Ayoub Der Edelsteingarten
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7844-8244-6
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 400 Seiten, Format (B × H): 138 mm x 220 mm
ISBN: 978-3-7844-8244-6
Verlag: Langen-Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bagdad – Es begann wie im Märchen …
Am Weihnachtsabend des Jahres 1955 kreuzen sich ihre Wege. Es ist Liebe auf den ersten Blick zwischen Laura aus Wien und Younis aus Bagdad und wird es bis zum letzten bleiben. Aus dem Wien der Nachkriegszeit folgt Laura Younis in seine Heimat, die damals neu erbaute, elegante Metropole. Fremd und zugleich wundervoll erscheint Laura das Leben im Irak, die Welt des Orients mit ihren Düften, Farben und Klängen zieht sie in ihren Bann. Doch jenseits der Villen,
wo die Wohlhabenden wie im Märchen leben, endet die Idylle. Das Attentat auf die Königsfamilie stürzt das Land in ein Chaos. Allein zu Hause mit ihrer Tochter Jenny erlebt Laura den Ausbruch des Bürgerkrieges. Auch Younis wird ein anderer, er führt ein zweites Leben an dem seine Frau nicht teilhaben darf. Wie die Wellen der Gewalt das Land, so erschüttert Younis' Geheimnis das Vertrauen in ihre Ehe.
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1. KAPITEL LAURA LAG AUF DEM SOFA, die Beine über die hölzerne Armlehne geworfen, das Samtkissen mit Omas Stickerei im Nacken. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab, obwohl sie damit ihre Wimperntusche verschmierte. Egal, sie hatte ohnehin nicht die Absicht, im Wohnzimmer aufzutauchen. Sollten sie die blöde Gans doch allein essen. Sie fand ein Stofftaschentuch unter dem Kissen, mit zierlichen Kreuzstichen eingefasst, ebenfalls eine Handarbeit ihrer Großmutter. Nebenan in der Küche Ewa. Laura hörte ihr halblautes ungarisches Fluchen durch die Wand. Sie schimpfte, weil Stephan nicht erschien. Bald war es acht Uhr. Rundherum begannen die Familien zu feiern, tafelten, zündeten Christbaumkerzen an und bescherten einander Geschenke. Nur bei ihnen hing wie jedes Jahr der Haussegen schief. Ewa stand einen halben Tag in der Küche, um ein feiertägliches Mahl zu bereiten, aber Stephan zerstörte alle ihre Bemühungen. Er kam zu spät und außerdem betrunken nach Hause, sie machte ihm deshalb Vorwürfe, dann beschimpfte er sie. Aber was konnte Laura dafür? Musste Ewa ihre schlechte Laune an der unschuldigen Dritten auslassen? Sie hatte Lauras neues Kleid an der Schranktür hängen gesehen, das knappe, dekolletierte Oberteil mit Kragen und einem weiten, schwingenden Rock, wie es jetzt Mode war. Die lachsrosa Seide changierte in verschiedenen Farben, wenn man sich darin bewegte, Laura konnte sich nicht satt sehen daran. »Sie sind eine Pracht, wie ein Pfirsich, zum Anbeißen!«, hatte die Schneiderin gestern, bei der letzten Anprobe, ausgerufen. Das Kleid passte perfekt und heute, am Weihnachtsabend, wäre der passende festliche Anlass gewesen, es zum ersten Mal vorzuführen. Aber Ewa hatte nicht ein Wort des Lobes für den Geschmack ihrer Tochter. »Wie viele Fetzen willst du noch?«, fragte sie zornig. »Dein ganzes Geld gibst du für deine Kleider und deine Schuhe aus, als ob du dir von deinem Gehalt ein Luxusleben leisten könntest! Komm ja nicht und frag, ob wir dir deine Schulden bezahlen!« Da gab es ein Wir mit Stephan, für den Ewa sonst nur abfällige Ausdrücke fand. Laura hatte sich noch nie von ihren Eltern Geld ausgeborgt, höchstens einmal das Kostgeld verspätet bezahlt. Aber dann war sie sofort in rüdem Ton erinnert worden, ihren Anteil an den Haushaltskosten zu bezahlen. In Ewas Kindheit während des Ersten Weltkrieges waren ihre Eltern so verarmt, dass sie sich nicht einmal etwas zu essen kaufen konnten. Ewa wusste, was Hunger leiden bedeutete. Aber das war eine Geschichte aus der tiefsten Vergangenheit, Jahrzehnte vorbei. Im Jahr 1955 gab es keine Entbehrungen. Zehn Jahre nach Kriegsende war Österreich endlich wieder frei, man konnte optimistisch in die Zukunft blicken. Das betonte auch der Bundeskanzler in seiner Weihnachtsansprache an das Volk, die in der Wiener Zeitung abgedruckt stand. Ewa blies dazu nur verächtlich die Wangen auf. Für Lauras Mutter war die Erde ein Jammertal, und wer das Pech hatte, in ihrer Nähe zu sein, wurde unweigerlich davon angesteckt. »Ein Elendsleben!« Laura seufzte tief. Tommy, ihr Foxterrier, der unter ihre Kniekehlen gedrückt auf dem Sofa schlief, öffnete kurz die Augen und schloss sie wieder. Bei allem Ärger über sie tat Ewa ihr leid. Sie sollte sich von ihrem Mann trennen, längst hätte sie es tun sollen. Aber das konnte sie nicht, sie hatte nie gearbeitet, sie fürchtete sich davor, auf eigenen Füßen zu stehen. Daran würde sich nichts ändern. Wieder stiegen Laura Tränen in die Augen. Warum konnte es bei ihnen kein Weihnachtsfest geben wie bei anderen? Warum gönnte Ewa ihr nicht ein hübsches Kleid, Strümpfe, einen neuen Hut? An allem, was Laura anzog, nörgelte sie herum. Im Vorzimmer läutete das Telefon. Laura hörte, wie Ewa in der Küche einen Topfdeckel hinknallte und ins Vorzimmer ging, um das Telefon abzuheben. Tommy erwachte, kroch unter Lauras Knien hervor und sprang vom Sofa. Gleich würde Ewas Geschrei losgehen, wenn Stephan ihr mit irgendwelchen Ausreden kam, weshalb er sich noch weiter verspätete. Immer, wenn Ewa wütend auf ihn war, verglich sie Laura mit ihrem Vater. Stephan spielte Geige, er sprach neben deutsch und ungarisch noch zwei Fremdsprachen, er war ein vielseitig begabter Mann, der sich in allen möglichen Berufen bewährt hatte, auch im Hotel Kaiserhof, wo er in wenigen Jahren zum Geschäftsführer aufgestiegen war. Doch im Familienkreis benahm er sich nicht vorbildlich, er war unzuverlässig, grob und trank zuviel, manchmal so schwer, dass er nicht nach Hause gehen konnte. Dann machte Ewa sich auf, egal wie spät es war und wie weit der Weg, und holte ihn ab. Mit diesem haltlosen Menschen musste sie sich vergleichen lassen! Laura hatte es längst satt. Wie angenehm waren dagegen die neun Monate bei ihrer Cousine Minna gewesen. Nie wieder wäre sie nach Hause zurückgegangen, aber Minna wollte in eine kleinere Wohnung übersiedeln, die weniger kostete. Laura bot ihr an, die Miete zu teilen, doch das lehnte Minna ab. »Du bist mein Gast«, sagte sie zu ihrer jüngeren Cousine, »ich weiß doch, wie wenig du verdienst. Wenn ich ausziehe, nimmst du dir ein Untermietzimmer, das ist doch ganz einfach.« War es aber nicht. Ewa erschien in Lauras Büro, verweint und mit einer Schachtel voll Kekse und Küchlein, alles Lieblingsleckerbissen von Laura. Sie flehte ihre Tochter an, heimzukehren, sie konnte es allein mit Stephan nicht mehr ertragen. Ein paar Wochen ging alles gut, sie nahm sich zusammen und ließ Laura in Ruhe. Inzwischen war alles wie früher, kein Tag, der nicht mit Schimpfen, Vorwürfen und Klagen begann. Tommy kratzte mit einer Pfote an der Tür, doch Laura rührte sich nicht. Sie dachte an Marcel, der ihr ein Geschenk gebracht und sie gefragt hatte, ob er sie an einem der Weihnachtstage zu einem Ausflug abholen dürfe. Marcel war in sie verliebt. Er sagte es nicht, weil Laura ihm verboten hatte, weiter zu sprechen. Aber es stand in seinen Augen zu lesen. Wieder kratzte Tommy an der Tür, diesmal energischer. Einen hatte es gegeben, das war so lange her, dass es ihr unwirklich vorkam. Hans, blond und lustig, immer voller Unternehmungslust. Er nahm Laura auf dem Motorrad mit, heimlich natürlich, bis Ewa es herausbekam und zu seinen Eltern ging. Dann durfte er nicht mehr zu Besuch kommen. »Der Hausmeisterbub, dass du dich nicht schämst.« Ewa hatte getobt. Sechzehn war sie damals gewesen. Sie hatte genau gespürt, dass ihre Mutter ungerecht war, aber sie konnte sich nicht gegen sie auflehnen. Sie erinnerte sich an Hans’ forschenden Blick, wenn sie sich im Hausflur begegneten. Er hatte nichts gesagt, sondern gewartet, ob sie anfing, aber sie drückte sich nur schnell an ihm vorbei, mit heißen Wangen, sprachlos vor Verlegenheit. Bald darauf zog er weg. Seine Eltern richteten nie mehr ein persönliches Wort an Laura. Es war schön gewesen, einmal hatten sie sich geküsst. Sie wusste nicht mehr genau, wie er aussah. Nur dass sie danach nie mehr dieses Gefühl gehabt hatte. Tommy kratzte nun heftig an der Tür und stieß ein kleines unzufriedenes Kläffen aus. Laura hörte den Schritt ihrer Mutter näher kommen. Die Tür ging auf, und Ewa sah herein. »Ich gehe ihm entgegen«, sagte sie. »Den Hund nehme ich mit.« Auf der anderen Seite des Hofes sah sie die festlich erleuchteten Fenster. Nur sie lag allein auf dem alten Sofa herum. Das Radio krachte. Sie streckte die Hand aus, um den Sender besser einzustellen, aber es gelang ihr nicht, im Gegenteil, ein hässlicher Pfeifton durchschnitt das weihnachtliche Musikkonzert, bis sie aufgab und abdrehte. Mit dem Zeigefinger zeichnete sie die Rosen auf der verblichenen Tapete nach und dachte an Marcels Einladung. Er kannte die ewige Streiterei ihrer Eltern und hatte den Vorschlag gemacht, bei ihm zu feiern. »Meine Mutter würde sich freuen!« Marcel war liebenswürdig, er sah gut aus, er hatte Manieren. Aber er war kein Mann für sie. Er sollte sich keine Hoffnungen machen, deshalb hatte sie abgelehnt. Laura hörte, wie draußen der Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Sie konnte genau unterscheiden, wer aufsperrte. Ewas Griff war sicher und ungeduldig, mit Schwung riss sie die Tür auf. Stephan ließ sich Zeit, oft fand er erst nach mehreren Versuchen den richtigen Weg ins Schloss und er betrat die Wohnung stets mit Vorsicht, was Laura ihm auch nicht verdenken konnte, denn meist wartete Ewa nur auf den Augenblick, wenn sie ihn zu Gesicht bekam, um ihn mit Vorwürfen zu überschütten. Tommy trippelte durch das Vorzimmer. Hinter ihm knarrte der Parkettboden unter schwereren Schritten. Stephan, Ewa, doch sie waren nicht allein, mit ihnen kam noch jemand in die Wohnung. Laura setzte sich auf und lauschte. Sie hörte Stephans Stimme und Ewa, die einen hellen Laut ausstieß. Weinte sie? Tommy schabte mit weicher Pfote an ihrer Tür, und bevor Laura sich entschließen konnte, aufzustehen, kam ihre Mutter herein, Ewa mit erhitzten Wangen, noch im Mantel. Auf ihrem Hut schmolzen die Schneeflocken. »Steh gleich auf!«, rief sie Laura mit halblaut gedämpfter Stimme zu. »Wir haben Besuch. Stell dir vor!« Sie sah Laura an und lachte. Tatsächlich, sie lachte. Als ob es keinen Streit, keine Anklagen und Tränen gegeben hätte. »Stephan hat drei Herren mitgebracht.« Drei? Laura riss ungläubig die Augen auf. »Aber …« »Ja, aus dem Hotel, weil am Heiligen Abend alle Lokale geschlossen sind. Sie haben noch nichts gegessen. Im Hotel gibt es ja heute keine Küche.« Ewa sprudelte ihre Erklärung aufgeregt hervor. Sie war wie ausgewechselt, ihre Augen glänzten. »Sie sind nett, sehr nett, zuvorkommend. Und einer,...