E-Book, Deutsch, Band 3, 354 Seiten
Arnold Das Weiß der Eisblumen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98672-070-4
Verlag: Dryas Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Krimi aus Kent
E-Book, Deutsch, Band 3, 354 Seiten
Reihe: Ein Krimi aus Kent mit Elisabeth und Margret
ISBN: 978-3-98672-070-4
Verlag: Dryas Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Susanne Arnold wurde 1976 in Koblenz geboren und absolvierte nach dem Abitur zunächst eine Lehre zur Versicherungskauffrau. Die Liebe zum Schreiben entdeckte sie bereits in ihrer Kindheit, als sie sich mit Freude Osterhasengeschichten für ihre Schwester ausdachte und diese sowie eine Reihe anderer Kindergeschichten auch teilweise aufschrieb. Später auf dem Gymnasium wählte sie das Leistungsfach Deutsch und betrachtete dabei Gedichtinterpretationen als ihr Steckenpferd. Mit 20 entdeckte sie ihre Zuneigung für England und das britische Lebensgefühl und erfüllt sich nun im Alter von 46 Jahren endlich den lang gehegten Traum, die Leidenschaft für England mit der des Schreibens zu vereinen.
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Margret legte ihre mit Plüsch ummantelten Füße auf dem Hocker ab, der vor ihrem Sessel stand. Ihre Hände griffen mechanisch nach dem Strickzeug auf dem Beistelltisch. Meine Freundin saß nie ohne Strickzeug in ihrem Sessel, ebenso wenig wie sie sich die Zähne ohne Zahnbürste putzte. Das waren Dinge, die einfach zusammengehörten. Wie Weihnachtsbaum und Christbaumkugeln. Oder wie Eisblumen und unser Fenster neben der Haustür. Sie blickte in die lustig tanzenden Flammen, als könne sie deren Sprache verstehen und ihren Gesprächen folgen. Auch Lucy war gut darin, Ungeschriebenes zu lesen und Unausgesprochenes zu hören, und zwar ganz ohne Glaskugel. Sie wusste genau, wann sich welcher Wunsch in uns regte. Auch jetzt brachte sie unaufgefordert eine Kanne Tee ins Zimmer, während das Klappern von Margrets Stricknadeln den Raum erfüllte. Was für eine gemütliche Atmosphäre! Sollte Lucy jemals wegwollen, würde ich leider kriminell werden und sie anbinden müssen.
»Es ist ein Weihnachtstee!«, raunte sie mir zu und zwinkerte verschwörerisch. »Ich habe ihn gestern bei Sally Kinsley im Gemischtwarenladen gekauft. Eine ganz neue Sorte. Riechen Sie mal! Vanille ist besonders intensiv!« Sie öffnete den Deckel und wedelte den aufsteigenden Dunst abwechselnd zu ihrer und zu meiner Nase. Das war definitiv der Duft von Weihnachten!
Margret reagierte nicht auf diese Analyse, sondern fokussierte irgendeinen Punkt in der Glut, während die Maschen sich aneinanderreihten und Lucy unsere Tassen füllte. Obwohl sie diese auf den kleinen Beistelltischen neben unseren Sesseln abstellte, waberten die Noten von Zimt, Hagebutte und besagter Vanille bis zu meinem Lichterkettenknäuel und mir hinüber. Der erste Schluck glitt wohlig durch meine Kehle, als ich die geblümte Tasse, die einer Suppenschüssel glich, an meine Lippen setzte. Die Wärme, die sich daraufhin in meinem Bauchraum ausbreitete, glich einer Umarmung. Margret reagierte meist mit Unverständnis auf meine Schüssel-Tasse, aber ich mochte diesen Pott und musste nicht so häufig nachschenken. Meine Freundin trank aus Tassen, die die Größe von Fingerhüten hatten! Albern! Da passte doch gar nichts rein!
»Mhm, köstlich! Margret, diesen Tee solltest du versuchen, bevor er kalt wird!« Mein Fingernagel tippte gegen den gewölbten Tassenrand. »Glaub mir, dann kommst selbst du in Weihnachtsstimmung! Das geht gar nicht anders! Dieser Tee hat etwas Heimeliges, verstehst du? Er schmeckt nach Zuhause.« Ich rieb meinen linken Daumen an den anderen Fingerkuppen, um die Nuancen des Geschmacks zu unterstreichen. Nichts als klappernde Stricknadeln. »Stell dir vor, wie gemütlich es sein muss, diesen Tee morgens im Bett zu trinken.« Lucy lächelte und verschwand in Richtung Küche, während ich den nächsten Konversationsversuch startete. »Sally beweist immer ein gutes Händchen bei der Auswahl ihrer Teesorten, findest du nicht auch, Margret?« Starre Miene und Klappern. Neugierig trat ich vor sie und beugte mich zu ihr herunter, bis mein Gesicht dicht vor ihrem war und unsere Nasen sich fast berührten. »Margret Miller, bist du da?« Mein Ruf war möglicherweise etwas zu laut, aber anders war von ihr ja keine Reaktion zu erwarten und da sie immer noch nichts sagte, legte ich noch eine Schippe drauf. »Hallo! Erde an Miss Miller!« Das kam zugegebenermaßen jetzt einem Brüllen gleich, was für sich alleine bewertet vielleicht gar nicht so tragisch gewesen wäre. Das zusätzliche Fuchteln mit meiner freien Hand hätte ich mir allerdings sparen sollen, denn dadurch wäre ich um ein Haar von einer Stricknadel aufgespießt worden, die im selben Moment reflexartig hervorschnellte, als meine winkende Hand an Margrets Wimpern vorbeisauste.
»Grundgütiger!« Meine Freundin riss die Augen auf und ihre Brille sauste herunter bis auf ihre Nasenspitze. »Musst du mich so erschrecken?« Das Gestell blieb bei ihr selten an dem dafür vorgesehenen Platz, aber Margret sah keinen Bedarf, sich eine neue Brille zuzulegen, solange sie durch die alte sehen konnte. Sie war zweifellos der sparsamste Mensch, den ich kannte.
»Kein Grund, mich gleich zu erstechen!«, empörte ich mich.
Wenn Margret meinen neuen Flauschpullover registrierte, würde wahrscheinlich wieder eine ihrer Predigten auf mich niederprasseln. Da könnte ich zehnmal sagen, dass Mrs Scott ihn mir zu einem absoluten Freundschaftspreis überlassen hatte. Ein Schnäppchen! Aber dieser Begriff kam in Margrets Wortschatz nicht vor. Also half nur ein Ablenkungsmanöver. »Gibt es ein spannendes Rätsel zu lösen? Ein Geheimnis? Mord oder Totschlag im Affekt? Oder sind es einfach nur diese Einbrüche?«
Solche Fragen waren gut! Nicht unbedingt, weil ich scharf auf einen neuen von Margrets Kriminalfällen gewesen wäre – ich hatte von dem letzten noch genug -, sondern weil ihre Laune mit dem Schwierigkeitsgrad eines Rätsels proportional anstieg. Eines, das diesen Namen Margrets Definition nach auch verdiente. Denn was für mich ein unlösbares Problem darstellte, war für meine Freundin unter Umständen noch nicht einmal eine Herausforderung. Hatte Margret über einen längeren Zeitraum keine kniffelige Nuss zu knacken, konnte sie ziemlich missmutig werden. Inzwischen war sie seit dem letzten Frühjahr geistig nicht mehr so richtig gefordert worden und ich spürte von Tag zu Tag mehr, wie ihre emotionale Verfassung von einem neutralen zu einem gereizten Stadium kippte. Gar nicht gut! Und da mir ihr Wohl sehr am Herzen lag, bemühte ich mich stets mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln, das Blitzen in ihren Augen zu erzeugen, das mir so gut gefiel. Es zeigte sich eher selten und stand dann meistens mit der Aufklärung eines trickreichen Falles in Zusammenhang. Mich konnte die Weihnachtszeit in Hochstimmung versetzen, Margret ging sie auf die Nerven, wenn es nichts anderes zu lösen gab als verknotete Lichterketten. Verbrechen aller Art waren ihr Metier. Mord, Totschlag, Diebstahl, Betrug, Erpressung, die ganze Bandbreite! Je verworrener, desto besser für ihren scharfen Verstand. Ich bewunderte sie bereits mein ganzes Leben lang für ihre enorme Kombinationsfähigkeit. Olivia Stonecastle hatte sie vor zwei Monaten darum gebeten, herauszufinden, wer ständig Müll vor das Pfarrhaus warf. Der Ruf meiner Freundin war ihr inzwischen vorausgeeilt, sogar bis zu der meist griesgrämigen Pfarrersgattin. Jede und jeder hier bei uns in Rosefield wusste, was für ein geistiges Genie Margret war. Erst im vergangenen Jahr hatte sie eine haarsträubende Reihe an Missetaten aufgeklärt, nach deren Lösung die Polizei heute noch suchen würde. Aber das Überführen eines Mörders stand natürlich in keinem Verhältnis zu weggeworfenem Schokoladenpapier vor dem Pfarrhaus. So etwas konnte Margret in etwa so beeindrucken wie ein Regenwurm in unserem Vorgarten. Dennoch tat sie Mrs Stonecastle den Gefallen, sich mit dieser in ihren Augen nicht zu unterbietenden Banalität zu befassen und wusste bereits nach einer halben Stunde, dass der jüngste Spross der Mallowans der Täter war. Sie hatte sich schlicht und ergreifend zur rechten Zeit auf die Lauer gelegt. Kein Kunststück also und erst recht keine Herausforderung für ihre Synapsen. Bei Toby Mallowans Vater handelte es sich ausgerechnet um den Dorfschullehrer von Rosefield, der seine Kinder streng aber fair erzog. Meine gute Margret hatte den reumütigen Sünder nicht ans Messer geliefert, sondern ihren tief verborgenen weichen Kern aus der rauen Schale gepellt und geschwiegen. Olivia musste sich mit der Information begnügen, dass es von nun an keinen Müll mehr vor dem Pfarrhaus geben würde. Warum der junge Mallowan seitdem einmal pro Woche vor unserem Haus die Straße fegte, beziehungsweise seit einigen Tagen Schnee schippte, brauchte ja niemand zu erfahren …
Bei dem Gedanken an Toby Mallowan fiel mir etwas ein.
»Wusstest du, dass neulich sogar Ortsfremde nach dem Weg zu Mrs Gibson gefragt haben? Stell dir das mal vor! Die waren nicht aus Rosefield! Auch nicht aus Candleham! Hast du gehört, Margret? Sie wollten von Toby wissen, wo der Friseursalon ist. Hat er mir erzählt! Mrs Gibson ist berühmt!« Ich malte Anführungszeichen in die Luft.
»Ein Schlüssel ist verschwunden!«, dozierte meine Freundin in bestem Professorinnen-Tonfall, während sie mit ihren Händen eine Raute formte und die Flammen nun zur Abwechslung durch das dadurch entstandene Loch fixierte. Das Strickzeug war auf ihre Knie gesunken und drohte abzurutschen. Vorsichtig schob ich es etwas höher, sodass es fast ihren ...