Barth-Grözinger | Wildblütenzeit | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Barth-Grözinger Wildblütenzeit

Die große Schwarzwaldsaga
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-97995-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die große Schwarzwaldsaga

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-492-97995-5
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im Juli 1945 sitzt der siebenundvierzigjährige Jakob Haug im Büro seines Hotels. Vor ihm liegt die wohl wichtigste Unterredung in der langjährigen Geschichte des Traditionshauses »Zum Markgrafen«. Denn Jakob soll vor einem amerikanischen Offizier über sein Verhältnis zu den einflussreichen Nationalsozialisten, die während des Kriegs in seinem Hotel ein- und ausgingen, Rechenschaft ablegen. Dieses Verhör wird über das Fortbestehen des Betriebs entscheiden, der seit vielen Generationen im Besitz der Familie liegt. Doch um Jakobs Handlungsmotive zu verstehen, ist es wichtig, die Vergangenheit zu kennen. Deshalb erzählt er dem Offizier vom Schicksal der Familie Haug - und vom glanzvollen Aufstieg eines Hauses, das seit 1780 deren Segen wie auch größter Fluch war.

Inge Barth-Grözinger wurde 1950 in Bad Wildbad im Schwarzwald geboren. Sie unterrichtete bis zu ihrer Pensionierung am Peutinger-Gymnasium in Ellwangen die Fächer Deutsch und Geschichte. Sie veröffentlichte mehrere sehr erfolgreiche Bücher, unter anderem die Schwarzwald-Familiensaga »Beerensommer«.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


InhaltsverzeichnisJuli 1945 Juli 1780 – Jakob der Gründer Mai 1789 Juli 1945 September 1796 Oktober 1805 Juli 1945 November 1812 Juli 1945 Mai 1828 – Johann der Genießer Juli 1945 September 1834 Juli 1945 Januar 1848 März 1848 Juli 1945 April 1849 – Leopold der Rebell Juli 1945 September 1855 Juli 1945 September 1885 – Johann-Georg der Kaufmann Juli 1945 September 1918 – Philipp und Jakob Juli 1945 Nachwort


Juli 1945


Der Jeep fuhr mit einem sanften Schwung um die Kurve und hielt unmittelbar vor dem schmiedeeisernen Tor. Langsam erhob sich Jakob Haug vom Rücksitz des Wagens und setzte zögerlich einen Fuß auf das Trittbrett. Erst als der amerikanische Militärpolizist ihm unsanft auf den Rücken klopfte und »come on« knurrte, gab er sich einen Ruck und kletterte aus dem Wagen, umständlich und langsam, als litte er Schmerzen. Es tut weh, dachte er, es tut wirklich weh, wenn auch nicht körperlich. Ich will mir einfach nicht vorstellen, was mich da drinnen erwarten wird.

»Seit die Amerikaner hier sind, darf das Haus keiner mehr betreten. Die Franzosen haben uns wenigstens hineingelassen, wenn sie auch gehaust haben wie die Vandalen«, hatte seine Schwägerin Marie gemurrt, als sie Jakob vor vier Wochen im Militärgefängnis besucht hatte. »Alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war, sogar die Hühner haben sie geschlachtet und gefressen, anders kann man es nicht nennen. Stell dir vor, sie haben die armen Tiere geköpft, mitten in der Majolika-Stube. Alles war voller Blut und das Schlimmste, ich kann es gar nicht aussprechen ... die drei Zimmermädchen, die noch im Haus waren, weil sie uns nicht im Stich lassen wollten, mussten wir verstecken.«

»Der Krieg macht die Menschen nicht besser, im Gegenteil«, hatte er damals geantwortet. »Überall Hunger, Hass und Rohheit.«

Wieder schob ihn der Soldat unsanft vorwärts, und sie setzten sich in Bewegung. Zum ersten Mal seit vielen Wochen trat er wieder durch das große Tor. Jakobs Blick fiel auf den geliebten Garten – sein Schmuckstück. Philipp, sein Bruder, hatte ihn vor vielen Jahren angelegt, und Jakob hatte ihn vollendet. Er sah die Rosenstöcke mit ihren duftenden Blütenköpfen in sattem Gelb, zartem Rosa und prallem Rot, deren wilde Schönheit ihn immer wieder aufs Neue betört hatte. Er sah die gestutzten Buchsbäume und den samtenen, grünen Rasen, der jetzt aber zertrampelt und an manchen Stellen aufgerissen war. Und er sah den Springbrunnen, der das Zentrum des Gartens zierte.

Vor den dunkelgrünen Lorbeerbüschen hatte die Fortuna gestanden. Anmutig hatte die Statue ihr Füllhorn gehalten und dabei voller Stolz auf das Haus geblickt. Oskar Köhler hatte sie aus glänzendem weißem Marmor geschaffen – der Bildhauer hatte so viel für das Haus getan und war bis zum Schluss mit ihm verbunden geblieben. Bis zum bitteren Ende, korrigierte sich Jakob traurig im Stillen. Die Fortuna sollte seine Mutter Therese darstellen, die wie viele andere Frauen der Familie Ansehen und Wohlstand ins Haus gebracht hatten. Jetzt ruhte die Statue aber zerschmettert neben dem Springbrunnen im Gras, Kopf und Arme waren abgebrochen, und das Füllhorn lag wie ein nicht eingelöstes Versprechen am Rande des Bassins.

Jakob bückte sich, um die sanften Linien des marmornen Gesichts zu berühren, aber der Soldat knurrte wieder sein »come on«, und so ging er gehorsam weiter, mit einem wehmütigen Blick auf die welkenden Blumenbeete.

Ein ekelerregender Gestank nach Urin, Blut und verdorbenem Fleisch schlug ihm entgegen, als er das Haus betrat. Der Geruch der Zerstörung und der Entwürdigung, dachte Jakob unwillkürlich, und immer größer werdende Verzweiflung erfasste ihn, während er durch die Räume schritt.

Im Salon waren die Bezüge der Sessel aufgeschlitzt worden, überall lag Dreck und Unrat. Am schlimmsten sah es aber in der Majolika-Stube aus. Dort war sämtliches Geschirr zerstört worden – alles Sammlerstücke, die die Familie seit Generationen zusammengetragen hatte. Und nun das Restaurant und die Weinstube! Überall umgestürzte Tische und zerbrochene Stühle. Wie chaotisch es aussah! Die Kronleuchter, das Silber – alles war verschwunden, ebenso wie die wunderschöne Damasttischwäsche, Maries und Thereses ganzer Stolz.

Seine Schwägerin hatte ihm erzählt, dass sie und die Hausdame Helene versucht hatten, die Damastwäsche in einem Hohlraum oberhalb der Küche zu verstecken, aber man hatte sie wohl dabei beobachtet, denn kurze Zeit später war die französische Militärpolizei gekommen und hatte sie einem strengen Verhör unterzogen.

»Wir mussten alles angeben, sogar die Einmachgläser und die Kochlöffel. Alles haben sie mitgenommen. Nichts konnten wir retten.«

Wir waren vermessen, dachte er plötzlich. Was haben wir denn geglaubt? Dass unser Besitz für die Ewigkeit währt? Immer mehr angehäuft und weitergegeben von Nachkomme zu Nachkomme?

Der Soldat bedeutete Jakob mit einer Kopfbewegung, die Treppe hochzugehen, und ihm wurde nun bewusst, wo das Verhör stattfinden sollte: In seinem Büro, der »Kommandozentrale«, wie die Angestellten liebevoll spottend zu sagen pflegten. Auch dort herrschte Verwüstung. Man hatte augenscheinlich nach dem Tresor gesucht, denn die Bilder waren heruntergerissen worden, und die Tapeten hingen nur noch in Fetzen an den Wänden.

Der Soldat blieb im Türrahmen stehen und betrachtete ihn mit ausdrucksloser Miene. Jakob nahm das als Zeichen, dass er sich frei bewegen durfte, und ging mit kleinen Schritten auf seinen Schreibtisch zu. Mit der Hand fuhr er über die gemaserte Tischplatte, berührte die Kerben und Flecken, die man ihr zugefügt hatte. Unter dem Schmutz und der Zerstörung atmete das Holz aber noch, er konnte es genau spüren. Ihm kam es so vor, als tastete er sich ein kleines Stück zurück in sein altes Leben.

Plötzlich gab es eine Bewegung in der Tür. Der Soldat stand stramm, und ein hagerer, mittelgroßer Mann in der Uniform eines amerikanischen Offiziers betrat den Raum. Er hatte ein schmales Gesicht mit tief liegenden, dunklen Augen und kurz geschorenem dunkelbraunem Haar. Bei seinem Anblick streifte Jakob ein Schatten der Erinnerung, er glitt aber vorüber, war nicht zu fassen.

»Guten Tag, Herr Haug.« Der Mann reichte Jakob die Hand und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, Platz zu nehmen. »Sie können sich ruhig hinter Ihren Schreibtisch setzen.« Er selbst ließ sich auf einem der beiden tiefen Ledersessel nieder, die um den Schreibtisch gruppiert waren und erstaunlich unversehrt aussahen.

Jakob setzte sich auf seinen altvertrauten Stuhl und merkte auf einmal, wie sehr sein Herz klopfte. Er spürte die harte Lehne des geschnitzten Holzes im Rücken. »Louis-quinze«, hatte sein Vater immer wieder stolz betont, »ein seltenes Stück.« Jakob hatte den Stuhl damals übernommen, obwohl er unbequem war, denn er verlieh ihm ein Gefühl der Sicherheit, der Zugehörigkeit – und er war schön, wirklich etwas Besonderes.

Unsicher blickte Jakob zu dem jungen Offizier hinüber, dessen Gesicht aber blieb verschlossen. Schließlich beugte er sich leicht nach vorne und sagte: »Mein Name ist Kurt Goldstein. Major Kurt Goldstein, um es ganz genau zu sagen.« Er nahm ein Päckchen Lucky Strike aus seiner Brusttasche und bot Jakob eine Zigarette an.

Der schüttelte den Kopf. »Nein danke. Ich habe vor einiger Zeit damit aufgehört.« Im selben Moment bereute er, das Angebot nicht angenommen zu haben. Vielleicht hätte das die Atmosphäre etwas entspannt.

Der Offizier aber schien ihm diese Ablehnung nicht übel zu nehmen. Gelassen zündete er sich eine Zigarette an und verharrte einen kurzen Moment, um den bläulichen Rauchkringeln nachzublicken, die zur Decke aufstiegen.

»Ein schönes Haus, das Sie da haben«, bemerkte er beiläufig.

»Ein schönes Haus«, wiederholte Jakob mechanisch. »Ja, das war es wohl einmal.« Bilder zogen vor seinem inneren Auge vorbei. Es waren Erinnerungen an eine Zeit, die ewig zurückzuliegen schien: gedeckte Tische mit funkelndem Geschirr, die blendend weißen Schultern der schönen Frauen, die sich flüsternd den eleganten Herren in schwarzen Fräcken zuwandten. Eilig und geräuschlos herumhuschende Kellner mit silbernen Servierplatten, das leise Geklimper von Klaviermusik und dann der Geruch nach gutem Essen, Parfüm und prickelndem Champagner – der Duft der Lebensfreude. Und mittendrin er, Jakob, der König dieses Reichs der Genüsse. Und nun saß er da, war eher Narr als edler Herrscher. Welche Ironie, dass er dennoch auf seinem »Königsstuhl« Platz nehmen durfte.

»Ja, der Markgraf hatte einen sehr guten Ruf, und das wohl zu Recht«, sagte Kurt Goldstein in diesem Moment. Er lächelte, aber es war ein grimmiges Lächeln, wie Jakob fand. Verblüfft wollte er fragen, ob er denn schon hier gewesen sei. Aber dann redete Goldstein weiter, ganz beiläufig, aber messerscharf: »Sie wollen aus der Haft entlassen werden. Das ist verständlich. Ebenso, dass Sie Ihr Haus zurückhaben wollen. Aber ich frage Sie trotzdem: ›Warum?‹«

»Warum?«, wiederholte Jakob verwirrt. »Warum? Es gehört meiner Familie. Seit Generationen. Wir haben es gegründet, aufgebaut, ich meine ...« Verzweifelt suchte er nach Worten. Es war doch nur natürlich, dass er sein Eigentum zurückhaben wollte. Wie sollte er etwas erklären, das selbstverständlich war?

»Ich weiß schon, was Sie mir sagen wollen«, winkte Kurt Goldstein ab. »Es geht mir mit meiner Frage aber um etwas ganz anderes – um den Kern des Problems, wenn Sie so wollen. In Ihrem Haus sind die Nazis ein und aus gegangen. Keine kleinen Lichter, nein, es waren die einflussreichen, die, die weit oben mitmischten, Macht hatten. Und ihre prominenten Helfer. Schauspieler, Künstler, Industrielle ... Was wohl hinter diesen Mauern alles verhandelt wurde? Was wurde besprochen, abgemacht, beschlossen? Und Sie haben davon gewusst. Sie sind dann auch in die Partei eingetreten, ziemlich am Anfang sogar, wenn ich richtig informiert bin....


Barth-Grözinger, Inge
Inge Barth-Grözinger wurde 1950 in Bad Wildbad im Schwarzwald geboren. Sie unterrichtete bis zu ihrer Pensionierung am Peutinger-Gymnasium in Ellwangen die Fächer Deutsch und Geschichte. Sie veröffentlichte mehrere sehr erfolgreiche Bücher, unter anderem die Schwarzwald-Familiensaga »Beerensommer«.



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