Aselmeyer / Kamche | "Stadt der Kolonien" | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Aselmeyer / Kamche "Stadt der Kolonien"

Wie Bremen den deutschen Kolonialismus prägte
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-451-83389-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie Bremen den deutschen Kolonialismus prägte

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-451-83389-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Über die Restitution von geraubten Kulturgütern bis hin zu postkolonialen Identitätsdebatten hat die Kolonialgeschichte in den vergangenen Jahren intensive gesellschaftliche Debatten befeuert. Auslöser sind häufig lokale Konflikte über Straßennamen, Denkmäler und Museumsausstellungen. Dies gilt auch für Bremen, einstiger Wegbereiter des offiziellen deutschen Kolonialreichs und Zentrum der Kolonialrevisionisten. Seit den 1970er Jahren ist die Stadt führend in der Aufarbeitung ihrer kolonialen Vergangenheit. Dieses anregende Lesebuch stellt Schlüsselakteure, Orte und Institutionen dieser Entwicklung vor und wirft ein Schlaglicht auf die deutsche (post-) koloniale Geschichte.

Dr. Norman Aselmeyer ist seit 2022 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Neuere und Neueste Geschichte am Institut für Geschichtswissenschaft an der Universität Bremen und Junior Research Fellow, University College London / German Historical Institute London. Promotion am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Forschung zur Imperial- und Kolonialgeschichte. Virginie Kamche ist Mitgründern von Afrika Netzwerk Bremen e.V. und arbeitet als Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung. 2019 erhielt sie den Diversity Preis und 2023 wurde als Frau des Jahres in Bremen ausgezeichnet.
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Norman Aselmeyer und Virginie Kamche

Vorwort


Direkt hinter dem Bremer Bahnhof steht ein zehn Meter hoher, aus rotem Backstein gemauerter Elefant. Bei Touristen und Neuzugezogenen ruft das riesige Monument regelmäßig Erstaunen hervor. Anwohner begegnen dem Steinkoloss, den sie schlicht nur »der Elefant« nennen, dagegen mit betonter Unbekümmertheit. An der gegenüberliegenden Schule wissen die wenigsten Schülerinnen und Schüler etwas über den Ursprung des Backsteinelefanten. In einer Befragung glaubten die meisten, dass hier ein echter Elefant beerdigt worden sei. Einige Schüler und Schülerinnen vermuteten immerhin, dass der Elefant etwas mit den ehemaligen Kolonien zu tun haben könnte.1

Mit ihrer mangelnden Kenntnis der bremischen Kolonialgeschichte sind die Schüler nicht allein. In einer 2021 durchgeführten Umfrage unter rund 1700 Bremerinnen und Bremern gaben nur 13 Prozent an, dass sie gut bis sehr gut über die koloniale Vergangenheit der Hansestadt Bescheid wüssten. Nahezu 60 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass die Folgen der Kolonialherrschaft in der deutschen Gesellschaft zu wenig Beachtung fänden. Dieses Ergebnis ist keine Besonderheit Bremens, sondern steht stellvertretend für die Aufarbeitung und Erforschung der deutschen Kolonialgeschichte insgesamt.2

Wer unsere Gegenwart verstehen will, muss sich mit der Kolonialgeschichte auseinandersetzen. Die Folgen der deutschen Kolonialherrschaft – die Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen, die Vernichtungskriege, die Zivilisierungsmission und die Zerstörung indigener Kulturen – haben bis heute nicht zuletzt in Form von Rassismus und globaler Ungleichheit überdauert. Wie wichtig und notwendig eine sachkundige Beschäftigung mit dem kolonialen Erbe ist, zeigen die öffentlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Von der Restitution von geraubten Kulturgütern über die Umbenennung von kolonialen Straßennamen bis hin zu postkolonialen Identitätsdebatten hat die Kolonialgeschichte intensive gesellschaftliche Debatten befeuert. Obgleich die koloniale Vergangenheit Deutschlands derzeit in aller Munde ist, ist das Wissen mit der gestiegenen Aufmerksamkeit nicht gewachsen.

Dieses Buch zeichnet die (post-)kolonialen Verflechtungen Deutschlands am Beispiel Bremens nach. Die Forschung hat in den letzten Jahren wiederholt betont, dass es insbesondere hanseatische Kaufleute waren, die den deutschen Kolonialismus geprägt und gefördert haben.3 Bremen war als Handelsstadt eine der treibenden Kräfte der kolonialen Bestrebungen in Deutschland und hat nachhaltig davon profitiert. Das koloniale Engagement der städtischen Bewohner und Unternehmen hat sich auch im Stadtbild Bremens und Bremerhavens niedergeschlagen. Seit Mitte der 1970er Jahre bemühen sich zivilgesellschaftliche Gruppen im Stadtstaat um eine Aufarbeitung dieses Erbes.

Der Bremer Fall wirft ein Schlaglicht auf die koloniale und postkoloniale Geschichte Deutschlands. Angelegt ist dieses Buch als Lesebuch mit kurzen und allgemein verständlichen Texten über zentrale Orte, Personen, Institutionen, Entwicklungen und Objekte, die sich an alle richten, aber vor allem für Leserinnen und Leser geschrieben wurden, die mit dem Thema noch kaum vertraut sind. Sie bieten dabei kein vollständiges Spektrum – dafür ist das Thema zu umfangreich und zudem unzulänglich erforscht –, sondern ein breit angelegtes und vielstimmiges Panorama.4 Die Texte zeigen, wie sehr sich Bremen in die Geschichte des europäischen Kolonialismus und dieser sich in die städtische Geschichte Bremens eingeschrieben hat.

Zurück zum steinernen Elefanten: Kein Ort in Bremen bündelt das koloniale Gedächtnis der Stadt in ähnlicher Weise wie der Elefant. Als er 1932 eingeweiht wurde, war es das größte in Deutschland gebaute Kolonialdenkmal. Errichtet wurde das offiziell als »Reichskolonialehrenmal« bezeichnete Monument zu Ehren gefallener Kolonialkrieger. Die große Inschrift auf dem Sockel – »Unseren Kolonien« – signalisierte das eigentliche Anliegen: Der Elefant stand für die Forderung nach der Rückgabe der nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen deutschen Kolonien. In dieser Funktion wurde der Elefant zum wichtigsten kolonialen Wallfahrtsort im Deutschen Reich und spiegelte Bremens selbstgewählten Anspruch als »Stadt der Kolonien« während der Zeit des Nationalsozialismus wider. Bremen sah sich selbst als Wiege des deutschen Kolonialreichs und als Zentrum der Kolonialbewegung. Um diese Sonderstellung in kolonialen Fragen herauszustellen, kreierte die Stadt neben dem Elefanten in den 1930er Jahren weitere koloniale Einrichtungen. Bürgermeister Heinrich Böhmcker (NSDAP) verkündete 1938 entsprechend: »Bremen hat seine koloniale Tradition, in Bremen ist jeder Mensch kolonial orientiert.«5

Obwohl manche Historiker argumentiert haben, dass Bremens kolonialpolitische Ambitionen mehr völkisch-nationalen als handelspolitischen Ursprungs waren, hat die Kaufmannschaft der Stadt aus dem kolonialen Handel und der von Versklavten betriebenen Plantagenwirtschaft enormen Profit gezogen.6 Hanseaten waren von Anfang an am Kolonialhandel beteiligt. Seit dem 17. Jahrhundert setzte in Bremen der Handel mit Gütern aus Kolonialbesitzungen anderer europäischer Länder ein. Im 19. Jahrhundert etablierten Bremer Kaufleute ein globales Handelsnetz und fuhren regelmäßig Ziele in Afrika, Asien, Ozeanien und den Amerikas an. Mit Baumwolle, Kaffee, Tabak und Palmöl – den wichtigsten Kolonialwaren – verdienten sie ein Vermögen. Bremer Kaufleute, Missionare und »Forschungsreisende«, allen voran Adolf Lüderitz, Friedrich Oloff, Johann Karl Vietor, Otto Finsch und Friedrich Gerhard Rohlfs, bereiteten seit Mitte des 19. Jahrhunderts den Boden für das deutsche Kolonialreich, das 1884 offiziell seinen Anfang nahm.

Seine Rolle als Kultstätte der neokolonialen Bewegungen verlor der Elefant nach 1945, als die Stadt auf Geheiß der amerikanischen Militärregierung die Inschrift am Elefanten entfernen ließ. Dies war jedoch nur eine äußerliche Wandlung, denn die kolonialen Sehnsüchte blieben bis in die 1960er Jahre lebendig. Ein Umdenken setzte erst in den 1970er Jahren ein, als zivilgesellschaftliche Bewegungen begannen, die Kolonialgeschichte aufzuarbeiten. Wie andernorts auch waren es Initiativen von unten, die eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit suchten. Bremen nahm dabei schnell eine Pionierrolle ein, wovon die Stadt heute noch zehrt. 1990 widmete sie auf Beschluss der Bremischen Bürgerschaft den Elefanten offiziell in ein Antikolonialdenkmal um. Seither steht es für die Dekolonisierungsbemühungen Bremens.

140 Jahre liegt der formale Beginn des deutschen Kolonialreichs zurück. Heute wird Bremens koloniale Vergangenheit kritisch hinterfragt. Es geht darum, die historische Verantwortung der Stadt anzuerkennen, die Folgen des Kolonialismus aufzuarbeiten und einen Beitrag zu einem versöhnlichen und gerechten Umgang mit dieser Geschichte zu leisten. Dieses Buch bietet einen Anstoß zu dieser Debatte und eine Einladung zum Dialog. Es will dazu anregen, sich mit der kolonialen Vergangenheit Bremens auseinanderzusetzen, die vielfältigen Perspektiven zu verstehen und einen eigenen Standpunkt zu entwickeln.7

Anmerkungen

Hinweis zur Sprache: In den vergangenen Jahren ist zurecht betont worden, dass Sprache einen entscheidenden Einfluss auf unser Weltbild hat. Wie die Beiträge in diesem Band zeigen, ist Sprache auch dazu genutzt worden, um koloniales Wissen und rassistische Vorstellungen zu propagieren. Es war uns deshalb wichtig, diese gewaltvolle Sprache nicht zu reproduzieren. Da dieser Band für alle zugänglich sein soll, haben wir aber auch Wert darauf gelegt, wo möglich auf akademische Feinheiten zu verzichten. Bei der Benennung der Geschlechter sind wir den Vorgaben des Verlags gefolgt.

1Frank Eckardt u. Johanna Hoerning, Postkoloniale Städte, in: ders. (Hrsg.), Handbuch Stadtsoziologie, Wiesbaden 2012, S. 263–287.

2Radio Bremen, Meinungsmelder fordern mehr Beachtung für Bremens koloniales Erbe, 11.8.2021.

3So Dietmar Pieper, Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche. Wie hanseatische Kaufleute Deutschland zur Kolonialherrschaft trieben, München 2023; Kim Sebastian Todzi, Unternehmen Weltaneignung. Der Woermann-Konzern und der deutsche Kolonialismus 1937–1916, Göttingen 2023.

4Die Forschungen zur Kolonialgeschichte Bremens sind überschaubar, eine Gesamtschau existiert nicht. Die wichtigsten Arbeiten der letzten Jahre: Jasper Henning Hagedorn, Bremen und die atlantische Sklaverei. Waren, Wissen und Personen, 1780–1860, Baden-Baden 2023; Anna Mamzer, Eva Schöck-Quinteros u. Mareike Witkowski (Hrsg.), Bremen – eine Stadt der Kolonien?, Bremen 2016; Bernhard Olpen, Johann Karl Vietor (1861–1934). Ein deutscher Unternehmer zwischen Kolonialismus, sozialer Frage und Christentum, Stuttgart 2014.

5Staatsarchiv Bremen, 3-R.1.g, 92, Protokoll der Besprechung zwischen Bremer Bürgermeister Böhmcker mit dem Bundesführer des Reichskolonialbundes, 10.9.1938.

6Siehe Hartmut Müller, Lüderitz und der koloniale Mythos. Kolonialbewegungen in Bremen, in: Diskurs. Bremer Beiträge zu Wissenschaft und Gesellschaft 6 (1982), S. 125–149.

7Die Herausgeber danken herzlich für die...


Aselmeyer, Norman
Dr. Norman Aselmeyer ist seit 2022 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Neuere und Neueste Geschichte am Institut für Geschichtswissenschaft an der Universität Bremen und Junior Research Fellow, University College London / German Historical Institute London. Promotion am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Forschung zur Imperial- und Kolonialgeschichte.

Kamche, Virginie
Virginie Kamche ist Mitgründern von Afrika Netzwerk Bremen e.V. und arbeitet als Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung. 2019 erhielt sie den Diversity Preis und 2023 wurde als Frau des Jahres in Bremen ausgezeichnet.

Dr. Norman Aselmeyer ist seit 2022 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Neuere und Neueste Geschichte am Institut für Geschichtswissenschaft an der Universität Bremen und Junior Research Fellow, University College London / German Historical Institute London. Promotion am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Forschung zur Imperial- und Kolonialgeschichte.
Virginie Kamche ist Mitgründern von Afrika Netzwerk Bremen e.V. und arbeitet als Fachpromotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung. 2019 erhielt sie den Diversity Preis und 2023 wurde als Frau des Jahres in Bremen ausgezeichnet.



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