Balàka | Kassiopeia | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

Balàka Kassiopeia

Roman
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-85218-743-3
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

ISBN: 978-3-85218-743-3
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



EINE TRAGIKOMÖDIE ÜBER DEN SCHMALEN GRAT ZWISCHEN LEIDENSCHAFTLICHER LIEBE UND STALKING VOR DER TRAUMHAFTEN KULISSE VON VENEDIG
Judit Kalman und Markus Bachgraben sind ein Traumpaar - zumindest wenn es nach ihr geht. Mit ihm, dem jungen Erfolgsautor, will sie noch einmal ganz von vorne beginnen. Gefolgt von ihrer Freundin Erika, die endlich Judits neuen Freund kennenlernen will, reist sie zu Bachgraben nach Venedig, wo er an seinem neuen Roman arbeitet. Das Paar verbringt einen romantischen Abend, der ein unerwartetes Ende findet - und nicht nur Judit muss sich die Frage stellen: Welches Spiel wird hier gespielt - und wer bestimmt seine Regeln?

MITREISSEND GEFÜHLVOLL UND MIT VIEL WITZ

In ihrem neuen Roman erzählt Bettina Balàka von der Tragikomödie zwischenmenschlicher Beziehungen, vom Wunsch, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und vom langen Schatten der Familiengeschichte, dem man nicht so leicht entkommt - doppelbödig, überraschend und mit einer gehörigen Portion Witz.

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EINS
Als Judit Kalman in Venedig ankam, überraschte sie außergewöhnliches Wetter. Es regnete, und das mitten im Juli. Der Zug fuhr auf den Damm auf und sie konnte sehen, wie Wolken verschiedener Dunkelheitsstufen auf das entfärbte, von nervösen Winden aufgerührte Meer ihre Schatten warfen. Sie hatte den Zug genommen, der zu Mittag ankam, und daher mit Sonnenhöchststand, einem entblößten, der weißen Dürre hingegebenen Firmament und stechender Hitze gerechnet. Nun war es zwar heiß, aber auf jene schwüle, tropische Art, die einen die Gerüchte glauben ließ, irgendwo im Po-Delta würden Flamingos leben. Eine Möwe, die neben dem Zug herflog, wurde von nassen Windböen durch die Luftschichten gedrückt. Es sah aus, als würde sie – schief und zerzaust – als Teil eines Mobiles an einem Faden hängen. Judit stellte sich darauf ein, im Bahnhofsgebäude abzuwarten, ihre hellgrüne Lederhandtasche vertrug keinen Regen, die Bluse aus weißer Knitterseide höchst­wahrscheinlich auch nicht. Schwarz vor Nässe saßen die vertrauten Holzpfähle in der Lagune. Jeweils drei aneinandergelehnt, von zwei Eisenbändern zusammengehalten, von denen orangefarbene Rostschlieren herabrannen. Normalerweise konnte man an der Wasserlinie sehen, wie das Salz-Luft-Gemisch die Pfähle biberartig abgenagt hatte und leuchtend grüner Tang nach oben kroch, aber jetzt lag alles verschwommen und silbrig im Dunst. Wie man überhaupt im Juli nach Venedig fahren kann, ist mir unbegreiflich, und wenn ich einmal das Sagen haben werde, wird das auch nicht mehr vorkommen. Als Judit aus dem Bahnhofsgebäude trat, war der Spuk vorbei. Letzte Wolken wurden weiß und korallenförmig, bevor sie davonliefen. Die Sonne begann Stufen und Vorplatz bereits aufzutrocknen. Die Kirche San Simeon Piccolo an der gegenüberliegenden Seite des Canal Grande war eingerüstet, was Judit den ersten Anblick verdarb. Die weißen Stufen, die weißen Säulen, das dreieckige Fries, darauf freute man sich, wenn man aus dem Bahnhofsgebäude trat und den ersten Blick in das Innere der Stadt warf, deren Schale man eben mit dem Zug durchbohrt hatte. Vor dem Actv-Häuschen am Canal stand eine Touristenschlange, die schnell länger wurde. Judit beeilte sich, ihren Koffer die Stufen hinunterzuziehen und sich anzuschließen. Vor jedem Verkauf einer Vaporettofahrkarte führte die Actv-Bedienstete ausführlich Rücksprache mit einer Kollegin, die hinter ihr stand. Offenbar fand hier eine Einschulung statt. Mitten in der Hochsaison, zur heißesten Tageszeit, ausgerechnet am Bahnhof. Die ersten, die zu schimpfen begannen, waren die Italiener, die in der Schlange standen. Die Ausländer waren noch gewillt, die Wartezeit landesüblicher Gelassenheit zuzuschreiben und sich die Urlaubsstimmung nicht verderben zu lassen. Judit dagegen war zu gar nichts gewillt. Jeden Moment würde sie aus der Reihe treten und ein Wassertaxi nehmen. In die Ruhe eines leeren Bootes entkommen, in die Kühle, die von seinen blankgefirnissten Holzverkleidungen ausging. Aus dem offenen Dachfenster schauen, die Ellbogen auf dem Dach aufgestützt. Das Gesicht in den Fahrtwind halten, die Komplimente des Fahrers aufschnappen, wenn er sich lächelnd umwandte. Die vom Regen blankgewaschene Sonne brannte, Engländer, Franzosen, Holländer, Deutsche wollten eine Vaporettofahrkarte kaufen, und natürlich ließ sich kein venezianisches Management davon abhalten, in dieser Situation in aller Ruhe eine Einschulung vorzunehmen. Markus Bachgraben, wie kann man nur im Juli nach Venedig fahren. Titas Wohnung lag direkt an den Fondamenta Nuove und war ganz anders, als Judit sie sich vorgestellt hatte. Schon die Fondamenta Nuove waren ganz anders, als sie zu sein pflegten, denn man hatte aus ihnen eine Baustelle gemacht. Was hier aufgerissen, umzäunt, zerbrochen und verwüstet werden musste, war nicht zu erkennen. Titas Wohnung, von der Judit wusste, dass sie aus zwei zusammengelegten Wohnungen bestand, hatte sie sich weitläufig und großzügig vorgestellt, stattdessen war sie unübersichtlich und verwinkelt. Viel zu viele kleine Zimmer verschachtelten sich auf zwei Geschoßen, dem zweiten und dritten Stock des Hauses. Judit riss Türen und Fensterläden auf. Manche Räume gingen auf winzige Innenhöfe hinaus, die nicht mehr als Lichtschächte waren, manche auf enge Gassen, manche auf die Baustelle der Fondamenta und die Lagune. Der Postkartenblick auf die Friedhofsinsel mit ihren schwarz gezackten Zypressen hielt sie fest wie etwas Regloses, das plötzlich pulsierte. Tita sagte, dass einer Legende zufolge nachts Hexen mit ihren schwarzverschleierten Gondeln über die Mauer flogen, um auf den Gräbern Feste zu feiern, sie habe aber noch nie welche gesehen. Judit ging nach unten, um sich das Haus von außen anzusehen. An einer Seite wurde es von einem Kanal begrenzt, über dem alle Fenster zugemauert waren. Tita hatte vor, die Fenster ihrer Wohnung wieder aufbrechen zu lassen, die seit der Zeit der österreichischen Herrschaft verbaut waren. Man habe damals versucht, sagte Tita, die Arbeit der Umstürzler zu behindern, indem man sie von den Kanälen abschnitt. So konnten sie keine schweren oder unappetitlichen Gegenstände auf vorbeifahrende Boote der Österreicher fallen lassen. In dem Eisladen zwei Häuser weiter kaufte Judit eine Tüte mit einer Kugel Kokoseis. Auf einem Stehtischchen breitete sie den Stadtplan aus. Hinter den Bauzäunen wurde gebohrt, gehämmert und gestaubt. Sie musste zur Rialtobrücke gehen, um über den Canal Grande nach San Polo zu gelangen, wo Markus Bachgrabens Wohnung lag. Beim Campo Santa Sofia konnte sie auch mit dem Tra­ghetto übersetzen, aber das fuhr nur vormittags. Wenn sie nicht laufen wollte, würde sie große Runden mit dem Vaporetto fahren oder sich ein Wassertaxi nehmen müssen. Es wäre praktischer gewesen, in einem der Hotels direkt am Canal Grande zu wohnen. Da Judit aber Tita seit Jahren ihr Haus in Irland zur Verfügung stellte, hatte Tita darauf bestanden, ihr nun ihre neue Wohnung in Venedig zur Verfügung zu stellen. Ein Motorboot fuhr vorüber, an dessen Bug ein schneeweißer West Highland Terrier stand und in den Fahrtwind schnupperte. Der junge Mann am Steuer trug Shorts und eine Sonnenbrille. Er war braungebrannt. Er lachte Judit an, als er durch das Wasser schnitt, dass die Gischt spritzte. Judit lachte zurück. Sie fühlte sich untreu. Sie ging wieder nach oben um nachzusehen, ob Signora Vescovo alle Anweisungen befolgt hatte. Es war vereinbart worden, dass die Haushälterin immer vormittags kommen sollte, beginnend am Tag von Judits Ankunft. Es gab vier Schlafzimmer, in denen die Betten straff und sauber bezogen und mit Kissen dekoriert waren. Eines der Zimmer war so klein, dass nur ein Einzelbett hineinpasste. In einem anderen war es über die Maßen heiß, ohne dass Judit herausfinden konnte, weshalb. Vielleicht lag es unter einem Blechdach. Es blieben ein Schlafzimmer im dritten Stock mit Blick auf die Friedhofsinsel und eines im zweiten Stock mit Blick auf die Gasse. Hier würden die Fensterläden die meiste Zeit geschlossen bleiben müssen, wollte man nicht von den gegenüberliegenden Fenstern aus beobachtet werden. Das Zimmer mit Blick auf die Friedhofsinsel war kühl. Obwohl durch die hohen Fenster die Sonne hereinfiel, hatte es etwas Düsteres. Wie die anderen Räume der Wohnung war es von Tita mit einem Sammelsurium an Antiquitäten gefüllt worden, die sie in mehreren Boots­ladungen heranschaffen hatte lassen. Titas Mann, der seit Jahren darum kämpfte, in der Wiener Wohnung „Bodenfläche zurückzugewinnen“, hatte versprechen müssen, ihr in Venedig voll­kommen freie Hand zu lassen. Auf einem Intarsien­schränkchen stolzierte ein ausgestopfter Kronenkranich, daneben stand eine rot eingefärbte Bambus­koralle, vermutlich aus irgendeiner Wunderkammer. Aus dem mannshohen Kamin starrte ein Trupp afrikanischer Statuetten. In der Diagonale des Zimmers stand ein antikes chinesisches Hochzeitsbett. Lag man darauf, sah man genau auf die Friedhofsinsel. In einer so alten Stadt müsse man sich mit den Gespenstern anfreunden, hatte Tita erklärt. Überall lägen schließlich die Toten, in dicken Schichten, denn als man die alten Friedhöfe in der Stadt aufgelassen und die Toten auf ihre eigene Insel verlegt hatte, hatte man natürlich nur die oberste Schicht entfernt. Man ging und lebte auf einem einzigen Friedhof. Man hatte Gassen und Gebäude über den Gräbern errichtet, aber auch wenn man sie nicht sehe, seien sie doch da. Nicht jeder vertrüge ein solches Ausmaß an Vergangenheit, die ja immer eine Ansammlung von Todesfällen sei. Manche würden von Beklommenheit erfasst und sähen überall Omen. Andere meinten, etwas Fremdes kröche da in sie hinein, das sie verändere. Die Küche lag im zweiten Stock. Judit setzte sich auf einen Stuhl und lauschte. Die Wohnung war voller Geräusche. Geräusche aus den Nachbarwohnungen, den Nachbarhäusern, der ganzen Stadt. In Venedig, sagte Tita, sei es seit jeher notwendig gewesen, vieles geheim zu halten, weil so vieles öffentlich war. Die Geräusche schienen aus allen Teilen der Wohnung zu kommen, ja selbst durch die Küche schien jemand hindurchzugehen. Es wäre unmöglich gewesen, bei all den Schritten und Stimmen, dem Knarren und Poltern einen Einbrecher herauszuhören. Um rechtzeitig zu bemerken, dass sich ein Einbrecher in der Wohnung befand, brauchte man einen Hund. Einen großen, beschützenden, einen English Shepherd vielleicht. An der Wand hing eine Schwarz-Weiß-Fotografie vom Einsturz des Campanile di San Marco im Jahr 1902. 1902 war Judits Urgroßvater zwei Jahre alt gewesen. Auf der Anrichte stand eine...


Bettina Balàka, geboren 1966 in Salzburg, lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Zahlreiche Buchveröffentlichungen, Theaterstücke und Hörspiele. Vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Theodor-Körner-Preis (2004), dem Salzburger Lyrikpreis (2006) und dem Friedrich-Schiedel-Literaturpreis (2008). Zuletzt erschienen: Eisflüstern. Roman (2006), Schaumschluchten. Gedichte (2009). Bei Haymon: "Auf offenem Meer". Erzählungen (2010), "Kassiopeia". Roman (2012, HAYMONtb 2013) sowie zuletzt "Unter Menschen". Roman (2014).



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