E-Book, Deutsch, Band 234, 107 Seiten
Reihe: TEXT+KRITIK
Arnold / Knaap Robert Menasse
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96707-636-3
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 234, 107 Seiten
Reihe: TEXT+KRITIK
ISBN: 978-3-96707-636-3
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
"Hatte das Wort nicht einen leicht gönnerhaften Beigeschmack, würde ich sagen, Robert Menasse ist ein Tausendsassa, einer der vieles ist und vor allem vieles kann." Daniela Strigl
Erzählerische und essayistische Texte prägen das Werk des intellektuellen und engagierten Schriftstellers Robert Menasse. Beiträge zur Gegenwartsliteratur in Form von fulminanten Essays über Österreich und über die EU gehören ebenso zu seinem Schaffen wie ideenträchtige Poetikvorlesungen, Reden, Stücke sowie Erzählungen und Romane, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Menasse erhielt zahlreiche Literaturpreise, u. a. den Max-Frisch-Preis, den Prix du Livre Européen, den Deutschen Buchpreis, den Walter-Hasenclever-Literaturpreis und die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Heft analysiert das Werk und seine Wirkung mit Beiträgen zur "Trilogie der Entgeisterung", zu den Stücken und Essays sowie zu den Romanen "Die Vertreibung aus der Hölle", "Don Juan de la Mancha" und "Die Hauptstadt". Ein Porträt Menasses von Michael Kohlmeier, eine Rede des Autors, eine Laudatio auf ihn, ein Beitrag zum literarischen Vorlass und eine Auswahlbibliografie sind weitere Teile des Heftes.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
- Michael Köhlmeier: Mein Robert Menasse
- Daniela Strigl: Der Gegendenker. Laudatio für Robert Menasse
- Attila Bombitz: Variationen auf die Entgeisterung. Zum literarischen Werk von Robert Menasse
- Armin Schäfer: Konstruktion und Störung. Zu Robert Menasses "Die Vertreibung aus der Hölle"
- Slawomir Piontek: Die Erziehung der Lust als ein Psychogramm einer Generation
- Florence Baillet: Robert Menasses Theaterstücke. Zeitgenossenschaft, politisches Engagement und figurenorientiertes Drama
- Benjamin Biebuyck: Von der Spannung der Symbole in Robert Menasses Essays und Reden
- Ewout van der Knaap: Eine eurosophische Fiktion. Zu Robert Menasses "Die Hauptstadt"
- Eva Schörkhuber: Zugänge zum literarischen Vorlass von Robert Menasse
- Robert Menasse: Der Preis der Werte
- Ewout van der Knaap: Vita Robert Menasse
- Auswahlbibliografie
- Notizen
- Robert Menasse: Abwesenheitsnotiz
Daniela Strigl Der Gegendenker
Laudatio für Robert Menasse1
An Robert Menasse gibt es, gottlob, viel zu loben, so viel, dass man nicht weiß, wo anfangen – und auch nicht, wo aufhören. Hätte das Wort nicht einen leicht gönnerhaften Beigeschmack, würde ich sagen, Robert Menasse ist ein Tausendsassa, einer, der vieles ist und vor allem vieles kann. Zunächst ist er natürlich Schriftsteller, Romancier. Sodann Essayist und politischer Kommentator. Außerdem Theaterautor (2009 wurde sein Stück »Doktor Hoechst« am Staatstheater Darmstadt uraufgeführt). Menasse ist Germanist (als solcher hat er etwa energisch für die Wiederentdeckung von Gerhard Fritsch plädiert), er ist – oder war – Übersetzer aus dem Portugiesischen. Er ist übrigens auch: Laudator (seine Rede auf den in Wiener Neustadt geborenen Autor Elazar Benyoëtz gehört zu den besten Laudationes, die ich je gehört habe). Schade also, dass Robert Menasse seine Laudatio nicht selbst halten kann. Er ist auch ein glänzender Redner. Ob er ein ebenso guter Zuhörer ist, weiß ich nicht, aber das gehört zu den Vorzügen dieser Textsorte: Es bleibt ihm nichts anderes übrig. Menasses erste Erzählung hatte den prägnanten, adoleszentem Kunstwollen durchaus angemessenen Titel »Nägelbeißen« und erschien 1973 in der legendären Jugendzeitschrift »Neue Wege«. 1979 gehörte Menasse zu den studentischen Begründern des »Zentralorgans herumstreunender Germanisten«. Im Jahr darauf wurde er an der Universität Wien promoviert, mit einer Dissertation über den »Typus des ›Außenseiters‹ im Literaturbetrieb (Am Beispiel Hermann Schürrer)«. Anders als der genialische Dichter und gewiss nicht minder begnadete Trinker Schürrer, eine berühmte Wiener Lokal-Größe, hatte Robert Menasse kaum Gelegenheit, den Außenseiterstatus im Literaturbetrieb am eigenen Leib zu studieren. Als Schriftsteller im engeren Sinn hat er sich mannigfaltig bewiesen: In seinen Romanen exerziert er alle möglichen Genres durch, manchmal auch in Überblendungen: den Exilroman, die Gelehrtensatire, den philosophischen Konversationsroman, den Campus-Roman, den Reiseroman, die Dorfgeschichte, den historischen Roman, den erotischen Entwicklungsroman. 2009 überraschte er seine Leser mit einem Erzählband – es war, und das war nun wirklich überraschend, sein erster. An Gedichten sind meines Wissens nur fünf Stück erschienen, weshalb ich mir erlaube, sie hier unter den Gabentisch fallen zu lassen, merkwürdigerweise firmierten sie unter dem Titel des allerersten – vom Autor verworfenen – Romanprojekts »Kopfwehmut«. Das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien ist aber, das soll nicht übersehen werden, kein Literaturpreis (die Literaturpreise Menasses sind Legion), es ist ein Orden. Die »großen Verdienste«, die damit laut Statut gewürdigt werden sollen, gehen gerade im Fall Robert Menasses über das hinaus, was er sozusagen auf Grundlage seiner Profession, seines Schriftstellerhandwerks geleistet hat. Robert Menasse ist eine Institution, eine Wiener Institution, wie man, um »Das Lied der Deutschen« zu zitieren, »Von der Maas bis an die Memel, / Von der Etsch bis an den Belt«, also eben nicht nur hierzulande und nicht nur auf dem Gebiet des heutigen Deutschland, weiß. Die Institution Robert Menasse wirkt europaweit, sie wirkt auch dort, wo nicht deutsch gesprochen wird, sogar dort, wo das Deutsche aus historischen Gründen keinen besonders guten Klang hat, in Holland zum Beispiel, in Amsterdam, wo Menasse längere Zeit gelebt hat. Kein Zweifel: Robert Menasse ist öffentliches Eigentum, er ist unser aller Menasse. Er ist auch für seine Gegner, ja für seine Feinde eine Institution, ein monumenthaft aufragendes Ärgernis. Der Geburtsort Wien ist keine notwendige Bedingung für das Werden und Gedeihen einer Wiener Institution, aber, wie der Fall Menasse zeigt, es erleichtert und beschleunigt die Angelegenheit. Der Übergang von der Wiener zur österreichischen Institution ist bekanntlich fließend. Als 1995 Österreich als Gastland zur Frankfurt Buchmesse geladen war, da schien es geradezu zwingend, dass Robert Menasse die Eröffnungsrede halten sollte. Wer, wenn nicht er? Robert Menasse ist, wie Wendelin Schmidt-Dengler, sein Doktorvater und zeitlebens wohlwollender Kritiker gesagt hat, »ein Meister im Umgang mit symbolischen Repräsentationen«. Schmidt-Dengler meinte das im Hinblick auf Menasses literarisches Werk, man kann es aber auch auf den Autor münzen: Robert Menasse selbst beherrscht die Kunst der Repräsentation, er hat sich mit Kompetenz und Chuzpe, mit der Anmaßung des um seinen Wert Wissenden, zur Institution ausgestaltet; er verkörpert längst die umfassende Zuständigkeit für nationale Belange. Im offiziösen, seinerzeit vom Wissenschaftsministerium initiierten sogenannten »Kulturinformationssystem« im Internet namens »aeiou« findet sich im Eintrag zu Robert Menasse der Satz: »Im Mittelpunkt seiner Essayistik steht die Positionsbestimmung der österreichischen Literatur.« Kann man das sagen, oder drückt sich da nicht vielmehr das Wunschdenken aus, Menasse möge sich auf seine Kernaufgaben als Autor und Literaturwissenschaftler konzentrieren? Gewiss, mit dem Essay »Die sozialpartnerschaftliche Ästhetik« (1990) hat er ein Bild der österreichischen Literatur geprägt, das den Geist der Realverfassung des Landes atmet, das die Spuren von Kompromiss und Konsens um des lieben Friedens Willen trägt. Aber die »Positionsbestimmung der österreichischen Literatur« ist für Menasse eben in erster Linie insofern von Interesse, als sie etwas über dieses Land verrät. Und so erscheinen auch Werke in einem rotweißroten Licht, die man lange nur als individuell-existenziell verstehen wollte. A. E.I. O.U. – kein Wunder, dass Menasse für eine doppeldeutige Lesart des habsburgischen Wahlspruchs plädiert und die Erkenntnis in jedem Fall für tröstlich erklärt: Austria erit in orbe ultima – »Österreich wird in der Welt das Letzte sein«. »Brillant« ist wohl das in Bezug auf Menasses Essayistik am häufigsten gebrauchte Wort. »Brillant«, das meint, neben der substanziellen Härte und Qualität, immer auch die Sphäre des Effekts, das Funkelnde, Glänzende, Blendende des geschliffenen Ausdrucks. Und wirklich, wir erleben Robert Menasses Befunde als brillant, egal, ob sie uns nun plausibel erscheinen oder haarsträubend, was auch hin und wieder vorkommt – ja, dann wirken sie fast noch beeindruckender, müssen wir doch Könnerschaft bewundern, wo wir die Gefolgschaft in der Sache verweigern. Wer etwa Robert Menasses langen Essay »Das Land ohne Eigenschaften« (1992) jetzt wieder liest, der staunt freilich, wie haltbar die Schlussfolgerungen zur österreichischen Identität am Vorabend des EG-Beitritts sind, wie prophetisch der Autor manches damals gesehen hat, etwa den fiktiven Charakter der unverdrossen beschworenen Neutralität. Robert Menasse ist der Ausnahmefall des Propheten, der im eigenen Lande sehr wohl etwas gilt. Das ist keine einseitige Liebe: Menasses Kritik an Österreich ist durchpulst von einem patriotischen Furor, der für Autorinnen und Autoren der nächsten Generation schwer begreiflich ist. Dass in Österreich schlicht alles Symbol ist und dass die Macht des Imaginären in die Wirklichkeit hineinwirkt, berührt, wie der Germanist Friedbert Aspetsberger meinte, auch das Phänomen Menasse: So verlangte der Autor gleich nach Regierungsantritt des Wende-Kabinetts Schüssel /
Riess-Passer 2000 dessen Rücktritt, weil es seine historische Mission – das Aufbrechen der großkoalitionären Verkrustung – erfüllt habe. Die Regierung trat nicht zurück, 2002 dann aber doch: Die Realität richtete sich nach der Fiktion des Dichters. – »Menasse fordert viel, ist aber kein Doktrinär«, resümiert Aspetsberger. Freilich: Das Apodiktische gehört nun einmal wesentlich zum Geschäft. Der Eros des Denkens tritt nicht schamhaft auf. Auch Karl Kraus hat seine Urteile über die Zeit und ihre Genossen nicht in das Gewand tastender Überlegung gekleidet. Ganz in seinem Sinne versteht Robert Menasse den Schriftsteller als den natürlichen Feind der Floskel – und damit der Sprache des Journalismus wie der Politik. Das Denken des Essayisten kann deshalb grundsätzlich nur ein Gegendenken sein. Nicht zwangsläufig bloß gegen die Macht, sondern auch gegen die öffentlich sich artikulierende Mehrheit – wie es Menasse mit seiner These von der im Jahr 2000 endlich in Österreich eingezogenen »Normalität« unternahm. Jörg Haider als Proponent einer etwas anderen »Linksopposition« gegen die rot-schwarze Einheitspartei – diese Deutung Menasses sahen damals viele als rote Fahnenflucht. Unerschrockenheit ist es, was den politischen Kommentator Menasse zuvörderst auszeichnet: Robert Menasse erschrickt prinzipiell nicht vor der eigenen Courage, es erschrecken immer die anderen. Er kennt buchstäblich keinen Genierer. Menasse hat sich, ohne Ansehen der Partei, mit allen angelegt: mit Jörg Haider selbstverständlich, mit Kurt Waldheim und Wolfgang Schüssel, mit Viktor Klima und auch mit Helmut Zilk – nie hat er seine Zielpersonen in ihrem Individuellen aufs Korn genommen, immer in ihrem Symptomatischen. Was er sagte, war hieb- und stichfest, das heißt auch: zitabel. Dass er, der den Beitritt des Landes zur EG als einen weiteren Versuch beschrieb, die Verantwortung für sich selbst loszuwerden, später mit...