E-Book, Deutsch, 194 Seiten
Baar / Idel / Pohlmann-Rother Kooperation in der Grundschule
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-037976-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Konzepte - Modelle - Umsetzung
E-Book, Deutsch, 194 Seiten
ISBN: 978-3-17-037976-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kooperation gilt als zentraler Bestandteil einer inklusiven, leistungsfähigen, sozial gerechten und mit einer erweiterten Verantwortung für Erziehung, Bildung und Betreuung ausgestatteten Grundschule. Für gelingende Kooperation zwischen Fachkräften untereinander und mit außerschulischen Beteiligten müssen jedoch entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden.
Der Band der Reihe "Grundschule heute" klärt begriffliche Konzeptualisierungen und gibt einen fundierten Einblick in den Diskurs sowie den Forschungsstand zu Kooperation im intra- wie multiprofessionellen Team. Anschließend zeigt er Anlässe und Besonderheiten inner- wie außerschulischer Kooperationsfelder, -formate und -praktiken in der Grundschule auf. Konkrete Hinweise zu Gelingensbedingungen und tragfähigen Kooperationsformaten für eine kooperativ-vernetzte Professionalität in der Grundschule schließen das Buch.
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1 Einleitung
»Und es gab tatsächlich einmal donnerstags dann Teamsitzung, oder gibt's immer noch, und im Endeffekt hatte ich mir von der Teamsitzung versprochen damals, dass du einfach sagst: ›Okay, was haben wir für ein Thema, setzen wir uns zusammen, mach du mal den Teil, oder besorg du mal den Teil, und nächste Woche machen wir hier einfach einen Mittag und basteln uns das Zeug zusammen, machen's gleich in doppelter Anfertigung, stellen das im Lehrerzimmer hin, und dann haben wir wieder 'ne entspannte Woche, in der wir uns wirklich um die Prozesse in der Klasse kümmern können, aber vom Material her den Rücken frei haben und mal wirklich uns auf die Kinder konzentrieren können.‹ Also, hätte man machen können, das hat aber nicht geklappt. Die Teamsitzungen laufen so ab: Also es gibt vier Lerngruppen, und du bist im ›Team‹ äh, Anführungsstriche, in der Lerngruppe drin, also du bist bis zu acht Personen bei den Teamsitzungen, und das war wirklich so: Wir hauen uns die Kopien um die Ohren, und: ›Wer hat mehr Kopien?‹ Und für mich war das dann im ersten Jahr das Problem. Ich habe mir zu Hause ja Zeug rausgesucht, hatte da schon Schwierigkeiten, mir was Gutes rauszusuchen, und bin mit so einem Berg dann, mit so einem richtig hohen Berg heimgelaufen; und hab dann gedacht: Wozu mach ich das überhaupt? Später habe ich dann gelernt, dass ich das Zeug in die Tonne drück gleich. Also das klingt jetzt ganz makaber, aber das das hat mich gerettet im Prinzip.« (Konrad, Grundschullehrer, ca. 30 Jahre alt)1 Was der junge Grundschullehrer im obenstehenden Interviewausschnitt schildert, kann als Prototyp gescheiterter Kooperation gelesen werden. Einerseits benennt Konrad wichtige Ziele arbeitsteiliger, interkollegialer Zusammenarbeit: Unterricht bzw. Unterrichtseinheiten werden gemeinsam geplant, hierfür notwendige didaktische Materialien zusammengetragen, gesichtet und/oder selbst entwickelt, um zum einen qualitativ hochwertige Lernprozesse initiieren zu können, zum anderen aber auch, um zeitliche Entlastung zu erfahren. Die damit verbundene Zeitersparnis mündet dabei nicht in persönlicher Freizeit, vielmehr wird sie dazu genutzt, sich auf die Lernprozesse der Schüler*innen zu konzentrieren und diese gezielt zu unterstützen. Soweit die Zielsetzung, soweit die Theorie. In der Praxis erlebt Konrad das Gegenteil: Das, von dem er sich Entlastung verspricht, wird für ihn zur massiven Belastung. Statt Zeit einzusparen, verbringt er nun zusätzliche Nachmittage in Teambesprechungen und anschließend damit, eine Unmenge an dort ausgetauschtem Material zu sichten. Das Team, das er gar nicht als solches bezeichnen möchte, setzt sich aus zu vielen Personen zusammen. Der Prozess der Zusammenarbeit erscheint unkoordiniert, er artet in eine Materialschlacht aus, die die Herausforderung, geeignete Unterrichtsmaterialien für einen anspruchsvollen Unterricht zu identifizieren, noch verschärft. Der Grundschullehrer torpediert die Praxis, indem er zwar weiterhin an den institutionalisierten Sitzungen teilnimmt, die Ergebnisse des Austauschs aber ignoriert und sich der entstandenen Materialsammlung sofort entledigt.
Dass sich Kooperation zwischen Lehrkräften auch ganz anders gestalten kann, zeigt der Bericht einer anderen Lehrerin: »Und irgendwann haben wir uns zusammengesetzt und gesagt: ›Leute, wir machen hier genau das Gleiche, warum sprechen wir uns nicht ab?‹ Also ich glaube, das beruht einfach auf guter Kommunikation und zu wissen, man darf auch scheitern. Ich darf dann auch mal sagen: ›Ich hab’ das nicht so gut gemacht‹ oder ›Meine Unterrichtsstunde war einfach nicht gut‹, um es überhaupt optimieren zu können. Wenn jeder immer die Türen schließt und sagt: ›Naja, es war ja alles toll, alles gut‹ und man nie darüber spricht, dann kann man sich auch nicht weiterentwickeln. [...] Und darauf basiert eigentlich unser Konzept, dass wir diese Teamrunden am Dienstag haben, manchmal mit einer Dienstbesprechung, und manchmal auch nicht. Und dann einfach Zeit haben am Nachmittag zu planen, zu strukturieren, über bestimmte Kinder zu sprechen. Manchmal braucht man den Austausch auch einfach so: ›Wie gehe ich jetzt weiter vor? Was kann ich machen? Das und das haben wir gemacht, wo können wir uns noch melden?‹. Und das hilft ungemein für den fachlichen Teil. [...] Dann verfolgen wir das Konzept, dass wir keinen Sprachkurs haben, wo die Kinder rausgenommen werden. Also bei uns findet Förderung nicht extern statt im Sinne von ›Wir nehmen die Kinder aus der Klasse‹, sondern wir machen alles im Klassenverband. Das heißt, wir sind öfter mal eine Person mehr. Aber diese Person ist dann genau für sowas da, um Lesetraining zu machen. Um in Mathe mit einer Gruppe zusammenzusitzen, die vielleicht ein bisschen schwächer ist. [...] Und wir versuchen jeden Tag, die Probleme einfach zu lösen. Das reicht von ganz kleinen Dingen zu ganz großen Dingen, um den Unterricht inklusiv zu machen, Basiszeiten zu optimieren, Freiarbeitsmaterial zu optimieren. Also an vielen Stellen versuchen wir, uns weiterzuentwickeln und das Kind immer wieder in den Fokus zu setzen und die Stärken zu sehen.« (Sara, Seiteneinsteigerin an einer Grundschule, ca. 30 Jahre alt)2 Sara macht diametral andere Erfahrungen als Konrad mit Kooperation an der Schule, an der sie seit einiger Zeit als Seiteneinsteigerin tätig ist. Von Anfang an spricht sie von einem »Wir«, ein »Ich«, wie es Konrad häufig verwendet, kommt in der Passage gar nicht erst vor. Sie sieht sich als Teil eines Teams, zu dessen Entstehen ebenfalls eine bewusste Initiative notwendig war: Die Aufgaben, die bei allen Beteiligten vergleichbar sind, sowie das Hinarbeiten auf gemeinsame Ziele führen zur bewussten Entscheidung, sich wöchentlich in Teamrunden zusammenzufinden. Auch hier stellt die gemeinsame Unterrichtsplanung ein wichtiges Feld kooperativen Handelns dar, dies allerdings gleichberechtigt neben einer allgemeinen Strukturierung bzw. Organisation des Unterrichtsgeschehens sowie dem Austausch über bestimmte Kinder. Ziel ist es, die individuellen wie gemeinschaftlich vorhandenen berufsbezogenen Kompetenzen im Rahmen einer Professionellen Lerngemeinschaft weiterzuentwickeln, um die Lernprozesse der Schüler*innen differenziert und stärkenorientiert zu unterstützen. Die junge Lehrerin betont dabei auch Voraussetzungen für gelingende Kooperation: Austausch, Kommunikation, der Wille, sich weiterzuentwickeln sowie Vertrauen, das einschließt, eigenes professionsbezogenes Scheitern einzugestehen und im Team öffentlich zu machen. Es geht bei den geschilderten Kooperationsanlässen durchaus auch um arbeitsteilige Verfahren und die Aufteilung von Zuständigkeiten, dennoch steht die ko-konstruktive Weiterentwicklung der Schule und des Unterrichts zum Wohle der Kinder im Mittelpunkt der Zusammenarbeit. Beide Interviewpartner*innen berichten von institutionalisierten Formen der Kooperation, die an ihren Schulen bestehen und die die Weiterentwicklung der Organisation und des Unterrichts fokussieren. Eine Besonderheit ist, dass in beiden Sequenzen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, die Schüler*innen bzw. deren Lernprozesse ins Zentrum gerückt werden. Es geht zwar sehr wohl auch um fachlichen Austausch und Arbeitserleichterung, dennoch bleibt immer das Kind als Subjekt Ziel des kooperativen Handelns. Ob dies ein Spezifikum von Kooperation in der Grundschule darstellt, kann – vor dem Hintergrund hierzu nur unzureichend vorliegender empirischer Daten – an dieser Stelle nur als vage These formuliert werden. Unabhängig von einer spezifischen Schulart stellt die Ständige Konferenz der Kultusminister gleich zu Beginn der von ihr verfassten, alle Phasen der Lehrer*innenbildung stark prägenden Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften fest, dass »die Fähigkeit und Bereitschaft« von Lehrkräften »zur Kooperation mit anderen Professionen und Einrichtungen« (KMK 2019, 2) vor dem Hintergrund gesellschaftlicher wie schulischer Entwicklungen zunehmend Bedeutung erhalte. Entsprechend wird unter dem Kompetenzbereich ›Erziehen‹ darauf verwiesen, dass Lehrkräfte »die Möglichkeiten der Kooperation mit anderen Professionen und Einrichtungen« (ebd., 9) nutzen sollen, um »Benachteiligungen, Beeinträchtigungen sowie Barrieren« zu erkennen und »Unterstützung und Präventionsmaßnahmen« (ebd.) zu realisieren. Auf die Notwendigkeit der Kooperation mit verschiedenen Personenkreisen wird an späterer Stelle noch einmal im Rahmen der Ausführungen zum Kompetenzbereich ›Beurteilen‹ hingewiesen. Hier wird die Zusammenarbeit mit inner- wie außerschulischen Kooperationspartner*innen als Voraussetzung dafür bezeichnet, der Trias Diagnostik – Förderung – Beratung gerecht zu werden (ebd., 11). Schließlich sollen Lehrkräfte im Rahmen des Kompetenzbereichs ›Innovieren‹ »Kooperationsstrukturen im schulischen und außerschulischen Bereich« kennen sowie »schulische Projekte und Vorhaben kooperativ [...] planen und [um]?setzen« (ebd., 14). An verschiedenen Stellen werden wir in diesem Band noch genauer beleuchten, ob die...