E-Book, Deutsch, 264 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 210 mm, Gewicht: 400 g
Balàka Dicke Biber
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7011-8227-5
Verlag: Leykam
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Naturschutz-Krimi
E-Book, Deutsch, 264 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 210 mm, Gewicht: 400 g
ISBN: 978-3-7011-8227-5
Verlag: Leykam
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Biber auf dem Vormarsch!
Sommerferien in den Donauauen? Picos Eltern haben den All-Inclusive-Urlaub am Mittelmeer abgesagt und beschlossen, in einer modrigen Hütte nahe dem Naturschutzgebiet zu hausen. Mücken statt Meeresgischt, Ruderboot statt Speedboat und „Lackelwasser“ statt Pool-Landschaft. Die schlimmsten Sommerferien aller Zeiten sind vorprogrammiert. Zum Glück gibt es die Nachbarstochter Juanita, mit der Pico die Gegend erkundet.
Nachmittags pirschen sie durch die Donauauen und entdecken neben Kormoranen und rabiaten Hirschkäfern auch Biber, die sie sich in der Nachbarschaft ziemlich unbeliebt machen. Sie fällen Bäume, stehlen Karotten und haben zu guter Letzt sogar Picos Hausfasan auf dem Gewissen. Es wundert also wirklich niemanden, als eines Tages Flumy, das älteste Biber-Männchen, erschlagen im Gebüsch aufgefunden wird. Doch wer war der Täter? Verdächtig ist so gut wie jeder. Pico und
Juanita beschließen, den Schuldigen zu fassen.
Weitere Infos & Material
»Windfall profit« nannte es Picos Vater, als sie das Sommerhaus bekamen. »Windfall« bedeutete Fallobst, erklärte er, also vom Wind herabgeschütteltes Obst, und »Windfall profit« war ein völlig unerwarteter Vermögenszuwachs. Wie ein wunderschöner, perfekter reifer Apfel, der einem plötzlich vor die Füße fällt. Picos Vater unterrichtete Wirtschaftswissenschaften an der Universität, was bedeutete, dass er sich mit Geld auskannte, ohne selbst allzu viel davon zu verdienen. Picos Mutter arbeitete als Kundenbetreuerin bei einer Bank, sodass für sie das Gleiche galt. Das Sommerhaus hatten sie ihr zu verdanken, beziehungsweise der Tatsache, dass sie sich, wie ihr Picos Vater gerne vorgehalten hatte, immer in die Angelegenheiten anderer Leute einmischte. Nun hielt er es ihr nicht mehr vor. Die Geschichte war die, dass Picos Mutter Tag für Tag, wenn sie um halb acht in der Früh mit Picos kleiner Schwester Mariechen an der Hand die Wohnung verließ, am Gang auf die alte Frau Sebereisen traf und ein paar Worte mit ihr wechselte. Meistens ging es um Dinge wie die Schäbigkeit der Bepflanzung im Hof, die Schweinehaftigkeit des Reinigungsdienstes und die ständig drohende Gefahr von Einbrüchen in den Kellerabteilen. Eines Tages aber war Picos Mutter um halb acht in der Früh mit Mariechen an der Hand auf den Gang getreten, und Frau Sebereisen war nicht dagestanden. Irritiert von dieser unerwarteten Abwesenheit klingelte und klopfte Picos Mutter minutenlang an Frau Sebereisens Tür und rief dazu: »Frau Seeeebereisen! Guten Moooorgen!« Doch es rührte sich nichts. Schließlich ging Picos Mutter in die eigene Wohnung zurück, um ihren Mann zu informieren und die Polizei zu rufen. Picos Vater, der gerade Pico zur Eile antrieb, sagte, man könne doch unmöglich Frau Sebereisens Wohnung aufbrechen lassen, nur weil Frau Sebereisen irgendwo auswärts übernachtete oder sich entschlossen hatte, einen Morgenspaziergang zu machen. Picos Mutter sagte: »Auf deine Verantwortung!«, und so wurde nichts unternommen. Am Abend läutete Picos Mutter wieder an Frau Sebereisens Tür und behauptete, »leises Stöhnen« zu hören. Ehrlich gesagt war Pico zu diesem Zeitpunkt ebenfalls der Meinung, dass seine Mutter fantasierte. Jedenfalls sagte Picos Vater, er mache da nicht mit, die arme Frau Sebereisen sitze vermutlich mit ein paar anderen fidelen Pensionisten beim Heurigen und werde sich schön bedanken, wenn sie nach ihrer Rückkehr die Polizei in ihrer Wohnung vorfand. Also wurde weiter nichts getan. Am nächsten Morgen um halb acht in der Früh war wieder keine Frau Sebereisen am Gang und Picos Mutter alarmierte die Behörden. Frau Sebereisens Wohnung wurde aufgebrochen und Frau Sebereisen blutend und röchelnd unter einer Leiter auf dem Boden liegend gefunden. Wie sich herausstellte, war sie auf die Leiter geklettert, um die brennende Glühbirne in der Deckenlampe mit einem nassen Fetzen abzuwischen, woraufhin die Glühbirne zersprang und Frau Sebereisen in Scherbenform ins Auge flog. Frau Sebereisen stürzte von der Leiter, schlug sich im Fallen die Stirn an der Tischkante auf und brach sich den rechten Oberschenkel. Picos Vater war natürlich fix und fertig, weil Frau Sebereisen durch seine Schuld einen ganzen Tag und eine ganze Nacht in Todesangst auf dem Boden liegen hatte müssen. Er besuchte sie täglich im Spital mit riesigen Blumensträußen und Stapeln von Klatschzeitschriften und in rosarotes Papier eingeschlagenen Päckchen aus Frau Sebereisens Lieblingskonditorei. Frau Sebereisen sagte, sie werde es Picos Mutter nie vergessen, dass sie ihr das Leben gerettet habe. Picos Mutter sagte: »Aber das hätte doch jeder getan«, wobei sie Pico, der sich ebenfalls an Frau Sebereisens Krankenlager langweilen musste, einen Blick zuwarf, der wohl bedeuten sollte: Daraus kannst du etwas lernen. Jedenfalls, am Ende des Ganzen hatte Frau Sebereisen sich entschlossen, ins Altersheim zu ziehen und das Sommerhaus, ihren einzigen Besitz, Picos Mutter zu überschreiben. Pico hieß eigentlich Amadeus. Das war eine Idee seiner Mutter gewesen, und zwar nicht, weil sie Wolfgang Amadeus Mozart liebte, sondern weil sie Falco liebte. Falco war ein Rapper, der ebenso tot war wie Mozart und der in der Jugend von Picos Mutter, also vor geschätzten hundert Millionen Jahren, ein Lied mit dem Titel »Rock Me Amadeus« geschrieben hatte. Picos Mutter hatte Pico das Lied unzählige Male vorgespielt. Pico meinte, das Lied sei ja ganz okay, vor allem, wenn man bedachte, wie unendlich alt es sei, aber dies rechtfertige nicht, seinen Sohn mit einem wirklich exorbitant peinlichen Namen zu traumatisieren. Picos Vater sagte zu Picos Mutter: »Ich habe dich gewarnt.« Schließlich erklärten sich die Eltern damit einverstanden, dass Pico-Amadeus sich selbst einen Namen aussuchte. Er ging alle Bubennamen durch, die er kannte: Ömer, Abbas, Michi, Sebastian, Max, Johannes, Jakob, Mario, Jonas, Elias, Tobias, Murat, Wassili, Tadeusz, Zoran, Eric … Plötzlich wurde ihm klar, dass er die Gelegenheit nutzen musste, sich einen Namen zuzulegen, den sonst niemand hatte. Und so kam er auf Pico. Einfach so. Der Name lag in der Luft. Das Sommerhaus war etwa eine Milliarde Jahre alt, zur Gänze aus knarrendem, splitterndem Holz und voll von Frau Sebereisens Sachen. Und zwar den Sachen, die sie in der Wohnung nicht mehr haben hatte wollen. Pico bestand darauf, das Haus »Hütte« zu nennen. Rundherum war es komplett eingewuchert von Heckenrosen und Wein und allerlei Schlingpflanzen, die von Frau Sebereisen seit Jahrzehnten nicht mehr in ihrem Wuchs behindert worden waren. Frau Sebereisens Großvater, der Tischler gewesen war, hatte das Haus mit eigenen Händen gebaut. Straßenseitig sah es sehr schlicht aus – soweit man das unter dem Grünzeug erkennen konnte: ein rostrot gestrichener Bretterbau, den man durch einen verglasten Windfang betrat. Zum Wasser hin aber hatte das Haus eine sehr spezielle Fassade. Im ersten Stock gab es einen hölzernen Balkon, der mit allerlei bunt bemalten ornamentalen Schnitzereien verziert war. Auch am Giebel, an den beiden Erkern und den Fensterstöcken hatte sich Frau Sebereisens Großvater künstlerisch verwirklicht. Es gab geschnitzte Zapfen, Simse, Pagoden, Girlanden und durchbrochene Gitter, von denen rote, grüne und weiße Farbe abblätterte. Staunend standen sie davor. »Es sieht aus wie eine Mischung aus Villa Kunterbunt und indonesischem Tempel«, sagte Picos Vater. »Und wie am Canal Grande in Venedig ist die Schaufassade zum Wasser hin gebaut«, fügte Picos Mutter begeistert hinzu. Nur mit dem Unterschied, dachte Pico, dass hier weder elegante Gondeln noch schnittige Motorboote vorbeifuhren. »Venedig für sehr, sehr Arme«, ätzte er, »auch wenn das Wasser genauso stinkt wie dort.« Das Sommerhaus lag am Ufer eines trüben, grünbraunen Gewässers, das roch wie das Aquarium von Picos Freund Batman, wenn dieser wieder wochenlang der Meinung gewesen war, der Wasserwechsel sei Aufgabe seiner Mutter. (Batman hieß eigentlich Johannes, hatte sich aber ebenfalls umbenannt, nachdem Pico es getan hatte.) Die von Blütenstaub gepuderte Brühe, in der riesige Karpfen sich durch hohe Algenwälder schlängelten, war ein Altarm der Donau und trug den Namen »Lackelwasser«. »Altarm« bedeutete, erklärten Picos Eltern, dass die Brühe einmal mit der Donau verbunden gewesen war, nun aber schon lange vom Fließwasser abgeschnitten allein vor sich hinmoderte. In Hinblick auf den Namen »Lackelwasser« herrschte Uneinigkeit. Picos Mutter war der Ansicht, es handle sich um eine Verballhornung des Wortes »Wasserlacke«, wohingegen Picos Vater überzeugt war, hier sei einmal ein »Lackel« ertrunken. »Lackel« bedeutete offenbar im Wienerischen der Steinzeit soviel wie »großer Kerl«. Das wirklich Üble an der Sommerhaussache war, dass die Eltern nicht ans Meer fahren wollten. Pico hatte gerade die dritte Gym hinter sich gebracht, mit leidlich guten Noten, und fand, dass er sich einen All-inclusive-Urlaub in einer schönen Hotelburg mit Poollandschaft verdient hatte. Er wollte sich sein Essen von einem mit geschnitzten Melonen- und Karottenrosen verzierten Buffet holen, von heiseren Animateuren angeschrien werden und endlich einmal Jetski fahren. Nicht angekokeltes Fleisch vom Grill seines Vaters und die gescheiterten Backexperimente seiner Mutter essen, von Gelsen blutig gebissen werden und nur wenige Kilometer von der Schule entfernt »die Ruhe genießen«. Ringsherum, dessen war er sich sicher, hinter all den sauber geschnittenen Thujenhecken, den Sichtschutzmatten aus Schilfrohr und den von Gipslöwen bewachten Einfahrten wohnten auschließlich steinalte Leute. Den ganzen Sommer wollten Picos Eltern hier verbringen. Seine Mutter hatte sich Urlaub genommen, sein Vater konnte sich die Arbeitszeit in den Ferien ohnehin frei einteilen. Und in die Stadt hinein war es ja nicht weit. Für jemanden, der Auto fahren konnte. Auch die...