E-Book, Deutsch, Band 4, 224 Seiten
Reihe: Zimt Staffel I
Bach Zimt und verwünscht
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7336-5157-2
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die vertauschten Welten der Victoria King
E-Book, Deutsch, Band 4, 224 Seiten
Reihe: Zimt Staffel I
ISBN: 978-3-7336-5157-2
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dagmar Bach liebt Harmonie und Tee und hat schon als Innenarchitektin dafür gesorgt, dass sich die Menschen rundherum wohlfühlen. Ihr eigener Happy Place sind ihre Geschichten, die sie seit einigen Jahren aufs Papier bringt. Ihr Debüt »Zimt & weg« wurde auf Anhieb ein »Dein-SPIEGEL«-Bestsellererfolg. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in München.
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1.
Der erste Samstag im neuen Schuljahr versprach ein echtes Highlight zu werden. Denn so sehr ich unsere Kleinstadt liebe, in der ich mit meiner Familie und meinen Freunden lebe, so sehr brauche ich auch manchmal Abwechslung.
Und Abwechslung hatte ich heute – in Form eines Ausflugs in die Großstadt, die knappe zwei Stunden von unserem Ort entfernt liegt.
»Wann sind wir denn endlich da?«, fragte Pauline gerade, als Dad den Blinker setzte und von der Autobahn abfuhr.
»In zehn Minuten. Und wenn nicht viel los ist, geht es vielleicht sogar noch schneller.«
Und wir waren tatsächlich schon mittendrin. Links und rechts von uns erstreckten sich nach Industriegebieten, ländlichen Vororten mit alten Villen und Gärten immer dichter werdende Häuserfronten, bis wir in die Nähe der lebhaften Innenstadt kamen. In der Ferne sah ich den hohen Fernsehturm – eines der Wahrzeichen der Stadt.
Mum hatte das Fenster am Beifahrersitz heruntergelassen, und die typische Großstadtmischung aus Abgasen und Asphalt erfüllte sofort das Wageninnere. Vor Vorfreude kribbelte es in meinem Bauch, und auch meine Freunde, die uns auf den Ausflug begleiteten, schauten sich gespannt um.
Hier und da erkannte ich ein prägnantes Gebäude oder einen Platz – da vorne war zum Beispiel dieses tolle Theater, in dem ich mal mit Mum in einer Vorstellung von war, sonst kannte ich mich nicht besonders gut aus. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass ich dem heutigen Tag entgegenfieberte.
»Wir essen doch erst was, bevor wir losgehen, oder?«, sagte ich unruhig und dachte an das einsame Butterhörnchen, das ich heute zum Frühstück hatte. Zu mehr war ich nicht gekommen, obwohl wir erst am späten Vormittag losgefahren waren. Schwerer Fehler.
»Ihr müsst natürlich zu Alfredo, da gibt es die besten Piadine der Welt!« Mums Augen leuchteten, als sie sich in ihrem Sitz zu uns umdrehte. »Kennt ihr die? Das sind Teigfladen, gefüllt mit so tollem Antipasti-Gemüse, Rucola und Käse, und Alfredo macht einfach die besten, und man kann sich auch noch … ach, wisst ihr was? Wir bringen euch vorbei, und ich lade euch ein. Ihr braucht ja was im Magen, bevor ihr den ganzen Nachmittag durch die Stadt zieht. Die Zeit dafür haben wir doch noch, oder, Kenneth?«
Dad nickte, verließ die zweispurige Ringstraße und schlängelte sich kurz darauf zielsicher durch kleine Seitenstraßen. Er und meine Mum hatten sich in dieser Stadt beim Studium kennengelernt und hier ein paar sehr glückliche Jahre verbracht – demzufolge kannten sie sich bestens aus. Als Student lerne man seine Umgebung fürs Leben kennen, behaupteten beide immer. Allein deshalb, weil man kein Geld für ein Auto hat oder sich Selbiges für die U-Bahn sparen möchte.
Meine beste Freundin Pauline war jedes Mal ganz Ohr, wenn meine Eltern von ihrer Zeit in der Stadt sprachen. Sie wollte auch studieren, am liebsten sofort. Vermutlich hätte sie dank ihres Superhirns sämtliche Aufnahmeprüfungen sogar schon jetzt, mit fünfzehn Jahren, geschafft, aber sie beteuerte immer wieder, dass sie warten und erst zusammen mit mir das Abi machen würde. Damit ich nicht so alleine war. (Und damit sie – den neuesten Liebesentwicklungen entsprechend – so lange wie möglich in der Nähe ihres Freundes Nikolas bleiben konnte.)
»Müssen wir wirklich noch ins Café? Ich hab gar keinen Hunger, ich würde gerne direkt los«, nölte Claire hinter mir.
Ja, Exerzfeindin Nummer eins war ebenfalls dabei, kaum zu glauben. Mit Betonung auf Denn auch wenn wir uns früher – na ja – nicht so gut verstanden haben, wurde Claire so langsam zu einer echten Freundin. Was allerdings nicht bedeutete, dass sie ihre alten Gewohnheiten ganz abgelegt hat – oder ihr Äußeres. Obwohl sie sonst auch oft gnadenlos overdressed und zu stark geschminkt ist, hatte sie sich heute besonders in Schale geschmissen. Vermutlich wollte sie sich auf keinen Fall als Landei die Blöße geben. Oder sie träumte immer noch davon, von Scouts entdeckt zu werden.
Jedenfalls trug sie einen ultrakurzen Rock mit stylishem Oversizeshirt und dazu ihre extrahohen Plateausandalen. Seit unserem letzten Schulausflug wusste ich allerdings, dass sie mit denen mindestens so schnell und lang laufen konnte wie unsere Klassenlehrerin Frau Geiger, die ausschließlich Gesundheitsschuhe trug und Waden hatte wie ein Fußballer. Unsere komplette Klasse war nach Claires Zehnkilometermarsch schwer beeindruckt gewesen. Noch dazu, als sie nach unserer Rückkehr kurz die Schuhe auszog und ihre Füße weder rot, geschwollen, schwitzig noch irgendwo aufgeschrubbelt waren. Inzwischen vermuteten Pauline und ich, dass sie Füße aus Stein hatte. Oder, bei Schickimickifamilie, vielleicht aus Marmor.
»Keine Chance, Claire, wir sterben hier alle vor Hunger. Du wirst dich noch eine halbe Stunde gedulden müssen.« Konstantin, der neben mir in der mittleren Sitzreihe saß, meine Hand hielt und ungeduldig mit dem Fuß wippte, war unerbittlich. Kein Wunder. Sein Magen knurrte schon seit einer Stunde so laut, dass Dad zwischenzeitlich Angst hatte, dass etwas mit Franks Auto, das wir uns geliehen hatten, nicht stimmte, und deswegen sogar kurz rechts rangefahren war.
Claires Freund Leonard nickte heftig. »Wo Konstantin recht hat, hat er recht. Wenn ich nachher deine Tüten schleppen soll, brauche ich Kraft.«
Claire kniff die Lippen zusammen. Laut Mum steckte sie einfach noch in Verhaltensmustern fest, die sie zu lange antrainiert hatte und deshalb so schnell nicht mehr loswurde. Sie sei aber auf einem prima Weg, zu einem ganz normalen Mädchen zu werden. Oder so normal, wie Claire eben sein konnte.
Das durfte man natürlich vor ihr nicht laut sagen, aber ich fand, meine Mutter lag da gar nicht falsch. Claire tat zwar manchmal zickig, aber wenn man ihr Kontra gab, war sie null eingeschnappt, und sie konnte immer öfter sogar über sich selbst lachen. Mittlerweile verbrachte ich meine Zeit tatsächlich gerne mit ihr.
Und obwohl Claire zu Hause nur mit dem Finger schnippen musste, wenn sie Lust auf einen Shoppingtrip in die Stadt hatte, bevorzugte sie offenbar unsere Begleitung – obwohl sie das so direkt nie sagte. Aber als sie neulich zu Besuch war und von unseren Plänen für das Wochenende Wind bekommen hatte, hatte sie so lange auf Mum eingeredet, bis die ihr angeboten hatte, mitzukommen. Und weil Claire entgegen ihrer Beteuerung mittlerweile nur noch ganz schlecht ohne Leonard sein konnte (sie bestritt nach dem schicksalhaften Abend von Pollys und Franks Caféeröffnung vor fünf Wochen, dass sie ihn eigentlich jede Minute des Tages um sich haben wollte), hatte Mum Tante Pollys Verlobten Frank gefragt, ob er uns nicht seinen VW-Bus leihen konnte.
Nachdem wir nun ein großes Auto und jede Menge Sitzplätze hatten, hatten Konstantin und Nikolas sich praktisch selbst eingeladen. Nicht, dass ich etwas dagegen hatte. Oder Pauline. Im Gegensatz zu Claire konnten sowohl meine beste Freundin als auch ich sehr gut zugeben, dass wir einfach sehr verliebt waren und so viel Zeit wie möglich mit unseren Freunden verbringen wollten.
Und so hatten wir uns an diesem Samstag zu acht auf den Weg in die Stadt gemacht – Claire, Leonard, Pauline, Nikolas, Konstantin, Mum, Dad und ich. Tante Polly und Frank kümmerten sich derweil um das
»Ah, da vorne ist schon, schaut mal. Und die Sonne scheint, dann könnt ihr draußen essen, so ein Glück!«
Claire legte schnell noch einmal Lipgloss nach, als Dad den Bus in eine Parklücke manövrierte und wir alle nacheinander ausstiegen, um Mum zu folgen, die bereits vorausgetänzelt war.
»Oh, hallo-oh, Alfredo!«, rief sie schon und winkte jemandem im Inneren des Ladens zu. Sie benahm sich, als würde sie jeden Morgen hier frühstücken. »Sucht euch einen Platz, ich bin gleich wieder da.«
Wir stellten schnell zwei Tische zusammen und setzten uns Schulter an Schulter auf die wackeligen Holzstühle, während Mum und Dad an der Bar standen und in ein angeregtes Gespräch mit dem Typen hinter der Theke vertieft waren. Warum wunderte ich mich eigentlich immer noch, dass sie auch hier alles und jeden kannten? So waren meine Eltern, jeder musste sie einfach ins Herz schließen und hielt ihnen auch dann noch die Treue, wenn er sie Jahre nicht gesehen hatte.
»Aber beeilt euch bloß. Das geht alles von meiner Shoppingzeit ab.« Claire konnte es nicht lassen, das Gemecker lag ihr echt im Blut. Wobei sie trotz alledem einen sehr interessierten Blick in die kleine Speisekarte warf, die auf dem Tisch lag. »Cool, die Fladen gibt’s ja sogar in low carb.«
»Wer will denn ?«, fragte Pauline und schnappte sich die andere Karte.
»Du offenbar nicht.«
»Du willst damit hoffentlich nicht sagen, dass ich es nötig habe!«
Claire sah Pauline ungerührt an. »Hast du nicht. Aber ein bisschen Sport würde dir trotzdem nicht schaden.«
»He, sag mal, was soll das denn jetzt –«
Nikolas fing an zu lachen und hörte selbst dann nicht auf, als Pauline ihn in den Oberarm boxte.
»Ich hab dafür andere Qualitäten«, sagte sie so würdevoll wie möglich. »Manchmal frage ich mich, warum ich nicht wirklich eine Klasse überspringe und euch alle hinter mir lasse!«
»Weil du uns dafür viel zu liebhast«, antwortete ich, lehnte mich zu ihr hinüber und gab ihr einen Schmatz auf die Wange. »Und jetzt such dir was zu essen aus. Etwas mit vielen Kohlenhydraten.«
Zu Claires großer Freude schaffte es der Koch, sechs Piadina-Fladen innerhalb von fünf Minuten fertigzuhaben. Und leider konnten...