E-Book, Deutsch, 130 Seiten
ISBN: 978-3-7518-0227-7
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mary Hunter Austin, 1868 in Carlinville, Illinois, geboren, gilt als eine der ersten amerikanischen Nature Writerinnen. Über mehrere Jahrzehnte erforschte sie die indigene Bevölkerung der Mojawe Wüste in Südkalifornien, schrieb Essays u.a. über H.G. Wells und verfasste ein Theaterstück über die indigene Bevölkerung. Der Mount Mary Austin in der Sierra Nevada ist nach ihr benannt, sie starb 1934 in Santa Fe, New Mexico
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Land des kargen Regens
Östlich der Sierras und südlich von Panamint und Amargosa9, also manch ungezählte Meile weiter östlich und südlich, liegt das Land der Verlorenen Grenzen10. Ute, Paiute, Mojave und Shoshonen bewohnen seine Ränder, genau so weit ins Innere hinein, wie ein Mann vorzudringen wagt. Nicht das Gesetz, sondern das Land selbst bestimmt diese Grenze. Wüste ist der Name, den es auf den Landkarten trägt, aber das indianische Wort dafür ist besser. Wüste ist ein schwammiger Begriff für ein Land, das den Menschen nicht ernährt; ob es zu diesem Zweck aufgezäumt oder zugeritten werden kann, ist nicht erwiesen. Ohne Leben ist es aber nie, so trocken die Luft und so tückisch der Boden auch sein mögen. Das ist das Wesen dieses Landes. Es gibt hier Berge, die abgerundet, plump, verbrannt, aus dem Chaos gequetscht und chromfarben-zinnoberrot gestreift sind und zur Schneefallgrenze streben. Dazwischen liegen ganz plan aussehende Ebenen unerträglich grellen Sonnenlichts oder enge Täler, die im blauen Dunst versinken. Die Berghänge sind von Aschenverwehungen und schwarzen, kaum verwitterten Lavaströmen durchzogen. Nach einem Regen sammelt sich in den Senken kleiner geschlossener Täler Wasser und hinterlässt beim Verdunsten harte, ausgedörrte Flächen reiner Wüstenei, die hier als Trockenseen bezeichnet werden. Wo die Berge steil und die Regenfälle heftig sind, wird der Tümpel nie ganz trocken, sondern nur dunkel, bitter und von kristallisierten Alkaliresten umrahmt. Eine dünne Kruste davon säumt den Morast über einer Vegetation, die weder Schönheit noch Frische besitzt. Auf den breiten Ödflächen, die schutzlos dem Wind ausgeliefert sind, driftet der Sand als Häufchen durch die niedrigen Büsche, und dazwischen zeigt der Boden salinische Spuren. Die Gebirgsskulptur ist hier weniger Werk des Wassers denn vielmehr des Windes, auch wenn die kurzen Regenstürme sie manchmal heftiger entstellen, als sogar mehrere Jahre wiedergutmachen könnten. An allen Wüstenrändern des Westens finden sich Miniaturversuche des berühmt-berüchtigten Grand Cañon, den man, durchquert man das Land nur lang genug, irgendwann auch erreicht. Da dies Hügelland ist, erwartet man, hier auch Quellen zu finden, nur darf man sich nicht auf sie verlassen; wenn überhaupt entdeckt, sind sie oft brackig und ungenießbar oder unendlich träge Rinnsale in durstiger Erde. Hier findet man das heiße Becken des Death Valley und hohe, wogende Hügelregionen, wo die Luft immer leicht nach Frost riecht. Hier gibt es die langen, starken Winde und atemlose Windstillen auf den geneigten Mesas11, wo Sandhosen tänzeln und in einen weiten, hellblauen Himmel aufsteigen. Hier gibt es keinen Regen, wenn die Erde danach schreit, oder kurze Regengüsse, die wegen ihrer Heftigkeit Wolkenbrüche heißen. Ein Land der verlorenen Flüsse und mit kaum etwas, das man lieben könnte; aber ein Land, zu dem man, einmal besucht, zwangsläufig zurückkehren muss. Wäre es anders, gäbe es wenig darüber zu berichten. Dies ist das Land der drei Jahreszeiten. Von Juni bis November liegt es heiß, brütend und unerträglich da, ganz krank vor heftigen Unwettern ohne jede Linderung; von da bis zum April kalt, reglos, den kargen Regen und noch kargeren Schnee trinkend; und vom April bis zur heißen Jahreszeit blühend, strahlend und verführerisch. Die Monatsangabe ist nur ganz grob; ob später oder früher, irgendwann kommt wassergetränkter Wind vom Golf her durch das Schleusentor des Colorado, und das Land markiert seine Jahreszeiten durch den Regen. Die Wüstenflora beschämt uns durch ihre unbekümmerte Anpassung an die saisonalen Beschränkungen. Ihre einzige Pflicht besteht darin, zu blühen und Früchte zu tragen, und sie erfüllt sie entweder selten oder in tropischer Üppigkeit, je nachdem, was der Regen zulässt. Im Bericht der Death Valley Expedition12 steht, dass nach einem Jahr mit übermäßigen Regenfällen in der Colorado-Wüste eine drei Meter große Amarantpflanze gefunden wurde. Im Jahr darauf erreichte die gleiche Spezies am gleichen Ort aufgrund der Trockenheit nur eine Höhe von zehn Zentimetern. Man hofft ja, dass das Land so gedeiht, wie Qualitäten das bei seinen menschlichen Abkömmlingen tun, indem nämlich nicht nur »versucht«, sondern tatsächlich gehandelt wird. Aber nur selten erreicht eine Wüstenpflanze das volle Potenzial ihrer Art. Extreme Trockenheit und extreme Höhe besitzen denselben Hemm-Effekt, weshalb wir in den hohen Sierras und im Death Valley verwandte Arten in Miniaturform finden, während sie bei mittlerer Temperatur zu ansehnlicher Größe heranwachsen. Äußerst einfallsreich sind die Wüstenpflanzen bei Hilfsmitteln gegen die Verdunstung – sie drehen die Blätter hochkant zur Sonne, lassen seidige Haare wachsen oder sondern klebriges Gummiharz ab. Der Wind, der nicht müde wird zu blasen, quält sie und hilft ihnen gleichzeitig. Er häuft um die gedrungenen Stämme Dünen an, die sie umschließen und schützen, und oberhalb der Dünen, die etwa beim Mesquitebaum dreimal so hoch wie ein Mensch werden können, blühen die Äste und tragen Früchte. Es gibt in der Wüste viele Stellen, an denen sich nur ein paar Fuß unter der Oberfläche trinkbares Wasser befindet, angezeigt vom Mesquite oder einem Büschel Tropfengras (Sporobolus airoides). Es ist die Nähe der ungeahnten Hilfe, die Wüstentode so tragisch macht. Wie es heißt, fand der endgültige Zusammenbruch der armen Reisenden, die dem Death Valley zu seinem furchterregenden Namen verhalfen, an einem Ort statt, an dem unterirdische Quellen die Rettung bedeutet hätten. Aber wie konnten sie das wissen? Entsprechend ausgerüstet, kann man diesen unwirtlichen Einschnitt sicher durchqueren, und doch fordert er jedes Jahr seinen Todestribut und finden Männer dort sonnenverdörrte Mumien, von denen keine Spur oder Erinnerung erhalten blieb. Den eigenen Durst zu unterschätzen, einen bestimmten Orientierungspunkt rechts oder links zu verfehlen oder eine ausgetrocknete Quelle zu finden, wo fließendes Wasser erwartet wurde – für all das gibt es keine Hilfe. Man ist überrascht, an Quellen oder versunkenen Wasserläufen die feuchtigkeitsliebenden, in nasser Erde üppig wachsenden Pflanzen zu entdecken, aber die wahre Wüste bringt ihre eigenen Varianten hervor, jede in ihrem ganz speziellen Lebensraum. Die Neigung des Abhangs, die Ausrichtung eines Berges und die Beschaffenheit der Erde bestimmen die Pflanze. Nach Süden zeigende Hänge sind so gut wie unbewachsen, und die untere Baumgrenze ist hier eintausend Fuß höher als anderswo. Cañons, die von Ost nach West verlaufen, haben eine kahle Wand und eine, die bedeckt ist. Um ausgetrocknete Seen und Marschen herum pflegt der Pflanzenbewuchs eine feste, säuberliche Anordnung. Die meisten Arten haben eine klar umrissene Wachstumszone, was der beste Hinweis ist, den das stumme Land dem Wanderer zur Orientierung geben kann. Solltet ihr aus irgendeinem Grund zweifeln, sei euch hiermit gesagt, dass die Wüste mit dem Kreosotbusch anfängt. Dieser unsterbliche Strauch zieht sich hinunter ins Death Valley und hinauf zur unteren Baumgrenze – stark duftend und heilkräftig, wie schon der Name vermuten lässt, dazu stabförmig und mit schimmerndem Blattgewirr. In einer Wildnis aus grauen bis grünlich weißen Sträuchern wird sein leuchtendes Grün vom Auge dankbar aufgenommen. Im Frühling sondert er ein harziges Gummi ab, das die Indianer hier mit pulverisiertem Gestein vermischen, um an ihre Pfeile Spitzen zu zementieren. Wenn jemand die Möglichkeiten der Pflanzenwelt kennt, dann die Indianer! Nichts, was die Wüste produziert, drückt sie besser aus als der unglückliche Wuchs der Yuccabäume. Gepeinigte, spärliche Wälder davon stehen trostlos auf den hohen Mesas, speziell in dem Dreieck, das sich von dort Richtung Osten zieht, wo die Sierras und die küstennahen Berge aufeinandertreffen und sich erstere ins südliche San Joaquin Valley13 krümmen. Der Yuccabaum ist voll mit bajonettartigen Blättern, in stumpfem Grün, beim Älterwerden immer zotteliger und mit stinkenden, grünlich blühenden Rispen. Nach seinem Tod, einem langsamen Tod, macht die gespenstische, hohle Gestalt seiner holzigen Skelette, die kaum mehr die Kraft zum Verrotten haben, das Mondlicht zu etwas Bedrohlichem. Bevor die Yuccas aufblühen und noch ihre cremefarbenen, kegelförmigen Knospen tragen, so groß wie ein kleiner Kohlkopf und voll zuckrigem Saft, drehen die Indianer sie geschickt aus ihrem Zaun aus Dolchen und rösten sie zu ihrem eigenen Genuss. Aus diesem Grund sieht man dort, wo Menschen wohnen, nur selten junge Exemplare des Yucca arborensis. Andere Yuccas, Kakteen, niedrige Kräuter, findet man in tausendfacher Ausführung, wenn man von den küstennahen Bergen ostwärts reist. Für den spärlichen Wüstenbewuchs ist keine Kargheit des Bodens oder der Arten...