E-Book, Deutsch, Band 5, 500 Seiten
Reihe: Sophienlust ? Sammelband
Autoren 5 Romane
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98986-087-2
Verlag: Blattwerk Handel GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sophienlust - Sammelband 5 - Familienroman
E-Book, Deutsch, Band 5, 500 Seiten
Reihe: Sophienlust ? Sammelband
ISBN: 978-3-98986-087-2
Verlag: Blattwerk Handel GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. E-Book 1: Flori, der Sohn der Zirkusprinzessin E-Book 2: Ein neues Leben für Jane E-Book 3: Der Engel von Sophienlust E-Book 4: Der amüsante Junge E-Book 5: Das uneheliche Kind
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»Ist es noch weit, Mutti? Meine Füße sind ganz müde. Ich kann keinen Schritt mehr gehen.«
»Warte, ich trage dich, Flori. Es ist nicht mehr weit, vielleicht noch fünf Minuten. Dort hinter den Bäumen kannst du schon die Dächer von Sophienlust sehen.«
Eva de Collon blieb stehen und schenkte ihrem kleinen Sohn Florian ein zärtliches Lächeln.
Das Kind brauchte nicht zu ahnen, wie elend sie sich fühlte und dass ihr jeder Schritt zur Qual wurde.
Sie biss die Zähne zusammen, als sie Flori hochhob und das Gewicht des Kindes sie schier zu Boden drücken wollte.
Sie ging ein paar Schritte, dann sah sie die Kinder.
»Guten Tag«, sagten Dominik und Malu wie aus einem Munde, als sie die zierliche fremde Dame sahen. Benny, Malus Wolfsspitz, kam zutraulich heran und wedelte freundlich mit dem Schwanz.
»Ein Hund! Mutti, ein Hund«, rief Flori und zappelte, weil er vom Arm seiner Mutter wieder herabwollte.
»Guten Tag, Kinder. Ihr seid sicher von Sophienlust. Ist Frau von Schoenecker zu sprechen?«
»Mutti ist da, gnädige Frau. Ich bin Dominik von Wellentin. Ist Ihnen nicht gut? Sie sehen so weiß aus.«
»Danke, jetzt geht es mir schon wieder besser«, lächelte Eva de Collon. »Du bist aber ein sehr aufmerksamer Junge. Deine Mutti ist gewiss sehr stolz auf dich.«
»Manchmal vielleicht«, gab Dominik geschmeichelt zu. »Doch ab und zu schimpft sie auch mit mir. Soll der Kleine auch zu uns kommen?«
Eva warf einen ängstlichen Blick auf Flori. Doch er beschäftigte sich mit Benny und achtete nicht auf das, was Dominik mit ihr sprach.
Sie nickte. »Deshalb kam ich her. Oh, wie wunderhübsch ist es hier. Gewiss seid ihr alle froh darüber, dass ihr hier aufwachsen dürft.«
»Ich kenne keinen schöneren Platz«, sagte Malu. »Tante Denise ist zu allen Kindern lieb. Man vergisst, dass man eigentlich zu niemandem mehr gehört.«
Ein Schatten lief über Eva de Collons junges Gesicht. Es zuckte um ihren feinen Mund, und sekundenlang zog sie die Augenbrauen zusammen. Ihr Blick ruhte schmerzlich auf Flori, der in seinem roten Kapuzenmäntelchen wie ein kleiner Wichtelmann wirkte.
»Ich sage Mutti, dass Sie sie sprechen möchten. Wie ist Ihr Name?«
»Eva de Collon«, antwortete die junge Frau.
Sie beugte sich zu Flori hinunter und zog ihn mit einer heftigen Bewegung an sich. Ihre Lippen bedeckten das kindliche Gesicht mit Küssen. Als sie Flori wieder freigab, waren ihre Augen schwer von Tränen.
Malu hatte sich abgewandt. Sie ahnte, dass dies ein Abschied für immer war. So ähnlich hatte ihr Vati sie auch angeschaut, als er sie nach Sophienlust gebracht hatte.
Dominik kam zurück. »Mutti erwartet Sie, Frau de Collon. Sollen wir uns um Flori kümmern?«
»Das wäre lieb von euch, Kinder.«
»Komm, Flori. Wir zeigen dir Habakuk und unsere Ponys. Und die andern Kinder musst du auch kennenlernen.«
Flori wandte sich nicht einmal mehr um, als er zwischen Dominik und Malu wegging.
Ein schluchzender Laut entrang sich Evas Brust.
»Er ist ein Kind, liebe Frau de Collon«, erklang Denise von Schoeneckers Stimme hinter Eva. »Kommen Sie bitte und erzählen Sie mir, was Sie zu mir führt.«
So warm und herzlich, wie ihre Stimme geklungen hatte, war auch der Händedruck, mit dem Denise ihren Gast begrüßte. Bereits nach einem Blick in das ernste bleiche Gesicht der jungen Frau ahnte Denise, was dieses so sympathisch wirkende Menschenkind zu ihr getrieben hatte.
Im Vorbeigehen gab sie einem der Mädchen den Auftrag, eine Erfrischung zu bringen. Dann war sie Eva de Collon selbst behilflich, den feuchten Regenmantel abzulegen.
Eva sah auf das große Gemälde Sophie von Wellentins.
»Sie hat Ähnlichkeit mit Großmama«, dachte sie, bevor sie auf Denises Aufforderung hin Platz nahm.
»Vor vier Jahren habe ich Sie zum ersten Mal gesehen, Frau von Schoenecker«, begann sie zu berichten. »Doch Sie werden das nicht wissen. Damals gastierte ich mit einem Wanderzirkus hier in der Nähe. Sie und alle Ihre Kinder besuchten eine unserer Nachmittagsvorstellungen. Und ich hörte, was Sie für ein großherziger, gütiger Mensch sind. Da dachte ich, wenn ich einmal Hilfe bräuchte, gäbe es nur einen Menschen, der mir helfen würde. Und der sind Sie.«
Sie brach ab. Ein trockener Husten schüttelte sie. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder sprechen konnte. Doch Denise kam ihr zuvor. »Ich nehme an, dass Sie mir Ihren kleinen Sohn anvertrauen wollen, Frau de Collon.«
Eva nickte. In ihren Augen glänzte es feucht.
»Ich muss es, Frau von Schoenecker, und kann nur hoffen, dass Sie mich nicht wegschicken, weil ich eine vom Zirkus bin. Mein Mann ist kurz nach Floris Geburt tödlich verunglückt. Und ich selbst …, ich habe nicht mehr lange zu leben. Ich bin unheilbar krank. Und ich möchte, dass Flori behütet und beschützt aufwächst.«
Wieder war sie zu erschöpft, um weiterreden zu können.
»Selbstverständlich werde ich mich Floris annehmen«, versprach Denise spontan. »Sind Sie denn wirklich sicher, dass es für Sie keine Hoffnung mehr gibt? Haben Sie alles versucht?«
»Alles«, murmelte Eva. »Um Floris willen habe ich so sehr gehofft, dass sich die Ärzte geirrt hätten. Ich weiß, wie bitter es ist, wenn ein Kind nicht genug Liebe bekommt. Und, bitte, versprechen Sie mir, dass Sie sich um Flori kümmern werden! Ich habe ihn schon heute gebracht, weil ich das selbst tun wollte. Ich weiß nicht, wie lange meine Kräfte noch ausreichen werden …«
Sie konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Lautlos weinte sie.
Denise stand auf und setzte sich neben Eva auf das damastbezogene Sofa. Mütterlich legte sie ihren Arm um die Schultern der jungen Frau.
»Gottes Wege sind für uns Menschen manchmal hart und unverständlich, liebe Frau de Collon. Und doch müssen wir uns mit seinen Entschlüssen abfinden. Ich verstehe, was jetzt in Ihnen vorgeht. Ich verspreche Ihnen, dass Flori bei mir die Heimat finden wird, die Sie ihm nicht mehr geben können, und dass wir ihn alle sehr lieb haben werden.«
Eva tupfte sich die Tränen von den Wangen. Doch ihr Blick blieb umflort.
»Ich danke Ihnen sehr, Frau von Schoenecker. Sie sind sehr gütig.«
Denise bemerkte, dass sich die Besucherin nur noch mühsam aufrecht hielt.
»Bleiben Sie doch bitte ein paar Tage bei uns, Frau de Collon. Wir haben genügend Platz. Die Ruhe hier würde Ihnen sicher guttun. Außerdem könnten Sie sich mit Flori beschäftigen.«
»Danke, Frau von Schoenecker. Ich weiß, dass es lieb gemeint ist. Doch es ginge über meine Kräfte. Ich habe schon Abschied genommen. Flori ist noch sehr jung. Er wird mich bald vergessen haben.«
Sie öffnete ihre Handtasche und nahm einen Scheck heraus und einen Brief. Beides schob sie Frau von Schoenecker hin.
»Bitte, nehmen Sie das für die Unkosten, die Ihnen durch Floris Anwesenheit hier entstehen. Und wenn ich nicht mehr bin, dann leiten Sie bitte diesen Brief weiter. Und jetzt möchte ich gehen.«
Denise erkannte, dass es sinnlos war, die junge Frau zurückhalten zu wollen. Jeder Mensch wusste selbst am besten, wie viel er sich zumuten konnte. Doch sie sah auch, dass Eva de Collon am Ende ihrer Kräfte war. Der Weg zur Bahnstation war sehr weit.
»Dann erlauben Sie mir wenigstens, dass ich Sie mit dem Wagen in die Stadt bringen lasse, Frau de Collon.«
Eva wollte den Kopf schütteln. Doch dann nickte sie. Sie fühlte sich sterbensmüde und wie ausgebrannt.
»Danke, ja. Wenn es Ihnen nicht allzu viel Mühe verursacht.«
»Überhaupt nicht.«
Denise hatte schon geläutet und gab den Auftrag, dass der Wagen vorfahren solle.
»Oh, fast hätte ich’s vergessen. Mehrere Pakete mit Floris Ausstattung sind hierher unterwegs. Ich konnte sie nicht tragen. Und nochmals tausend Dank. Solange ich dazu imstande bin, werde ich Ihnen schreiben. Leben Sie wohl, Frau von Schoenecker.«
»Leben Sie wohl«, flüsterte Denise.
Sie sah Eva nach, die rasch auf den Wagen zuging und einstieg. Sie sah sich nicht mehr um, sondern hielt den Kopf gesenkt, als der Wagen Sophienlust verließ.
Denise beschloss, sich sogleich um den kleinen Florian zu kümmern. Sie nahm sich den Regenumhang und ging durch den Park zum Pavillon hinüber, in dem die Kinder spielten.
*
Eva hielt die Augen geschlossen. Sie horchte in sich hinein, während der Wagen rasch über die Straße rollte. Erst als er vor dem Hotel stoppte, wurde sie sich ihrer Umgebung bewusst. Sie gab dem Fahrer ein reichliches Trinkgeld und stieg aus.
Der Hausdiener öffnete ihr die Tür.
Eva verlangte ihren Zimmerschlüssel und stieg langsam die Treppe zum ersten Stock hinauf.
Sie fühlte sich in einer unbeschreiblichen Stimmung und war froh, als sie jetzt die Tür des Hotelzimmers von innen verschließen konnte. Nur keinen mehr sehen müssen, endlich die Maske von Gleichmut fallen lassen dürfen, das war ihr Wunsch.
Sie zerrte den Regenmantel herunter und legte ihn achtlos auf einen Stuhl. Dann ging sie ans Fenster und zog die Vorhänge zu. Der graue Regentag würde ohnedies in kurzer Zeit von der Nacht aufgesogen werden.
Eva schaltete die Nachttischlampe an und entnahm ihrem Koffer ein dickes, in Leder gebundenes Buch. Es besaß ein kunstvoll verziertes Schloss. Den Schlüssel dazu trug Eva an einer langen goldenen Kette um den Hals. Sie zog ihn hervor und öffnete das Tagebuch.
Sie schlug es auf. Auf der ersten Seite standen ein paar Worte. Eva kannte sie längst auswendig. Und doch las sie sie immer...




