E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: HarperCollins
Barns Honigduft und Meeresbrise
1. Auflage, neue Ausgabe 2020
ISBN: 978-3-7499-5095-9
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: HarperCollins
ISBN: 978-3-7499-5095-9
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Anne Barns schenkt ihrer Lesergemeinde mit 'Honigduft und Meeresbrise' ein neues mitreißendes, spannungsgeladenes Buch.« Land & Meer
Geliebte Martha, von dir zu lesen, gibt mir unendlich viel Kraft! - So beginnt der Brief, den Anna in Händen hält. Die mit Tinte auf vergilbtem Papier geschriebenen Buchstaben sind noch immer gut sichtbar. Trotzdem fällt es Anna schwer, die geschwungene Schrift zu entziffern. Nur am Datum gibt es keine Zweifel: Dezember 1941. Vor fast achtzig Jahren wurde dieser Brief an ihre Urgroßmutter adressiert, und doch hat Anna ihn eben erst gemeinsam mit ihrer Oma geöffnet. Eigentlich will sie mit ihrem Besuch bei Oma den Verlust ihrer besten Freundin verarbeiten, die bei einem Unfall ums Leben kam. Aber dann führt der Brief Anna schließlich nach Ahrenshoop, wo sie hofft, Antworten zu finden ...
- »Anne Barns erzählt von Freundschaft, die Stürme überdauert, und von Geheimnissen, die gelüftet werden müssen, um zurück zu einem erfüllten Leben zu finden.« Nordsee-Zeitung zu »Apfelkuchen am Meer«
- »Gefühlvoll und Mitreißend.« Cellesche Zeitung zu »Drei Schwestern am Meer«
Anne Barns ist ein Pseudonym der Autorin Andrea Russo. Sie hat vor einigen Jahren ihren Beruf als Lehrerin aufgegeben, um sich ganz auf ihre Bücher konzentrieren zu können. Sie liebt Lesen, Kuchen und das Meer. Zum Schreiben zieht sie sich am liebsten auf eine Insel zurück, wenn möglich in die Nähe einer guten Bäckerei.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
Schon als Kind war ich fasziniert von Omas Bienen. Ich konnte mich stundenlang im Schneidersitz vor die Bienenstöcke setzen, um die Fluglöcher zu beobachten. Oder ich habe mich lang auf der Wiese ausgestreckt und einfach nur zugehört. Auch heute noch freue ich mich darauf, etwas Zeit in ihrer Nähe zu verbringen, wenn ich meine Oma besuche.
Ich drücke das Gartentor auf und gehe den Weg hinunter bis zur hohen schmalen Tanne. Ein paar Meter neben mir stehen vier Bienenvölker auf der Wiese. Das Summen der kleinen fleißigen Tierchen klingt höher als sonst. Ihre Flügel schlagen schneller, sie sind aufgeregt.
»Na, meine Schönen«, sage ich. »Sucht ihr euren Honig?«
Mein Blick schweift zum Schleuderhäuschen, das Opa für Oma aus der Garage gebaut hat, nachdem er seinen Führerschein abgegeben hatte.
»Endlich bekommt deine Großmutter ihren Platz nur für sich und ihre Immen«, hat Opa damals lächelnd zu mir gesagt. Die Honigernte und Omas seligen Blick beim Schleudern der Waben hat Opa nur ein einziges Mal miterleben dürfen. Denn kurz nach der Fertigstellung des schnuckeligen Backsteinbaus stellten sich Opas Magenschmerzen als Karzinom heraus. Er starb ein knappes Jahr später – drei Wochen nachdem auch Mona, meine beste Freundin, uns völlig überraschend für immer verlassen hatte.
Manchmal ist das Leben ein Arschloch, denke ich und gehe weiter.
Die Tür des Schleuderhäuschens steht einen Spaltbreit offen. Der süße und schwere Duft von Honig strömt mir entgegen, vermischt sich mit der warmen Frühlingsluft und lässt mich erneut einen Moment innehalten. Ich schließe die Augen und atme tief durch die Nase ein.
»Jetzt trödele nicht und komm rein!« Die immer etwas kratzig klingende Stimme meiner Oma holt mich zurück aus meiner kleinen Sinnesreise. Und schon im nächsten Moment fliegt die Tür auf. »Ich habe gerade angefangen. Drehst du die Schleuder?« Oma hält die Entdecklungsgabel hoch und fuchtelt ungeduldig damit in der Luft herum. »Das bekomme ich mit meiner lädierten Schulter nicht mehr hin.«
Omas Anblick zaubert ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Seit ich denken kann, trägt sie ihr nunmehr graues Haar zu einem kinnlangen Bob geschnitten. Heute hat sie sich den langen Pony aus dem Gesicht frisiert. Die zwei mit glitzernden Strasssteinchen besetzten Clips, die ihre Haare halten, passen allerdings rein gar nicht zu ihrem restlichen Outfit.
Ich drücke ihr einen Kuss auf die Wange.
»Scharf siehst du aus.« Oma trägt ein weißes Männer-Feinrippunterhemd. Die weit ausgeschnittenen Trägerärmel bieten einen tiefen Einblick auf den hautfarbenen BH, der ihren blassen vollen Busen stützt. Gesicht, Arme und Dekolleté sind von der Arbeit im Garten braun gebrannt. Die letzten Tage waren richtiggehend heiß. Oma nimmt, genau wie ich, schnell Farbe an. Das Rippenshirt hat sie in den Bund einer viel zu eng sitzenden blauen Jogginghose geschoben, die sie auf Knielänge gekürzt hat. Die Beinenden sind ausgefranst und unterschiedlich lang. So wie es aussieht, ist Oma der Hose kurzerhand mit einer Schere zu Leibe gerückt. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, was Oma da anhat. Mein Opa war bestimmt zwanzig Zentimeter größer und wesentlich schlanker als meine Oma, die eher rundlich gebaut ist.
»Ich habe mich endlich dazu aufgerafft, Opas Schrank leer zu räumen«, erklärt Oma da prompt. »Die meisten Sachen habe ich in die Kleidersammlung gegeben.« Sie schaut an sich herunter. »Nur die Buxe und ein paar Hemden für den Garten habe ich behalten.«
»Steht dir«, flunkere ich. Bei dem Gedanken, dass Oma die Klamotten nur trägt, um Opa noch ein wenig bei sich zu behalten, wird mir warm ums Herz.
»Für dich habe ich auch zwei Oberhemden aufgehoben.« Omas Stimme klingt ganz weich. »Natürlich nur, wenn du magst. Du kannst ja später mal einen Blick darauf werfen.«
»Okay.« Ich straffe die Schultern. Es ist jetzt ein halbes Jahr her. Sterben gehöre zum Leben, hat Oma zu mir gesagt, nachdem die Ärzte uns mitgeteilt hatten, dass Opa es nicht schaffen würde – und dass wir ihn gehen lassen müssten. Aber ich war noch nie gut darin, mich für immer zu verabschieden. Und gleich zweimal hintereinander war einfach zu viel für mich.
»Na dann!« Oma geht zurück ins Häuschen. »Der Honig wartet.«
»Wie schmeckt er?«, frage ich. Meine Hand wandert in die flache Wanne, in der Oma das Wachs aufbewahrt, mit dem die Bienen die Waben verschlossen hatten.
Oma antwortet nicht. Sie schaut lächelnd zu, wie ich mir eine kleine Menge der klebrigen Masse in den Mund stecke. Ich kaue und sauge genussvoll den süßen Honig heraus, bis der Wachsklumpen stumpf wird.
»Die Bienen haben sich dieses Jahr ordentlich an den Salweiden bedient«, erklärt Oma.
»Weidenkätzchenhonig? Klingt gut. Und schmeckt lecker, schön mild …«
»Gemischt mit Obstblüten. Durch das außergewöhnlich warme Wetter hat dieses Jahr alles früher geblüht.« Oma greift nach einer Wabe. »Dann mal ran ans Werk.«
Ich drehe die Kurbel an der Schleuder, erst langsam, dann immer schneller. Ein paar Minuten später läuft blumig duftender Honig wie dickflüssiger Champagner aus der Öffnung der Schleuder, tropft durch ein Sieb in den darunter stehenden Topf. Honig schleudern ist anstrengend. Nach ein paar Durchläufen schüttele ich kurz meinen Arm und meine Hand aus, gehe in die Knie und stecke meinen Zeigefinger in den Strahl flüssigen Goldes.
So fein wie heute schmeckt der Honig nie wieder. Sobald er abgefüllt ist, beginnt er langsam zu kristallisieren und verändert seinen Geschmack.
»Sehr lecker«, betone ich noch einmal, nachdem ich genug genascht habe.
Oma lächelt still vor sich hin. Schade, dass Opa sie jetzt nicht sehen kann, denke ich, drehe die Waben um und setze die Schleuder wieder in Bewegung.
Oma hat aus jedem ihrer vier Bienenstöcke die jeweils zwanzig Waben aus den Honigräumen entnommen. Nach drei Stunden haben wir sechsundfünfzig geschafft. Knapp sechzig Kilo Honig stehen in Eimern und warten darauf, weiterverarbeitet zu werden. Vierundzwanzig Waben fehlen noch.
Ich schaue kurz auf meinem Handy nach der Uhrzeit. »Es ist schon nach zwei. Langsam bekomme ich Hunger.« Prompt gibt mein Magen einen lauten Brummton von sich. »Auf was Herzhaftes.«
»Es gibt Putengeschnetzeltes. Wir müssen es nur warm machen«, erklärt Oma. »Kartoffeln sind auch schon geschält. Sollen wir eine Pause einlegen?«
»Nein, lass uns erst zusehen, dass wir hier fertig werden. So viel ist es ja jetzt nicht mehr. Nach dem Essen fällt es mir bestimmt noch schwerer, mich wieder aufzuraffen«, überlege ich laut. »Und später belohnen wir uns mit einem fürstlichen Mahl.« Ich rolle mit den Schultern vor und zurück, um ein wenig zu entspannen. »Hast du auch Eis?« Omas hausgemachtes Vanilleeis mit Honig ist ein Gedicht.
»Natürlich!«, antwortet Oma. »Was denkst du denn? Und Kuchen gibt es auch.« Genau in dem Moment erfüllt ein lautes Schrillen den Raum.
Wir zucken beide zusammen. Opa hat die Hausklingel so geschaltet, dass sie auch im Schleuderhäuschen schellt, damit man nicht verpasst, wenn jemand zu Besuch kommt.
»Den Klingelton würde ich echt ändern, Oma, der geht gar nicht!«, erkläre ich kopfschüttelnd. »Außerdem ist er viel zu laut.«
»Da hast du recht, allerdings weiß ich nicht, wie das funktioniert. Ich habe deinen Vater schon ein paarmal gebeten, sich darum zu kümmern. Aber er hat ja nie Zeit.« Oma macht einen langen Hals und schaut aus dem Fenster. »Das ist Achim. Was macht der denn um diese Uhrzeit hier?« Sie dreht sich wieder zu mir. »Winkst du mal zur Tür raus, Anna, damit Achim sieht, wo wir sind? Ich mach eben die Wabe hier fertig.«
»Klar.« Ich gehe nach draußen und winke, wie Oma mir aufgetragen hat. Auf dem Gehweg vor dem Haus wartet tatsächlich Omas Postbote. Aber er ist nicht allein. Neben ihm steht ein elegant gekleideter Mann in dunklem Anzug. Eine Frau, die ein knielanges Etuikleid trägt, ist die Dritte im Bunde. Ich kneife die Augen zusammen, um sie besser erkennen zu können. Sie kommt mir bekannt vor.
»Dein Postbote ist in Begleitung hier, Oma«, rufe ich.
Oma seufzt. Sie mag es gar nicht, wenn sie bei der Honigernte gestört wird. Ich höre, wie sie irgendetwas vor sich hin brummelt. Kurz darauf steht sie neben mir und begutachtet die kleine Versammlung vor dem Gartentor.
»Das ist Peggy«, stellt sie sachlich fest. »Den Anzugträger kenne ich nicht.«
»Peggy?«, hake ich nach. »Bist du sicher?«
Oma nickt – und geht los. Bis zur zehnten Klasse waren Peggy und ich sehr gut befreundet und haben gemeinsam die Nachbarschaft unsicher gemacht. In der Oberstufe hatten wir allerdings kaum noch Kontakt. Und danach haben wir uns komplett aus den Augen verloren. Um ihr rotes, leicht gelocktes Haar habe ich Peggy immer ein wenig beneidet. Damals trug sie es allerdings lang.
»Warte mal«, sage ich und laufe Oma schnell hinterher. »Du hast kaum was an.«
Oma bleibt kurz stehen, zupft das Rippenshirt etwas zurecht, sagt: »Davon werden die drei schon nicht blind werden«, und geht weiter.
»Stimmt auch wieder.« Nicht nur einmal habe ich mir vorgenommen, mir vom Verhalten meiner Oma eine Scheibe abzuschneiden. Sie hat sich noch nie darum gekümmert, was andere Leute über sie denken oder von ihr halten. In vielerlei Hinsicht ist sie gelassener als ich, und es ärgert mich, dass es mir unangenehm ist, wie Oma gekleidet ist.
»Was hast du dir denn da für...




