Gespräche mit Thomas Assheuer
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Nahaufnahme
ISBN: 978-3-89581-316-0
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Gespräche zwischen Michael Haneke und Thomas Assheuer zeichnen die Karriere dieses außergewöhnlichen Regisseurs nach, von seinen Anfängen als jugendlicher Kinobesucher bis hin zu den Welterfolgen "Das weiße Band" und "Liebe".
Mit zwei Essays von Michael Haneke über Robert Bresson und 'Gewalt und Medien'.
'Das Maß des künstlerischen Werts ist die Genauigkeit, und darin liegt pure Lust. Es ist die Verteidigung der Ordnung gegen das Chaos. Darum allein lohnt es sich zu arbeiten, und daraus entsteht Enthusiasmus.
Damit muß ich niemanden beglücken wollen. Ich glaube, daß Genauigkeit per se beglückt. Jeder, der für künstlerische Äußerungen empfänglich ist, wird beglückt sein, sofern etwas ›gut gemacht‹ ist.
Aber nicht, weil der Künstler damit ein inhaltliches Ziel verfolgt. Ich glaube nicht an Ziele. Ich glaube an die Genauigkeit. Ich glaube an den handwerklichen Aspekt, an handwerkliche Ehre.' Michael Haneke
'Selbstauskünfte von großer Wahrhaftigkeit und Prägnanz.' Sigrid Löffler
'Hanekes Kino ist Kinematographie in ihrer schärfsten, reinsten Form.' Andreas Kilb
Dritte aktualisierte Auflage.
Autoren/Hrsg.
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DAS WEISSE BAND Herr Haneke, für Ihren Film Das weiße Band sind Sie mit Lob überschüttet worden, in Cannes gab es 2009 dafür die Goldene Palme, und den Europäischen Filmpreis haben Sie auch bekommen. Vor allem für die Kinderszenen hat man sie gefeiert. Wie haben Sie die Kinder gefunden? Es war viel Arbeit. Wir wollten ja nicht nur begabte Kinder finden, was schwierig genug ist, wir wollten Gesichter finden, wie man sie von den Fotos dieser Zeit kennt. Alles in allem haben wir in einem halben Jahr mehr als siebentausend Kinder gecastet. Aber es gibt doch Agenturen. Die haben wir als erstes abgeklappert, aber die Auswahl war gering. Dann haben wir dort, wo der Film gedreht werden sollte, in der Prignitz (Brandenburg), Zeitungsanzeigen geschaltet und Radioaufrufe senden lassen. Alle Dörfer der Gegend wurden abgegrast. Wenn wir einige Kinder interessant fanden, hat mein Team sie ein zweites Mal aufgesucht, einen Text sprechen lassen und sie dabei gefilmt. Ich habe mir dann die engere Auswahl auf den Videos angesehen. Natürlich haben wir zusätzlich in allen großen Städten gesucht, auch im Ausland. Die beiden Kinder des Arztes, Roxane Duran und Miljan Chatelain, sowie der kleine Pfarrerssohn mit dem Vogel, Thibault Sérié, kommen beispielsweise aus Paris, aus zweisprachigen Familien. Wie haben Sie die Kinder auf den Dreh vorbereitet? Mein Casting Director Markus Schleinzer hat das gemacht. Er hat vorher den Kindern ausführlich alles erklärt und auch den Text mit ihnen eingeübt. Ohne ihn und seine Assistentin Carmen Loley wäre der Film nicht so geworden, wie er geworden ist. Während der Dreharbeiten haben beide die Kinder rund um die Uhr betreut, und das war sehr hilfreich. Die Kinder kamen sehr gut vorbereitet zum Set. Sie wußten genau, worum es in den jeweiligen Szenen ging. Und dann kam der Drehtag. Wie haben Sie mit den Kindern gearbeitet? Wie mit Schauspielern. Ich sage »Mach mal« und lasse sie spielen. Und wenn es falsch war, dann habe ich versucht zu erklären, wie man es besser machen könnte. Und dann haben wir alles noch einmal gedreht. Sie untertreiben. Das klingt so, als hätte jeder Hobbyfilmer die Szenen genauso hinbekommen. Wer unerfahren ist, der sieht vermutlich nicht, wann etwas richtig und wann etwas falsch ist. Und wie man in letzterem Fall Abhilfe schafft. Das zu erkennen – darin liegt möglicherweise das Geheimnis der Schauspielführung. Waren die Eltern der Kinder mit am Set? Das sollte man möglichst vermeiden. Eltern am Set lenken die Kinder ab und stören die Konzentration. Wie kann ein Kind am Set überhaupt ruhig bleiben? Ich denke an das ganze Drumherum, an die vielen unbekannten Gesichter. Alle sind doch kribbelig … Schwierig war es mit den kleinen Kindern, weil die sich nicht lange konzentrieren können. Kinder unter sieben, acht Jahren sind in so einem großen Apparat verständlicherweise immer schwer zu händeln, sie werden schnell ungeduldig. Sie sprechen einmal ihren Text und sehen nicht ein, warum sie ihn ein zweites Mal sprechen sollten. Warum auch? Dann muß man unterbrechen und sie rumlaufen lassen. Das alles ist eine Geduldsfrage, und man muß warten, bis man das hat, was man will. Vertauschen sich am Set auch schon Mal die Rollen – und die Kinder übernehmen die Regie? Auf jeden Fall wissen die Kinder genau, wie niedlich sie sind. Von wegen Naivität der Kinder! Das sind kleine talentierte Monster. Einer hat sogar die Kostümabteilung zum Weinen gebracht. Kinder haben auch eine sehr eigene Art, die Dinge zu durchschauen, sie kriegen viel mehr mit, als die meisten Erwachsene ahnen. Doch damit Sie mich nicht mißverstehen: Die Kindern waren alle toll, wir haben sie bewundert. Sie sind die Seele des Films. Eine der bewegendsten Stellen ist das Gespräch von Rudi (Miljan Chatelain), dem kleinen Sohn des Arztes, über den Tod … Ja, das ist auch meine Lieblingsszene. Wie alt war Miljan? Älter, als er ausschaut, er war damals sieben, glaube ich, sehr lebendig und sehr wach. Warum wirft er den Teller auf den Boden? Aus Wut, weil das Leben so ungerecht ist? Weil er den Schock der Sterblichkeit erfährt? Weil er nun weiß, daß seine Mutter nicht verreist, sondern tot ist? Die Interpretation überlasse ich Ihnen. Wie schaffen Sie es, daß die Kinder in solchen Szenen eine so ungekünstelte Intensität an den Tag legen? Das muß man nicht »schaffen«. Ich kann keinem Kind eine Szene vormachen, dann wird es sie bloß nachmachen – und es wird schlecht sein. Ein Kind muß es von sich aus machen, und falls es talentiert ist, fällt ihm das nicht schwer. Das ist doch bei einem erwachsenen Schauspieler genauso. Nicht ganz. Wenn ein erwachsener Schauspieler einen Löwen spielt, dann SPIELT er den Löwen. Wenn ein Kind den Löwen spielt, dann IST es der Löwe, das ist der Unterschied. Ein Kind ist sekundenweise »echt«, und diese Sekunden muß man beim Drehen sammeln. Alles andere würde die kleineren Kinder schlichtweg überfordern, sie können keine Szene als Block drehen. Deshalb haben wir die Szenen mit Schnitt – Gegenschnitt aufgelöst. Sie zerlegen also eine Szene in einzelne Sätze? Nein, wir haben immer versucht, die Szene am Stück zu drehen, und im Stillen habe ich immer mitgerechnet: Den Satz hab ich schon, und den auch, und diesen Satz muß ich noch bekommen. Jetzt machen wir es noch einmal, hoffentlich klappt es. Manchmal klappt es auch nicht. Man muß so lange dran bleiben, bis man alles hat. Ich gebe es gern zu: Ich mußte hinterher manches anders schneiden, als ursprünglich gedacht. Wie lange arbeiten Sie mit den Kindern an so einer Szene? Zum Beispiel an dem Gespräch über den Tod? Das hat einen Nachmittag gedauert. Aber für die Szene mit dem Vogel haben wir einen ganzen Tag gebraucht, das war wirklich schwer, denn diese Szene mußte Thibault Sérié durchspielen, man konnte sie nicht stückeln. Und was das Drehen mit Kindern ziemlich kompliziert macht, das sind die rigorosen Arbeitszeitvorschriften in Deutschland, man darf eben nicht von morgens bis abends einfach »durchdrehen«. Vom Jugendamt kommen von Zeit zu Zeit Mitarbeiter vorbei und überprüfen das. Deshalb hat der Dreh auch drei Monate gedauert, was sehr großzügig geplant war, denn die Drehtage sind ja das teuerste an einem Film. Meine Bedingung lautete von Anfang an: Ich mache Das weiße Band nicht unter Zeitdruck, schon wegen der Kinder. Nicht nur die Kinder, auch die erwachsenen Schauspieler waren überragend. Viele Kritiker fragen sich, warum die Schauspieler bei Ihnen immer so gut sind. Vielleicht sind sie in meinen Filmen gut, weil ich sie beschütze. Man muß in der Arbeit mit Schauspielern eine Vertrauensbasis schaffen, dann sind sie auch bereit, etwas zu riskieren, sie müssen sich geachtet und ernstgenommen fühlen. Ich versuche, am Set eine Atmosphäre der Konzentration herzustellen. Ich will Stille erzeugen. Ja, Stille, das ist das richtige Wort. Ich komme aus einer Schauspielerfamilie. Letztlich wollen Schauspieler geliebt werden. Und ich liebe sie. Sie sind das einzige wirkliche Vergnügen beim Dreh, der für den Regisseur ja eher Streß bedeutet. Viele Gesichter sahen aus, als seien sie aus der Zeit gefallen, als stammten sie nicht aus unserer Gegenwart. Solche Gesichter finden sich heute leider selten. Jeder Bauer fährt in seinem klimatisierten Traktor durch die Gegend und schaut so aus wie Sie und ich. Gesichter zu finden, die vom Wetter gegerbt sind, das ist in unseren Breiten nahezu unmöglich. Deshalb haben wir für die Erntedank- und die Kirchenszenen ungefähr hundert Schauspieler aus Rumänien geholt. Ich kannte einige aus meinem Film Wolfzeit, und sie hatten uns zum Glück in guter Erinnerung. Sie haben von vielen Schauspielern etwas sehr Schweres verlangt – sie haben verlangt, daß sie nicht sympathisch wirken. Viele Schauspieler wollen sympathisch wirken, das kann man ihnen nicht verdenken, denn sie tragen schließlich ihre Haut zu Markte. Bei den sogenannten »Stars« ist das ganz ausgeprägt, sie haben für ihr Image zu sorgen und dürfen ihre Fans nicht enttäuschen. Aber Gott sei Dank gibt’s genügend Ausnahmen. Suse Lothar ist so eine Ausnahme, Isabelle Huppert auch, denen geht es in erster Linie um die Wahrheit der Szene. Deswegen ist die Arbeit mit ihnen auch so anregend. Wir hatten in unserem Film Gott sei Dank eine ganze Menge solcher Schauspieler. Schauspieler sollten immer die zu spielende Figur verteidigen, nicht sich selbst oder ihr eigenes Image. Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Produktion. Beim Weißen Band gab es mehr technische Schwierigkeiten als sonst. Nicht einmal ein geeigneter Drehort ließ sich finden. Ja, es war schwierig. Mein Architekt und Szenenbildner Christoph Kanter ist in Deutschland tausende Kilometer durch die neuen Bundesländer gefahren und hat mir ganze Festplatten voll mit Fotos von möglichen Drehorten geschickt. Aber es war nichts Richtiges dabei, bis wir...