßen, und es gab zufällige Begegnungen zwischen Menschen, die einander hier zum ersten Mal trafen. Am häufigsten wurden sogenannte »Radln« organisiert. Dabei fanden sich drei oder vier Spieler etwa gleicher Stärke zusammen, und jeder trat gegen jeden auf eine Partie mit Revanche an. Im Vordergrund stand der gesellige Aspekt. Man war schließlich im Kaffeehaus. An den Spieltischen hatte Ruhe zu herrschen, wenngleich dieses Gebot nicht allzu streng gehandhabt wurde. Es hatte sich rasch eingebürgert, was sein durfte und was nicht. Eine Debatte wie vorhin zwischen Popek und seinem Sohn galt als verpönt. Wurde es bei den Billardtischen oder einer Tarockpartie hingegen kurz etwas lauter, nahm man dies ohne Aufregung zur Kenntnis. Am wichtigsten war allen Beteiligten das Spiel selbst. Der Reiz des Schach bestand darin, dass immer der Bessere gewann. Glück oder Pech gab es nicht. Beide Gegner hatten 16 gleiche Figuren zur Verfügung, der eine in Weiß, der andere in Schwarz. Weiß begann und war damit im Vorteil, aber nach jeder Partie wurde die Farbe gewechselt, sodass am Ende die Möglichkeiten gleich verteilt waren. Es kam allein auf Strategie, Spielwitz, Konzentration und Charakterstärke an. »Ein guter Spieler hat immer Glück«, formulierte es einst der große Meister Capablanca. Auch bei vielen Kartenspielen, wie etwa dem Tarock, machten diese Eigenschaften den guten Spieler aus. Hier war man jedoch zum größten Teil von dem Blatt abhängig, das man in der Hand hielt. Ohne Trümpfe konnten auch die Besten nichts anfangen. Der Schachspieler hingegen war auf sich allein angewiesen. Er durfte nicht mit dem Schicksal hadern, wenn er verlor, sondern nur mit sich selbst. Andererseits konnte er jeden Sieg seinem geistigen Geschick zuschreiben. Deshalb waren Schachliebhaber ausgeprägte Persönlichkeiten, deren besondere Eigenschaften zum Vorschein kamen, sobald sie sich auf eine Partie einließen. Da kaum geredet wurde, zeigten sie sich an ihren Gesten und dem Gesichtsausdruck. Manche legten ihre Stirn in Falten, andere starrten immerzu geradeaus; die einen lächelten vor jedem Zug, die anderen nahmen ihre Figuren so beiläufig in die Hand, als interessiere sie das ganze Spiel nicht; einige kramten zwischendurch in ihren Taschen, einige blickten vom Schachbrett nur auf, um ihren Gegner durch heftiges Blinzeln nervös zu machen; manche räusperten oder schnäuzten sich, manche hüstelten oder gähnten. Jeder entwickelte mit der Zeit eine für ihn charakteristische Macke. Trotzdem verliefen die Schachabende im Heller freundschaftlich und unterhaltsam. Auch Herr Heller erwies sich als geübter Freund des königlichen Spiels. Auf die Frage seiner Frau Sidonie, warum er seine sonstige Lethargie gerade beim Schachspiel ablege, antwortete er nur: »Du verlangst ständig, dass ich mich mehr bewege. Das ist unmöglich. Beim Schach bewege ich wenigstens die Figuren.« Herr Heller zeichnete auch verantwortlich dafür, dass immer genügend Schachbretter und Spielfiguren zur Verfügung standen. Am Ende eines Abends räumte er alles sorgfältig für das nächste Mal ein. Zwar gerieten die unterschiedlichen einzelnen Sets mit der Zeit ein wenig durcheinander, und mancher König war dann kaum größer als der Bauer vor ihm, aber Herr Heller meinte: »Alle können spielen. Das ist die Hauptsache!« Leopold wurde rasch mit den Schrullen und Sonderwünschen dieser Kundschaft vertraut. Viel Umsatz war mit Menschen, die das Geistige über das Körperliche stellten, nicht zu machen. Dafür ging es ruhig zu, und es herrschte die von ihm geliebte Ordnung. Was die Einschätzung der Harmlosigkeit dieses Publikums betraf, wollte er sich freilich nicht festlegen. Ein angeheiterter Gast ließ sich einmal zu der scherzhaft gemeinten Bemerkung hinreißen: »Ich seh’s dir an, du vermutest sogar hinter jedem Schachspieler einen Mörder.« Leopold zog daraufhin seine Augenbrauen in die Höhe und äußerte kryptisch: »Man kann nie wissen. Jeder Mensch, auch wenn er noch so unscheinbar aussieht, ist zu einem solchen Verbrechen fähig. Die gedanklichen Abläufe bei Schachspielern sind oft äußerst kompliziert, genauso wie bei Mördern. Im Grunde geht es ihnen nur um eines: den gegnerischen König zu Fall zu bringen, matt zu setzen, quasi umzubringen. Warum soll ein Hirn, das sich täglich damit beschäftigt, nicht auch einen Mord planen können?« Der Gast schüttelte daraufhin den Kopf, leerte sein Weinglas und schob ein paar Münzen über die Theke. »Zeitweise erscheinst du mir weltfremder als diese Gehirnakrobaten«, merkte er dabei an. »Im Gegenteil«, widersprach ihm Leopold, verschmitzt lächelnd. »Ganz im Gegenteil!« * Nachdem der junge Popek das Heller verlassen hatte, erinnerte sich Leopold an dieses Gespräch. War seine damalige Aussage über die Schachspieler tatsächlich zu weit hergeholt gewesen? Gerade saßen sie wieder beieinander, als könnten sie keiner Fliege etwas zuleide tun. Täuschte dieser Frieden? Was wusste Leopold eigentlich über sie? In Gedanken fasste er seine Informationen über einige dieser neuen Stammgäste für sich zusammen. Popek galt als launischer Exzentriker. Bei ihm wusste man als Oberkellner nie, wie man dran war. Manchmal verhielt er sich jovial und gab ein anständiges Trinkgeld. An anderen Tagen war er mürrisch und schweigsam, leerte nicht einmal die kleine Mokkatasse vor ihm vollständig und musste ans Zahlen erinnert werden. Seine Stimmungen standen dabei in keinem Zusammenhang mit seinem Erfolg beim Spiel. Er verlor oft heiter und siegte missmutig. Über sein Privatleben war Leopold so gut wie nichts bekannt. Von seinem Sohn hatte er eben erst gehört. Hubert Zeller war ein weitaus mitteilsamerer Mensch, der das Herz jedes Oberkellners höherschlagen ließ. Er sei zweimal geschieden, teilte er bereitwillig jedem mit, der es hören wollte, und zwar »wegen dem Schach«. Zu Frauen habe er nie eine wirkliche Beziehung entwickeln können, sei aber erst spät draufgekommen. »Wenn du beim Liebesakt daran denkst, wie du den gegnerischen König im Endspiel mit deinem Springer mattsetzen kannst, weißt du, was es geschlagen hat«, gab er offenherzig zu. Seine große Liebe galt dem Schachspiel, das ihn mit so vielen Höhepunkten versorgte, dass er keine anderen brauchte. Siegfried Herzig verkörperte einen vollkommen anderen Typ. Er sprach nur das Allernotwendigste. Sogar um seine Bestellung musste Leopold ihn mehrmals...