Bäcker | Glück auf - bis Heiligabend | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Bäcker Glück auf - bis Heiligabend

Eine ganz normale Adventsgeschichte in 24 Kapiteln
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-641-29456-4
Verlag: Diederichs
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine ganz normale Adventsgeschichte in 24 Kapiteln

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-641-29456-4
Verlag: Diederichs
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Ein herzenswarmer, pointierter und zutiefst lebenskundiger Roman – und das im geliebten Bochum.«
Oliver Uschmann & Sylvia Witt (Hartmut und ich-Reihe)


Nico ist dreißig, wohnt in Hamburg und besucht nur noch selten seine Heimatstadt Bochum. Zwar steht Weihnachten vor der Tür, doch dieses Jahr will er nach der Trennung von Katharina die Feiertage lieber allein verbringen.

Als ihn am ersten Dezember seine Mutter anruft, muss er seine Pläne allerdings ändern. Sein Vater wohnt nämlich seit Neuestem in der Kleingartenlaube und Nico soll kommen, um das Familienchaos zu entwirren. »Na, das kann ja heiter werden«, denkt sich Nico, und eine turbulente Adventszeit nimmt ihren Lauf.

In dieser herrlichen Familienkomödie mit ihren liebenswerten Figuren können wir uns selbst wunderbar spiegeln. Ein Muss für jeden, der das Ruhrgebiet kennt und liebt.



»Ein herzenswarmer, pointierter und zutiefst lebenskundiger Roman, der zwischen all seinen Pointen eine verbindliche emotionale Geschichte erzählt - und das im geliebten Bochum. Zwischen Kleingartensiedlung und Ex-Kinderzimmer entstehen verblüffende, kathartische »Kenn ich auch!«-Effekte. Und »Der Papa wohnt jetzt inner Laube« ist aus dem Stand einer der schönsten Komödiensätze der Gegenwart.« (Oliver Uschmann & Sylvia Witt / Hartmut und ich - Reihe)

»Hinreißend verschroben – fast wie im richtigen Leben.« (Antonia Goldhammer, Bayerischer Rundfunk)
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Weitere Infos & Material


2.12. 15:10

Ein Anruf mit Folgen

»Du hast wirklich niemanden an deinem Geburtstag getroffen? War das nicht hart? War sicher hart.« Philipp ist mein Kollege, mittlerweile seit drei Jahren schon. Wir stehen auf dem Flur an dem Kopierer, der öfter frei ist als die anderen, weil er vielleicht zwölf Meter mehr Fußweg für die Mitarbeiter bedeutet.

Wir arbeiten für einen Verlag in Hamburgs HafenCity. Philipp und ich sind die einzigen Angestellten unter 40 auf unserer Etage. Philipp hat bei uns nach dem Studium sein Volontariat gemacht und ist gleich übernommen worden. Ich mag ihn, aber irgendwie machen wir nie was zusammen nach Feierabend. Vielleicht ist das normal. Und für uns beide hat das auch einen Vorteil: Was wir dem anderen von unserem Privatleben erzählen, muss als objektiv wahr eingeschätzt werden. Das gilt für Katharina und mich genauso wie für Philipp und seinen Schützenverein im sauerländischen Willingen. Denn das kommt noch dazu: Wir sind beide Zugezogene. Dadurch hat man ab und an den typischen Small Talk zu langen Autofahrten in die Heimat und so weiter.

Und was wir dem anderen sonst stecken, das wird wie gesagt so hingenommen. Man kennt ja sonst niemanden, der einem etwas anderes erzählen könnte. Philipp ist sehr empathisch. Mehr oder weniger zumindest. War sicher hart. Für Small Talk ist das super, gerade wenn man nicht genau weiß, wie man sich so fühlt, oder nicht darüber nachdenken will.

»Ach ja, war okay. Klar, bisschen komisch. Aber auch okay. Irgendwie. Mit Katharina ist halt auch ganz vorbei jetzt.« Manchmal tut mir das leid, wie oberflächlich der Kontakt zu Philipp ist. »Was? Jetzt ist so richtig Schluss? Puh. Das tut mir leid. Das ist traurig.« Danke für den Philipp-Service, mir auch noch ein Gefühl anzubieten, das zu meiner Lebenssituation passen könnte. Das ist traurig, soso.

Das Tolle an dieser Arbeitsfreundschaft ist auch, dass Philipp wirklich immer nur reagiert. Wenn ich nicht von Katharina angefangen hätte, wäre garantiert auch keine Frage nach ihr gekommen. Ich sehe mich um, ob jemand in Hörweite ist. Fehlanzeige. Philipp bemerkt das und begibt sich in Position, einen größeren Brotkrümel aus meinem Privatleben aufschnappen zu können, wie eine gierige Ente in einem Park. Die soll man auch nicht füttern, glaube ich.

Also entscheide ich mich dagegen, unsere natürliche Oberflächlichkeit aufzugeben, und liefere ihm lediglich ein halbherziges: »Ja, ist jetzt irgendwie so. Da macht man nichts.« Philipp schaut enttäuscht weg. Wahrscheinlich sucht er nach einem Adjektiv, mit dem er meine Lage beschreiben könnte. Bevor er mir bescheinigen kann, wie bitter oder schade das mit der Trennung ist, nehme ich meine Kopien in die Hand und verabschiede mich. Philipp watschelt semi-befriedigt an seinen Schreibtisch zurück.

Auf dem Weg nach Hause fällt mir auf, dass dieses »Gespräch« das intimste seit Tagen war. Ich bin richtig gut darin, mich einzuigeln, wenn ich mit niemandem reden will. Meine Wohnung habe ich lange nicht mehr in Ordnung gebracht, wozu auch? Ich mache mir ein Bier auf und lasse mich mitsamt der Flasche in meinen Sessel fallen. Den habe ich noch aus meiner ersten WG, tiefrotes Leder, sehr wuchtig und so abgenutzt, dass man eine Decke braucht, um weiteren Verschleiß zu vermeiden. Katharina fand ihn immer furchtbar. »Der kommt mir nicht in unsere gemeinsame Wohnung!« Am Ende sollte sie recht behalten.

Jetzt hat sie ihren Traum von einer gemeinsamen Wohnung mit jemand anderem, Arvid, dem dänischen Grafikdesigner, der für die gleiche Werbeagentur arbeitet, in der sie der Geschäftsleitung assistiert. In einem Anflug von Selbstbestrafung habe ich vor einigen Tagen Arvids Social-Media-Kanäle ausspioniert. Natürlich sieht der blendend aus, groß und blond und durchtrainiert mit strahlend blauen Augen. Mit jedem Bild könnte man Werbung in einem Lifestyle-Magazin machen. Es gibt Fotos von Arvid beim Kite-Surfen, beim Klettern, auf Partys mit anderen unverschämt attraktiven Menschen. Und mit Katharina, die überglücklich in die Kamera lacht, während der schöne Däne sie von hinten begrabbelt. In einem kurzen Moment habe ich gedacht, dass es dieses Foto nur gibt, um mich zu bestrafen. Um mir zu sagen: Du bist raus. Viel Glück mit deiner schäbigen Einrichtung in deinem kleinen Leben. Katharina hat jetzt Arvid, und der kommt zusammen mit minimalistischem Design und einer genauso aufgeräumten, klaren Zukunft. Und phänomenalem Sex, bestimmt.

Als ich mein Handy beiseitegelegt habe, um den Instagram-Account der Erniedrigung nicht mehr sehen zu müssen, finde ich mich noch immer in dem abgewetzten Sessel wieder. Der ist so tief und nachgiebig in der Sitzfläche, dass man sich mehrmals überlegt, ob man aufsteht, wenn man einmal davon eingesogen wurde. Wie viele Stunden ich schon hier drin abgehangen habe? Mir kommt kurz der Gedanke, ob ich vielleicht ein viel geileres Leben ohne diesen Sessel führen würde, ein besseres Zeitmanagement hätte, regelmäßig laufen, mich fitter fühlen würde, Katharina mehr hätte bieten können.

Ich nehme mein Handy in die Hand und suche nach neuen Möbeln, skandinavisches, kühles Design. Das kommt mir vor wie der erste Schritt zum Fremdgehen an meinem alten Sessel, der meinen Hintern schon mit Anfang 20 ausgehalten hat, vor Katharina, vor Hamburg, vor einem fixen Einkommen. Nichts ist für immer, mein Freund, denke ich, das musste ich auch lernen. Ich scrolle mich durch die Angebote. Gerade als ich auf einen anthrazitfarbenen Vintage-Sessel mit ausgesprochen schlanken Holzbeinen klicken will, klingelt mein Handy.

Ich erschrecke leicht, weil es so selten passiert, dass einen noch Menschen anrufen. Mich zumindest. Vielleicht ist es Katharina, die mich zurückwill? Oder irgendeine Frau, die mich will? Das wäre unwahrscheinlich, aber für meinen Selbstwert super.

Ich hatte zu lange keinen Sex mehr. Wenn es eine Frau ist, die mich anruft, werde ich versuchen, mit ihr Sex zu haben. Ich nehme ab.

»Hallo?« »Hallo Nico, hier ist die Mama.« Das ist ungünstig. »… Hi?« »Hi, sagt er. Hi. Na, wenigstens etwas.« Ich atme tief ein. »Wir hatten gestern ja zum Geburtstag gesprochen. Daher wundert mich nur, dass du heute wieder anrufst.« Pause. »… Aber ich freue mich.« »Ganz ehrlich, Nico. Manchmal ne …« Seit ich Sätze verstehen kann, habe ich diese Kombination aus Worten von meiner Mutter wahrscheinlich am meisten gehört. Die Einleitung dazu, was meine Mutter jetzt aber ehrlich mal machen wollte. Jemanden an die Wand klatschen. Durch die Mangel drehen. Sowas in die Richtung. Wir wissen beide, was sie meint. Daher macht sie sich nicht die Mühe, den Halbsatz zu beenden, sondern sendet ein genervtes Schnauben durch die Telefonleitung. Ich kann das jetzt nicht mehr geradebiegen, und das wissen wir auch beide. Wir werden das übergehen. Ist einfacher.

Ich frage möglichst freundlich: »Was gibt es denn?« »Ja, Nico. Pass auf.« Stille. »Ja?«, frage ich. »Ja, passte auf?« Silke Jankowski ist wahrscheinlich die einzige Person, die sich nach »Pass auf« vergewissert, dass man auch wirklich aufmerksam ist. Wären wir jetzt im gleichen Raum, würde sie mich zu Augenkontakt zwingen. »Ich höre zu, Mama. Was ist los?«, sage ich. »Nico, der Papa ist weg.«

Der Papa ist weg. Andere Kinder fänden so einen Satz vermutlich alarmierend. Andere Kinder haben aber auch andere Väter. Ich habe keine Nachricht zum Geburtstag von ihm erhalten, daran bin ich gewöhnt. Jetzt weiß ich auch, wieso. »Wie weg? Bei wem?« Mein Vater kennt das halbe Ruhrgebiet, und in der Regel nimmt ihn jemand auf, wenn er eine Nummer wie diese abzieht. Dann steht er ein paar Tage später wieder auf der Matte. »Diesmal ist es anders.«

Diesmal … Dass wir in dieser Familie auf verschiedene Situationen verweisen können, in denen mein Vater Reißaus genommen hat, ist schon etwas Besonderes. »Der Papa wohnt jetzt inner Laube.«

Der Papa wohnt jetzt inner Laube. Dass meine Mutter den Satz so bestimmt vorbringt, macht den ganzen Anruf noch absurder. Unsere Familie besitzt schon in vierter Generation eine Parzelle in einer Kleingartenanlage im Schmechtingswiesental. Die Schmechtingswiesen sind ein kleiner Park im Norden von Bochum. Man kann von dort den Förderturm des Bergbaumuseums sehen. Im Sommer haben wir da auch mal übernachtet, wenn es spät wurde, nach dem Grillen, oder wenn wir als Jugendliche einen Platz gebraucht haben, der nicht so überwacht war von den Eltern. Doch die Vorstellung, dass mein Vater ernsthaft in eine Schrebergartensiedlung gezogen ist, im Winter, obwohl wir ein Haus haben … also ganz ehrlich.

»Geht das denn?« »Geht das denn?! Ja ne, Nico, das geht nicht! Ist richtig peinlich, aber der Werner will da nich raus. Der hat da schon seit Wochen dran gearbeitet, jetzt macht er Ernst. Hat einiges an Ärger, aber mit mir will er da auch nicht reden.« »Mama, dann ist das vielleicht auch nicht dein Job, das zu klären.« »Das weiß ich selber. Sollen wir den Papa da jetzt drin verrotten lassen?« »Naja, verrotten … ist doch ein Trend. Minimalismus …« »Samma, dein Papa wohnt im Kleingarten! Kannste da mal ’n bisschen besorgt sein?« Wenn er hungrig wird, kommt der schon wieder, denke ich mir. Ich will sowas in die Richtung sagen, weil zynisch zu sein in der Vergangenheit irgendwie am leichtesten war, wenn es um meinen Vater ging. Mit 30 will ich nicht mehr so sein.

»Ja, tut mir leid. Ich meine halt: Wir wissen ja, wo er ist. Das ist doch schon mal gut. Und mir ist das auch nicht egal. Ehrlich.« Während ich das ausspreche, merke ich, dass es mir tatsächlich nicht egal ist. Manchmal wundert man sich. »Was soll ich denn...


Bäcker, Mik
Mik Bäcker, geb. 1991, hat in Münster Literaturwissenschaft und Pädagogik studiert. Er unterrichtet Deutsch als Zweitsprache in NRW. Er schreibt außerdem Theatertexte. Glück auf – bis Heiligabend ist sein erster Roman.



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