Awe / Prokop / Fieberg | GEGEN UNENDLICH. Phantastische Geschichten - Nr. 13 | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 13, 185 Seiten

Reihe: GEGEN UNENDLICH. Phantastische Geschichten

Awe / Prokop / Fieberg GEGEN UNENDLICH. Phantastische Geschichten - Nr. 13


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7427-0438-2
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 13, 185 Seiten

Reihe: GEGEN UNENDLICH. Phantastische Geschichten

ISBN: 978-3-7427-0438-2
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Eine Menge origineller Ideen, großteils ansprechend bis fantastisch umgesetzt. So sollten Anthologien sein.' (standard.at) Beinahe schon überflüssig ist es festzustellen, dass phantastische Literatur Orte erreicht, von denen manch einer gar nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt! Immerhin: Diese Erfahrung soll diesmal erneut bestätigt werden, und zwar mit einer gesunden Mischung aus forscher Phantastik und gediegener Science Fiction. Begleiten Sie die Autoren auf einen weiteren Ausflug 'gegen unendlich' und lassen Sie sich über Grenzen entführen, hinter denen alles möglich scheint. DIE STORYS Michael J. Awe: 'Der Seltsamkeitsladen' Andreas Fieberg: '5-Minuten-Schicksal' Fernando Sorrentino: 'Schuld hat Dr. Moreau' Joachim Pack: 'Lift!' Uwe Durst: 'Frau Griese' Norbert Fiks: 'Kurze Unterbrechung' Amyas Northcote: 'Brikett Bottom' Ute Dietrich: 'Das Eis' Michael Hutter: 'Melchior Grün und das Sternentier' Ellen Norten: 'Der magische Schleier' Gert Prokop: 'Null minus unendlich' Armin Möhle: 'Verbrechen im 21. Jahrhundert. Die SF-Kriminalstorys von Gert Prokop' AUS DEM INHALT Ein obskurer Laden, in dem nichts gekauft werden kann / Instant Karma auf Causa Prime / Ein nicht ganz menschlicher Schwiegervater in spe / Unterwegs per Anhalter auf Vingart / Eine Wohnung, die einer alten Dame zu Leibe rückt / Nebenwirkung eines Cyberanschlags / Verschwinden im Tal des Todes / Eisige Postapokalypse / Intergalaktische Brut / Raffinesse einer Bauchtänzerin / Überbevölkerung und ihre vermeintliche Lösung / Armin Möhle über die SF-Krimis von Gert Prokop Das Titelbild schuf Michael Hutter.

Das Herausgeber-Trio Michael J. Awe, Andreas Fieberg und Joachim Pack treibt es schon seit längerem auf dem Gebiet der Science Fiction und Phantastik um.
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Michael J. Awe

DER SELTSAMKEITSLADEN

Es war ein kleiner, unscheinbarer Laden in einer langen Nebenstraße, der auf den ersten Blick durch nichts weiter auffiel und den doch jeder in der Stadt kannte. Nur ein Außenstehender, der die unordentliche Schaufensterauslage ein wenig näher in Augenschein nahm, konnte in die Verlegenheit kommen, sich ein wenig hilflos nach einem Ladenschild umzusehen, das es nicht gab, um dann irritiert mit einem letzten Blick über die Schulter seiner Wege zu gehen.

Im Schaufenster dieses merkwürdigen Geschäftes befanden sich Puppen. Keine kunstvollen Marionetten, keine liebevoll handgefertigten Figuren für die Weihnachtskrippe und erst recht kein Kinderspielzeug, sondern schmucklose, menschengroße Kunstoffgestalten mit ziemlich gewöhnlicher Kleidung, die mal mehr, mal weniger neuwertig war und keinen besonderen Stil erkennen ließ. Ein Gedanke an einen Second-Hand-Laden zerstreute sich sofort, wenn man die unvorteilhafte Aufstellung und die fehlenden Preisschilder betrachtete; die Puppen standen nämlich in einem wilden Durcheinander auf der kleinen Schaufensterfläche und waren so dicht gedrängt, dass man die eine Puppe nur schwer von ihrem Nachbarn unterscheiden konnte. Wohin man auch blickte, es standen acht, neun und mehr Puppen hintereinander, sodass man nur die vorderen Reihen, die so nah an der Scheibe standen, dass ihre ausdruckslosen Gesichter schon die Scheibe berührten, deutlich erkennen konnte.

Auch der Mann, der jetzt vor dem Laden stehenblieb, konnte in dem Durcheinander wenig ausmachen, aber sein zerstreuter Blick bekam eine Spur von Traurigkeit und unruhig nestelte er an dem Kragen seines dünnen Mantels, ein kleiner Tick, den er sich nicht abgewöhnen konnte, trotz ständiger Ermahnung durch seine Frau, das in der Öffentlichkeit sein zu lassen. Der Mann war nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt, sein Haar war ein wenig zu lang und die Nase etwas zu groß. Das schmale Gesicht hätte eine Lebendigkeit ausgestrahlt, wenn es nicht in tiefer Nachdenklichkeit erstarrt gewesen wäre wie ein vereister See im Dezember. Seine Hand legte sich auf den abgenutzten Messingknauf, dem unzählige Besucher bei ihrem Eintritt die Farbe von hellem Gold verliehen hatten, und drehte ihn nach links. Das Öffnen der Tür wurde von dem Schellen einer kleinen Klingel begleitet.

Das Innere des Geschäftes war für den Eintretenden auf den ersten Blick noch nichtssagender als sein Äußeres; ein kleiner Raum, der überwiegend von dunklem Holz geprägt war, von den abgetretenen Bodendielen bis zu der massiven Theke am Kopfende des Raumes, die fast von einer Wand bis zur anderen reichte. Links und rechts auf der Theke standen zwei kleine Lampen, die zusammen mit dem wenigen Tageslicht, das durch das zugestellte Schaufenster fiel, die einzige Lichtquelle bildeten.

Der Mann war direkt hinter der Tür stehen geblieben und zögerte, weiter in den Laden hineinzugehen, von den wenigen Anwesenden ignoriert, sein Blick gefesselt von den Gestalten hinter der Theke, die bis auf ihre Kleidung haargenau den Puppen im Schaufenster glichen. Die zwei Kunden, eine ältere Frau und ein junger Mann, vermieden es, irgendjemanden außer den Puppen, die sie bedienten, anzusehen, und ihre Worte an die stummen Gestalten waren kaum zu verstehen.

Eine Tür hinter der Theke öffnete sich und langsam trat eine weitere Puppe in den Raum, einen grauen Anzug mit Weste tragend, der haarlose Kopf geschlechtslos wie der der anderen Bediensteten. Sie blieb reglos hinter der Theke stehen, das ausdruckslose Gesicht mit den toten Augen ihm zugewandt.

»Ich habe etwas abzugeben«, sagte der Mann so leise, dass man ihn kaum verstehen konnte.

Die Puppe hinter der Theke nickte, das starre Gesicht ohne Regung, und ging dann mit leicht abgehackten Bewegungen zu einer Tür im hinteren Teil des Ladens. Der Mann beeilte sich, zu ihr aufzuschließen und trat hinter der Puppe in einen schmalen Flur, von dem drei Türen abgingen, aber es war die Tür am Kopfende, die seine Aufmerksamkeit fesselte. Ohne dass ihm jemand gesagt hatte, wo seine Abgabe vonstattengehen sollte, wusste er, dass es hinter dieser Tür stattfinden musste. Er folgte der Puppe wie ein Kind seinem Zahnarzt auf dem Weg ins Behandlungszimmer, kaum etwas von dem mitbekommend, was sich rechts und links befand, wo sich beispielsweise zu seiner Linken ein merkwürdiges Ölgemälde befand, für dessen wimmelartigen Charakter jeder Besucher einige Zeit gebraucht hätte, die von den Eintretenden nie jemand besaß.

Die Puppe öffnete die Tür und sah ihn an.

»Nun«, sagte der Mann und rang sich ein Lächeln ab, »dann wollen mir mal.«

Die Puppe sagte nichts, folgte ihm nur mit leerem Blick, als er mit klopfendem Herzen in den Raum hinter der Tür trat, der überraschend klein war. In seiner Mitte stand ein Holztisch mit quadratischer Platte, auf dem wiederum mittig einige Blätter Papier ordentlich gestapelt waren, in deren Mitte ein schwarzer Füllfederhalter lag. Ein einfacher Stuhl, wie der Tisch aus stabilem Eichenholz gefertigt und so ausgerichtet, dass man mit dem Rücken zur Tür saß, vervollständigte das Mobiliar.

Als der Mann sich setzte, bemerkte er die merkwürdige Beschaffenheit der Möbel, die jeden Besucher, der ein wenig größer oder ein wenig kleiner als der Durchschnitt war, eine unbequeme Sitzposition aufnötigte. Doch er, der weder besonders groß noch besonders klein war, rückte den Stuhl zurecht, bis er die richtige Position zum Schreiben gefunden hatte, und starrte dann das oberste Blatt Papier und den schwarzen Füllfederhalter an. Das dicke hadernhaltige Papier besaß in der Mitte ein blasses, kaum zu erkennendes Wasserzeichen, und der Federhalter glänzte an der Spitze und am Clip golden. Beides war von so kostbarer Beschaffenheit, dass er sich umdrehte, um die Puppe um Erlaubnis zu fragen, sie zu benutzen, aber er musste feststellen, dass er allein in dem kleinen Raum war.

Als er den Füllfederhalter ergriff, hörte er leise Schritte näherkommen, und einige Puppen traten in den Raum, manche in Männer-, andere in Frauenkleidung. In ihren Händen trugen sie lange Stöcke aus Holz, bei deren Anblick ihm ein Kribbeln über den Rücken fuhr. Sie stellten sich rings um den kleinen Tisch, hielten die Stöcke ruhig in ihren Fäusten, und verharrten reglos. Unruhig sah sich der Mann um, doch keine der Puppen sagte etwas oder machte Anstalten, ihm etwas durch eine Geste mitzuteilen. Aber er wusste auch so, was nun folgte, wie es jeder wusste, der diesen Laden betrat, um seine Abgabe zu machen.

Er musste nicht überlegen, was er als erstes niederschreiben wollte, lauschte aber trotzdem in sein Innerstes, beschäftigte sich noch einmal mit der Angewohnheit, die ihn so viele Jahre seines Lebens begleitet hatte, und setzte dann die Spitze des Federhalters auf das dicke Papier. Wie auf ein geheimes Kommando hin, hoben alle Puppen ihre Stöcke und verharrten wieder bewegungslos. Der Mann merkte, wie ihm ein Schweißtropfen die Stirn hinunterlief, sah aber nicht auf, als er in geschwungener Handschrift niederschrieb:

Das Nesteln am Kragen.

Er besah sich seine Buchstaben, die Linien aus königsblauer Tinte auf dem weißen Papier, steckte dann die Kappe auf den Federhalter und legte ihn auf den Tisch zurück. Der erste Schlag traf ihn direkt auf den oberen Rücken, das harte Holz presste ihm die Luft aus den Lungen und er beugte sich nach vorne, als weitere Schläge auf ihn niedergingen, rhythmisch und leidenschaftslos. Seine Schultern, das rechte Schulterblatt, der untere Rücken, und die Hände, die er schützend über den Kopf zusammengeschlagenen hatte, wurden von allen Seiten getroffen, dann hörten die Schläge zeitgleich auf.

Zögernd ließ der Mann die Hände sinken und sah auf, aber die Puppen standen wieder reglos um ihn herum und hatten die stabilen Stöcke auf Schulterhöhe erhoben. Unter Schmerzen, die erst langsam durch die Schichten seines Bewusstseins drangen, schraubte er den Federhalter wieder auf und versuchte, seine Gedanken zu sammeln.

Die Hand zögert, erwartetet den nächsten Schlag, der Kopf wird zwischen die Schultern gezogen, der Rücken gekrümmt. Dann setzt die Spitze der Feder auf und eine feine Tintenlinie läuft über das Papier, hängt Buchstaben an Buchstaben, bevor ein weiteres Wort an das Licht gezerrt wird, aus der tiefsten Intimität steht es nackt vor aller Welt da, und die ausdruckslosen Blicke der Puppen fallen darauf und erneut hört man das Zischen eines Stockes und fühlt einen stechenden Schmerz, der wie ein Feuer die Wirbelsäule herunterrast und die Finger unkontrolliert krampfen lässt. Der Schmerz wird zu einem Brennen, das sich im ganzen Körper ausbreitet, von den Zehen bis in die Fingerspitzen kriecht, sich im Bauch sammelt und dort wie ein Fegefeuer lodert, das alles Persönliche ausbrennt. Und während man sich noch über die Tischplatte krümmt und es nicht zu glauben vermag, das einfache Stöcke einen solchen Schmerz auslösen können, trennt sich die auf Papier gebannte Eigenheit von einem, und nach langer Zeit, wenn das Feuer in den Nerven verklungen ist und man mit tränennassen Augen auf den weißen Zettel vor einem blickt, sieht man dort ein Wort, das keinen Anklang mehr findet, ein fremdes Ding, von dem man sich nicht vorstellen kann, dass es jemals zu einem gehört hat. Und mit einer endlosen Erschöpfung nimmt man den Füllfederhalter wieder auf und lauscht in sein Innerstes, wo all die kleinen Absonderheiten sich in der Dunkelheit ducken, um...



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