Buch, Deutsch, 186 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 210 mm, Gewicht: 218 g
Reihe: Janus Wissenschaft
Zur Methodologie der Diskursanalyse nach Michel Foucault und Pierre Bourdieu
Buch, Deutsch, 186 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 210 mm, Gewicht: 218 g
Reihe: Janus Wissenschaft
ISBN: 978-3-938076-43-9
Verlag: Janus Projekte
Autoren/Hrsg.
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort 9
1. Einleitung 17
2. Forschungsstand 19
2.1. Derzeitiger Forschungsstand im Bereich der Diskursanalyse19
2.2. Definitionsversuche des Diskursbegriffs 20
3. Diskursanalyse des frühen und des späten Michel Foucault 31
3.1. Am Morgen: Von Regeln und Aussagen(énoncés) – Episteme und System 31
3.2. Am Mittag: Ein Materialismus des Unkörperlichen – Von Marx und der Diskursproduktion 42
3.3. Am Abend: Von der Äußerung (énonciation) – Denken, Handeln und parrhesia 54
3.4. Von den Kritiker*innen 63
3.4.1. Vernunft, Wahnsinn und Nietzscheanismus 64
3.4.2. Nach Davos: Cassirer oder Heidegger 68
3.4.3. Humanismus, Antihumanismus, (allumfassende) Macht und Normen 73
3.4.4. (Neo-)Konservatismus, (Neo-)Faschismus und (Neo-)Liberalismus 77
4. Bourdieus praxeologische Wende der Diskursanalyse als (mediale) Soziolinguistik 87
4.1. Am Morgen: Theorie der Praxis in der Kabylei – Diskursanalyse der symbolischen Formen und des symbolischen Kapitals 88
4.2. Am Mittag: Das, was das Sprechen sagen will – Diskursanalyse als pragmatisch orientierte Diskurssoziologie 99
Alessandro Barberi – Von der Performanz 5
4.3. Am Abend: Praxis der (Staats-)Theorie – Diskurspragmatisches Gegenfeuer im Elend der Welt 119
4.4. Von den Kritiker*innen 134
4.4.1. Kritik à la française: Jacques Rancière und Michel de Certeau 134
4.4.2. Macht- und Gesellschaftskritik: Bourdieu und die Frankfurter Schule 147
4.4.3. Bourdieu und der Marxismus: Zur Frage des ökonomischen Imperialismus 156
5. Conclusio 163
6. Literatur 169
Vorwort
Die Methode der Diskursanalyse ist nach wie vor in aller Munde. Eine einheitliche Definition des Diskurses scheint indes auch nach jahrzehntelangen akademischen und nicht-akademischen Disku(r)ssionen weder epistemologisch bzw. erkenntniskritisch abgesichert noch in den interessierten Communitys konsensual gegeben zu sein. Dies liegt vor allem am disziplinären Auseinandertreten von Linguistik bzw. Literatur- und Sprachwissenschaft hier und Sozial- bzw. Kulturwissenschaft dort. Werden Diskurse einerseits (und unbestreitbar) in einem konstruktivistischen Sinne als konstitutiv für den sozialen Raum und den inneren Aufbau einer gegebenen Kultur begriffen, werden sie andererseits – etwa in der (poststrukturalen) Sozialgeschichte oder der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) – auf ihre sozialen Bedingungen und Kontexte hin befragt. Steht auf der eher theoretischen und transzendentalen Seite der von Kant herkommende Begriff der „Möglichkeitsbedingung“ für die epistemologisch reflektierte(n) diskursive(n) Voraussetzung(en) und Konstitut-ion(en) des Sozialen und des Kulturellen, so steht auf der eher praktischen und empirischen Ebene der von Marx herkommende Begriff der „Produktionsbedingung“ nach wie vor im Raum. Die folgenden Ausführungen zur Methodologie der Diskursanalyse verstehen sich demgemäß als ein Versuch, das Auseinanderfallen von Denken und Handeln zu unterwandern, um die Polarität von Text und Kontext insofern dialektisch zu überbrücken, als Diskurse und Texte aus sich selbst heraus ein soziales und kulturelles Gewebe darstellen, wie umgekehrt Gesellschaften und Kulturen soziologisch, ethnologisch bzw. anthropologisch „gelesen“ – also gedeutet und interpretiert – werden können wie Textkorpora oder historische Quellen.
Angesichts der aktuellen Debatten zur Diskursanalyse und der Rezeption der französischen Wissenschaftsgeschichte im deutschspraAlessandro
Barberi – Von der Performanz 7
chigen Raum erschien es demgemäß plausibel, dieses Auseinandertreten einer eingehenden Analyse und Diskussion im Blick auf Michel Foucault und Pierre Bourdieu zu unterziehen. Denn durch eine Überkreuzung der Arbeiten von Foucault (Text, Diskurs, Sprache, Institution) und Bourdieu (Handlung, soziale Struktur, Gesellschaft) lässt sich das soeben genannte Problem auf höchstem Niveau vor Augen führen und einer epistemologischen und empirischen Klärung näherbringen. Legte der frühe Foucault über den Begriff der (historischen) Möglichkeitsbedingung(en) den Akzent auf den Umstand, dass unbewusste Archive im Sinne des historischen Apriori gleichsam im Rücken der Akteur*innen handlungskonstitutiv sind, entwickelte der späte Foucault eine handlungsorientierte Widerstandslehre parrhesiastischer Sprechakte, in denen Denken als Handeln und Handeln als Denken firmiert. Spätestens hier ergibt sich angesichts der Forschungen von Bourdieu die Möglichkeit, die Foucaultsche Dopplung von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken mit Bourdieus Praxeologie dialektisch zu verknüpfen, um in einer allgemeinen Handlungstheorie als Philosophie der Praxis im Sinne Marxens die Lösung der Polarität von Text und Kontext zu erblicken, da einzig und allein Akteur*innen in ihren Handlungen und d. i. (Diskurs-)Praktiken Sprache im Sprechen aktivieren und (re-)produzieren.
Angesichts dieses Umstands ist es auch in den Sozial-, Kultur- und Medienwissenschaften buchstäblich entscheidend, welche Sprachkonzeption bzw. Modellierung dem eigenen diskursanalytischen Vorgehen supponiert wird. Erachten wir etwa im Sinne des Saussureschen Strukturalismus die Ebene der individuellen Äußerung (fr. énonciation) und des Sprechens (fr. parole) als reinen Oberflächeneffekt einer unbewussten Aussage (fr. énoncé) und der Sprache (fr. langue), ist also das Regelsystem gänzlich determinant, bleibt von den Optionsspielräumen der Akteur*innen und den Imponderabilien ihrer Praxis genau nichts übrig und die unendliche und zukunftsoffene Varianz, Variabilität und Poiesis des menschlichen Sprechens gerät struktural aus dem Blick. Dementgegen insistieren die folgenden Ausführungen 8
– im Einklang mit zahlreichen bereits vorgelegten Forschungen – auf der Erkenntnis, dass einzig in der Performanz – und damit auf der Ebene der Diskurspragmatik – eine schlüssige Theorie der Sprache (Kompetenz) und des Sprechens (Performanz) modelliert werden kann, da nur im gesprochenen Wort Sprache empirisch wahrnehmbar und physikalisch messbar ist. Da diese Arbeit im Umfeld der Medienpädagogik ausformuliert wurde, hat diese sprachphilosophische Erkenntnis direkte Auswirkungen auf die Diskussionen zu Medienperformanz und Medienkompetenz, wobei hier vorgeschlagen wird, Letztere aus Ersterer abzuleiten und zu erklären und nicht – wie oftmals üblich – umgekehrt.
Die genannte sprachphilosophische Erkenntnis spielt durchaus in diesem Sinne in verschiedenen Wissenschaftskulturen und Paradigmen eine entscheidende Rolle, weshalb etwa angesichts der (zuallererst französischen) Debatten zu Strukturalismus und Poststrukturalismus eine Diskurspragmatik hervorgehoben werden kann. Auch die Analytische Philosophie (und mit ihr die Theorie des Sprachgebrauchs nach Wittgen-stein) bzw. die Sprechakttheorie von Austin und Searle müssen dabei genauso Berücksichtigung finden, wie die Bestände der Transzendentalpragmatik nach Apel und Habermas oder der Symbolische Interaktionismus, der seinerseits auf den amerikanischen Pragmatismus verweist. Wird die Theorie der pragmatischen Ebene der Performanz – also der diskursiven Handlung – als elementar und konstitutiv für die Methodologie der Diskursanalyse erachtet, verschwindet auf sprachphilosophischer Ebene streng genommen auch der disziplinäre Gegensatz von Linguistik und Soziologie, weil Sprechen (auch im individuellen Vollzug des mentalen Reflektierens und Nachdenkens) immer sozial ist, wie eine gegebene Gesellschaft oder Kultur sich nur über das Symbolische, also die Sprache im Sprechen stabilisieren und (re-)produzieren kann. In der Performanz konkretisiert sich mithin á la lettre eine Sozio-Linguistik. In diesem Zusammenhang ist es intellektuell entscheidend, ob die Regel der Sprache dem Sprechen vorgeordnet ist, oder sich – wie nach WittAlessandro
Barberi – Von der Performanz 9
gensteins Theorie des Sprachspiels – in der Praxis des Sprechens bzw. des Spielens handlungsorientiert vollzieht. Von hier her hat auch Bourdieu die unbewusste Regel der Sprache in die Regelmäßigkeit des Sprechens (und damit des Handelns) verlegt und mithin das Diskursive und das Soziale in einer Diskurs-Soziologie verbunden und synthetisiert.
In diesem Sinne werden die Gesamtwerke der beiden Diskursanalytiker Foucault und Bourdieu ihrerseits selbstreflexiv einer Diskursanalyse unterzogen, um erstens den inneren Aufbau ihrer Theoriebildung zu beschreiben, zweitens den Kritiker*innen an ihren jeweiligen Diskurskonzeptionen das Wort zu erteilen und drittens zu diskutieren, welche politischen Konsequenzen sich aus den jeweiligen Annahmen, Axiomen, Voraussetzungen und Begriffen ergeben. So ist von mehreren Seiten der „anarch(ist)ische“ Zug von Foucaults politischen Engagements hervorgehoben worden, die mit der Bourdieuschen Verteidigung des Sozial- und Wohlfahrtsstaats nur bedingt vermittelt werden kann. Vor allem angesichts der Tatsache, dass sich im deutschsprachigen Raum reaktionäre Kräfte auf Foucault berufen, werden deshalb in dieser Arbeit seine philosophischen Investitionen in die (Nicht-)Philosophie Nietzsches und Heideggers systematisch distanziert, um mit Foucault gegen Foucault widerständig zu denken und darin schlussendlich bei Bourdieu eine Bestätigung zu finden. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – verstehen sich die folgenden Ausführungen auch als eine linke Widerstandslehre, in der die individuellen Strategien der Entunterwerfung (fr. déassujettissement) Foucaults an der Seite von randständigen Subjekten (Gefangene, Wahnsinnige, infame Leben etc.) mit den kollektiven Organisationsformen von Bourdieus Gegenfeuer (fr. contre-feux) an der Seite von streikenden Arbeiter*innen oder Papierlosen zusammenfallen. In diesem Sinne sind politisch betrachtet alle folgenden Ausführungen einem (vor allem in Frankreich üblichen) intellektuellen Zusammenfallen von Scholarship und Commitment gewidmet, das die abstrakte Gelehrsamkeit im politischen Engagement konkret werden lässt, um 10
im Allgemeinen wie Besonderen gesellschaftliche (Ver-)Änderungen im Sinne des Neomarxismus zu bewirken.
Es handelt sich bei diesem Text um eine eigenständige Abhandlung zur Methode, die meiner am 12. Oktober 2018 an der RWTH in Aachen verteidigten Promotionsschrift Performanz und Medienkompetenz. Dieter Baackes Grundlegung der Medienpädagogik als Diskurspragmatik vorangestellt wurde und als epistemologischer Leitfaden diente. Zum weiteren diskursanalytischen und medienpädagogischen Verständnis der in diesem Band präsentierten theoretischen und methodologischen Arbeit sei deshalb kurz auf die Online-Version meiner Promotionsschrift auf dem Server der RWTH Aachen verwiesen (http://publications.rwth-aachen.de/record/745830). Ende 2019 erschien parallel zur hier vorgelegten Theoretisierung der Performanz in Wien bei new academic press eine ebenfalls aus meiner Promotionsschrift ausgekoppelte eigenständige Monografie mit dem Titel Diskurspragmatik, Medienkompetenz, Emanzipation und Freiheit. Dieter Baackes „Kommunikation und Kompetenz“. Eine diskursanalytische Tiefenanalyse (Barberi 2019). Dieser Band führt u. a. die diskurs- und zeitgeschichtliche Umsetzung der hier vorgelegten Methodologie vor Augen, indem ausgehend von Dieter Baackes Habilitationsschrift Kommunikation und Kompetenz (1973) sein von mir eigens digital erstelltes Gesamtwerk zwischen Close und Distant Reading eingehend untersucht wurde. Die Isolierung der Performanz soll dabei den Begriff der Medienkompetenz um jenen der Medienperformanz erweitern.
Dabei hoffe ich sehr, dass die hier ausgeführten Gedanken und (epistemologischen bzw. erkenntniskritischen) Grundlegungen einer Methodologie der Diskursanalyse auch aus transdisziplinärer Perspektive über den eigensten Bereich meiner (nunmehrigen) Disziplin der Medienpädagogik hinausreicht und auch Kolleg*innen anderer Fächer im Streit der Fakultäten als nützlich erscheint. So meine ich, dass aus medientheoretischer bzw. medienwissenschaftlicher Sicht diese Abhandlung zur näheren Bestimmung des „Primärmediums“ Alessandro Barberi – Von der Performanz 11
des Diskurses (und mithin des Symbolischen) im offenen Verbund der Sozial-, Kultur- und Medienwissenschaften verankert werden kann, um in einem tatsächlich interdisziplinären Rahmen diskutiert werden zu können.
Mein (angesichts vieler anderer wichtiger Kolleg*innen, Freund*-innen und Wegbegleiter*innen nur verkürzter) Dank gilt hinsichtlich der hier vorgetragenen Argumente vor allem Christian Swertz, Reinhard Sieder, Sven Kommer und Norbert Meder, auf deren Arbeiten ich hier aufbaue und die meine Thesen und Erstentwürfe durch ihre unbestreitbare Intelligenz und Kompetenz erst fruchtbar und performant werden ließen. Magdalena Matzneller, Thomas Ballhausen und Christian Zolles danke ich mit größtem Respekt vor ihren philologischen Fähigkeiten für den letzten Schliff, den dieses Buch nur durch sie bekam. Meiner Familie (Giuseppe und Renate Barberi, Mario Barberi und Renate Bartacek) möchte ich für jahrelange mentale und menschliche Unterstützung danken, die dieses Buch erst möglich werden ließen. Ganz demgemäß möchte ich in aller Kürze (im Positiven wie Negativen) allen Kolleg*innen, Freund*innen und Wegbegleiter*innen danken, die sich meine Argumente angehört, sie kritisch erweitert und sie und mich emotional gefestigt haben. Dabei sind mir vor allem die Teams der Wiener Medienpädagogik (Christian Swertz, Alexandra Forstner, Alexander Schmölz, Pelin Yüksel, Sarah Braun, Ken Niles u. a.) und der MEDIENIMPULSE (Katharina Kaiser-Müller, Christian Berger, Ruth Sonderegger, Christian Swertz, Petra Missomelius, Thomas Ballhausen, Rosa Danner u. a.) eine unendliche intellektuelle Stütze, die meine wissenschaftlichen Höhenflüge nach wie vor zu einem täglichen Abenteuer machen. Für eine umfassendere Danksagung, die durchgängig auch für dieses Buch gilt, will ich auf die oben genannte online zugängliche Version meiner Promotionsschrift verweisen, in der ich den (immer zum Scheitern verurteilten) Versuch unternommen habe, möglichst allen Menschen zu danken, die meinen Weg begleitet und gekreuzt haben. Auch und vor allem möchte ich dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung 12
(FWF) meine Dankbarkeit aussprechen, da er die für diese Abhandlung nötigen Forschungen durch eine großzügige Projektförderung erst möglich gemacht hat. Ihnen allen – und all den nicht Genannten – gilt mein herzlichster und aufrichtigster Respekt und Dank. Auf zu neuen Ufern!
Alessandro Barberi
Wien, den 01.12.2019