E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Batthyány / Lukas Die Welt ist nicht heil, aber heilbar
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7022-4155-1
Verlag: Tyrolia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Schwierige Lebensphasen meistern – Impulse aus der Logotherapie Viktor Frankls. Krisenbewältigung durch das Vertrauen in die eigene Widerstandsk
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-7022-4155-1
Verlag: Tyrolia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alexander Batthyány und Elisabeth Lukas führen in diesem Buch ein Gespräch über die Herausforderungen unserer Tage: Wie kann man in schwierigen Lebensphasen seelisch gesund bleiben? Wie können wir mit neuen Medien und künstlicher Intelligenz angemessen umgehen? Wie kann man im Familien- und Freundeskreis heilsame Gemeinschaften aufbauen? Dieses Buch zeigt konkrete Hilfestellungen auf und zielt darauf ab, innere Ressourcen zum Einsatz zu bringen, um den Herausforderungen des Alltags in krisenhafter Zeit zu begegnen.
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Einleitung
Elisabeth Lukas Viktor Emil Frankl war Psychiater, Neurologe, Philosoph und einer der „großen Söhne Österreichs“. 1905 in Wien geboren, war er als junger Arzt in den 1930er-Jahren mit vielen seelisch kranken und verzweifelten Menschen konfrontiert. Natürlich sah er, dass es genug Ursachen gab, warum Menschen seelisch krank wurden: Viele waren von schlimmen Erfahrungen traumatisiert, die Wirtschaftskrise und Hungersnot trugen dazu bei, es herrschten autoritäre Erziehungssysteme, und die instabile politische Lage verhieß eine ungewisse Zukunft. Wenn wir diese Situation mit der heutigen vergleichen, so können wir sagen: In mancher Hinsicht geht es uns besser. Dennoch hat sich das Potential einer ungewissen Zukunft verschärft, was die heutige Generation sehr zu spüren bekommt. Risikofaktoren, die uns seelisch belasten, gibt es auch derzeit genug. Frankl jedoch vollzog eine Wende zu einem völlig neuen Ansatz. Er fragte sich: „Was erhält Menschen seelisch gesund?“ Statt Ursachen der Krankwerdung erforschte er Gründe der Gesundwerdung bzw. des Gesundbleibens in bedrängender Zeit. Und so entdeckte er die Bedeutung der Sinnfrage im menschlichen Leben. Überlegen wir uns: Was ist das Beste, das einem Menschen im Leben passieren kann? Wohl dies: Dass er mit sich und seinem Leben im Großen und Ganzen zufrieden ist und dass er das Gefühl hat, sein Leben meistern zu können, auch wenn es einmal Sorgen und Ärgernisse gibt. Genau für diese zwei „Geschenke“ aber stehen die Chancen gut in einem sinnerfüllten, am Sinn orientierten Leben. In vielen Studien hat sich inzwischen gezeigt, was Frankl intuitiv vorweggenommen hat, nämlich dass Menschen, die ihr Leben als sinnvoll betrachten bzw. sich sinnvollen Projekten und Zielen zuwenden, sehr oft – geradezu als Nebeneffekt – Erfolg haben, anerkannt werden, froh über das Geleistete und Erreichte sind, kurz, die Zufriedenheit mit sich und ihrem Wirken steigern können. Als Zweites aber zeigt sich, dass Menschen, die etwas Sinnvolles anstreben, auch an Robustheit und Durchhaltevermögen zulegen, dass sie physische und psychische Kräfte entwickeln, um sich dem Angestrebten zu widmen, und dass sie bei Hürden und Widerständen nicht schnell aufgeben. Sie gewinnen an Frustrationstoleranz. Dies alles fördert ihre Zuversicht und ihr seelisches Gesundbleiben auch noch in Krisensituationen. Umgekehrt ist der Zweifel an der Sinnhaftigkeit des eigenen Daseins und den Möglichkeiten, es sinnvoll zu gestalten, niederschmetternd. Der Gedanke, es hat alles keinen Sinn mehr, raubt jegliche Hoffnung und lähmt sämtliche guten Initiativen. Die Folgen sind verheerend. Entweder sagt sich jemand: „Es geht sowieso alles kaputt, also mache ich es mir jetzt so bequem und amüsant, wie ich nur kann – und hinter mir die Sintflut!“ Er kümmert sich um keine Verantwortlichkeiten mehr, was oft in einem bösen Erwachen endet. Oder er lässt gleich den Kopf hängen und versinkt in Lethargie, Depression, Selbstmitleid oder Zynismus. Dass beide Varianten seelischen Turbulenzen Vorschub leisten, ist nicht verwunderlich. Außerdem ist es exakt, was unsere Gesellschaft nicht braucht, denn es vergrößert zusätzlich die Probleme in problembelasteter Zeit. Für ein zufriedenstellendes Leben benötigt der Mensch also sinnvolle Aufgaben, die ihm vorschweben und für die er sich engagieren kann. Solche Aufgaben präsentieren sich uns heute in Hülle und Fülle. Man muss nur den einzelnen Personen ihre mögliche Teilhabe daran darlegen. Insbesondere Jugendliche kippen schnell in düstere Stimmungen, weil sie meinen, nichts verändern zu können. Sie seien nicht gefragt, nicht wichtig, politisch wie sozial ohnmächtig und einer brutalen Welt ausgeliefert, die sie um ihre Zukunft betrügt. Kann man ihnen Wege aufzeigen, wie sie sich gerade angesichts der drohenden Verschlechterung unserer Lebensbedingungen bewähren und selber mithelfen können, Schlimmes zu verhindern, flammt sofort Begeisterung auf, und die düstere Stimmung verflüchtigt sich. Frankl hat schon in den 1930er-Jahren in den von ihm und Charlotte Bühler gegründeten Jugendberatungsstellen nach diesem Prinzip gearbeitet. Damals war die vorherrschende Arbeitslosigkeit ein bedrückendes Thema, und die jungen Menschen setzten ihre Arbeitslosigkeit mit einer Sinnlosigkeit ihres Lebens gleich. Frankl entlarvte dies als Fehlidee und bewog die Ratsuchenden, ehrenamtliche Pflichten zu übernehmen, sich an unentgeltlichen Hilfsaktionen zu beteiligen u. Ä. Und siehe da, trotz leerer Mägen erholten sie sich psychisch. Heute sind es andere Themen, die die Jugend aufwühlen, aber wiederum schleicht sich die Fehlidee ein, nicht allzu viel wert zu sein. Ein 16-Jähriger brachte seinen Kummer kürzlich auf den Punkt. Er klagte: „Bei der enormen Überbevölkerung auf Erden bin ich einer zu viel!“ Was hätte Frankl ihm entgegnet? Ich vermute, er hätte geantwortet: „Mein Junge, kannst du die Überbevölkerung reduzieren?“ Und auf das Nein des Jungen hätte er gesagt: „Nun ziehe alle Konzentration von dem ab, was nicht in deinen Händen liegt, und richte sie stattdessen auf das, was du selbst bestimmen kannst. Erzähl mir davon! Worüber hast du eine Wahl? Wie du deinen Freunden, deinen Eltern begegnest? Ob du Sport treibst oder träge herumsitzt? Ob du dich in ein Fachgebiet vertiefst oder faulenzt? Erzähl mir von dem, was du in dem kleinen Umfeld rings um dich herum besänftigen, unterstützen, verbessern kannst. Denn sobald du dies tust, gilt: „‚Wenn es dich nicht gäbe, wäre einer zu wenig auf Erden!‘“ Grundsätzlich sollte man all jenen, die sich vor apokalyptischen Visionen fürchten, zurufen: „Fürchtet nicht die Zukunft, sondern das Versäumnis des Augenblicks!“ Denn was sie in der Gegenwart entscheiden, davon wird ihre Zukunft wesentlich mit abhängen. Es ist sinnlos, sich gedanklich auf das zu fixieren, was man im Moment nicht ändern kann, und es vergeudet noch dazu Kraftressourcen, die man für Konstruktives dringend benötigt. Dass vieles aus dem nicht änderbaren Bereich überaus tragisch ist, sei unbestritten. Weshalb Frankl auch die Parole vom „tragischen Optimismus“ ausgab. Er mahnte durchaus zum Realismus: „Sieh dir die Tragödien an und schau nicht weg!“ Aber danach schwenkte er um zum Idealismus: „Und nun sieh dir an, was du beitragen kannst, um aus der Welt einen menschenwürdigen Ort zu machen!“ Zu optimieren, was in unserer Macht steht, das ist Optimismus. Im Übrigen zeichnen sich sinnvolle Aufgaben in Notstandsepochen deutlicher ab als in Wohlstandsepochen. Wenn einem vieles in Leichtigkeit und Überfluss zufällt, dann ist nicht offensichtlich, wofür man sich noch einsetzen sollte. Das tägliche Leben läuft ohne größeren Energieaufwand wie von selbst ab, es rollt quasi an einem vorbei. Das erzeugt Unausgefülltheit und Missmut. So erklärt sich, dass in prosperierenden Zeiten, die ja eigentlich ein riesiges Glück für eine Bevölkerung sind, seelische Krisen wie Süchte oder Gewalttaten eher zunehmen, so absurd das ist. In Katastrophenzeiten hingegen wurde immer wieder beobachtet, dass sich nach einer Phase der Schockstarre und des Jammerns bei vielen Betroffenen die Fähigkeit ausgebildet hat, den Schicksalsschlägen die Stirn zu bieten und das Bestmögliche aus den misslichen Umständen herauszuholen. Wir können diese Beobachtung guten Mutes auf unsere heutige Situation übertragen. Seit der Jahrtausendwende hat sich ein gesamtbedrohliches Szenario zusammengeballt: von den Flüchtlingsströmen angefangen bis zur Erderwärmung, von der Umweltverschmutzung bis zur Pandemie, von Ernährungsengpässen bis zum atomaren Säbelrasseln. Noch sind die Schockstarre und das allgemeine Jammern voll im Gange, aber auch ein zarter Aufruf zur Umkehr und zur Erneuerung regt sich weltweit. Frankls Konzepte stellen manches psychologische Paradigma auf den Kopf. Zum Beispiel die Auffassung, dass die Menge dessen, was wir im Zuge unseres Heranreifens erfahren haben, Prägungsgewalt über uns habe. Sie hat zwar einen großen Einfluss auf uns, aber je älter wir werden, desto eher können wir uns Einflüssen entziehen, wenn wir sie ablehnen. Geschlagene Mädchen werden nicht automatisch zu schlagenden Müttern. Kinder aus Alkoholikerfamilien werden nicht automatisch zu Säufern. Häufig beschreiten Kinder ganz andere Wege und wenden sich von ihren elterlichen Vorbildern ab. Es ist nicht einfach, die Qualität des Empfangenen eigenständig zu korrigieren, aber machbar ist es. Nein, das von uns im Laufe des Lebens Erfahrene hat keine Prägungsgewalt, die ist woanders zu lokalisieren: nämlich bei dem von uns Ausgestrahlten und Ausgesandten. Wer Liebe erfahren hat, muss kein Liebender sein. Aber wer Liebe austeilt, der ist ein Liebender. Wer Hass empfangen hat, muss...