Back Maddrax - Folge 402
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7325-1299-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kaverne der vergessenen Bücher
E-Book, Deutsch, Band 402, 64 Seiten
Reihe: Maddrax
ISBN: 978-3-7325-1299-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Unverhofft erhalten Matt und Aruula einen Hinweis auf Xaanas Verbleib: Sie soll sich in einem Bergwerk am Stadtrand befinden, wo Forscher auf der Suche nach einem reichen Wissensschatz sind: die Aufzeichnungen verschiedener Spezies über ihre Heimatwelten, die sie in Toxx längst vergessen haben. Doch dabei hat man tief unter der Erde etwas geweckt, das sich nun gegen die Forscher wendet. Matt und Aruula wagen sich unter Tage, nicht ahnend, was sie dort wirklich erwartet ...
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Sie befand sich am Stadtrand von Toxx, einem Labyrinth aus lichtlosen Häusern, Gassen und Hinterhöfen, überdacht von grobporigen Fassaden und kruden Holzbalken. Nebel waberte durch die nächtlichen Gassen, in der Luft hing der Geruch von verfaulten Pflanzen. Hilfe konnte sie von niemandem erwarten. Da war auch niemand. Niemand außer ihr und ihren Gegnern. Die Friedenswahrer mussten sie geschickt haben; wer sonst? Als Waffenhändlerin war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis man ein Auge auf Kyra geworfen hatte. Dass sie außerdem früher einmal zu Barrs Untergrund-Bewegung gehört hatte, wussten die Friedenswahrer wahrscheinlich nicht einmal. Da sie keine Markierung mehr trug, war sie von den Herren über Toxx nicht zu orten. Darum kamen sie auch nicht persönlich, um sie abzuholen und zu einer „Reset“ zu machen, sondern hatten ihre Schergen mit der Suche nach ihr beauftragt. Mühsam rappelte Kyra sich auf. Spöttisch lachend ließ der Kerl sie gewähren. Ließ er sich Zeit, weil die Friedenswahrer schon unterwegs waren? Kyra war in letzter Minute aus ihrem Unterschlupf geflohen, aber hier, am östlichen Stadtrand von Toxx, hatte man sie gestellt. Nun hieß es kämpfen. Kämpfen, wenn sie ihre Persönlichkeit und Erinnerungen behalten wollte! Mit Schwung fuhr sie hoch und umklammerte den Arm des zweiten Angreifers. Ihre messerscharfen Fingernägel fetzten ihm die Kapuze nach hinten. Ein Schreck durchfuhr Kyra. Diese Kreatur war hässlicher als alles, was ihr in Toxx bisher über den Weg gelaufen war. Der Kopf sah aus, als bestünde er aus lauter braunen Beulen, die Haare wirkten wie dünne Zweige. Aus wulstigen Nasenlöchern schienen sich kleine Würmer zu ringeln. Die gelben Augen glichen denen eines Reptils, die Pupillen waren schwarz und in die Länge gezogen. „Tzasch’a!“, stieß die Gestalt aus – offenbar ein Kampfruf, sonst hätte das Translatorfeld über Toxx das Wort übersetzt – und ließ sich mit ihrem ganzen Gewicht nach hinten fallen. Kyra wurde mitgerissen, fiel über den Gegner. Ihre linke Hand attackierte seine Kehle, mit der rechten zog sie das Kurzschwert, das sie verdeckt bei sich trug, unter ihrer Kleidung hervor. Aus den Augenwinkeln sah Kyra, wie der erste Angreifer sich halb benommen an der Hauswand hochrappelte. Sie stach zu. Mühelos drang die Klinge in die Eingeweide des Angreifers. Warmes Blut ergoss sich über Kyras Hand. Sie keuchte, erhob sich und zog das Schwert ruckartig wieder heraus. Wenn er stirbt, locke ich die Friedenswahrer direkt hierher!, schoss es ihr durch den Kopf. Und dann gibt es kein Entkommen! Ein Mord rief die Herren über Toxx umgehend auf den Plan. Man munkelte, dass sie das Erlöschen einer intelligenten Kreatur anpeilen konnten; meist dauerte es danach keine Zento1), bis ein Schatten vom Himmel herabstieß und den Mörder einkassierte. Die Strafe war immer dieselbe: Persönlichkeitslöschung. Aber was soll’s – ich bin so und so erledigt, fuhr Kyra in Gedanken fort. Doch noch war der Angreifer nicht tot. Er blickte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht an, sog schnaubend die Luft durch die breiten Nasenflügel ein und stieß sie rasselnd wieder aus. „Du bist erledigt, Violetta!“, stieß die Kreatur hervor, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. Violetta. So wurde sie wegen ihrer Haut- und Haarfarbe genannt. Kyra gehörte zum Volk der Nemivara, zweibeinige Humanoiden mit langgezogenen Gliedmaßen und Schwimmhäuten zwischen Fingern und Zehen. Zudem hatten sie zwei Herzen und eine verkrüppelte Hand, die aus dem Steiß wuchs und von der niemand wusste, wozu sie vor Urzeiten gebraucht worden war. Ein Rascheln ließ Kyra herumfahren. Die Kuttengestalt wollte sich nach vorne werfen, doch im selben Augenblick, da sie einen Schritt auf Kyra zumachte, brach sie zusammen und blieb reglos liegen. Verdutzt starrte Kyra auf die Kreatur hinab. Was war passiert? Sie trat näher heran. Die Kapuze war verrutscht und gab einen Blick auf das Gesicht frei. Es unterschied sich erheblich von dem des ersten Angreifers, besaß kaum Konturen und glich eher dem einer Puppe. Kyra stand über der lang hingestreckten Gestalt. Sollte sie dem reglosen Angreifer das Schwert in den Leib rammen? Nein. Kein weiteres Risiko eingehen. Sie musste weg von hier, bevor weitere Jäger oder gar die Friedenswahrer auftauchten. Die Nemivara wollte herumfahren und fliehen, da wurde sie von der Finte des Puppengesichtigen überrascht. Plötzlich schwang der vermeintlich Bewusstlose die Beine herum und traf Kyra in die Kniekehlen. Sie schrie auf, sackte zusammen, und der Kuttenmann nutzte die Gelegenheit, auf die Beine zu kommen. Mit dem Handballen schlug er ihr gegen die Mundpartie. Schmerz fraß sich durch Kyras Oberkiefer und sie schmeckte Blut. Er trat ihr in den Bauch; Kyra fiel das Kurzschwert aus der Hand und klirrte über das Pflaster. Der Angreifer wollte über sie kommen, doch der Zorn verlieh der Nemivara ungeahnte Kräfte. Sie packte seinen Kopf und stieß ihm einen Fingernagel ins rechte Auge. Die Gestalt schrie und schlug um sich, doch schon nach zwei weiteren Hieben Kyras erlosch seine Gegenwehr. Wimmernd sackte der Kapuzenmann auf die Knie. Mit dem Schwertgriff schlug Kyra zu. Sie traf den Mann am Kinn, hörte Knochen brechen. Seine Augäpfel schoben sich nach oben und gaben das Weiße frei. Dann sackte er in sich zusammen. Nichts wie weg! Kyra ignorierte den Schmerz, den der Tritt verursacht hatte, und rannte los. Irgendwo hinter ihr wurde ein Fenster geöffnet und jemand schrie etwas. Nervös sah sie nach oben. War sie den Friedenswahrern entwischt? Im Dunkel der Gassen tauchte sie unter. Sich dicht an den Häuserwänden haltend, eilte sie durch die Randbezirke. Erst nach mehreren Zentos normalisierte sie ihren Gang. Schweiß stand auf ihrer Stirn, ihre beiden Herzen schlugen wild. Ein Bekannter, ein ehemaliger Angehöriger der Rebellengruppe, hatte Kyra mit Seweti-Beeren versorgt. Früher hatte sie die Beeren gegessen, um das Vergessen an ihr früheres Leben zu verzögern. Allmählich aber war sie süchtig danach geworden. Mit der nötigen Portion Wut im Bauch und einem Kurzschwert unter dem Gewand war sie nun auf dem Weg zu ihrem Bruder. Kargus lebte mit einer verschworenen Gemeinschaft im alten Az’kAhl-Bergwerk am Rande von Toxx. Dort suchten sie nach den vergessenen Büchern. Sie hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, die Waffengeschäfte an den Nagel zu hängen und Kargus aufzusuchen. Vor allem seitdem die Sucht sie im Griff hielt. Bei Kargus gab es keine Seweti-Beeren, dort konnte sie dieser Versuchung nicht erliegen. Die Schergen der Friedenswahrer, die Flucht aus ihrem Unterschlupf und der Kampf – all das bekräftigte sie in ihrer Entscheidung. Auch wenn sie die Geschichte um die Bücher, in denen das alte, vergessene Wissen der entführten Völker verzeichnet sein sollte, für ein Märchen hielt. Kyra erreichte das Ende des Bezirks. Hier war kaum jemand zu sehen. Zwei Ghalmaschs, bucklige Kreaturen, wieselten auf der anderen Straßenseite über den Gehsteig. Sie unterhielten sich lautstark; offenbar waren sie auf dem Weg zur Arbeit. Für Kyra interessierten sie sich nicht. Vorsichtig spähte sie um die Ecke. Die Luft war kühl. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Dunkelheit vollends wich. Vor Kyra breiteten sich die kantigen und düsteren Umrisse der Häuser aus. Nur wenige Lichter brannten. Die hellen Wände schimmerten im Morgennebel wie fahles Gebein. Kyra eilte weiter. Ein langgezogener Häuserbogen umarmte den kalkweißen Platz, auf dem der Mathara-Brunnen stand, ein riesenhaftes Gebilde aus Holzstangen, durchsetzt von Glasröhren, in denen bunte Leuchtfische schwammen. Am Ende des Bogens wich der Platz einigen Abschnitten aus Felsbrocken und Geröll. Steinerne Treppen führten von dort in die Innenstadt. Dahinter lag ihr Ziel – das Nebelfeld! Dunst trieb von dem Acker in langen Schleiern hoch und waberte Richtung Stadt. Kyra griff nach dem Amulett, das sie an einer Kette um den Hals trug. Es war ein Geschenk ihres Vaters gewesen, der vor vielen Jahren in den Minen von Esch’Na’Schad sein Leben verloren hatte. Ihre Mutter war an einer Virusinfektion gestorben, als sie und Kargus noch Kinder gewesen waren. Die Nemivara dachte über ihr Vorhaben nach. Im Zusammenspiel mit dem Ringplaneten, den Monden und dem Nebel herrschte diffuse Helligkeit. Genügend Sicht war also gegeben. Wenn sie Az’kAhl erreichen wollte, musste sie durch das Nebelfeld. Davor schreckten viele der Bewohner zurück, aus Angst vor den Driscolls. Doch die Seweti-Beeren wirkten in Kyra und ersetzten das mulmige Gefühl durch Zorn. Sei kein verdammter Feigling!, dachte sie. Der Nebel und die Dunkelheit schützen dich zusätzlich vor den Friedenswahrern. Wenn es hell ist, musst du das Feld durchquert haben! Den Griff des Kurzschwerts unter ihrem Wams umklammert, hetzte sie weiter. Wie gerne hätte sie eine zusätzliche Waffe besessen, zum Beispiel einen Säbel wie jener, den sie Barr besorgt hatte. Das Schwert muss reichen. Sie beeilte sich. Unbehelligt gelangte sie aus der Stadt. Zunehmend spürte sie die Wirkung der Beeren. Ihr Blutdruck stieg. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ihre Wangen glühten. Eine bizarre Landschaft erwartete die Nemivara. Sie bildete den Übergang vom Randbezirk zum Nebelfeld. Wind strich durch Gras, das sich mit blauem Sand abwechselte. Schroff stachen bizarre Kabuti-Felsen und gedrungene Bäume in die Höhe. Wolkenfetzen...