E-Book, Deutsch, Band 1, 344 Seiten
Reihe: Carla-Bukowski-Krimi
Avanzini Nie wieder sollst du lügen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7099-3701-3
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Carla Bukowskis erster Fall
E-Book, Deutsch, Band 1, 344 Seiten
Reihe: Carla-Bukowski-Krimi
ISBN: 978-3-7099-3701-3
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
NIEMAND KENNT IHR GEHEIMNIS - BIS ZUM ERSTEN MORD!
TOTE HASEN. GRÜNE BLITZE. KLARER FALL FÜR CARLA BUKOWSKI.
Zwei tödliche Autounfälle innerhalb weniger Tage. Und in beiden Fällen fehlen die Bremsspuren. Erweiterter Selbstmord, tragischer Unfall? Glauben zumindest die zuständigen Polizeibeamten. Eindeutig Mord!, ist sich Gruppeninspektorin Carla Bukowski sicher. Nur: Sie darf nicht ermitteln. Beurlaubt. Wegen einer blöden Kurzschlussreaktion. Also zieht sie im Alleingang los. Und stößt auf immer mehr Ungereimtheiten: Eine verwirrte Alte erzählt vom grünen Finger Gottes. Im Garten einer jungen Mutter liegen die Hasen tot im Stall. Und die zwei Verunglückten sind ehemalige Klassenkameraden.
LÜGE. IRRSINN. WETTLAUF. MORD.
Die Indizien verdichten sich. Und Carla Bukowski gerät immer tiefer hinein in einen packenden Strudel aus Lügen und Geheimnissen im Schatten der Vergangenheit. Was hat es mit dem Kleeblatt auf sich, dem Vierergespann, von dem zwei sterben mussten? Ist das nächste Opfer schon vorprogrammiert? Aber: Der einzige denkbare Mörder ist doch selbst schon lange tot! Die Ermittlungen werden immer zäher. Und Bukowski muss sich wohl oder übel fragen, ob sie sich den Fall nicht doch nur zusammengesponnen hat …
"Dieser Krimi macht süchtig! Carla Bukowski ist eine geniale Ermittlerfigur, auch wenn man im echten Leben nicht unbedingt mir ihr befreundet sein möchte."
"Ein äußerst packender Krimi, fast schon ein bisschen wie ein Thriller."
"Virtuos bis zum Schluss, mit einem mehr als spannenden Finale. Mich hat der Krimi nicht mehr losgelassen."
Autoren/Hrsg.
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7. August
Nowak starrte auf den Bildschirm. Ameisen, nichts als Straßen verschwommener Ameisen. Es ärgerte ihn, dass er es wieder nicht geschafft hatte, eine neue Lesebrille zu besorgen. Er rückte an seiner alten, schob den Laptop eine Handbreit von sich weg und kniff die Augen zusammen. Endlich verwandelte sich die Insektenschar in scharfe Buchstaben. Während er Mannis Bericht über den Unfall in der Höhenstraße überflog, rieb sein Zeigefinger über den Rand des Kaffeebechers, als könnte er ihn zum Klingen bringen. Drei Tote, eine Schwerverletzte; so schwer verletzt, dass die Opferbilanz vermutlich bald auf vier erhöht werden musste. Die Kriminaltechniker hatten keinerlei Mängel oder Manipulationen am Fahrzeug feststellen können. Der Autolenker, ein gewisser Fritz Hirmer, Besitzer einer alteingesessenen Antiquitätenhandlung in der Hernalser Hauptstraße, wohnhaft im Eigenheimweg der Siedlung Hügelwiese in Neuwaldegg, keine dreihundert Meter vom Unfallort entfernt, war zum Zeitpunkt des Crashs weder alkoholisiert gewesen noch unter dem Einfluss von Drogen gestanden. Der gerichtsmedizinische Schlussbericht bescheinigte ihm vollkommene Gesundheit – bis er mit 64 km/h ungebremst gegen einen Betonpoller und schließlich in eine Gruppe von Bäumen gekracht war und in Folge mehrfache Rippenbrüche mit Lungenanspießung und einen Aortenriss davongetragen hatte. Zum Glück verblutete er, bevor der Wagen in Flammen aufging. Bei seiner Frau Lisa ging es noch schneller. Aufgrund einer falsch eingestellten Kopfstütze erlitt sie einen Genickbruch. Schnipp und aus, Ende, keine Schmerzen, kein Kampf, vermutlich nicht einmal Todesangst. Die beiden Kinder hatten es weniger gut getroffen: Die achtjährige Emilia war nicht angeschnallt gewesen. Bereits bei der Kollision des Wagens mit dem Betonpoller flog sie durch die Windschutzscheibe, wurde über die Böschung geschleudert und landete in einem Dickicht aus Brombeerbüschen und Haselnussstauden. Dadurch entging sie zwar dem Feuer, erlitt aber eine Schädelfraktur – neben unzähligen Schnitt-, Schürf- und Rissquetschwunden, mehreren Wirbelbrüchen, einem Trümmerbruch des linken Oberschenkels und zahlreichen kleineren Knochenbrüchen. Noch kämpfte sie in der Intensivstation einen wenig aussichtsreichen Kampf um ihr Leben, wenigstens bekam sie vom Ausmaß der Tragödie nichts mit, weil die Ärzte sie in künstlichen Tiefschlaf versetzt hatten. Der Einzige, der den Aufprall mit heilen Knochen überstanden hatte, war Emilias kleiner Bruder. Jonas war noch am Leben gewesen, als seine Kleidung Feuer gefangen hatte, das folgerten die Gerichtsmediziner aus den Rußablagerungen in den Atemwegen und aus der im Blut befindlichen Menge an Kohlenmonoxid-Hämoglobin. Ob der Sechsjährige bei Bewusstsein gewesen war, konnte die Obduktion nicht klären. Zum Glück nicht, dachte Nowak. Bestimmte Details nicht zu kennen, war manchmal eine Gnade. Das Wissen, dass es sich beim Verbrennen um die schmerzhafteste aller Todesarten handelte und dass Niki, der jüngste Sohn von Nowaks Schwester und sein Patenkind, nur um ein halbes Jahr älter war als Jonas, reichte ihm vollkommen. Er scrollte weiter zum letzten Absatz, zur Beurteilung des Unfallgeschehens durch Revierinspektor Manfred Pribil. Die gestelzten Formulierungen entlockten ihm ein Grinsen. An seinem Stil musste der gute Manni noch feilen, aber in der Sache hatte er zweifellos recht: Nach Pribils Einschätzung handelte es sich nicht um einen Unfall, sondern um erweiterten Suizid durch den Lenker Fritz Hirmer, der in der Höhenstraße und in unmittelbarer Nähe seines Wohnsitzes mit 64 km/h – und damit immerhin um 34 km/h zu schnell – das Lenkrad verrissen hatte, als hätte er sich extra die Stelle mit den vielversprechendsten Hindernissen ausgesucht. Pribil untermauerte seine These mit den hohen Schulden Hirmers und der Flaute, in der der Antiquitätenhandel im Allgemeinen und Hirmers Geschäft im Besonderen steckte. Gemäß einer Aussage von Hirmers Schwiegervater hatte es zuletzt auch in der Ehe heftig gekriselt. Klarer Fall, dachte Nowak, auch wenn ein Abschiedsbrief fehlt und wir es nicht beweisen können. Er überlegte, der wievielte erweiterte Suizid das in diesem Jahr war, allein in Wien. Erst vor wenigen Wochen hatte ein Mann die Mutter seiner Kinder und sich selbst erschossen, auf offener Straße, am helllichten Tag, mitten in Favoriten. Und obwohl Nowak sich für einen abgebrühten Kriminalbeamten hielt, den nach dreißig Dienstjahren eigentlich nichts mehr aus der Fassung bringen konnte, beunruhigte ihn die Vorstellung, dass immer mehr Menschen diese Art des Ausstiegs aus ihrem verkorksten Leben wählten. Selbstmord schön und gut. Aber warum genügte es ihnen nicht, ihr eigenes Lebenslicht auszublasen? Warum mussten sie andere mitnehmen, Menschen, die sie angeblich liebten oder zumindest einmal geliebt hatten, Verwandte, Lebensgefährten, Kinder? Aus Angst, „drüben“ – wie auch immer man sich das vorstellen musste – allein zu sein? Oder weil sie ihren Angehörigen nicht zutrauten, ohne sie zurecht zu kommen? Vermutlich liegt es eher daran, dass die meisten Leute das Lieben mit dem Besitzen verwechseln, dachte er. Bevor er sein Gewissen erforschen konnte, ob auch er zu dieser Spezies Mensch zählte, klopfte es. Er musste nicht hinsehen, um zu wissen, wer den Raum betrat, mit federnden Schritten, leichtfüßig und lautlos wie eine Indianerin auf dem Kriegspfad. „Setz dich“, knurrte er und nahm die Lesebrille ab. Natürlich war Knurren kindisch. Aber etwas Besseres fiel ihm nicht ein, um sich gegen sie zu wappnen; gegen die einzige Untergebene – er erschrak ein bisschen und ersetzte das Wort „Untergebene“ in seinem Kopf durch „Kollegin“ –, die ihm je Paroli geboten hatte; die einzige Frau, deren bloße Anwesenheit ihm immer noch an die Nieren ging, obwohl er längst nicht mehr mit ihr …; kurz, die ihm zusetzte; mehr, als er sich eingestehen wollte. Ohne sie zu beachten, starrte er weiterhin auf den Bildschirm, auch wenn es dort nichts Neues mehr zu lesen gab und die Buchstaben sich wieder in Ameisen zurückverwandelt hatten. Aus dem Augenwinkel registrierte er, wie sie den Stuhl zu sich zog und Platz nahm. Er rief sich noch einmal ins Bewusstsein, was er längst beschlossen hatte, und nahm sich vor, nicht nachzugeben. Keinen Millimeter. Dann atmete er tief durch und wandte sich ihr zu. Bei ihrem Anblick erschrak er. Nicht, dass er rosige Wangen erwartet hätte. Oder blühende Lippen. Aber das Ausmaß ihrer Blässe, die Breite der dunklen Ringe unter den Augen und der strähnige Zustand ihrer Haare versetzten ihm einen Stich. „Du wolltest mich sprechen?“ Ihre Stimme klang, als würde rostiges Eisen mit einer Feile bearbeitet. Alte Erinnerungen stiegen in ihm auf, Bilder von früher, von ihrem ersten Dienstjahr an der Außenstelle West, als immer etwas Sprühendes in ihrem Blick gelegen hatte. Wie sehr hatten ihn diese Augen fasziniert, obwohl sie zu groß und zu hell waren, um als schön zu gelten. Heute hockten sie tief in ihren Höhlen, als gehörten sie einer Greisin, und es gab nur Müdigkeit in ihnen. „Du siehst scheiße aus.“ „Dein Charme ist überwältigend, wie immer.“ Wenigstens ihre Schlagfertigkeit hatte sie nicht eingebüßt, aber die Antwort klang lahm. „Im Ernst, Carla. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen? Oder geschlafen?“ „Ich war krank.“ Kantig wie Vorwürfe stachen Kinn und Wangenknochen aus ihrem schmalen Gesicht heraus. Das Gesicht einer Spitzmaus auf einem Schwanenhals. „Und welcher Arzt hat dich gesundgeschrieben?“ Nach allem, was passiert war, hatte Nowak mit einem mehrwöchigen Krankenstand gerechnet. „Meine Hausärztin. Wieso?“ „Hast du sie mit deiner Dienstwaffe bedroht?“ „Deine Witze haben auch schon bessere Zeiten erlebt.“ Nicht der Hauch eines Lächelns verzog ihre Mundwinkel. Stattdessen musterte sie ihn eindringlich und ein bisschen herablassend. Er fühlte sich wie ein seltener Käfer unter der Lupe einer Insektenforscherin. Fühlte ihren Blick über sein Doppelkinn gleiten, das er sich in den letzten Jahren angefressen hatte, über die teigigen Wangen und die Tränensäcke, die das Ergebnis regelmäßigen Rotweinkonsums waren. Die Folge ihrer Inspektion war ein Schweißtropfen, der im Zenit seiner Glatze entsprang, der Schwerkraft folgte und sich seinen Weg über die Stirn bahnte. Wütend wischte er ihn weg. „Alles in Ordnung. Mir geht’s gut“, sagte sie endlich und schnippte eine Haarsträhne aus der Stirn. „Was am Montag passiert ist …“ „Wird nicht wieder vorkommen.“ Nowak schüttelte den Kopf. „Hör mir zu, Carla. Ich … wir alle haben Verständnis. Aber du darfst das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Du brauchst Hilfe. Professionelle Hilfe. Mit einer posttraumatischen Belastungsstörung kann man nicht allein fertig werden.“ Er wusste nicht mehr genau, wie viele Jahre seit dem tragischen Ereignis vergangen waren, dachte aber, dass es mehr als fünf sein mussten. Jedenfalls hatte er geglaubt, dass sie die Geschichte verarbeitet hatte. Vielleicht nicht endgültig verarbeitet, das war vermutlich gar nicht möglich. Aber dass sie gut damit umgehen konnte, belastbar war und im Alltag funktionierte. Was für ein Irrtum! Offensichtlich hatte sie ihm die ganze Zeit etwas vorgespielt. „Posttraumatische Belastungsstörung also.“ Sie lachte auf. „Danke für die Diagnose, Herr Doktor. Hast du Tante Wikipedia bemüht?“ Für einen Sekundenbruchteil zerriss der müde Schleier und ein bissiges Grün...