E-Book, Deutsch, 640 Seiten
Basile / Schenda Das Märchen der Märchen
2. Auflage 2015
ISBN: 978-3-406-68631-3
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Pentamerone
E-Book, Deutsch, 640 Seiten
ISBN: 978-3-406-68631-3
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wer heute „Märchen“ sagt, muß nicht nur die Brüder Grimm kennen – er muß vor allem Basile gelesen haben. Giambattista Basiles Märchen der Märchen, 1634 bis 1936 und damit posthum erschienen, ist als Pentamerone (Fünf-Tage-Werk) weltberühmt geworden. Der globale Ruhm erreichte Basile allerdings erst lange nach seinem Ableben.
Nicht nur der französische Märchendichter Charles Perrault hat das Pentamerone gekannt. Wieland entnahm ihm den Stoff zu seinem Pervonte, Brentano ließ sich von Basiles Texten zu seinen Italienischen Märchen inspirieren, die Brüder Grimm lieferten eine erste vollständige Inhaltsangabe. Hunderte von Erzählerinnen und Erzählern trugen Basiles Märchentypen bis in unser Jahrhundert hinein in immer neuen Varianten mündlich vor. Kluge Prinzessinnen, Tierkönige, Drachentöter, ungeschickte Tölpel, wackere Abenteurer, grimmige Oger, hilfreiche Feen, Prinzen und Könige – die altvertrauten Figuren der europäischen Märchenliteratur bevölkern dieses barocke Erzählwerk, das unter dem Deckmantel des Dialekts die zugleich phantastische wie reale mediterrane Lebenswirklichkeit des 17. Jahrhunderts erfaßt und eines der schönsten und tiefgründigsten Märchenbücher, mit Sicherheit aber die originellste Sammlung von Phantasiegeschichten darstellt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Inhalt;5
5;Ein Vorwort;9
6;Eröffnung;15
7;Der Erste Tag;23
7.1;Erste Unterhaltung: Das Märchen vom Orco;25
7.2;Zweite Unterhaltung: Die kleine Myrte;33
7.3;Dritte Unterhaltung: Peruonto;42
7.4;Vierte Unterhaltung: Vardiello;50
7.5;Fünfte Unterhaltung: Der Floh;56
7.6;Sechste Unterhaltung: Die Aschenkatze;63
7.7;Siebente Unterhaltung: Der Kaufmann;70
7.8;Achte Unterhaltung: Das Ziegengesicht;82
7.9;Neunte Unterhaltung: Die hinterlistige Hirschkuh;89
7.10;Zehnte Unterhaltung: Die geschundene Alte;96
7.11;Der Tiegel – Erste Ekloge;107
8;Der Zweite Tag;131
8.1;Einführung;133
8.2;Erste Unterhaltung: Petrosinella;134
8.3;Zweite Unterhaltung: Verde Prato;139
8.4;Dritte Unterhaltung: Viola;145
8.5;Vierte Unterhaltung: Cagliuso;151
8.6;Fünfte Unterhaltung: Die Schlange;156
8.7;Sechste Unterhaltung: Die Bärin;165
8.8;Siebente Unterhaltung: Die Taube;173
8.9;Achte Unterhaltung: Die kleine Sklavin;184
8.10;Neunte Unterhaltung: Der Riegel;189
8.11;Zehnte Unterhaltung: Der Gevatter;194
8.12;Die Färberei – Zweite Ekloge;200
9;Der Dritte Tag;211
9.1;Einführung;213
9.2;Erste Unterhaltung: Cannetella;214
9.3;Zweite Unterhaltung: Penta Ohne-Hände;221
9.4;Dritte Unterhaltung: Viso;231
9.5;Vierte Unterhaltung: Die weise Liccarda;240
9.6;Fünfte Unterhaltung: Der Mistkäfer, die Maus und die Grille;246
9.7;Sechste Unterhaltung: Der Knoblauchwald;255
9.8;Siebente Unterhaltung: Corvetto;261
9.9;Achte Unterhaltung: Der Dummling;267
9.10;Neunte Unterhaltung: Rosella;273
9.11;Zehnte Unterhaltung: Die drei Feen;281
9.12;Das Bad – Dritte Ekloge;291
10;Der Vierte Tag;299
10.1;Einführung;301
10.2;Erste Unterhaltung: Der Stein des Gockels;304
10.3;Zweite Unterhaltung: Die beiden Brüder;310
10.4;Dritte Unterhaltung: Die drei Tierkönige;321
10.5;Vierte Unterhaltung: Die sieben Schwarten;329
10.6;Fünfte Unterhaltung: Der Drache;336
10.7;Sechste Unterhaltung: Die drei Kronen;347
10.8;Siebente Unterhaltung: Die beiden kleinen Kuchen;358
10.9;Achte Unterhaltung: Die sieben Täublein;366
10.10;Neunte Unterhaltung: Der Rabe;379
10.11;Zehnte Unterhaltung: Der bestrafte Hochmut;392
10.12;Der Haken – Vierte Ekloge;400
11;Der Fünfte Tag;411
11.1;Einführung;413
11.2;Erste Unterhaltung: Die Gans;417
11.3;Zweite Unterhaltung: Die Monate;421
11.4;Dritte Unterhaltung: Pinto Smauto;426
11.5;Vierte Unterhaltung: Der goldene Stamm;432
11.6;Fünfte Unterhaltung: Sonne, Mond und Talia;442
11.7;Sechste Unterhaltung: Sapia;448
11.8;Siebente Unterhaltung: Die fünf Söhne;453
11.9;Achte Unterhaltung: Ninnillo und Nennella;458
11.10;Neunte Unterhaltung: Die drei Zitronen;464
11.11;Zehnte Unterhaltung: Ende des Märchens der Märchen;474
11.12;Basiles Pentamerone – Ein Nachwort;477
12;Anhang;513
12.1;Anmerkungen;515
12.2;Kommentare;573
12.3;Erklärung der Personennamen;618
12.4;Bibliographische Nachweise;622
13;Zum Buch;640
14;Über den Autor;640
Eröffnung
‹Wer sucht, was er nicht soll, der find’t, was er nicht will.›[1] So geht ein bewährtes Sprichwort, das schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. Eines ist doch klar: Die Äffin, die sich Stiefel an die Füße zwängt, wird vom Jäger geschnappt.[2] So geschah es nämlich einer lumpigen Sklavin, die zwar noch nie Schuhe an den Füßen getragen hatte, aber eine Krone auf dem Kopf haben wollte. Doch der Hobel der Zeit nimmt alle Unebenheiten hinweg, und einst kommt der Tag der großen Abrechnung. Und weil sie nun auf krummen Wegen das an sich gerissen hatte, was anderen zukam, wurde sie beim Katz-und-Maus-Spiel gefangen, und je höher hinauf sie geklettert war, um so tiefer rutschte sie ab. Hört, wie das zuging! Man erzählt, da sei einmal der König von Vallepelosa[3] gewesen. Der hatte eine Tochter namens Zoza, und die ähnelte dem Zoroaster oder dem Heraklit,[4] weil man sie noch nie hatte lachen sehen.[5] Deswegen setzte ihr betrübter Vater, der für nichts anderes lebte als für diese einzige Tochter, alle Hebel in Bewegung, um ihr die Schwermut auszutreiben und sie wieder aufzumuntern. So ließ er mal Stelzenläufer kommen, mal Reifenspringer, mal Spaßmacher, mal den Meistersänger Ruggiero,[6] mal die Zauberkünstler, mal die starken Kerle, mal den springenden Hund, mal das turnende Äffchen, mal den Esel, der aus dem Glas säuft, mal die Malteser Tänzer und mal dieses und mal jenes.[7] Aber das war alles verlorene Zeit, denn weder das Mittelchen von Doktor Grillo,[8] noch das sardonische Kraut,[9] und selbst ein Stich ins Zwerchfell hätte sie zu keinem auch nur schwachen Kräuseln der Lippen gebracht, dergestalt daß der arme Vater, der nicht mehr aus noch ein wußte, einen letzten Versuch machen wollte. Er gab Befehl, man sollte vor dem Schloßtore einen großen Ölbrunnen[10] errichten. Er hoffte dabei, die Leute, die auf der Straße wie die Ameisen hin- und herrannten, würden tüchtig angespritzt und dann, um sich nicht die Kleider einzuölen, Grillenhupfer, Ziegensprünge und Hasensätze vollführen, dabei ausglitschen und sich gegenseitig umschmeißen, und dann, dachte er, könnte doch etwas passieren, das sie zum Lachen bringen würde. Der Brunnen war also gemacht, und Zoza stand am Fenster[11] wie in Essig eingelegt. Da kam zufällig eine Alte herbei, die saugte mit einem Schwamm das Öl auf und drückte es in ein mitgebrachtes Krüglein aus. Und während sie sich ganz diesen Verrichtungen hingab, kam doch so ein Teufelskerl von Hofpage daher und warf einen Kieselstein so haarscharf auf den Ölkrug, daß der zerbarst. Die Alte, die sich nicht gerne auf den Kopf spucken ließ und ein geschliffenes Mundwerk besaß, drehte sich zu dem Pagen um und legte los: «Ah, du Rotznase, Dreckfratz, Scheißkerl, Bettpisser, Stinkebock, Hemdenmatz, Galgenstrick, Eselsbastard! Ja was denn, husten jetzt auch schon die Flöhe? Ja dich soll doch ein Schläglein treffen, daß deine Mamma eine böse Nachricht kriegt! Daß dich eine katalanische Lanze[12] durchbohrt, damit du den ersten Mai nicht mehr erlebst! Dich soll ein Strick erdrosseln, ohne daß Blut fließt! Tausend Krankheiten sollen dir auf den Pelz fliegen, und das mit vollen Segeln! Soll doch dein Samen vertrocknen, du Lump, du Lotterbube, du liederlicher Sohn eines Luders!»[13] Der Junge hatte wenig Flaum auf dem Kinn und noch weniger Anstand im Leib, und wie er ihren Schwall von Flüchen und Verwünschungen anhören mußte, zahlte er es ihr mit gleicher Münze heim und schrie: «Halt doch deine Scheißkuhle, Satans Großmutter, Knochenkotzerin, Kinderwürgerin, Fetzenkackerin, Furzvisage!» Als die Alte solche Neuigkeiten über ihren Hausstand vernahm, geriet sie in ein solches Zittern, daß die Kompaßnadel ihrer Beherrschung ausrastete; sie riß sich aus dem Stalle der Gelassenheit los, lüftete den Vorhang des Theaterapparats und eröffnete den Blick auf ihre Waldbühne. Da hätte nun der Schäfer Silvio sagen können: «So stoßet ins Horn, daß die Augen erwachen!»[14] Und bei diesem Schauspiel bekam Zoza einen solchen Lachkrampf, daß sie fast in Ohnmacht gefallen wäre. Als sich nun die Alte in der Weise verspottet sah, überfiel sie eine solche Wut, daß sie der Zoza eine erschreckliche Fratze hindrehte und sprach: «Na warte! du sollst wahrhaftig kein Sprößlein von einem Manne zu Gesicht kriegen, außer du nimmst den Prinzen von Camporotondo!» Als Zoza diese Worte hörte, ließ sie die Alte zu sich rufen und wollte um jeden Preis wissen, ob sie nur beleidigt oder vielleicht verwünscht worden war. Und die Alte antwortete: «So wisse, daß dieser Prinz, den ich dir genannt habe, ein artiges Wesen namens Tadeo ist, der, wegen der Verwünschung durch eine Fee, an sein Lebensgemälde letzte Hand angelegt hat und in eine Gruft außerhalb der Stadtmauern gebracht worden ist. Dort steht auf einem Grabstein geschrieben, jede Frau, die in drei Tagen ein Gefäß mit Tränen füllen könne, das gerade dort an einem Haken hängt, würde ihn auferwecken und zum Mann bekommen. Aber es ist ja ganz unmöglich, daß zwei menschliche Augen so viel pieseln können, um ein so großes Gefäß von einem halben Scheffel Inhalt zu füllen, außer wenn sie, habe ich mir sagen lassen, jene Nymphe Egeria wäre, welche in Rom in einen Tränenbrunnen verwandelt wurde.[15] Also habe ich, als ich mich von Euch verhunzt und verhohnepiepelt sah, Euch diesen Fluch angeworfen, und ich bete zum Himmel, daß er dich voll trifft als Rache für die Beleidigung, die mir angetan worden ist.» Nach diesen Worten fegte sie die Treppe hinunter, aus Angst, sie würde noch Schläge bekommen. Und schon kaute und würgte Zoza an den Worten der Alten, gleichzeitig stieg ihr ein Teufelchen in ihr Oberstübchen, und nachdem sie eine Garnrolle mit Zweifeln aufgewickelt und eine Sorgenmühle wegen des Geschehenen in Drehungen versetzt hatte, geriet sie schließlich in das Fahrwasser jener Leidenschaft, welche die Urteilskraft blendet und das Vernunftdenken behext; sie packte sich eine Handvoll Scudi aus den Schreinen ihres Vaters, schlüpfte aus dem Palast und wanderte so lange, bis sie zu dem Schlosse einer Fee gelangte. Bei dieser nun ließ sie ihr Herz überfließen, und aus Mitleid zu der so schönen jungen Frau, welche zwei Sporen in den Abgrund zu stürzen drohten, nämlich ihr geringes Alter und die blinde Liebe zu einem Unbekannten, gab sie ihr für eine ihrer Schwestern, die gleichfalls gefeit[16] war, ein Empfehlungsschreiben mit. Diese erwies ihr viele Aufmerksamkeiten, und am nächsten Morgen – als die Nacht von den Vöglein verkünden ließ, wer noch einen Rest verlorener schwarzer Schatten erblicke, der werde ein hübsches Trinkgeld bekommen[17] – gab sie ihr eine schöne Walnuß mit den Worten: «Nimm, meine Tochter, und verwahre sie wohl, aber öffne sie erst, wenn du es dringend nötig hast.» Und mit einem zweiten Brief empfahl sie Zoza einer dritten Schwester. Als sie dort nach einer langen Reise angekommen war, wurde sie mit der gleichen Liebenswürdigkeit aufgenommen, und am nächsten Morgen bekam sie abermals einen Brief an nochmal eine Schwester, zusammen mit einer Kastanie, und diese Fee gab ihr den gleichen Hinweis, wie sie ihn bei der Nuß bekommen hatte. Nach einem weiten Weg gelangte sie dann zu dem Schloß der Fee. Diese schenkte ihr tausend Liebkosungen, und morgens beim Abschied überreichte sie ihr eine Haselnuß[18] mit derselben Warnung: Sie solle sie höchstens aufmachen, wenn es dringend notwendig sei. Mit diesen Gaben versehen, nahm Zoza die Beine unter die Arme und kam durch viele Dörfer und Städte, durchquerte viele Wälder und Flüsse, bis sie nach sieben Jahren – just als der Sonnenbote, geweckt vom Schmettern der Hähne, gesattelt hatte, um die üblichen Poststationen abzureiten – mit fast durchgelaufenen Sohlen Camporotondo erreichte, und dort sah sie, bevor sie die Stadt betrat, ein Grabmal aus Marmor am Fuße einer Quelle, die kristallene Tränen weinte, weil sie sich in ein Gefängnis aus Porphyr eingefaßt sah. Dort nahm sie den Krug von seinem Haken, stellte ihn zwischen ihre Beine und begann, zusammen mit der Quelle das Stück Die Doppelgängerinnen[19] zu spielen. Dabei hob sie ihren Kopf nicht eher vom Rand des Kruges, als bis sie ihn, nach Ablauf von knapp zwei Tagen, zwei Fingerbreit über den Halsansatz gefüllt hatte; es fehlten also nur zwei weitere Finger, und er wäre voll gewesen. Weil sie aber von der Plackerei ausgelaugt war, spielte ihr der Schlaf, ohne daß sie es wollte, einen Streich, dergestalt, daß sie sich für ein paar Stunden unter das Zelt ihrer Augenlider legen mußte. Inzwischen war eine Sklavin Grillenbein dahergelaufen gekommen; sie war oft an dieser Quelle, um ein Fäßchen zu füllen, und sie kannte die Sache mit der Inschrift, denn die war in aller Munde. Als sie nun die Zoza so viel weinen sah, daß ihr zwei Tränenbächlein herunterliefen, blieb sie wachsam auf ihrem...