Barbujani | Wer wir waren | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Barbujani Wer wir waren

Die Geschichte der Menschheit in 15 Porträts - Hochwertig ausgestatteter Band mit eindrucksvollen farbigen Abbildungen - Nominiert für das Wissensbuch des Jahres 2025
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-30886-5
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Geschichte der Menschheit in 15 Porträts - Hochwertig ausgestatteter Band mit eindrucksvollen farbigen Abbildungen - Nominiert für das Wissensbuch des Jahres 2025

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-641-30886-5
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Drei Millionen Jahre Evolution in 15 faszinierenden Gesichtern: Guido Barbujani erzählt anschaulich die Geschichte unserer Vorfahren und ihrer Lebensweisen

Über die evolutionäre Reise der Menschheit ist schon viel geschrieben worden. Der italienische Genetiker Guido Barbujani blickt so tief hinein in den Alltag unserer Vorfahren wie niemand zuvor. Anhand von fünfzehn lebensechten Rekonstruktionen von Steinzeitmenschen entführt er uns in die Welt von Homo erectus, der als Erster das Feuer zu beherrschen wusste. Wir tauchen ein in das Leben der kleinen Hominiden der Insel Flores in Indonesien, die später als »Hobbits« bezeichnet wurden, begleiten einen Neandertaler bei der Großwildjagd und staunen über die einzigartige und vielfältige Ausrüstung, die sich in Ötzis Gürteltasche fand. Auf der Grundlage von fossilen Funden, jahrtausendealten Gebrauchsgegenständen und Genomanalysen gewährt Barbujani vollkommen neue Einblicke in die Lebensweisen dieser frühen Menschen und führt uns zugleich vor Augen, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind. In geschenkfähiger Ausstattung mit 15 Farbabbildungen.

Guido Barbujani, geboren 1955, ist ein renommierter italienischer Populationsgenetiker, Evolutionsbiologe und Autor. Er hat für die State University of New York sowie Universitäten in Padua und Bologna gearbeitet und lehrt seit 1996 an der Universität von Ferrara. Auf Deutsch erschien von ihm bislang »Die Erfindung der Rassen. Wissenschaft gegen Rassismus« (2021).
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Weitere Infos & Material


1. Auf zwei Beinen: Australopithecus afarensis


Lucy l vor 3,3 Millionen Jahren

Lucy ist eine Berühmtheit. Von allen Vertretern von Australopithecus ist einzig von ihr heute noch die Rede, und das will einiges heißen. Doch zu Lebzeiten war sie nur eine von vielen. Dass ihr Schicksal, wie übrigens auch das der anderen Protagonisten in diesem Buch – außer dem Darwins –, in den Medien Furore machte, hat mit ihrem Tod zu tun, also damit, wie und wo sie gestorben ist. In Lucys Fall erscheinen die Umstände, unter denen sie ums Leben kam und durch die sie zu postumem Ruhm gelangte, besonders unglückselig. Versetzen wir uns in ihre Haut: Ein mühseliger Tag geht zu Ende, aber du fühlst dich wohl. Du hast einen vollen Magen, was nicht an jedem Abend vorkommt. Du gähnst. Mit halb geöffneten Augen überprüfst du ein letztes Mal die Lage in der Umgebung, denn man weiß ja nie. Die anderen sind friedlich und machen es sich zum Schlafen bequem. Jemand schnarcht bereits, während die letzten Sonnenstrahlen die Akazienstämme in ein rötliches Licht tauchen. Alles gut, aber unter deinem Rücken drückt etwas. Du drehst dich um, um dir Erleichterung zu verschaffen. Dein Fuß gleitet vom Ast ab, und plötzlich steht deine Welt kopf, während dein Arm noch einen Viertelkreis beschreibt, deine Hand aber ins Leere greift. Du hörst einen Schrei, wohl deinen eigenen, und schon saust du in einem »tollen Fluge«, wie es bei Dante so schön heißt, deinem letzten, in die Tiefe.

Du verschwendest keinen Gedanken an die Nachwelt, als du am Boden zerschmetterst, aber die Nachwelt wird sich für dich interessieren. Lucy ist ein Star, weil ihre Spezies, die Erste ist, von der wir mit Sicherheit sagen können, dass sie wie wir auf zwei Beinen ging. Ob sie wirklich die einzige war, ist keineswegs ausgemacht. Wir wissen es nicht. Und es ist auch nicht gesagt, dass sich ihre Vertreter darin als besonders geschickt erwiesen, trotz Millionen von Jahren, in denen sie sich daran versuchten. Offenbar zogen sie sich in ihrer Unbedarftheit des Nachts wieder auf die Bäume zurück, weil sie sich oben sicherer fühlten. Und so starb Lucy, einer glaubwürdigen Rekonstruktion des Hergangs zufolge, eben durch einen Sturz von einem Baum. Sie blieb auf dem Boden liegen, weil in jener Zeit an eine Bestattung noch längst nicht zu denken war. Über ihr lagerte sich eine geologische Schicht nach der anderen ab, sackte manchmal ab und wurde unter weiteren begraben. Und eines Tages kamen zwei Paläontologen vorbei, von denen sie einer entdeckte. Nach Millionen Jahren ertönte ein zweiter Schrei, aber diesmal keiner aus Todesangst, sondern einer des Triumphs. Und bald wurde Lucy weltberühmt.

Wenn man sie so sieht, scheint Lucy zu lächeln. Sie schmunzelt. Der Anflug von Sympathie, den ihr verschmitzter Gesichtsausdruck auslöst, wird allerdings durch ihre mächtigen, borstigen, nach vorn zulaufenden Koteletten gedämpft. Diese Favoris erinnern an die Mode des späten 19. Jahrhunderts, im Gegensatz zu ihrer stark abgeflachten Nase und ihrer Hautfarbe, die nur um die Lippen herum (auf denen Lucy nachdenklich herumzukauen scheint) etwas heller ist. Und erst die Stirn. Die Rekonstruktion zeigt Lucy kokett: Sie legt den Kopf zurück, wie um zu verbergen, dass diese Stirn zurückweicht und zur Gesichtsebene einen markanten Winkel bildet … Nichts zu machen: Wenn wir Lucy so sehen, erscheint sie uns nahe und fern zugleich. Wie könnte es anders sein? Gut drei Millionen Jahre zeitlicher Abstand sind keine Kleinigkeit. Aber blenden wir ein Stück zurück.

Dass wir über das Äußere und die Lebensweise unserer fernen Vorfahren etwas sagen können, verdanken wir drei Informationsquellen: fossilen Überresten, die aus einem Zeitraum von mehreren Millionen Jahren stammen, archäologischen Artefakten, die bis zu zwei Millionen Jahre alt sind und damit aus einem Zeitraum seit Beginn des Paläolithikums stammen, sowie DNA, die höchstens ungefähr 100 000 Jahre alt ist, weil noch älteres Erbmaterial in zu schlechtem Zustand ist, um es für die Forschung zu verwerten. Aber die herausragende Bedeutung des für unsere Geschichte beruht auf einem Fund, der in keine dieser Kategorien fällt: auf einer Reihe von Spuren, die über drei Millionen Jahre alt sind.

Entdeckt wurden diese von einer von Mary Leakey geführten Gruppe von Paläontologen im tansanischen Laetoli nahe dem heute erloschenen Vulkan Sadiman. Für lange Zeit war dieser jedoch aktiv gewesen und hatte getan, was feuerspeiende Berge tun: Er stieß immer wieder Lava und Asche aus, die die gesamte umliegende Gegend unter sich begruben. Laut einer Geschichte, die wie erfunden wirkt, aber von verschiedenen Quellen bestätigt wird, wurde Andrew Hill, ein Mitglied von Mary Leakeys Team, von seinen Gefährten mit Elefantendung beworfen. Ablenkungen gab es dort offenbar kaum, sodass nach allem gegriffen wurde, was sich anbot. Tatsache ist, dass sich Hill, um einem Treffer zu entgehen, zu Boden warf, wodurch er die Asche der sogenannten Fundstelle G von Laetoli direkt vor der Nase hatte. Ihm fiel auf, dass die sich darin abzeichnenden Spuren – anders als gedacht – nicht nur von Antilopen und Gazellen stammten: Eine rührte offenbar von einem menschlichen Fuß her. 1978, nach vier Jahren Arbeit, wurde ein 27 Meter langer Brocken aus ausgehärteter Vulkanasche freigelegt, mit 88 erhaltenen Fußspuren von Geschöpfen, die zweifelsfrei auf zwei Beinen gegangen waren. Ihre einstigen Besitzer hatten große Zehen, die nicht wie bei den Schimpansen abgespreizt waren, sondern parallel zu den anderen verliefen. Um das Alter dieser Abdrücke zu bestimmen, standen präzise Methoden zur Verfügung, mit denen sich der Tuff datieren ließ: Sie waren vor 3,6 Millionen Jahren entstanden. Die einzige Kreatur, die zur damaligen Zeit an diesem Ort über diese Asche gegangen sein konnte, war eben der

Auch wenn uns Menschen die sogenannte Bipedie – also die Fähigkeit, aufrecht zu stehen und zu gehen – aus Gewohnheit ganz selbstverständlich erscheint, ist sie unter Wirbeltieren wenig verbreitet. Zu den Beispielen außerhalb unseres Stammbaums und ohne die Vögel, die eine andere Entwicklungsgeschichte haben, zählen Kängurus und bestimmte Dinosaurier, aber sie bewegen beziehungsweise bewegten sich zweibeinig anders als wir fort. Sie haben einen massigen Schwanz, der als Gegengewicht dient, wenn sie beim Gehen oder Laufen den Rumpf nach vorn beugen. Ohne Schwanz aufrecht zu gehen, ist eine Besonderheit des Menschen, die enorme Konsequenzen hatte. Dazu brauchte es im Skelett und in der Muskulatur tiefgreifende Veränderungen, die nicht nur von Vorteil waren, wie wir noch sehen werden. Zwar stimmt es, dass auch Schimpansen, Gorillas und Bären einige Schritte auf zwei Beinen gehen können, aber dies ist nicht ihre übliche Art der Fortbewegung. Das Gehen bedeutet einen ständigen Balanceakt, dessen Beherrschung zwangsläufig starke Gesäßmuskeln (die Schimpansen nicht haben), eine andere Ausrichtung des Beckens und vor allem eine veränderte Struktur der Wirbelsäule erfordert. Bei Vierbeinern bildet diese einen horizontal verlaufenden Bogen, unter dem der Brustkorb und die inneren Organe liegen: Das funktioniert gut. Aber mit dem Erwerb des aufrechten Gangs hängt der Brustkorb mit seinem Gewicht nun vorn am Körper, wo es ein einigermaßen gewiefter Konstrukteur niemals platziert hätte. Die Evolution verfährt mit Vorhandenem bekanntlich nach ihren Möglichkeiten: Im Lauf der Zeit krümmte sich die Wirbelsäule im Lendenbereich, um die Lasten klüger zu verteilen, was aber – wie wir nur zu gut wissen – noch nicht ausreicht, um uns Hexenschuss, Ischias und Schmerzspritzen zu ersparen. Damit auch die Gesäßmuskeln Platz fanden, veränderte sich das Becken und wurde schmaler. Dadurch wurde das Gebären beim Menschen schwieriger als bei Gorillas oder Schimpansen. Für den Erwerb des aufrechten Gangs bekamen wir also eine saftige Rechnung serviert: Wenn es uns trotz dieser Kosten heute noch gibt, kann das nur heißen, dass die Vorteile gegenüber den Nachteilen überwogen. Darauf werden wir in den nächsten Kapiteln zurückkommen.

Als bestimmte unserer Vorfahren auf zwei Beinen zu gehen begannen, spaltete sich ihre Entwicklung in zwei Linien auf, von denen die eine zu uns und die andere zu den Schimpansen führt. Wir wissen nicht mit Sicherheit, wann dies geschah. Aber bekannt ist, dass sich in Afrika, wo die gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse lebten, vor sechs Millionen Jahren das Klima veränderte. Statt heiß und feucht wurde es von Osten her immer trockener. Als Folge veränderte sich die Vegetation. Der Wald wich allmählich der Savanne, aus der hohe Bäume weitgehend verschwunden waren. Wie diese Veränderung der Umwelt hat sich auch die Reaktion unserer Vorfahren auf die neuen Verhältnisse über Jahrtausende vollzogen: Ein Teil der gemeinsamen Ahnen von Mensch und Schimpanse wagte sich immer häufiger in die Savanne hinaus und musste sich an die neue Umgebung anpassen, während der andere Teil in den noch bewaldeten Zonen verblieb. Wir stammen von den Erstgenannten ab. Während Baumkronen einen gewissen Schutz bieten, ist es in der Savanne überlebenswichtig, herannahende Fressfeinde möglichst schnell zu entdecken. Wer auf zwei Beinen steht, überblickt das umliegende Gebiet besser und kann rechtzeitig die Flucht ergreifen. Dies war vielleicht (vielleicht) der Hauptgrund, weshalb sich die Bipedie in dieser neuen Umgebung herausgebildet hat.

Vor etwas mehr als 3,5 Millionen Jahren haben...


Barbujani, Guido
Guido Barbujani, geboren 1955, ist ein renommierter italienischer Populationsgenetiker, Evolutionsbiologe und Autor. Er hat für die State University of New York sowie Universitäten in Padua und Bologna gearbeitet und lehrt seit 1996 an der Universität von Ferrara. Auf Deutsch erschien von ihm bislang »Die Erfindung der Rassen. Wissenschaft gegen Rassismus« (2021).



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