E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Reihe: Britcrime
Arnold Das Blau der Veilchen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-98672-029-2
Verlag: Dryas Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Krimi aus Kent
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Reihe: Britcrime
ISBN: 978-3-98672-029-2
Verlag: Dryas Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Susanne Arnold wurde 1976 in Koblenz geboren und entdeckte die Liebe zum Schreiben bereits im Grundschulalter, als sie sich ihre ersten Osterhasengeschichten ausdachte. 2017 erfüllte sie sich den Wunsch einer Rundreise durch England und Schottland, die sie dazu inspirierte, ihre Leidenschaft für Großbritannien mit der des Schreibens zu verbinden. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in einem Vorort von Koblenz.
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1
»Ein Geräusch ließ mich zusammenzucken. Ich fuhr herum und sah gerade noch einen Papierfetzen, der im seichten Wind tanzend zu Boden glitt. Eine Amsel, die sich genüsslich einem Regenwurm gewidmet hatte, suchte schockiert das Weite. Schwerfällig erhob ich mich aus meiner hockenden Haltung und rieb die Hände aneinander. Einige Bröckchen Erde, die beim Unkrautjäten hängengeblieben waren, prasselten auf meine nagelneuen Gummistiefel mit Margeritendesign.
»Was ist denn los, meine Liebe?«
Margret saß auf einem der schmiedeeisernen Stühle unter dem Apfelbaum vor unserem Cottage und starrte missmutig auf die Kent News, die sie auf dem Tisch vor sich ausgebreitet hatte, um die Schlagzeilen des Tages zu studieren. Dies hatte sie bereits während des Frühstücks getan und am Mittag noch einmal, aber ganz offensichtlich brachte ihr der sonst so geliebte Zeitvertreib heute nicht die erwünschte Befriedigung, ganz gleich, wie häufig sie ihren geübten Blick über die Artikel, Werbungen und Anzeigen schweifen ließ. Der Papierfetzen, der nun im feuchten Gras lag, fehlte an einer Ecke ihrer Lektüre.
»Die Zeitung ist voll von Nichtigkeiten, es ist kaum auszuhalten!«, klagte sie bitter und hielt die bedauernswerte Schrift demonstrativ in die Höhe, bevor sie sie achtlos zurück auf den Tisch beförderte. Dabei segelte die Werbung eines Möbelladens heraus und bedeckte bei ihrer Landung die Spitze eines Maulwurfshügels.
»Kein Mord, kein Raubüberfall, keine krummen Geschäfte, einfach nichts! Nicht einmal ein Fahrrad wird gestohlen! Und hier bei uns in Rosefield passiert ja ohnehin schon seit einer halben Ewigkeit nichts mehr. Es ist einfach entsetzlich langweilig geworden.« Sie unterstrich ihre Worte mit einer wegwerfenden Handbewegung. Dabei kam mir wie so oft in den Sinn, dass sie viel zu dünn für ihre Größe war, ein Umstand, den ich mir selbst ehrlicherweise nicht zuschreiben konnte. Margret musste dringend mehr essen. Ihre Finger erinnerten mich an die abgenagten Knochen eines Hähnchens, während ich nicht einmal mehr meinen Ehering abnehmen konnte.
»Aber ist es nicht gerade gut, wenn niemand überfallen oder bestohlen wird?«, erkundigte ich mich vorsichtig und schnitt eine welke Anemone ab, die für meinen Geschmack als Hobbygärtnerin nicht in das Bild eines gepflegten Vorgartens passte.
»Natürlich ist es nie besonders erfreulich, wenn jemand zu Schaden kommt, aber mein Gehirn braucht einfach hin und wieder eine Herausforderung!« Sie tippte sich bedeutungsvoll an ihre hohe Stirn, auf die sich keine Haarsträhne jemals verirren würde. Margret trug ihr aschgraues Haar stets zu einem strengen Knoten gebunden. Noch nie hatte ich eine andere Frisur an ihr gesehen. »Ich habe die Befürchtung, dass die Zahnräder in meinem Oberstübchen allmählich einrosten und ganz dringend geölt werden müssen, verstehst du?«
Ungeduldig rückte sie ihre Nickelbrille zurecht, die ihr ständig auf ihre spitze Nase rutschte, lehnte sich resigniert zurück, nahm ihr Strickzeug wieder zur Hand und ließ die Nadeln lustlos klappern.
Ich wagte einen Vorstoß.
»Wie wäre es mit einem neuen Strickmuster?«
Dabei bemühte ich mich, meine Stimme so aufmunternd wie möglich klingen zu lassen. »Letzte Woche gab es ein recht ansprechendes in einer Illustrierten. Welche war es noch gleich?« In Gedanken ging ich sämtliche Zeitschriften durch, die ich in der Woche zuvor durchgeblättert hatte. »Ich wollte es eigentlich ausschneiden, habe es dann aber wohl doch vergessen. Es ging um einen modischen Poncho, der dir ausgezeichnet stehen würde und das Strickmuster dazu wirkte auf mich alles andere als einfach, sodass du etwas hättest, woran du dir die Zähne ausbeißen könntest.« Da keine Reaktion aus der Richtung des Apfelbaums kam, fuhr ich fort. »Und wie vorteilhaft wäre das Ganze dann noch in einer fröhlichen Farbe, beispielsweise in einem zarten Rosa? Würde dir das nicht gefallen?« Die einzige Antwort darauf war ein grauer Wollknäuel, der herunterfiel und über die Wiese rollte. Ich sah ihm dabei zu, bis er vor meinen Füßen zum Liegen kam. »Es wäre mal etwas anderes, als dieses ewige Grau, Schwarz oder Braun, das du immerzu trägst. Möchtest du, dass ich hineingehe und nach der Illustrierten suche? Hoffentlich hat Lucy sie nicht weggeworfen, sie ist eifriger, als mir lieb ist, wenn es ums Ausmisten und Entsorgen geht.«
Jetzt hob Margret tadelnd eine Augenbraue und erstickte damit meine Euphorie im Keim.
»Ich spreche von einer echten Herausforderung, meine liebe Elisabeth, nicht von Strickmustern! Und wie ein Poncho aussieht, interessiert mich auch nicht besonders, wie du weißt. Hauptsache, er hält warm! Kleidungsstücke sind dazu da, ihren Zweck zu erfüllen.« Unwirsch schleuderte sie ihr Strickzeug auf den benachbarten Stuhl, sodass eine Nadel herausrutschte und sich einige Maschen lösten.
»Oh Margret, die viele Arbeit, die du dir gemacht hast!«
»Ach, papperlapapp! Was bedeutet das schon? Diese Tristesse ist kaum auszuhalten. Ich schlafe, esse, lese, stricke und wieder von vorne. Wie lange ist es nun schon her, seit ich Inspector Brown zum letzten Mal behilflich war?«
Daran erinnerte ich mich noch lebhaft.
»Knapp ein Jahr. Es war kurz nachdem ich bei dir eingezogen bin. Mein armer Harry ist Anfang Januar des letzten Jahres gestorben und du hast mich im März gefragt, ob ich nicht Lust hätte, bei dir zu wohnen.« Ich schenkte ihr meinen dankbarsten Blick, denn ohne den Einzug in Margrets Cottage wäre ich ganz allein in meinem Haus früher oder später versauert. »Kurz darauf ist dieser Mord drüben in Candleham geschehen. War nicht die Beerdigung in der Woche vor Ostern? Sally hatte das Schaufenster des Gemischtwarenladens mit Ostereiern und Küken dekoriert. Einfach grandios, wie du damals den Fall gelöst hast! Der Inspector würde ohne dich heute noch im Dunkeln tappen. Er war auf der völlig falschen Fährte!« Bei der Erinnerung an die vergangene Geschichte schlug ich mir vor Begeisterung auf die Oberschenkel. »Du hast dich dabei selbst übertroffen! Seit ich dich kenne interessierst du dich für kriminalistische Fälle, aber die Aufklärung dieses Mordes war deine absolute Glanzparade.«
»Nun, du hast mir dabei in nicht unerheblichem Maße geholfen, meine Liebe.« Margrets Stimmung hellte sich bei dem Gedanken an ihre Detektivarbeit sichtlich auf. Erfreut sah ich, wie sich ihre Schultern strafften und sich ihre Körperhaltung von einem Kartoffelsack zu einer der kerzengeraden Ankleidepuppen von Mrs Lewis aus der Änderungsschneiderei formte. Ihre Augen funkelten und erinnerten mich an das von Sonne beschienene Wasser unseres Sees vor den Toren Rosefields.
Unwillkürlich musste ich schmunzeln.
»Ich habe doch nur getan, was du mir gesagt hast.«
Erinnere sie an ihre gelösten Fälle und alles ist wieder in Ordnung, dachte ich triumphierend und beschloss, dass es nicht schaden konnte, noch eine Schippe draufzulegen. »Ich könnte niemals so kombinieren wie du. Mir kommt dein brillanter Verstand immer wie eine riesengroße Lagerhalle mit hunderten Regalen, Schränken und Schubladen vor.«
»Wie eine Lagerhalle? Du neigst wahrlich zu amüsanten Vergleichen.«
»Naja, ich stelle mir gerne vor, dass du dort alle Gedanken geordnet ablegst, die dir relevant erscheinen. Und wenn du auf einen dieser Gedankengänge zurückgreifen möchtest, öffnest du einfach die entsprechende Schublade und schon weißt du wieder haargenau, was du irgendwann einmal irgendwo zu diesem Thema gehört, gesehen oder gelesen hast.« Das entsprach der Wahrheit. In meinen Augen war Margret ein Nachschlagewerk! »Du erinnerst dich ja sogar an Dinge, die dich zwischen irgendwelchen Zeilen angesprungen haben, wie du immer sagst, und auf die ich im Traum nicht kommen würde. Ich weiß nicht einmal, was wir vor zwei Tagen gegessen haben, und niemand kann behaupten, dass ich mich nicht für Essen interessieren würde.« Darüber mussten wir beide herzlich lachen, wodurch sich auch das letzte Fünkchen angespannter Atmosphäre in Luft auflöste. Ich hatte mich mit meiner Körperfülle abgefunden, als ich 40 wurde, daher lebte ich nun bereits seit 31 Jahren sehr entspannt damit und genoss jedes kulinarische Erlebnis, das sich mir bot, in vollen Zügen. Margret hingegen bevorzugte geistige Kost.
Wir nahmen unsere Tätigkeiten wieder auf, unter anderem auch deshalb, weil uns gerade einfach nichts Klügeres einfallen wollte. Margret rettete ihr Strickzeug vor dem weiteren Verfall und schwelgte dabei vermutlich in Gedanken an Verbrecherjagden, denn ihre Mundwinkel hatten sich zu einem versonnenen Lächeln gehoben, sodass sie einer liegenden Mondsichel glichen. Ich vertiefte mich in das Ausmerzen von Löwenzahn. Margrets Unausgeglichenheit war für mich durchaus verständlich, denn auch ich hatte mich an Tagen des trüben Winters, an denen man kaum eine Menschenseele zu Gesicht bekommen hatte, zutiefst gelangweilt. Wir konnten Scrabble, das wir noch im November mit Begeisterung gespielt hatten, inzwischen nicht mehr sehen.
Ich atmete die duftende Aprilluft wie ein Lebenselixier ein und freute mich an einer pelzigen Hummel, die mit ihrem ballonförmigen Körper gemütlich an mir vorbeiflog, um eine Narzisse anzusteuern. Die Sonne schien ihrer Frühlingsschwäche zum Trotz verheißungsvoll und ließ mich hoffen, dass die Zeiten der Langweile nun bald vorbei sein würden. Dann würde ich vom Vorgarten aus wieder dem geschäftigen Treiben zusehen können, denn obwohl unser Cottage außerhalb Rosefields lag, konnte man dennoch fast die ganze Hauptstraße überblicken, sofern...