Basil | Wenn das der Führer wüßte | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Reihe: REVISITED

Basil Wenn das der Führer wüßte


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-85286-249-1
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Reihe: REVISITED

ISBN: 978-3-85286-249-1
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Hitlers Armeen haben den Krieg gewonnen - und der Irrsinn geht erst richtig los! Otto Basil schrieb mit diesem Roman eine ungeheuerliche Satire auf das "Dritte Reich".

Hitler hat gesiegt, die Atombombe fiel nicht auf Hiroshima, sondern auf London. Das Germanische Weltreich ist errichtet. Lediglich der großasiatische Raum wird von den Japanern beherrscht. Berlin ist die Hauptstadt der Macht, die Hauptstadt Deutschlands und damit der halben Welt.
Der Papst und der Dalai-Lama werden in einer Kölner neurochirurgischen Klinik gefangen gehalten, von Irland bis zum Ural erheben sich die SS-Ordensburgen, die Zuchtmutterklöster, die Walhallen der Ariosophen, die Napolas und Untermenschenlager.

Das ist die Kulisse, als Adolf Hitler stirbt und unter ungeheurem Pomp im Kyffhäuser bestattet wird. Sein Nachfolger heißt Ivo Köpfler (Heil Köpfler!).
Der Tanz in den Untergang des Dritten Weltkrieges ist nicht mehr aufzuhalten und mittendrin der Parteigenosse Albin Totila Höllriegl, ein Österreicher, den ein gewaltiger Auftrag nach Berlin führt ...

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Der 9. November 196 . . war ein Sonnabend. Träge strich naßkalter Wind durch die Gassen von Heydrich – Heydrich im Kyffhäusergebirge – und schüttelte die letzten Blätter von den Bäumen. Es roch nach Schnee und wäßriger Verwesung. Das Licht des Spätmorgens verschluckte alle Farben; die Dinge wurden fahl und unwirklich in der zähen, weißlich fließenden Dämmerung. Der 9., 10. und 11. November gehörten eigentlich zu den streng gebotenen Trauertagen der Nation. Aber die Erinnerung an die große Schande von 1918 war sogar in der Partei allmählich verblaßt, und so unterschied sich die Stimmung dieses nebligen Herbstmorgens in nichts von der seiner Vorgänger. Ein Tag begann, ein Tag wie jeder andere. Höllriegl, kalt geduscht, körperlich ertüchtigt, ging federnd, fast hüpfte er, die Treppe zu seinem Sprechzimmer hinunter. Die blankgewichsten Röhrenstiefel knirschten auf den Holzstufen. Wie schon öfters in der letzten Zeit, ärgerte er sich über Burjak, der das Metallschild an der Tür zu scheuern vergessen hatte, überhaupt immer schlampiger wurde. (Er behandelte die Leibeigenen zu gut – sein alter Fehler.) Auf der Platte war in gotischen Lettern zu lesen: ALBIN TOTILA HÖLLRIEGL
Strahlungsspürer
Geschäftsstelle Heydrich der NS-Fachschaft für Pendelweistum
Behebung von Strahlungsschäden aller Art
Auspendeln von Lebensumständen
Schutzelektroden, Radiumschmuck, Schwingungsgürtel
Entstrahlungsketten gemäß den VDI-Regeln
für Siderische Geräte
Nordische Daseinsberatung
Sprechstunden außer Sonnabend täglich von 9 bis 11
An Sonn- und Feiertagen kein Kundendienst
KRIEG DEN ERDSTRAHLEN! Der Gyromant, also der Pendler, durchquerte den nüchtern eingerichteten Warteraum mit den zwölf rund um den Tisch sternförmig angeordneten Stühlen und betrat sein Sprechzimmer, das auch als Labor und für Entspannungs- und Versenkungsübungen diente. Vor dem Bild des greisen Führers, es nahm beinah die ganze, sehr schmale Stirnwand ein, hob er, die Schultern zurückreißend und die Hacken zackig zusammenschlagend, den Arm zum Deutschen Gruß. Das Führerbild, ein Farbfoto in Lebensgröße, war mit der Zeit stark rotstichig geworden, so daß es wie in abendlichem Dämmerschein erstrahlte; die Züge des Mannes, aus denen fanatische Entschlossenheit und unbeugsamer Siegeswille sprachen, erschienen dadurch weicher und milder, sozusagen landesväterlicher. Zugleich aber, und dieser Eindruck wurde von Mal zu Mal stärker, hatte die nach und nach über das Bild sich ausbreitende rosa Finsternis etwas vom Flackerlicht eines fernen Brandes. Die brandige Röte vermeinte Höllriegl förmlich zu riechen, und jedesmal, wenn er wider Willen hinsah, erfüllten ihn solche Beobachtungen, die wahrscheinlich nichts als Wahnideen waren, mit trüben Gedanken. Der Führer war siech; das wußte trotz der nahtlosen Nachrichtensperre die ganze Nation, und die halbe Welt flüsterte es sich zu. Höllriegl schob sich bedrückt an seinen Schreibtisch heran, die gute Laune war verflogen, auch das Gefühl des Wohlbefindens und der Geborgenheit war weg. Den Tisch bedeckten Haufen von Briefen, Formblättern, Broschüren und Zeitungsausschnitten; mitten in der Papierflut hatte besagter Burjak, ein ehemaliger Hilfslehrer aus dem Warthegau, der ihm aus dem Untermenschenlager Heydrich (UmL 1238) zugewiesen worden war, auf einem Blechtablett das Frühstück angerichtet. Höllriegl aß mit wenig Appetit und hastiger als sonst. Dabei blätterte er zerstreut in der letzten Folge der »Odischen Lohe«, des Fachorgans für Deutsche Pendelmutung. Sein Blick glitt über ein aufgeschlagenes Buch, es war Schultze-Rüssings »Lehrbuch der Grausamkeit«; das gestern nacht angefangene Kapitel, das Höllriegl schon halb auswendig konnte, handelte von den seelischen Abhärtungsmaßnahmen der asischen Rasse, insbesondere von der Behandlung der Leibeigenen. Knapp vor dem Schlafengehen hatte Höllriegl in dem reich bebilderten Wälzer geschmökert, nicht um sich seelisch aufzumöbeln, wie es Vorschrift war, sondern um gewissen, wie er sich eingestand: abwegigen Phantasien nachzuhängen. Die Post mußte bald da sein. Höllriegl überflog den Vormerkkalender. Es war Sonnabend, der einzige sprechstundenfreie Wochentag. Das späte Aufstehen hatte wohlgetan, das Große Wecken der Nation, von allen Sendern in die Welt gestrahlt, war verschlafen worden. (»Wieder mal schlapp gemacht!«) Schuldbewußt drückte Höllriegl auf die Taste des Rundfunkgeräts, und alsbald quoll eine zähflüssig-pastorale Stimme aus dem Lautsprecher: »… Alles Läben ist Gnade. Doitsches Christsein, das ist und will nichts als die Heiligung alles Irdischen. Den Adel der Arbeit, Äden auf Ärden, tüchtich und gottkindhaft, ohne den jännseitssüchtigen Augenaufschlag, der nur untüchtich macht. So erfassen wir Doitsche …« Die Erbauungsstunde der Reichsbewegung Deutscher Christen aus Osnabrück. Höllriegls Gedanken wanderten fort – zu gewissen strammen Formen –, kehrten aber schnell wieder zur salbadernden Stimme zurück: »… Und wenn da einer kommt, einer von dänen, die noch immer nicht begreifen wollen, daß ihre priesterliche Mittlerrolle ausgespielt ist, und uns mässianischen Führerkult vorwirft oder gar eitle Selbstvergottung der Partei und Nation, dem erteilen wir hiermit die entschlossene Antwort …« Um zehn, so stand auf dem Kalender, begann im lokalen Parteihaus der übliche Wochenendkurs für die Amtsträger von Unterabschnitt C-zwo. Ein Pflichtlehrgang über die Neuordnung der Partei in den Tschandalengebieten, mit besonderer Berücksichtigung der russischen Fronvogteien. Den Lehrkursführer, es war einer von den Warägern, wie der ehrwürdige SD und Deutsche Selbstschutz jetzt im Osten gemeinsam hießen, kannte Höllriegl flüchtig. Er mochte ihn nicht. Gut, er mußte trotzdem hin. Elf Uhr: Aufklärungsstunde für siebenbürgisch-sächsische Pimpfe, die in der Sachsenburg bei Heldrungen ihr Winterlager hatten, unter dem Motto »Zweimal Compiègne: 11. November 1918 – 21. Juni 1940. Eine Gegenüberstellung«. Dort hatte er die Berichterstattung, fade Routinesache, für den »Kyffhäuser-Boten«, weil Kummernuß an Grippe erkrankt war. Und hernach wollte er in der Schriftleitung Briefe ansagen und die Fahne seiner allsonntäglichen Spalte »Nordische Innenschau« durchsehen. Er stellte den Empfänger auf Kurzwelle und drehte weiter. »Hier ist der Wehrmachtsender Johannesburg mit den Richtstrahlern Bloemfontein und Vereeniging. Wir bringen eine Übertragung vom Kameradschaftstreffen des Afrikaner Broederbond in Krügersdorp.« Weiter. Eine hohle, neblige Stimme: »Den wir heilig sollten halten, den haben wir gefällt. Nicht ziemt uns beiden, nach der Wölfe Beispiel uns selber grimm zu sein wie der Norne Grauhunde, die gefräßig sich fristen im öden Tann. Hel will ihr Opfer!« Das war der Reichssender Asgard: Deutschunterricht für das Jungvolk von Nordland. Weiter. »… du oller besengter Waldheini! Bist du denn heute von oben bis unten mit Schmirjelpapier abfrottiert worden? Du Jummiaffe hättest ooch zwei Jahre Altersheim ohne Bewährung vadient!« – »Halt die Schnauze, sonst mach ick sie dir mitn Jewehrkolben zu! Wat solln denn die Kamraden von uns denken, wenn du deine Klappe nich maln bißchen halten kannst, du oller Rinnsteinpenner du! Bei uns herrschtn anständiger Ton, vastann, sonst kriegstn Arsch voll!« – »Welcher Oberdussel hat denn nu wieder mal …« Ankara mit Unterhaltungsprogramm für die im Osmanischen Protektorat stationierte Truppe. (Höllriegl kannte alle diese Sendereihen bis zum Überdruß.) Weiter. Die gläsern zirpenden Töne eines fernen Cembalos – es war wohl einer von den starken wolgadeutschen Sendern – schwebten durch das Zimmer mit seinen Bücherborden, seinen Vitrinen, in denen zauberische Gegenstände schimmerten: Pendel aus Bergkristall, goldglänzende Sterne zum Umhängen (die eigentlich Elemente sind), Silberplatten an Halskettchen, welche gegen Erdstrahlen immun machen, blitzende Antennen und Odoskope, Hochfrequenzschmuck, Ruten, Entstrahlungsketten, antike Pendel. Ah, die Goldberg-Variationen! Höllriegl drosselte die Lautstärke des Volks-Allempfängers und schlenderte, Hände in den Hosentaschen, ganz dem Lauschen hingegeben, zum Fenster. Wie Bach einst den Dom der deutschen Musik erbaut hatte, so hatte Adolf Hitler den Dom des Germanischen Weltreichs errichtet. Ein Dom, der eine feste Burg ist und bleiben wird, eine Grals- und Trutzburg, uneinnehmbar, unzerstörbar bis ans Ende der Zeit. Doch der Führer war krank, schwerkrank sogar, wie es hieß. Schwarze Gerüchte! Höllriegl erschauerte. Draußen im Nebel standen da und dort Menschen beisammen, bildeten Gruppen, und auf den Ästen saßen unbeweglich die Krähen. Um 13.30 Uhr war er zum Auspendeln eines Amtszimmers in die Richthofen-Straße bestellt. Und dann … dann würde er zu...


(1901-1983) Studium der Germanistik und Paläontologie in Wien und München. Danach arbeitete er als Journalist und Verlagslektor, Barpianist und Industrieangestellter. Er wirkte außerdem als Dramaturg und Publizist in Kultur-Zeitschriften. Anfang der 1920er Jahre war er einer der Herausgeber der Zeitschrift "Das Wort". Weiterhin schrieb er Mitte der 1920er Jahre Artikel für das Prager Abendblatt.

Nach dem "Anschluss" Österreichs an Deutschland im Jahr 1938 erhielt er Schreibverbot. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als Pressereferent und Dramaturg am Wiener Volkstheater (bis 1947) und gab die (avantgardistische) Literatur- und Kunstzeitschrift "der PLAN" heraus (eingestellt 1948), in der Beiträge vieler zeitgenössischer österreichischer Schriftsteller, Musiker und Wissenschaftler veröffentlicht wurden.

Von 1948 bis 1964 war Basil Leiter des Ressorts Kultur der Tageszeitung "Neues Österreich" sowie bis zu seinem Tod 1983 freier Schriftsteller (P.E.N.-Mitglied) in Wien. Er ruht in einem ehrenhalber gewidmeten Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 40, Nummer 153).

"Wenn das der Führer wüßte" sorgte sowohl auf der Frankfurter Buchmesse 1966 als auch bei der Literaturkritik für Aufsehen und wurde zum Verkaufsschlager, der sich einige Zeit in den (damals allerdings noch wenig beachteten) Bestsellerlisten halten konnte. Die Startauflage von 25.000 Exemplaren ist auch nach heutigen Maßstäben erstaunlich.



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