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E-Book, Deutsch, 424 Seiten
Bachmann Mattei / Collier Das Herz der Gewaltfreien Kommunikation
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7495-0597-5
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
25 Schlüsselunterscheidungen – vom Getrenntsein zur Verbundenheit Aus dem Englischen von Franka Reinhart & Anja Lerz
E-Book, Deutsch, 424 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0597-5
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Stephanie Bachmann Mattei ist zertifizierte GFK-Trainerin, Assessorin des Center for Nonviolent Communication sowie MBSR-Trainerin. Sie studierte Philosophie in Florenz, beschäftigte sich in ihrer Dissertation mit indischer Philosophie und lebt mit ihrer Familie in Florida.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Kognitionspsychologie Emotion, Motivation, Handlung
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Sozialpsychologie
Weitere Infos & Material
Einleitung
Im Alter von neun Jahren war Marshall B. Rosenberg mit seinen Eltern nach Detroit umgezogen, und bald darauf baten sie ihn, vier Tage lang das Haus nicht zu verlassen. In jenem heißen Sommer im Jahr 1943 spielten sich nämlich draußen die schlimmsten sozialen Unruhen jener Zeit ab.1 Akute Marginalisierung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, mangelhaften Lebensbedingungen und ungleichem Zugang zu Waren und Dienstleistungen hatten sie ausgelöst. Die Gewalt nahm erst ab, als US-Präsident Franklin D. Roosevelt den Einsatz von 6000 Soldaten mit Schnellfeuerwaffen befahl.
Für Marshall war das ein Schock, und schon als Kind grübelte er darüber, wie Menschen sich aufgrund ihrer Hautfarbe nur solche Gewalt antun können. Gleichzeitig erlebte er, wie sein Onkel tagtäglich zu ihnen nach Hause kam, um gut gelaunt Marshalls Großmutter zu pflegen, die selbst nicht mehr dazu imstande war, sich zu versorgen. Diese beiden gegensätzlichen Erfahrungen prägten ihn und waren eine eindrucksvolle und zugleich schmerzliche Lehrstunde für Rosenberg.
Angesichts dieser Gegensätze – Fürsorge auf der einen und die Fähigkeit zur Gewaltausübung auf der anderen Seite – begann Rosenberg sich mit existenziellen Fragen auseinanderzusetzen: Was sorgt dafür, dass Menschen nachhaltig Freude daran haben, zu geben? Und was bewirkt, dass anderen ihre Mitmenschlichkeit abhandenkommt und sie stattdessen auf Gewalt zurückgreifen?
Jahre später studierte Rosenberg klinische Psychologie bei Carl Rogers. Weil er über dieses Fachgebiet hinaus nach Antworten suchte, entschloss er sich zusätzlich zu einem Studium der vergleichenden Religionswissenschaften. Rosenberg erkannte, dass die meisten Menschen innerhalb bestimmter Dominanzsysteme sozialisiert waren. Deshalb war mangelnde Verbundenheit keine Ausnahme, sondern vielmehr die Regel. Als er dieses weitverbreitete Leid erkannt hatte, suchte er Wege, um wieder eine Verbindung zu dem herzustellen, was er als unsere menschliche Natur verstand – den Wunsch, zum Wohlergehen unserer Mitmenschen beizutragen.
Er beschäftigte sich mit den Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, dass Menschen sich mitfühlend verhalten, und arbeitete hier drei Hauptaspekte heraus: Sprache, Denken und die Strategien, die wir zur Erfüllung unserer Bedürfnisse anwenden. Auf Grundlage der Prinzipien von Gewaltfreiheit entstand die Gewaltfreie Kommunikation, die laut Rosenberg „tatsächlich die Integration einer bestimmten Spiritualität und von konkreten Werkzeugen zur Manifestation dieser Spiritualität in unserem Alltagsleben, unseren Beziehungen und unseren politischen Aktivitäten“ darstellt.2
In den 1960er-Jahren entwickelte Rosenberg das Grundkonzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) und mit ihrer zunehmenden praktischen Anwendung erforschte er grundsätzliche Unterscheidungen, wie etwa: Bitten und Forderungen, Macht-mit und Macht-über sowie die lebensbejahende und lebensentfremdende Grundhaltung. Durch jahrzehntelange Forschung, Anwendung und Vermittlung entwickelte Rosenberg eine Vielzahl solcher Unterscheidungen. Sie zu verstehen, so erkannte er, war für die Praxis der Gewaltfreien Kommunikation von fundamentaler Bedeutung. Ist der Fokus auf diese Unterscheidungen gerichtet, wird erkennbar, welch transformativen Charakter der GFK-Prozess als Lebenseinstellung hat. GFK, so stellte er es sich vor, könnte weitaus mehr sein als eine reine Kommunikationsmethode. Rosenberg sprach fortan von Schlüsselunterscheidungen, die in Kurzform auch schlicht als Schlüssel bezeichnet werden. In diesem Buch verwenden wir beide Bezeichnungen.
Die Schlüsselunterscheidungen sorgen für Klarheit und Sinn. Wenn wir zum Beispiel vollständig verstanden haben, worin der Unterschied zwischen einer Forderung und einer Bitte besteht, können wir besser im Einklang mit unseren Werten kommunizieren. Und genauso erkennen wir durch die Beschäftigung mit den übrigen Gegensatzpaaren, dass wir eine Wahl haben. Eine auf Kontrolle und Bestrafung beruhende Sozialisation trennt uns im Kontakt mit uns selbst und anderen Menschen von der „Weisheit“ unseres Körpers, unserer Gefühle und unserer Bedürfnisse. Und indem wir erkennen, wie stark unsere Sozialisation uns im Kern unseres Menschseins verändert, können wir uns wieder auf die tiefere Wahrheit unserer Gefühle und Bedürfnisse besinnen. Das befähigt uns dazu, zu unserer Ganzheit zurückzufinden und mit unserer persönlichen Stärke verbunden zu bleiben.
Wenn wir lernen, offensichtliche Gegensätze anzunehmen, erweitert sich unser Bewusstsein. „Ohne Gegensätze gibt es keine Entwicklung“, schrieb der Dichter William Blake.3 Wir glauben: Im Sinne dieses erweiterten Bewusstseins hat uns Rosenberg die Schlüsselunterscheidungen an die Hand gegeben hat, jenseits des sozialen Konstrukts von richtig und falsch und jenseits sich gegenseitig ausschließender Alternativen von entweder / oder. Er vertrauter uns diese inspirierenden Gegensätze an, mit denen wir uns auseinanderzusetzen können, und schenkte uns damit handfeste Werkzeuge zum Einüben einer bewussteren Lebensweise. Durch die Beschäftigung mit diesen Gegensätzen erkennen wir, was dem Leben dient und können uns bewusst dafür entscheiden.
Die Geschichte der Schlüsselunterscheidungen
Bedauerlicherweise veröffentlichte Rosenberg kein Buch speziell zu den Schlüsselunterscheidungen. Um so viel wie möglich über ihre Geschichte zu lernen, tauschte sich Stephanie dazu mit vielen erfahrenen, durch das Center for Nonviolent Communication (CNVC) zertifizierten Trainer:innen aus. Alle waren sich darin einig, dass Rosenberg diese Schlüsselunterscheidungen in den von ihm gehaltenen Seminaren vermittelte. Einige Trainer:innen erinnerten sich, dass er oft sagte, alles Lernen bestehe darin, immer schärfere Schlüsselunterscheidungen vorzunehmen.
In einem ihrer vielen Gespräche mit der zertifizierten Trainerin Lucy Leu erfuhr Stephanie, dass es anfangs nur knapp 20 Schlüsselunterscheidungen gegeben habe. Von ihrer Mentorin Miki Kashtan, ebenfalls einer CNVC-zertifizierten Trainerin, erhielt Stephanie den Entwurf einer Auflistung von Schlüsselunterscheidungen, die Rosenberg jedoch nicht vollendet hatte. Diese Liste weicht stark von jener Aufstellung ab, die heute zum Vorbereitungsmaterial für eine CNVC-Zertifizierung gehört.4 So wie sich der GFK-Prozess allmählich weiterentwickelt hat, verhält es sich auch mit den Schlüsselunterscheidungen.
Soziale Programmierung und Schlüsselunterscheidungen
Die Schlüsselunterscheidungen bieten uns jeweils zwei gegensätzliche Möglichkeiten für den Umgang mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit dem Leben an. Die eine Variante erfolgt unbewusst und basiert auf unserer Konditionierung – wie wir gelernt haben zu denken, zu fühlen und uns auf sozial akzeptierte Weise zu verhalten. Diese Programmierung wird durch unsere persönliche Geschichte, Bildung, Familienkultur und soziale Verortung bestimmt. Sie umfasst Faktoren wie etwa Geschlecht, ethnische Herkunft und Zugehörigkeit, gesellschaftlichen Status, Alter, körperliche Fähigkeiten, religiöse Bindung, sexuelle Orientierung und geografische Verortung. Die andere Variante strebt nach einer bewussten bedürfnisbasierten Sensibilisierung. „Um GFK zu praktizieren, ist es für mich von entscheidender Bedeutung, das Tempo zu verringern, mir Zeit zu nehmen und aus einer Energie heraus zu handeln, die ich selbst gewählt habe; einer Energie, die, wie ich glaube, unserem Wesen entspricht, und nicht jener, auf die ich programmiert wurde“5, sagte Rosenberg dazu. Durch das Gegenüberstellen zweier konträrer Möglichkeiten fordern uns die Schlüsselunterscheidungen dazu auf, das Paradigma zu erkennen, aus dem heraus wir agieren und uns klarzumachen, wie es das Verhältnis zu uns selbst, anderen Menschen und zur Welt im Allgemeinen beeinflusst.
Klarheit über unsere Gemütszustände – Gedanken, Wahrnehmungen, Gefühle und Bedürfnisse – tragen zu einem achtsamen Selbstverständnis bei. Sobald wir begreifen, durch welche Ursachen und Bedingungen diese Gemütszustände beeinflusst werden, ist radikaler Wandel möglich.
Im Laufe der Zeit bewirkt die bewusste Praxis der GFK, dass sich vorübergehende Geisteszustände zu mentalen Eigenschaften verstetigen. Und obwohl tiefgreifender sozialer Wandel gravierende Veränderungen in den für unser Leben maßgeblichen Institutionen und Systemen erfordert, ist es für solche Veränderungen unerlässlich, dass zumindest einige Menschen ihn auch auf persönlicher Ebene vollziehen. Wenn wir unsere persönliche Stärke voll entfalten, können wir uns damit einer umfassenderen kollektiven Stärke anschließen. Gemeinsam besitzen wir die Macht, sozialen Wandel hin zu lebensbereichernden Systemen zu bewirken.
Wenn wir unsere konditionierten Gemütszustände benennen und uns klar ist, welche Art von bedürfnisbasiertem Bewusstsein wir anstreben, dann sind es unter anderem die Schlüsselunterscheidungen, die uns zu mehr Einfühlsamkeit hinsichtlich unserer neurologischen Verschaltungen und sozialen Konditionierungen verhelfen. Als Autorinnen haben wir uns entschieden, auch neurowissenschaftliche Erkenntnisse in dieses Buch einfließen zu lassen. Unserer Erfahrung nach fördern solche Informationen das Verständnis und Mitgefühl für uns selbst und andere Menschen.
In reguliertem Zustand funktioniert unser Gehirn ganz anders und ist zu ausgeglichener, zufriedener und...