Autissier | Herz auf Eis | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Autissier Herz auf Eis


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-86648-332-3
Verlag: mareverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-86648-332-3
Verlag: mareverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sie sind jung und verliebt und haben alles, was sie brauchen. Aber ihr Pariser Leben langweilt sie, also nehmen Louise und Ludovic ein Sabbatjahr und umsegeln die Welt. Bei einem Ausflug auf eine unbewohnte Insel vor Kap Hoorn reißt ein Sturm ihre Jacht und damit jegliche Verbindung zur Außenwelt mit sich fort. Was als kleiner Ausbruch aus dem Alltagsleben moderner Großstädter gedacht war, mündet urplötzlich in einen existenziellen Kampf gegen Hunger und Kälte. Nicht weniger aufreibend ist das psychologische Drama, das sich zwischen den Partnern entspinnt. Wer trägt die Schuld an der Misere? Wer behält die Nerven und trifft die richtigen Entscheidungen? Und was wird aus der Liebe, wenn es ums nackte Überleben geht? 'Herz auf Eis' wagt sich an die Frage, was mit uns und unseren Beziehungen geschieht, wenn wir unsere Komfortzone verlassen.

Isabelle Autissier, 1956 in Paris geboren und dort aufgewachsen, lebt heute in La Rochelle. Mit sechs Jahren entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Segeln; 1991 machte sie Furore als erste Frau, die allein im Rahmen einer Regatta die Welt umsegelte. Seit den Neunzigerjahren widmet sie sich dem Schreiben. 'Herz auf Eis' war für den Prix Goncourt nominiert und wurde in zahlreiche Länder verkauft.

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DORT
Sie sind früh aufgebrochen. Es verspricht einer der erhabenen Tage zu werden, die zuweilen in den wilden Breiten herrschen, der Himmel tiefblau, wie flüssig, so klar wie nur hier, am fünfzigsten Breitengrad Süd. Das Wasser ist spiegelglatt, Jason, ihr Schiff, scheint schwerelos auf einem dunklen Teppich zu schweben. Kein Wind regt sich, sodass die Albatrosse um den Schiffsrumpf paddeln. Sie haben das Beiboot weit auf den Sandstrand gezogen und sind an der alten Walfangstation entlanggegangen. Die verrosteten, von der Sonne in goldenes Licht getauchten Dächer wirken beinahe fröhlich im Farbenspiel von Ocker, Gelb und Rot. Die Tiere haben die aufgegebene Station zurückerobert, dieselben Tiere, die so lange hier gejagt wurden, totgeschlagen, aufgeschlitzt, gekocht in den riesigen Kesseln, die nun verfallen. Hinter jedem Ziegelhaufen, in den eingestürzten Hütten, zwischen lauter Rohren, die nirgendwo mehr hinführen, aalen sich stoische Pinguine, Robbenfamilien und See-Elefanten. Sie sind eine ganze Weile stehen geblieben, um die Tiere zu beobachten, und es ist schon spät am Vormittag, als sie das Tal hinaufsteigen. Gute drei Stunden, hatte Hervé ihnen gesagt, einer der wenigen Menschen, die jemals hier waren. Sobald man sich auf der Insel von der Küstenebene entfernt, ist kein Grün mehr zu sehen. Alles wird steinig, Felsen, Klippen, mit Gletschern bedeckte Bergspitzen. Sie gehen zügig voran, albern herum, wenn sie einen bunten Stein sehen oder einen klaren Bach, wie Kinder beim Herumstreunen. Als sie die erste Erhebung erklimmen, machen sie noch eine Pause, bevor sie das Meer aus dem Blick verlieren. Es ist so elementar, so schön, im Grunde unbeschreiblich. Die von schwärzlichen Hängen eingefasste Bucht, das Wasser, das unter der aufkommenden leichten Brise silbern glitzert, der orange Fleck der alten Station und ihr Schiff, ihr treues Schiff, das zu schlafen scheint, die Flügel angelegt wie die Albatrosse am Morgen. Draußen auf dem Meer schimmern die reglosen weißblauen Kolosse im Licht. Nichts ist friedlicher als ein Eisberg bei ruhigem Wetter. Riesige Kratzer ziehen sich über den Himmel, schattenlose Wolken in großer Höhe, die die Sonne golden säumt. Fasziniert verharren sie, kosten den Anblick lange aus. Etwas zu lange wohl. Louise bemerkt, dass es sich im Westen zuzieht, und ihr Bergsteigersinn schaltet auf Alarmbereitschaft. »Vielleicht sollten wir lieber zurückgehen, es ziehen Wolken auf.« Es soll unbeschwert klingen, doch in ihrem Tonfall schwingt Beunruhigung mit. »Auf keinen Fall! Du mit deiner Ängstlichkeit. Wenn es sich bedeckt, ist uns immerhin nicht so warm.« Ludovic versucht, nicht ungeduldig zu klingen, aber sie geht ihm auf die Nerven mit ihren ständigen Sorgen. Hätte er auf sie gehört, wären sie jetzt gar nicht hier, majestätisch, vollkommen allein am Ende der Welt. Sie hätten das Schiff nicht gekauft und diese grandiose Reise gar nicht angetreten. Tatsächlich, der Himmel verdüstert sich in der Ferne, aber schlimmstenfalls werden sie eben nass. Das gehört zum Abenteuer dazu, genau das ist doch ihre Absicht, aus der Erstarrung des Pariser Büroalltags auszubrechen, in dessen bequemer Trägheit sie draufzugehen und an ihrem Leben vorbeizuleben drohten. Irgendwann hätte der sechzigste Geburtstag vor der Tür gestanden, und sie hätten es bereut, nichts erlebt, nie gekämpft, sich selbst nie kennengelernt zu haben. Er zwingt sich zu einem versöhnlichen Ton. »Wir kriegen nicht noch mal die Chance, den ausgetrockneten See zu sehen. Hervé meint, so ein Eislabyrinth, das einfach auf dem Erdboden steht, gibt es sonst nirgendwo. Denk doch mal an die unglaublichen Fotos, die er gezeigt hat. Außerdem schleppe ich die Eispickel und Steigeisen nicht umsonst mit. Es wird bestimmt toll, vor allem für dich.« Er weiß, wie er sie kriegen kann, die Bergsteigerin. Für sie hat er das Ziel doch ausgesucht: eine Insel tief im Süden, aber bergig, eine Ansammlung von Gipfeln, einer unberührter als der andere, mitten im Atlantik, noch über den fünfzigsten Breitengrad hinaus. Es ist schon vierzehn Uhr, und der Himmel wird nun deutlich dunkler, als sie den letzten Bergkamm erreichen. Hervé hat nicht gelogen, es ist fantastisch. Ein Krater von mehr als einem Kilometer Länge, ein perfektes Oval. Er ist gänzlich trocken, und auf den Hängen zeichnen sich konzentrische Kreise ab, Spuren des versiegenden Wassers, die einen Mond formen, wie auf einem riesigen Fingernagel. Der See hat sich über ein seltsames Ablaufsystem unter einer Felsbarriere entleert. In dem alten Becken sind nur die riesigen Eisblöcke zurückgeblieben, einige zehn, zwanzig Meter hoch und größer, die von Zeiten zeugen, als sie eins waren mit dem Gletscher weiter unten. Seit wann mögen sie schon so daliegen, eingekesselt wie eine vergessene Armee? Unter dem inzwischen grauen Himmel verströmen die mit altem Staub bedeckten monolithischen Blöcke etwas Schwermütiges. Louise mahnt noch einmal umzukehren. »Jetzt wissen wir ja, wo es ist, und können wiederkommen. Ist doch nicht nötig, dass wir nass werden …« Aber Ludovic rennt schon juchzend den Abhang hinunter. Eine Weile streifen sie zwischen dem gestrandeten Eis umher. Von Nahem wirkt es unheimlich. Das eigentlich strahlende Weiß und Blau ist mit Erde verschmiert. Schmelzwasser trübt die Oberfläche und lässt das Eis wie von Insekten zerfressenes Pergament erscheinen. Dennoch sind sie gebannt von dieser düsteren Schönheit. Ihre Hände gleiten über die ausgehöhlten Mulden, streicheln verträumt die kalten Wände. Das, was da vor ihren Augen schmilzt, hat schon lange existiert, bevor es sie gab, lange bevor der Homo sapiens kam und die Ordnung auf der Erde durcheinanderbrachte. Sie flüstern wie in einer Kirche, als könnten ihre Stimmen ein fragiles Gleichgewicht zerstören. Der einsetzende Regen reißt sie von dem Anblick los. »Auf jeden Fall ist das Eis ziemlich marode. Keine Ahnung, warum Hervé da raufgestiegen ist. Wir sollten uns lieber beeilen. Bei dem Wind wird’s nicht leicht mit dem Beiboot und dem kleinen Außenborder.« Jetzt nörgelt Louise nicht mehr, sie hat ganz einfach die Führung übernommen. Ludovic kennt diesen entschiedenen Ton an ihr. Und er weiß, dass sie oft einen guten Riecher hat, die Lage richtig einschätzt. Also gut, zurück. Sie klettern den Krater wieder hoch und eilen den Abhang hinunter. Ihre Jacken flattern peitschend im Wind, und sie rutschen auf den feuchten Steinen. Das Wetter ist innerhalb kürzester Zeit umgeschlagen. Als sie den letzten Pass erreichen, stellen sie schweigend fest, dass sich die Bucht vollkommen verändert hat und nicht mehr so friedlich anmutet wie auf dem Hinweg. Eine böse Fee hat sie in eine schwarze aufgewühlte Fläche verwandelt, auf der messerscharfe Wogen wüten. Louise rennt, Ludovic stolpert fluchend hinterher. Außer Atem erreichen sie den Strand. Die Wellen brechen sich in alle Richtungen. Das Schiff schlägt am Ende seiner Ankerkette hart gegen das Wasser. »Na gut, dann werden wir eben nass, als Belohnung gibt es heiße Schokolade!«, kündigt Ludovic vollmundig an. »Geh du nach vorn und rudere gegen die Wellen an, ich schiebe! Wenn wir die Brandung hinter uns haben, schmeiß ich den Motor an.« Sie schleppen das Beiboot über den Strand und warten auf ein kurzes Abflauen. Das eisige Wasser klatscht ihnen an die Knie. »Jetzt! Schnell! Na los … rudere doch, mein Gott!« Ludovic schlittert über den feuchten Sand, Louise müht sich vorne mit dem Riemen ab. Eine erste Welle braust nieder und füllt das kleine Boot mit Wasser, die nächste trifft es quer, hebt es wie ein Spielzeug hoch und lässt es kentern. Sie landen in der sprudelnd weißen Gischt, die sie gegeneinanderschleudert. »Mist!« Ludovic bekommt mit einer Hand die Leine des Beibootes zu fassen, das die Brandung bereits mit sich zieht. Louise reibt sich die Schulter. »Ich hab den Motor in den Rücken gekriegt. Das tut weh!« Triefend sinken sie sich in die Arme, fassungslos angesichts der plötzlichen Naturgewalt. »Wir ziehen das Boot da drüben hin. Am Ende der Bucht ist die Brandung nicht so stark.« Tapfer hieven sie das Boot an eine Stelle, die geeigneter erscheint. Doch dort angekommen, stellen sie fest, dass es kaum besser ist. Zwei Mal wiederholen sie das Manöver, zwei Mal werden sie von wirbelnder Gischt zurückgeworfen. »Hör auf! Das schaffen wir nie, und es tut so weh.« Louise hat sich auf den Boden fallen lassen. Sie hält sich den Arm und verzieht das Gesicht, in das der Regen peitscht, sodass die Tränen nicht zu sehen sind. Ludovic tritt wütend in den Sand, der fontänenartig aufspritzt. Er ist frustriert und zornig. Verdammte Insel! Verdammter Wind, verdammtes Meer! Eine halbe Stunde früher, höchstens eine, und sie...


Isabelle Autissier, 1956 in Paris geboren und dort aufgewachsen, lebt heute in La Rochelle. Mit sechs Jahren entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Segeln; 1991 machte sie Furore als erste Frau, die allein im Rahmen einer Regatta die Welt umsegelte. Seit den Neunzigerjahren widmet sie sich dem Schreiben. "Herz auf Eis" war für den Prix Goncourt nominiert und wurde in zahlreiche Länder verkauft.



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