E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: Digital Edition
Barclay Ein Licht im Herzen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7515-0459-1
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: Digital Edition
ISBN: 978-3-7515-0459-1
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Obwohl Lord William Sommerville nie wieder lieben wollte, fühlt er sich von der entzückenden Rosemary unwiderstehlich angezogen. Doch ist sie nur eine schamlose Diebin? Oder gekommen, um an Weihnachten die Dunkelheit in seinem Herzen mit dem Licht der Liebe zu erhellen?
Weitere Infos & Material
2. KAPITEL
26. Dezember, St. Stephen’s Day
William Sommerville, zweiter Sohn des Earl of Winchester, besaß drei Segelschiffe, einen florierenden Schiffshandel und ein kleines Gut, das er von seinem Großvater väterlicherseits geerbt hatte. Er verfügte über ausgezeichnete Beziehungen, sah gut aus, war reich … und unglücklich.
Seit fast einem Jahr hatte er keinen einzigen glücklichen oder friedlichen Augenblick erlebt, wie ihm jetzt bewusst wurde, während er aus dem Fenster des Schlafgemachs blickte, das er gewöhnlich im Stadthaus seiner Eltern bewohnte. Elf Monate, zwei Wochen und sechs Tage, um genau zu sein.
Am Dreikönigstag des vergangenen Jahres hatte er das Wichtigste in seinem Leben verloren: seine Ella. Wenn Ella la Beaufort nicht gestorben wäre, hätten sie im vergangenen Frühjahr geheiratet. Und mit etwas Glück hätte sie jetzt ihr erstes Kind erwartet.
Sein Glück und sein Lebenswille hatten ihn an jenem kalten und frostigen Morgen verlassen, an dem Ella von ihm genommen wurde.
„Hör auf, dich zu quälen“, brummte eine trockene Stimme. Will fuhr herum und sah zum Kamin, wo sein älterer Bruder vor dem knisternden Feuer saß. „Tu ich doch gar nicht“, log William.
Richard seufzte. „Ich ertrage es einfach nicht, dich so leiden zu sehen.“
„Dann geh. Keiner hat dich gebeten zu kommen.“
„Mutter hat mich darum gebeten.“ Richard trat zum Fenster. „Sie machte sich Sorgen, weil du zu Weihnachten nicht nach Ransford gekommen bist.“ Er drückte leicht Wills Schulter. „Komm mit mir nach Hause, wenigstens bis nach Dreikönig. Wir wollen nicht, dass du den Tag allein verbringst.“
William blickte in das Gesicht, das dem seinen so ähnelte, dass man sie oft fälschlicherweise für Zwillinge hielt. Doch bei aller äußerlichen Ähnlichkeit waren sie innerlich völlig verschieden. Richard war der zukünftige Erbe einer Grafschaft und zufrieden damit, den gewaltigen Besitz der Sommervilles zu beaufsichtigen. William war der Rebell, der mehr nach der Familie seiner Mutter schlug. Er war Kaufmann geworden. „Ich werde kommenden 6. Januar nicht in London sein. In einigen Tagen – sobald diese Angelegenheit mit der Gewürzdiebin erledigt ist – werde ich nach Italien segeln.“
Und nie zurückkehren. Aber das konnte er Richard nicht sagen. Die Eltern sollten es als Erste erfahren. Das war er ihnen schuldig.
„Und deinen Schmerz wirst du mitnehmen. Kannst du deinen Kummer nicht loslassen und dich wieder den Lebenden zugesellen, William?“, fragte Richard leise.
„Wärst du fähig, fröhlich so weiter zu leben, wenn, Gott möge es verhüten, deiner Mary etwas zustieße?“
„Ich wäre am Boden zerstört“, gab Richard ernst zu. „Wahrscheinlich würde ich das Gleiche tun wie du. Toben, trinken und mich in meinem Kummer baden. Aber dann würde ich mich zusammenreißen und weitermachen. Wenn schon nicht um meinetwillen, dann um der Familie und meiner Söhne willen.“
„Aye, du hast wenigstens Gareth und Geoff. Etwas, was dir von Mary bliebe, um dir Kraft zu geben und dich nach vorne blicken zu lassen. Ich aber …“
„Du hast uns.“ Mit angstvollem Gesicht packte Richard seinen Bruder bei den Schultern und schüttelte ihn. „Genügt das nicht, um zu leben?“
„Ich sterbe nicht, Richard.“ Auch wenn es nach Ellas Tod Tage gegeben hatte, an denen er darum bat, mit ihr vereint zu sein. „Ich reise nur nach Italien, um mich um meine dortigen Geschäftsangelegenheiten zu kümmern.“
Richards dunkle, braune Augen hielten Williams Blick fest. Er vermochte hinter seine Maske zu schauen. „Du wirst nicht zurückkehren, nicht wahr?“
William seufzte. „Ich kann hier nicht bleiben. In England gibt es zu viele Erinnerungen für mich. Wo ich gehe und stehe sehe ich Ella. Mein Gott!“ Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. „Ich kannte sie schon mein ganzes Leben lang. Sie war mein Leben.“
„Es tut mir so leid.“ Richard umarmte seinen Bruder und hielt ihn fest, wie er ihn Jahre zuvor gehalten hatte, als sie noch kleine Jungen von elf, zwölf Jahren gewesen waren. William war von einem Baum gefallen und hatte sich den Arm gebrochen. Es war ihnen verboten gewesen, auf diesen Baum zu steigen. Richard, der seinem Bruder gefolgt war und ihn abstürzen sah, hatte um Hilfe geschickt und William gehalten, bis die Hilfe kam.
Der Schmerz, den William damals gespürt haben mochte, war nichts gegen das, was er jetzt immer noch fühlte, fast ein Jahr nachdem er Ella verloren hatte. Die Sommervilles liebten nur einmal und dann für das ganze Leben. Er hatte seine Ella gefunden, als er zehn war und sie fünf. Ganze elf Jahre waren ihnen nur vergönnt gewesen. Jahre, in denen sie miteinander aufwuchsen und darauf warteten, dass Ella das Alter erreichte, in dem sie heiraten konnten. Jetzt musste er irgendwie mit der öden Verzweiflung eines Lebens ohne sie fertig werden. Das Herz war ihm so schwer, dass es ihm die Kehle zuschnürte.
„Ich danke dir, Richard“, sagte William mit heiserer Stimme. Er löste sich aus der brüderlichen Umarmung und versuchte ein Lächeln. Doch es wirkte gezwungen. „Aber ich muss gehen.“
Richard räusperte sich. „Wir brauchen dich hier.“
Nein, das taten sie nicht. Nach dreißig Ehejahren gingen seine Eltern immer noch völlig ineinander und in ihrer Arbeit auf. Gareth Sommervilles Beschäftigung war es, Streitrösser zu züchten, während Lady Ariannas ungewöhnliche Lieblingsbeschäftigung die Goldschmiedekunst war, die sie ganz in Anspruch nahm. Richards Tage und Nächte waren von Mary und seinen Söhnen ausgefüllt.
William besaß nichts außer seinen Handelsgeschäften. Er arbeitete wie ein Besessener. Er suchte in fremden Häfen nach neuen Waren, mit denen er seine Kunden locken konnte, und überwachte dann den Schiffstransport nach England. Sein Arbeitspensum füllte jede seiner wachen Stunden aus und sandte ihn erschöpft zu Bett. Trotzdem fand er keinen Frieden. Im Schlaf, wenn er sich denn endlich einstellte, verfolgten ihn Träume. Träume, die von dem handelten, was hätte sein können.
„Ich werde oft schreiben und euch jedes Jahr besuchen“, versuchte William seinen Bruder zu beschwichtigten.
Aber nie während der verfluchten Weihnachtstage.
„Davonzulaufen sieht dir eigentlich nicht ähnlich“, meinte Richard argwöhnisch.
„Ich tue, was ich tun muss.“ Sonst werde ich noch verrückt.
„Ella würde es nicht wollen. Sie wollte …“
„Sag jetzt nicht, sie würde wollen, dass ich heirate“, knurrte William.
„So grausam bin ich nicht.“ Aber Richards Gesicht verriet, dass er es gedacht hatte. Jeder dachte so.
„Ich habe kein Interesse daran, eine andere Frau zu finden.“ Aber vor Williams innerem Auge tauchte das lebhafte Bild eines schönen, schmutzigen Gesichts mit stolzen, hellbraunen Augen auf. Das Gesicht der Gewürzdiebin.
Eine Woche hatten seine Männer gesucht und trotzdem keine Spur von ihr gefunden. In der Hoffnung, die Männer des Sheriffs könnten George Treacles Rechnungsbuch übersehen haben, war William selbst in den Laden des Händlers gegangen. Doch die Diebe, die ihn ermordeten, hatten es mitgenommen. So hatte William keine Möglichkeit herauszufinden, ob seine Diebin eine Kundin des alten Händlers war.
Ach was! Sie war eine Diebin und damit Schluss. Sie brachte es nur einfach besser fertig als die meisten, rührend zerbrechlich und aufrichtig auszusehen. Viel besser. Obwohl er sie beschimpft und sich abfällig über ihren Charakter geäußert hatte, wollte ein Teil von ihm gerne glauben, dass sie die Wahrheit sagte, dass sie keine Mörderin war, sondern eine Kaufmännin, die verzweifelt nach ihrer Ware verlangte.
Nach welcher Ware? George hatte ihm den Auftrag erteilt, dreißig verschiedene Kräuter und Gewürze für ihn einzukaufen. Manche davon waren selten … Myrrhe und Parietaria … was immer das sein mochte; andere, wie die Wurzel der Alraune, waren zwar teuer, aber weniger exotisch. Welche Gewürze brauchte diese Kindfrau so verzweifelt, dass sie den Gefahren trotzte, die nach Einbruch der Dunkelheit in den Londoner Docks lauerten? Dass sie, um sie zu erhalten, die glitschige Regentraufe hinaufkletterte und sich seinem Zorn stellte? Wenn er das wüsste, besäße er vielleicht einen Schlüssel. Zum Beispiel könnte er dann herausfinden, was für eine Art von Laden sie besaß.
Wenn sie denn einen besaß.
Gedankenverloren rieb William sich die Stelle, an der ihr Messer sein Kettenhemd durchbohrt und seine Spur hinterlassen hatte. Es war nur ein kleiner Stich, nicht mehr. Er setzte ihm weniger zu als die Erinnerung daran, wie er sie in den Armen gehalten hatte. Auch wenn es nur ein kurzer Augenblick gewesen war, konnte er das seltsame, berauschende Gefühl nicht vergessen, das ihn dabei erfüllt hatte.
Sicher war es nur der Triumph gewesen, eine Diebin gefasst zu haben. Ja, das musste der Grund gewesen sein, warum er so empfunden hatte. Die geheimnisvolle Frau faszinierte ihn derart, dass er in der vergangenen Nacht tatsächlich von ihr anstatt von Ella geträumt hatte. Mit hämmerndem Puls und brennender Lunge hatte er die Diebin durch dunkle, verwinkelte Gassen verfolgt. Stärker und schneller als sie hatte er sie schließlich erwischt. Aber als er in ihr erschrecktes Gesicht blickte, war die Wut verschwunden, die ihn angetrieben hatte.
„Helft mir“, hatte sie geflüstert.
„Sag es mir jetzt. Was brauchst du?“
„Euch“, hatte sie gemurmelt, und sein erstarrtes Herz...