Der Bilderbuchklassiker mit den Illustrationen der Originalausgabe
E-Book, Deutsch, 83 Seiten
ISBN: 978-3-7448-6811-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Autor Gerdt von Bassewitz (1878 - 1923) war zunächst Offizier der preußischen Armee, wurde aber wegen einer gesundheitlichen Beeinträchtigung 1903 aus dem aktiven Dienst entlassen. Danach war er Schauspieler, Direktionsassistent am Kölner Theater, und freier Schriftsteller in Berlin. Der Bestseller Peterchens Mondfahrt wurde sein größter Erfolg.
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In der Kinderstube
So war der letzte Sumsemann denn auch eines schönen Abends in das Schlafzimmer von Peterchen und Anneliese geraten, als die Kinder gerade von der dicken Minna zu Bett gebracht wurden. Peterchen hatte natürlich sein Gebrumm gehört und wollte ihn greifen. Gut war nur, daß Minna die Jagd nicht erlaubte, denn sonst wäre Sumsemann vielleicht in eine schlimme Lage geraten. Sie war wahrscheinlich schwerhörig, denn sie hatte gar nichts gehört und glaubte, daß Peterchen ihr nur etwas vormachen wolle, um im Hemdchen noch so „ein bissel“ im Zimmer herumzuturnen. Der Schreck war dem edlen Sumsemann aber doch scheußlich in die Glieder gefahren, und, trotzdem er gerade heute besonders viele Vergißmeinnichtschnäpschen getrunken hatte, war all sein Mut fort. Er lag oben auf der Gardinenstange und stellte sich tot. Dies ist ein altes und bewährtes Mittel bei den Maikäfern, in großen Gefahren. Derweil aber paßte er genau auf, was im Zimmer geschah. Die Minna ging fort, als sie die Kinder ins Bettchen gepackt hatte, und Peterchen unterhielt sich mit Anneliese natürlich gleich über den Maikäfer. Jetzt wurde es wieder gefährlich! Der Sumsemann bekam oben auf der Gardinenstange kolossales Herzklopfen, als Peterchen plötzlich leise aufstand, um ihn zu suchen, weil Anneliese ein bissel Angst hatte. ›Wer weiß, es hätte ihm doch ans Leben gehen können; obwohl die Kinder ja sonst gut waren. Aber man darf sich auf die Gutmütigkeit der Menschen nicht verlassen.‹ Dies wußte er aus seiner Familiengeschichte. Das Geschick war ihm aber günstig; denn, gerade als Peterchen an der Gardine war und die Gefahr am höchsten stieg, kam die Mutter herein. Husch! wurde der kleine Junge wieder ins Bettchen gesteckt; beide Kinder mußten die Hände falten und das Nachtgebet sprechen. Dann sang die Mutter ihnen noch ein Schlaflied. Und sie sang die berühmte Maikäferballade. Hier ist sie: „War einst ein kleines Käferlein,
Summ – Summ – Summ – Hatte zwei braune Flügelein,
Summ – Summ – Summ – Und sechs Beinchen hatte es auch
Unter seinem schwarz-weißen Bauch,
Summ – Summ – Summ. Saß auf einem grünen Baum,
Summ – Summ – Summ – Träumte einen schönen Traum,
Summ – Summ – Summ – Träumte von Sonne, Mond und Sternen
Und von fremden Länderfernen,
Summ – Summ – Summ. Als der dunkle Abend kam,
Summ – Summ – Summ – Käferlein sein Ränzel nahm,
Summ – Summ – Summ – Wollt' auf die große Reise gehn
Und die weite Welt besehn,
Summ – Summ – Summ. Flog über einen breiten Bach,
Summ – Summ – Summ – Verlor ein kleines Beinchen, ach!
Summ – Summ – Summ – Reiste nur noch mit fünf Beinen,
Tat so bitterlich drum weinen,
Summ – Summ – Summ. Flog es nach dem Mond geschwind,
Summ – Summ – Summ – Kam ein großer Wirbelwind,
Summ – Summ – Summ – Brach ein Flügelchen entzwei;
Ach, das gab ein groß' Geschrei!
Summ – Summ – Summ. Fiel in einen tiefen Wald,
Summ – Summ – Summ – Starb an seinem Kummer bald,
Summ – Summ – Summ – Mußt' die Reis' ein Ende haben;
Sandmännchen hat es eingegraben,
Summ – Summ – Summ.“ ›Seltsam!‹ Herr Sumsemann oben auf der Gardinenstange wunderte sich, daß die Menschen dies Lied auch kannten. Es war ihm aber ein neuer Beweis für die Berühmtheit der Maikäfer auf der weiten Welt, und dies beruhigte ihn sehr. Als die Kinder nun eingeschlafen waren und die Mutter aus dem Zimmer ging, faßte er neuen Mut. Ganz leise rappelte er sich auf und spazierte in der Stube herum. Er besah und beschnüffelte alles. Eine Puppenstube, ein Schaukelpferdchen, ein Lämmchen, Soldaten und Bilderbücher waren da. Lauter langweilige Sachen! In der Puppenstube war allerdings etwas Zucker; aber Zucker? Puh, den mochte er nicht! Er verstand gar nicht, wie man so was essen könnte. Dann waren noch zwei Körbchen mit Äpfel da. Die Mutter hatte sie den Kindern für morgen hingestellt, wenn sie recht brav ausgeschlafen hätten. Er schüttelte den Kopf. ›Wie konnte man nur Äpfel essen?!‹ Unbegreiflich war ihm das. Greuliche Bauchschmerzen hätte er bekommen. Er aß nur Salat; das war vornehm. ›Komisch, was den Menschen alles gut schmeckt!‹ dachte er, und dabei mußte er laut lachen. Da er aber so viel Vergißmeinnichtschnäpse getrunken hatte, geriet er plötzlich aus dem Gleichgewicht und purzelte auf den Rücken. Au!... das war eine außerordentlich fatale und unangenehme Lage für den dicken Sumsemann, denn jeder weiß, daß es für Maikäfer sehr schlimm ist, auf den Rücken zu fallen, weil sie sich dann gar nicht mehr recht aufrappeln können. Er angelte also mit seinen fünf Beinchen in der Luft herum und dachte: ›Ja, ja, das kommt von den Schnäpschen, die man zum Andenken an die tote Ehefrau trinkt!‹ Lebte sie noch, sie hätte ihm sicher eins ausgewischt für die vielen Schnäpschen. Er wiegte sich nach rechts und links wie ein kleines Boot, kreiselte herum wie eine Karussell und quälte sich sehr. Endlich geriet er in die Nähe eines Tischbeins, und daran konnte er sich stützen, so daß er wieder hochkam. Ganz schmutzig war sein schöner, brauner Rock geworden. Alle Knöpfe waren abgeplatzt, und eine lange Naht war aufgerissen. Gut, daß ihn seine Frau nicht mehr sehen konnte. Nun saß der Sumsemann eine Weile am Tisch und dachte nach, womit er sich die Zeit vertreiben könnte. Da er aber weiter nichts anzufangen wußte und über die traurige Stimmung hinwegkommen wollte, nahm er seine kleine Geige und spielte sich ein lustiges Maikäfertänzchen; dazu sang er: „Eins, zwei, drei – eins, zwei, drei,
Fiel eine Biene in den Brei;
Plumsdibums,
Dideldumdei!
Alle Käfer sitzen drum herum,
Lachen sich schief,
Lachen sich krumm,
Brumm, brumm! Vier, fünf, sechs – vier, fünf, sechs,
Macht eine Fliege einen Klecks;
Putschpitschpatsch,
Klickklackklecks!
Pfui, ruft jeder rechte Käfermann,
Seht sie an,
Was sie kann,
Heran, heran! Sieben, acht, neun – sieben, acht, neun,
Tanzen alle kleinen Käferlein;
Ringelreih,
Dideldudeldei!
Um die dicke Linde mit Gesumm,
Rechts herum,
Links herum,
Brumm, brumm!“ Dabei wurde er so fidel, daß er ganz vergaß, wo er war, und sehr erschrak, als Peterchen und Anneliese plötzlich laut auflachten, weil er gar so komisch herumsprang bei seinem Tanz. Er hatte sie nämlich mit seiner Musik aufgeweckt und gar nicht bemerkt, daß sie ihm schon eine ganze Weile zusahen. Eigentlich hatte er Angst und wollte sich schnell totstellen, aber die Kinder lachten so vergnügt, daß er sich wieder ein Herz faßte. Er legte also seine Geige auf den Tisch, strich seine schöne, schwarz-weiße Weste glatt, richtete die kleinen Fühlhörnchen an seinem Kopf auf, machte eine Verbeugung und stellte sich vor: „Herr Sumsemann!“ Die Kinder waren aus ihrem Bettchen geklettert, und da sie wußten, was sich gehört, machte Peterchen auch eine Verbeugung, Anneliese einen Knicks, und sie stellten sich ebenso vor. Nun aber waren sie schrecklich neugierig, beguckten und befühlten den Sumsemann überall, bewunderten die kleine silberne Geige und wollten alles wissen. Dem dicken Maikäfer wurde ganz schwindlig von all den Fragen nach der Grille Zirpedirp und nach der toten Frau, die das Huhn gefressen hatte. Plötzlich hatte Peterchen auch entdeckt, daß ihm ein Beinchen fehlte. Der wußte nämlich ganz genau, wieviel Beinchen ein ordentlicher Maikäfer haben muß, und darum fragte er nun. So war also wirklich der große Augenblick für den Letzten der Sumsemanns gekommen: Zwei gute Kinder fragten ihn nach seinem Beinchen. Viel hundert Jahre hatten seine Ahnen und Vorfahren dies ersehnt und waren totgeschlagen worden. Und jetzt – jetzt!! Ihm wurde ganz grün vor den Augen, seine Flügel zitterten vor Aufregung, und beinahe wäre er auf den Rücken gefallen. Aber er beherrschte sich doch, so gut es ging, holte tief Luft, wischte sich mit einem grünen Lindenblättchen, das er immer als Taschentuch benutzte, den Schweiß von der Stirn, machte eine sehr geheimnisvolle Miene und sagte: „Ja, das ist eine sehr traurige und wunderbare Geschichte!“ Nun wollten die Kinder natürlich die Geschichte hören, schleppten drei Schemelchen herbei, und gleich darauf saßen sie, der Maikäfer in der Mitte, Peterchen links und Anneliese rechts dicht neben ihm. Es war totenstill in der Stube und sehr geheimnisvoll. Der Mond sah groß und gelb durch die Blumen vor dem Fenster, und der Maikäfer erzählte langsam und feierlich mit einem leisen brummenden Stimmchen die Geschichte vom Beinchen, von der Nachtfee und vom Mondmann. Staunend hörten die Kinder zu. Ja, das war wirklich eine wunderbare und geheimnisvolle Geschichte! Es war ihnen ganz seltsam zumute. als der Maikäfer nun mit dem Erzählen fertig war und sie mit zwei großen Tränen in seinen runden Glotzäugelchen fragend anguckte. Peterchen war sehr gerührt, und Anneliese wischte sich mit ihrem Hemdzipfelchen sogar die Augen, weil ihr immer die Tränen kamen. Dann aber faßte sich Peterchen ein Herz und sagte, daß er das Beinchen schon recht gern mit Anneliese vom Mond herunterholen möchte; aber der Mond – das hatte er schon mal gehört vom Vater –, der wäre sehr weit fort, da oben irgendwo ganz hoch in der Luft; und wer nicht fliegen könnte, würde wohl niemals hinaufkommen. Anneliese wußte zwar noch weniger vom Mond als Peterchen; aber hoch war er sicher, vielleicht noch höher als der Schornstein auf dem Haus, und sie hatte doch...