E-Book, Deutsch, 286 Seiten
Ball-Hennings Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau
1. Auflage 2020
ISBN: 978-87-26-61487-9
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 286 Seiten
ISBN: 978-87-26-61487-9
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In der Fortsetzung von 'Blume und Flamme' erzählt Emmy Ball-Hennings ihre Lebenserinnerungen weiter: Bisweilen poetisch im Ausdruck und voller Humor berichtet die Autorin, die nicht immer einen gradlinigen Weg ging, von den Stationen in ihrem Leben sowie von den Menschen, denen sie dabei begegnet ist. Erst als sie ihre große Liebe, den Schriftsteller Hugo Ball, fand, fand sie auch zu sich selbst.-
Emmy Ball-Hennings (1885-1948) war eine deutsche Schriftstellerin, Kabarettistin und Schauspielerin. Sie wuchs in Flensburg auf und spielte zunächst in verschiedenen Theatergruppen in Schleswig-Holstein. Zwischenzeitig lebte sie u.a. in Berlin, wo sie ebenfalls auftrat. Zusammen mit ihrem späteren Mann Hugo Ball und anderen Künstlern war sie 1916 Mitbegründerin des Dadaismus und des 'Cabaret Voltaire' in Zürich.
Autoren/Hrsg.
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Zweites Kapitel
DIE EHE Wenn ich darüber nachdenke. . .
O, wie gern würde ich in diesem Kapitel eine niewiederkommende Seligkeit ein für allemal beschreiben, das Paradies der Ehe, ohne vergiftete Früchte, ohne Vertreibung, ohne Racheengel. Eine Mustergemeinschaft zwischen Mann und Frau möchte ich entwerfen, dazu das Pfand der Liebe, das Kind in der Mitte, so daß möglichst viele an dieser kleinen Dreieinigkeit auf Erden ihre Freude haben sollten. Alle Ehepaare, die mein Buch lesen, müßten ihr Glück gleichsam noch einmal in meinem Glücke lesen. Für Unerfahrene müßte es ein diskreter, aber sicherer Ratgeber sein, mit unendlich vielen kleinen Hinweisen in strittigen Fragen. Vielleicht müßte es eine Art Kochbuch sein, und besonders der geistige Wochenspeiseplan müßte berücksichtigt werden, der tägliche Umgang zwischen Mann und Frau, die Hausmannskost, die sie sich gegenseitig zu bieten haben. Etwa folgendermaßen: Man nehme vom Mehl des guten Willens dreihundert Gramm und, wenn’s nötig ist, noch etwas mehr, zumal es nie rationiert werden wird. Ferner nehme man zweihundert Gramm Nachgiebigkeit von der feinsten Sorte, damit der Geschmack sich nicht vordrängt, weil die zu merkliche Nachgiebigkeit den Partner mehr verstimmt als erfreut, Man nehme eine Prise Lächeln, dazu die gute Würze eines gesunden, gutmütigen Humors, dann das nahrhafte Ei der Liebe, das stets frisch sein sollte, und dies verbunden und verrührt mit der sanften Milch der Bescheidenheit. Bei nicht zu starkem, aber auch nicht zu schwachem Lebensfeuer dürfte dies Gemisch eine bekömmliche Speise sein. Aber gerade jene Lebensmittel, die man nicht für Geld haben kann, erscheinen uns unerschwinglich. Man findet sie seltener, als man annimmt. In meinem eigenen Haushalt stand es jedenfalls etwas knapp damit, und darum darf ich keine Ratschläge erteilen. Verstünde ich dagegen trefflich zu schildern, was mir alles angebrannt und verkocht ist, könnte dies von Nutzen sein, denn es ist schon etwas wert, wenn man weiß, wie man es nicht zu machen hat. Ein Ehekapitel sollte eigentlich von zwei Personen geschrieben werden, damit Mann und Frau beide zu Worte kommen. Wie gern würde ich meinem Manne die Feder in die Hand drücken: «Bitte, Liebling, teile mal mit, wie es dir vorgekommen ist.» Er aber ist nicht mehr da, und über Abwesende muß man noch schonungsvoller sprechen als über Anwesende. Die Ehe kann eine Streitfrage sein und ist doch kein Rechtsfall, und wo es nicht klappt, erscheint es mir töricht, nach dem schuldigen Teil zu fragen. Jeder Übergriff, jeder kleine Eingriff, den wir uns dem Ehepartner gegenüber leisten, an seinem Wesen, an seiner Eigenart, rächt sich vor allem an uns selber, wie das Gute, das wir ihm erweisen, sich lohnt. Es scheint also eine natürliche Gerechtigkeit in der Ehe zu geben, aber man darf nicht danach fragen. Gerade derjenige Teil, der im Streitfälle immer recht behalten will, es wohl auch hat, gerade der ist im Unrecht. Der Klügere gibt nicht nach, und wie man’s macht, ist’s falsch. Fast jedes Sprichwort läßt sich in der Ehe umdrehen, es ist die reine Hexerei. Um sicher zu gehen, würde ich sehr gern dieses Kapitel überspringen, streichen, negieren und kühn behaupten, ich sei nie verheiratet gewesen. Eine Ehe zu beschreiben, ist beinahe ebenso schwierig als sie zu führen. Es ist jedenfalls ein Griff ins Ungewisse, den ich wagen muß. Hoffen mag ich, daß diese Beklemmung, die mich anfällt, nur ein Tunnel ist, ein dunkler Engpaß, der zu einer neuen Weite führt, denn etwas Ähnliches war mir die Ehe. Es ließ sich zunächst ganz rosenrot an. Hier ist der Anfang leicht. Meine Mutter hatte uns ihre Wohnung in der Dorotheenstraße überlassen und sich selbst in unser kleines Haus, in mein Elternhaus in der Vorstadt, zurückgezogen. Sie überließ mir fast alle Möbel, die mir seit meiner Kindheit an vertraut waren. Da hatte ich also in meiner Wohnstube die grüngeblümt bezogenen Stühle, das große Sofa mit den Fransen an der Seite, jene Fransen, aus denen ich als kleines Mädel Zöpfe flocht. Die Etagere hatte Mutter mir gelassen, auf der die bunte Nippesfigur stand, die kleine Schäferin, die ein tiefgrünes Röckchen trug, das gestreifte Schürzchen und über der weißen Bluse das bunt verschnürte Mieder. Daß mir dies kleine Figürchen jetzt gehörte, an sich ja eine Kleinigkeit, aber was mich einst als Kind beglückte, beglückte mich noch einmal als junge Frau. Daß ich «mein» sagen durfte zu allem, was sich in meiner Wohnung befand. Die Betten mit den geschnitzten Weintrauben, die frisch lackiert wurden, es machte mir eine ähnliche Freude wie als Kind die Puppenstube, die Mutter mir zu Weihnachten schenkte. Eine Wäschetruhe bekam ich, die Mutter selbst bezogen hatte. Das war etwas sehr Vornehmes, etwas Neues für mich und doch auch wiederum nicht neu. Die Wäschetruhe war bezogen mit einem Stoffrest unserer früheren Wintergardinen. Grüne Zweige, kleine Bäume, in denen die bunten Vögel singend saßen. Noch immer hielten sie die Köpfchen ein wenig nach oben gestreckt und die Schnäbelchen wie zum Singen geöffnet. Alle Vögel sind schon da, alle Vögel, alle. . . Es bewegte mich sehr, daß meine Mutter mir ihre schönsten Sachen geben wollte und sich einschränkte um meinetwillen. Sie sprach oft so, als hätte sie weniger Recht auf die Annehmlichkeiten des Lebens als ich. Als ich sie während des Einrichtens meines Haushaltes oft fragte: «Mutter, sag, was bleibt dir, wenn du mir alles gibst?» dann entgegnete sie: «Ach, jetzt hast du nicht an mich zu denken. Ich geh ja doch bald aus dem Leben heraus und du gehst erst in das Leben hinein.» Dann konnte ich wohl etwas bange erwidern: «Man kann es nicht wissen, ob es das Leben ist. Ob es das wirklich und richtig ist.» Wie munter sie da antwortete: «Natürlich ist es das. Was denn sonst? Du hast dir dein Los selbst gewählt und mußt dazu stehen.» Ich hatte ja auch den guten Willen dazu und war fest entschlossen, etwas Vernünftiges aus meiner Ehe zu machen, aber ich war noch so jung, wahrscheinlich zu jung für die Ehe. Zu kochen verstand ich schon, das hatte ich gelernt. Auf diesem Gebiet hatte ich mir daheim und auch im Hotel genügend Kenntnisse angeeignet, doch mußte ich gleich von Anfang umlernen. Da hieß es dann etwa: «Meine Mutter hat die Klöße ganz anders zubereitet. So und so, und sie und so.» Wie denn, das konnte natürlich Gaute nicht angeben, und ich mußte mich bei meiner Schwiegermutter nach sämtlichen Lieblingsspeisen meines Mannes erkundigen. Das tat ich selbstverständlich gern, aber Gaute hielt mir doch etwas zu oft seine Mutter als Beispiel vor, so daß ich hin und wieder ziemlich scharf bemerkte: «Ich bin nicht deine Mutter, sondern deine Frau.» Doch will ich zugeben, daß es für einen verwöhnten einzigen Sohn nicht ganz leicht ist, sich von seiner Mutter zu lösen. Und meinem Gaute fiel dies offenbar besonders schwer, obwohl es sich nur um Kleinigkeiten handelte. Meine Schwiegermutter nun, sonst eine sehr liebe Frau, mit der ich gut auskam, fühlte sich recht geschmeichelt, daß ihr Gaute sich eine Frau durchaus nach ihrem Muster wünschte, und stand infolgedessen immer auf der Seite ihres Sohnes, und zwar so, daß ich nie recht dazu kam, auch gelegentlich meine Mutter auszuspielen, die doch auch eine tüchtige Hausfrau war und von der ich viel gelernt hatte. Also versuchte ich meine Schwiegermutter in der Führung meines Haushaltes möglichst nachzuahmen, was mir denn auch bis zu einem gewissen Grade gelang. Hier verstand ich Gaute allmählich zufriedenzustellen. Es heißt in der Bibel, der Mann wird Vater und Mutter verlassen, um seinem Weibe anzuhangen. Gewiß wünschte ich nicht, daß Gaute seine Mutter vergaß und verließ, denn jener Mann, der seine Mutter hochachtet, wird diese Achtung auch auf seine Frau übertragen, und wenn mir die Überbetonung seiner Mutter auch manchmal lästig war, so gefiel sie mir doch andererseits sogar sehr. Es war. indessen etwas ganz anderes, was mich schon im ersten Monat meiner Ehe bedrückte. Es war etwas, was ich mir selbst heimlich zum Vorwurf machte. Ich hatte Gaute vor meiner Heirat nicht genügend kennengelernt. Um es genau zu sagen, ich wußte nicht viel mehr von ihm, als daß er ein sehr schöner Mensch war, zu dem meine Sinne mich hingezogen hatten. Seine reizvolle Erscheinung hatte mich nicht darauf achten lassen, was für ein Kern in dieser schönen Hülle steckte. Jetzt war ich, mir kaum bewußt, bemüht, meine Verliebtheit in Liebe zu verwandeln. Helga kommt mit dem Atheismus nicht voran
Die nachfolgenden Schilderungen werden vielleicht etwas drollig klingen, aber die Sache selbst, die dahinter steht, war und bleibt tiefernst. Gaute war Atheist, Sozialist und Abstinent, und dies waren...