E-Book, Deutsch, 114 Seiten
Bachmann Das Honditschkreuz
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-492-97455-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 114 Seiten
ISBN: 978-3-492-97455-4
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ingeborg Bachmann gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, Österreich geboren. Bachmanns Karriere als Schriftstellerin Nach ihrem ersten Studienjahr in Innsbruck und Graz (1945/46) gelang ihr mit der Erzählung »Die Fähre« die erste Veröffentlichung. Sie setzte ihr Studium der Philosophie, Germanistik und Psychologie in Wien fort, wo sie unter anderen Paul Celan, Hans Weigel, Ilse Aichinger und Victor Kraft traf. Nach ihrer Promotion mit einer Dissertation über »Die kritische Aufnahme der Existentialphilosophie Martin Heideggers« im Jahr 1949 veröffentlichte sie erste Gedichte in der Zeitschrift Lynkeus und Erzählungen in der Wiener Tageszeitung. Bachmann arbeitete auch an einem ersten, unveröffentlichten und verschollenen Roman »Stadt ohne Namen«. Nach ihrem Studium arbeitete sie für den amerikanischen Sender Rot-Weiß-Rot und schrieb Dramen, Rundfunkessays und Hörspiele, darunter »Ein Geschäft mit Träumen« (1952), »Die Zikaden«(1955) und »Der gute Gott von Manhattan« (1958). Bachmanns Überzeugung, dass nur Literatur und Kunst die existenziellen Grunderlebnisse des modernen Menschen ausdrücken können, entstand aus der Perspektive der Wiener Schule, der neopositivistischen Wissenschaftstheorie ihres Doktorvaters Victor Kraft und der Sprachkritik Ludwig Wittgensteins. Ihre Beschäftigung mit Viktor E. Frankls psychotherapeutischer Forschung und ihrer Freundschaft mit dem Dichter Paul Celan, dessen Familie zu den Opfern des Holocaust gehörte, führten zu einer »tiefgreifenden Verwandlung ihres Denkens und Schreibens« im Sinne eines kritischen Ethos. Lyrik und Musik Bachmanns erster Lyrikband »Die gestundete Zeit« (1953), für den sie den renommierten Preis der Gruppe 47 erhielt, appellierte an das kritische Gewissen der Zeitgenossen angesichts des Kalten Krieges und der gesellschaftlichen Restauration. In ihrem zweiten Gedichtband »Anrufung des Großen Bären«(1956) kehrte sie zu traditionelleren lyrischen Formen zurück. Bachmanns Synthese von Zeitkritik, literarischer Moderne und lyrischer Tradition bildete die Grundlage ihres raschen Aufstiegs zur wichtigsten deutschsprachigen Dichterin der Nachkriegszeit. Auf Einladung des Komponisten Hans Werner Henze brach Bachmann im Sommer 1953 nach Italien auf, um dort eine Existenz als freie Schriftstellerin zu begründen. Die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Henze, der sie insbesondere in die Welt der Oper einführt, schlägt sich u.a. in den Opernlibretti »Der Prinz von Homburg« (1958) und »Der junge Lord« (1965) sowie in theoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Musik und Dichtung nieder. Die Rolle der Literatur in der Nachkriegszeit In den zehn Jahren nach dem Aufbruch aus Wien lebte sie in Rom, München, Neapel und Zürich und eröffnete im Wintersemester 1959/60 die Frankfurter Vorlesungen zur Problematik zeitgenössischer Dichtung. Dabei fasste sie ihre poetologischen Überlegungen erstmals systematisch zusammen und verortete sie im Prozess der Moderne literarhistorisch. Bachmann vertraute der Fähigkeit der Literatur, angesichts der verzweiflungsvollen »Dunkelhaft der Welt« unsere Möglichkeiten zu erweitern. Diese Haltung spiegelt sich in ihren Erzählungen des Bandes »Das dreißigste Jahr« wider. Beziehung mit Max Frisch Zwischen 1958 und 1962 waren sie das Traumpaar der deutschen Literatur. Die Trennung von Max Frisch 1962 fiel mit einer Lebenskrise zusammen, die den Ausgangspunkt für einen literarischen Neuansatz bildete. Die Erfahrungen von Schmerz und existenziellen Krisen fanden sich u.a. in ihrem »Todesarten«-Projekt. Am 17. Oktober 1973 starb Ingeborg Bachmann im Alter von 47 Jahren in Rom an den Folgen eines Brandunfalls.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I
Der Staub fuhr leicht auf und legte sich um die schelpernden Räder. Das Weib, das am schmalen Brett des Wagens hockte, hielt die Zügel lose und blickte, matt von der Sonne, ausdruckslos in die Gegend. Auf der braunen Stirn glänzten ein paar Tropfen. Die Hand des Weibes langte nach der Schürze und fuhr, langsam Kreise ziehend, über das derbe, knochige Gesicht, das schmal war und noch länger wirkte, da es eng von einem schwarzen Kopftuch umschlossen wurde. Die dunklen Augen lagen regungslos und ohne Spiel. Es war kaum zu denken, daß hinter dieser Stirn Gedanken lebten.
Das Roß ging oft unruhig, schlug mit dem Schweif und hatte Lust zu tänzeln, so peinigten es die leidigen Fliegen, und die Bremsen bissen obendrein.
Der Weg von Vellach nach Hermagor dehnte sich endlos an solchen heißen Tagen. Staub und überflüssige Windungen waren genug Qual, ein Ende der Fahrt herbeizuwünschen. Neben der staubenden heißen Unfreundlichkeit der Straße aber dehnten sich die Wiesen, die zur Linken ein wenig durch Quellen versumpft und dadurch doppelt leuchtend grün und saftig wuchsen, zur Rechten dagegen schon bräunlich und gelb von der Hitze waren, die gar nicht ablassen wollte, die Wiesen niederzubrennen. Die Wälder zogen dahinter in Mügeln; wunderschön stand das Holz. Das war in der Ferne, hinter den letzten Häusern Hermagors der Eckforst, entlang der Straße der Achforst, der jetzt, sehr knapp, wohltuende Schatten warf.
Erschreckend hörten sich in das eintönige Rattern des Wagens die Schritte an, die plötzlich laut hinterher gingen. Das Weib wandte sich:
»Ah, der Slowen … «, sagte sie wegwerfend.
Der dürre kleine Mensch war dabei schon mit einem Sprung neben dem Wagen und grinste behaglich:
»Naiin …«, er zog es genießerisch in die Länge. »Naiin, was ich sehe! Die Mölzer Waba unterwegs. Mit einem Wagen unterwegs … Ein schöner Wagen. Ist halt doch was Besonderes, so ein eigener Wagen, ha?«
Der Mund des Hausierers zog sich noch bedenklicher in die Länge.
»Mußt mir halt deinen leihen, wenn dir dem Kondaf seiner nicht paßt.«
»Ich täts wohl. Wär ja auch gern getan. Aber wenns zum Danken kommt, wird dir halt auch lieber sein, du kannst zum Kondaf ins Bett steigen als zu mir«, spöttelte er weiter und legte die Hand auf die stark vorgewölbte Hühnerbrust.
Die Mölzerin sah gleichmütig geradeaus, ließ dann nur die Zügel ein wenig schärfer fallen, so daß das Roß schneller ging und der Hausierer atemlos humpeln mußte, um ihr an der Seite zu bleiben.
Mate Banul, der Slowen, wie die Leute ihn kurzweg nannten, kam einige Male in jedem Jahr von Villach durch das Gailtal herauf. Seit wann, dessen konnte man sich nicht mehr erinnern. Er gehörte irgendwie zum Auf und Ab der Jahre. Die Weiber und Dirnen mochten ihn gern und freuten sich auf die schillernden Ketten und bunten Bänder, die Bauern kauften sich einen neuen Taschenfeitel, Schrauben, Nägel und Werkzeug; ebenso oder aber am meisten warteten alle auf die vielen aufregenden Geschichten und Geschehnisse, die er meisterhaft zu erzählen wußte, um die Neugier der in so abgelegenen Dörfern lebenden Bauern auf ihre Kosten kommen zu lassen. In den Märkten, wie etwa Hermagor, war er aber nicht weniger gern willkommen, denn man hatte hier auch ein offenes Ohr für Tratsch und Klatsch wie anderswo. Mate Banul war aber kein Slowene, sondern Windischer.
Die Windischen leben im Gailtal, ebenso wie überall im Süden Kärntens inmitten von Deutschen, sie haben ihre eigene Sprache, die weder von Slowenen noch von Deutschen so richtig verstanden wird. Mit ihrem Dasein ist es, als wollten sie die Grenze verwischen, die Grenze des Landes, aber auch der Sprache, der Bräuche und Sitten. Sie bilden eine Brücke, und ihre Pfeiler sitzen gut und friedlich drüben und herüben. Und es wäre gut, immer so zu bleiben. Sie nennen die Gail Zila und haben noch viel Wundersames und Geheimnisvolles in ihrem Tun. Ihre Lieder sind wie vom Traum einer größeren Weite getragen und klingen über die überall nahen Berge weg, so bestrickend und mit dem Wasser der Zila fließend, wie es die Lieder des unendlichen Rußlands täten. Abends lehnen die Gitschen in ihren roten Kitteln am Ufer, und man hört diese Weisen noch weit außer den Weidenbüschen verklingen.
Es war eine besondere Eitelkeit von Mate Banul, sich als Slowenen zu bezeichnen, um als Fremder, wie etwa als seltenes Tier, bestaunt zu werden. Dieses Staunen der leichtgläubigen Bauern nahm jedoch nach einiger Zeit ab, und als man einmal erfuhr, er sei so nur ein Windischer aus der Arnoldsteiner Gegend, frozzelte man ihn gehörig, ein Umstand, den er, überlegen handelnd, lächelnd überging und bald zum Einschlafen brachte. Trotz alledem blieb er der Slowen.
Jetzt schritt er schweigend neben dem Wagen und blickte, dauernd Grimassen reißend, auf die dünnen, dreckigen Beine, die in viel zu großen schwarzen Bergschuhen schwankten. Die Schuhe waren vom vielen Gebrauch formlos geworden, wie denn auch dieses ganze zaundürre Gestell ohne Form war und man fürchten konnte, daß es im nächsten Augenblick gleich einem Skelett klappern würde. Der Oberkörper war von einem zerschlissenen grauen Rock umschlossen, ein von Schmutz starrendes Hemd, dessen ursprüngliche Farbe nicht mehr ergründbar war, wurde am Hals sichtbar. Die Hose, eng anliegend und bis zum Knie reichend, war noch ziemlich neu und das Schwarz des Stoffes funkelte wie der Sonntagsrock einer Bäuerin. Dann wurden die nackten Füße sichtbar, auf deren Krusten die vorquellenden Augen des Slowenen lagen. Die Hakennase, schmal wie ein Messerrücken, sah am gebeugten Kopf noch vorsteigender aus.
Nach einiger Zeit drehte er schnell den Kopf zur Frau nach oben. Die dünnen Lippen zuckten:
»Bist nicht neugierig, von wo ich herkomme?«
Auf ihre wieder schweigende Gleichmütigkeit blieb er eine Weile stumm, um aber bald mit verschlagener Miene zu seufzen.
»Wenn man so weit geht … Ganz hin bin ich heut.«
»Sitz halt auf«, ärgerte sich die Waba. Sie beutelte den Kopf unwillig, als wollte sie einen Quälgeist abtun. Der sprang derweil schon von hinten auf den Ast und fuchtelte mit Beinen und Armen, wobei die einen beschäftigt waren, Fuß zu fassen und die anderen sich mühten, die flimmernden Habseligkeiten, jetzt von zwei grobleinenen Säcken umschlossen, in den Wagen zu bringen. Die Frau rückte zur Seite, so daß er noch Platz am Brett fand. Seine Augen gingen unruhig, spähten nach allen Seiten, bis er einen Sack unter dem Brett entdeckt hatte. Darauf setzte er sich ruhig zurecht und strich das schöne schwarze Tuch der Hose zu sich her glatt, bis nicht das kleinste Fältchen mehr bockte. Dann griff er unter das Brett, verfing sich dabei ein wenig in den Röcken der Frau und zerrte den Sack hervor. Er war in der Hälfte mit einem schmalen Fetzen abgebunden, der obere Teil sank leer und lose zu Boden. Mate Banul bohrte den Zeigefinger durch die festgewürgte Öffnung und lachte glucksend. Er luchste endlich mit viel Mühe ein paar goldgelbe Körner hervor, schob sie im Handteller zusammen und schupfte sie ein paarmal in die Höhe, um sie darauf der Waba hinzuhalten.
»Nein, was ich sehe!« Er tat, geheimnisvoll und achtsam in die Gegend schauend, als ob sie niemand beobachten sollte.
»Tust du schon Türken ernten, wenn er bei den anderen kaum Tschurtschen macht?«
»Paßt es dir gar nicht?« staunte sie.
»Aber, aber … Ich werd ja wohl fragen dürfen. Wie hätt ich mir denken können, der Kondaf hat noch im Juli Türken übrig, wo andere schon lang nimmer Sterz essen können, weil er im Frühjahr zu Ende gegangen ist. Aber reiche Leute soll es ja auch geben.«
»Wird ja nimmer lang so bleiben«, meinte sie ablenkend.
»Wenn die Abgaben auch kein End nehmen, wirst bald nicht ärmer sein als die anderen.«
»Immer gleich seufzen; das schaut euch gleich. Hast denn vergessen, was für ein Segen war, daß die Franzosen unser miserabliges Geld abgeschafft haben. Seit wir den Bankozettel los sind, geht das Geschäft wieder besser.«
»Ha, bei dir vielleicht«, fuhr die Waba auf. »Bei so etwas kannst du nur an dich denken. Das schaut dir wieder gleich, du windischer Slowen. Ob sie uns das letzte Körndl nehmen oder nicht, ist dir ja gleich. Beutelst dich ab wie ein nasser Hund und denkst dir, wenns nur mir nichts tut und ich mein Fressen krieg.«
»Sind dir am End die paar Krapfen zuviel, die ich dir wegiß? Brauchst mir nur sagen und ich werd daran denken.«
»Hö …«, machte sie und drehte sich unwirsch weg.
»Vor einem halben Jahr warst noch nicht so schlecht auf die Franzmandeln zu sprechen.«
»So, nicht daß ich wüßt.«
»Aber ich...