Arnold / Beyer / Trilcke | Friederike Mayröcker | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 175 Seiten

Reihe: Text+Kritik Sonderband

Arnold / Beyer / Trilcke Friederike Mayröcker


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-96707-980-7
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 175 Seiten

Reihe: Text+Kritik Sonderband

ISBN: 978-3-96707-980-7
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Ich bin noch jung in meinen Träumen, in meinen Träumen bin ich high."
Friederike Mayröckers (1924–2021) letzter Band "da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete", erschien in ihrem 96. Lebensjahr. Sie war wohl die produktivste und gewiss wirksamste deutschsprachige Dichterin der langen Jahrtausendwende.
Tatsächlich ist das aus den österreichischen Nachkriegsavantgarden erwachsene Werk Mayröckers der glückliche Fall eines Schreibens, das immer jünger zu werden schien: selbst dort, wo es schonungsloses Selbststudium des Alterns betrieb. Mixed Media und Multilingualität, Nature Writing und Autofiktion gehören schon früh zu den Verfahren dieser radikal poetischen Literatur, die zugleich als große Hommage an den Rausch des Schreibens und den Sog des Erinnerns gelesen werden kann.
In Essays und Analysen, Gesprächen und Collagen, poetischen Miniaturen und Prosastücken nähert sich dieses Heft einem Werk von bestürzender Schönheit an. Im Dezember 2024 wäre Friederike Mayröcker 100 Jahre alt geworden.

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Weitere Infos & Material


INHALT

- Uljana Wolf: Guessay mit FM Prima

- Antje Schmidt: "Ich bandagiere meine Schreibmaschine". Friederike Mayröckers Schreibszenen

- Doris Plöschberger / Peer Trilcke: Formfragen. Interview

- Henny Sluyter-Gäthje / Peer Trilcke: Mayröcker im Computer. Ein Datenessay

- Solvejg Nitzke: Kirschen müssen nicht sprechen, um zu verführen. Arboreale Poetik als Rauschzustand in Friederike Mayröckers "fleurs"

- Frieder von Ammon: Der Soundtrack des Gedichts. Zu den musikalischen Bezügen in der späten Lyrik Friederike Mayröckers

- Dagmara Kraus: "Henne total". Poesie des Eis

- Ann Cotten: Mayröcker auf Englisch

- Ulla Ekblad-Forsgren: Friederike Mayröcker transponieren

- Gabriele Wix: JD

- Kerstin Preiwuß: Das Letzte. Nachgesehen in "da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete"

- Ursula Krechel / Ulrike Almut Sandig / Anna Bers: lesehungrig, lebenssatt und schreibselig. Im Mailgespräch

- Marcel Beyer: Friederike Mayröckers Familie in Kleinanzeigen

- Marcel Beyer / Luise Prager / Sören Barkey / Peer Trilcke: Auswahlbibliografie

- Notizen


Doris Plöschberger im Interview mit Peer Trilcke

Formfragen
Peer Trilcke: Seit 2008 haben Sie als Lektorin mit Friederike Mayröcker zusammengearbeitet. Wie offen können Sie über diese Zusammenarbeit sprechen? Doris Plöschberger: Jenseits alles Persönlichen oder Anekdotischen kann ich ganz offen sprechen – also, wenn es um die konkrete Arbeit geht, darum etwa, was man mit dem Manuskript, das irgendwann einmal vor einem lag, auf dem Weg zum Buch gemacht hat. Da geht es dann ganz grundsätzlich um die Frage, wie ein Text zu verstehen ist und welche Art von Text man eigentlich vor sich liegen hat. P.T.: War die Arbeit an Texten von Friederike Mayröcker ähnlich wie die an Texten anderer Autorinnen oder Autoren? D. P.: Es war eine andere Art von Arbeit. Es ging nicht darum, logische Brüche nachzuweisen oder Sachfehler zu finden, misslungene Vergleiche oder unpassende und ungenaue Formulierungen zu verbessern oder an der Prägnanz der Figuren zu arbeiten. Das alles war nicht notwendig, weil das keine Kategorien in Friederike Mayröckers Texten waren. Was die Textarbeit betrifft, bestand das Lektorat vor allem darin, ein Typoskript in eine Form zu bringen, die druckbar war. P.T.: Hat Friederike Mayröcker ihre Schreibarbeit auf gedruckte Bücher ausgerichtet? Beim Lesen entsteht ja manchmal der Eindruck, man habe es mit einer einzigen ausgreifenden Schreibbewegung zu tun. D. P.: Es gab nie so etwas wie einen unendlichen Fluss des Schreibens, der irgendwann aus kontingenten Gründen abgebrochen wurde, etwa weil es an der Zeit war, wieder ein Buch zu veröffentlichen. Friederike Mayröcker schrieb mit der klaren Vorstellung von einem Buch, von seiner Form, mit präzise gesetztem Anfang und Ende. Für mich war es jedenfalls immer klar, an welchem Projekt sie gerade arbeitete. P.T.: Wie früh haben Sie Einblick in Buchprojekte erhalten – und in welcher Form? D. P.: Ich wusste zwar stets, woran Friederike Mayröcker gerade schrieb, ob an einem Gedichtband oder an Prosa. Die Texte selbst habe ich jedoch immer erst spät von ihr erhalten, wenn das Manuskript mehr oder weniger abgeschlossen war. Was bei mir als Kopie des Originals ankam, war ein Typoskript, geschrieben auf der mechanischen Schreibmaschine, der legendären Hermes Baby. In der Regel hatte Friederike Mayröcker das Typoskript selbst bereits einmal handschriftlich mit Fineliner korrigiert, einzelne Seiten auch noch einmal neu getippt. Dieses Typoskript haben wir dann für den Satz in eine elektronische Fassung gebracht. P.T.: Was nicht trivial ist, die Schreibmaschine produziert ja ein anderes Schriftbild als der Computer. D. P.: Genau. An diesem Punkt im Prozess entstanden Fragen, wurden Entscheidungen notwendig. Tatsächlich lag hier zunehmend der Kern des Lektorats. Die zwangsläufigen Unterschiede zwischen Typoskript und dem elektronisch erfassten Text mussten mit Friederike Mayröcker besprochen werden. Mit einem Ausdruck bin ich nach Wien gereist, und wir gingen die Texte durch. Welches Mittel der Schriftauszeichnung verwenden wir: Bleiben wir bei den Unterstreichungen der Schreibmaschine oder überführen wir diese in Kursivierungen? Verwendet man, wie Friederike Mayröcker auf der mechanischen Schreibmaschine, ›sz‹ oder nutzt man das ›ß‹? Bleibt man bei den für Friederike Mayröcker typischen zwei Punkten am Satzende? Vereinheitlicht man Einrückungen, übergroße Wortabstände, Auslassungspunkte? Von besonderer Relevanz im Spätwerk war schließlich die Frage nach dem Zeilenumbruch. Für die Gattung des »Proëms«, wie Friederike Mayröcker es selbst nannte, war diese Frage entscheidend. P.T.: Wie viel ging bei der Übersetzung der Schreibmaschinenseite in einen elektronischen Text verloren? D. P.: Auch wenn wir versucht haben, möglichst viel im Buch abzubilden, haben wir ja keine Reproduktionen des Originals erstellt. Was vor allem fehlt, ist das Gestische des Entstehens, das Momenthafte der Texte. Auf der Schreibmaschinenseite ist das allein deshalb spür- und wahrnehmbar, weil jede einzelne Seite mit »Friederike Mayröcker:« überschrieben ist. Dieser Gestus des ›Ich sitze hier und lege los und schreibe‹ ist kaum ins Buch übersetzbar. P.T.: Der elektronische Satz verwischt Individuelles, wirkt formgebend? D. P.: Schon. Zum Beispiel können Einrückungen nun den gleichen Abstand vom Seitenrand haben, sodass die Positionierung der Textblöcke auf der Seite im elektronischen Satz immer identisch sein kann. Mit der mechanischen Schreibmaschine ging das so nicht. Bei den späteren Büchern, in denen die Texte stärker strukturiert und in unterschiedlichen Kolumnen angeordnet sind, haben wir gemeinsam mit Friederike Mayröcker bestimmte Konventionen eingeführt – drei, vier Positionen auf der Seite zum Beispiel –, sodass die Textblöcke einheitlicher präsentiert werden konnten, als das im Typoskript der Fall war. Bei der Transformation in ein Buch wurde hier durch das Lektorat also Varianz reduziert. Das ist schon eine Praktik der Formgebung … P.T.: … die in den letzten Bänden so weit geht, dass die Gattung eines Textes auch zu einem Effekt des Lektorats wird? D. P.: Tatsächlich wurde die Frage ›Was ist der fortlaufende Text und was ist die Verszeile?‹ mit der Trilogie »études« (2013), »cahier« (2014), »fleurs« (2016) zentral und blieb es bis zum Schluss. Manchmal ist es ja beim Lesen so, dass der Text das Signal gibt, wenn er keine fortlaufende Prosa ist und die Zeile, sozusagen, eine Verszeile sein will – wenn sie die Pause, die Zäsur einfordert. Aber oft ließ sich das im Lektorat der späten Bände nicht entscheiden oder blieb unsicher. Dann mussten solche Formfragen dialogisch geklärt werden. Ich fuhr also nach Wien zu Friederike Mayröcker, wir setzten uns an einen Tisch und gingen die Fragen anhand der elektronisch erfassten Texte durch. Oft las sie einen Text noch einmal laut oder halblaut vor. Und dann kam die Entscheidung. Es schien, als wäre auch für sie die Frage, ob ein Text nun Prosa oder Vers ist, nicht immer geklärt, oder anders: Sie war nicht immer relevant oder entscheidend. Deshalb ja auch die Gattung »Proëm«. Und eine solche Klärung oder Vereindeutigung war bis zu dem Moment, in dem der Text gesetzt wurde, auch gar nicht notwendig. Erst der Umstand, dass wir das Typoskript in ein Buch überführten, hat Friederike Mayröcker mit der Notwendigkeit konfrontiert, eine Entscheidung zu treffen. Vor diese Entscheidung gestellt, war aber immer sofort klar, was sie wollte. P.T.: War das Typoskript also formal offener? D. P.: Jedenfalls gab es im Typoskript eine Freiheit, die sich der Text nahm. Eine Freiheit jenseits aller – vermeintlichen – Gattungskonventionen. Der Druck schränkte diese Freiheit ein. P.T.: Sie sagten, Friederike Mayröcker habe sich die Texte noch einmal vorgelesen. Brachte das Lesen die Entscheidung? D. P.: Das Vorlesen war für Friederike Mayröcker sehr wichtig, wenn es um ihre Lesungen ging. Da gab es nur sie, nur die eigene Stimme. Sie wollte auch nicht, dass jemand anders ihre Texte vorlas. Wenn es um das Lektorat ging oder um die Textentstehung, war die Stimme nicht so wichtig. Jedenfalls war das meine Beobachtung. Bei den Lektoratstreffen war das Vorlesen eher ein Gemurmel, das auch verstummen konnte. Und beim Schreiben waren die bekritzelten Zettel und schriftlichen Vorarbeiten viel wichtiger. Das war der Humus, aus dem der Text, der auf der Schreibmaschine entstand, hervorging. Die eigene Stimme kam später, wenn der Text als fertig erachtet wurde und das Buch vorzustellen war. P.T.: Diese Präsentation des Buches war ihr wichtig? D. P.: Ja, sehr. Bis zum Schluss gab es das Drängen hin auf den öffentlichen Auftritt. Es ging ihr nicht nur darum, dass das Buch nach Abschluss der Arbeit zügig erscheint, weil die Lebenszeit endlich ist. Sie wollte vielmehr, dass das, was abgeschlossen war, auch möglichst rasch durch die Lesung an die Öffentlichkeit kommt. P.T.: Was bleibt von Friederike Mayröcker? D. P.: Uwe Johnson soll in den frühen 1960er Jahren mal über Arno Schmidt gesagt haben: »Ich bewundere Arno Schmidt sehr, aber man kann nichts von ihm lernen.« Manchmal denke ich, das gilt auch für Friederike Mayröcker und ihr Werk. Es ist einzigartig. Einzigartig in seiner fast schon magischen sprachlichen Entgrenzung und damit nicht nachzuahmen. Aber genau das ist es, was bleibt: ihre Haltung und ihr radikaler Wille, Sprache als ein Medium zu verwenden, das sich ständig von vorgeblichen Beschränkungen, Einschränkungen, Festlegungen befreit. Bis im Spätwerk auch die Grenzen zwischen Poesie und Prosa eingerissen wurden. Ein Schreiben, das sich der Linearität entzieht, der Chronologie und jeder Handlung verweigert, das sich auch den Dimensionen von Raum und Zeit nicht unterordnet, weil es das alles in eins bringen will. Diese Haltung, diese Kraft scheint ansteckend, davon sind Jüngere affiziert. P.T.: Bei aller Radikalität bleibt die Stimme bescheiden. D. P.: Ja, bescheiden, aber bestimmt und von einer absoluten Selbstverständlichkeit. Nichts an diesen Texten ist Attitüde oder Behauptung. Nichts an ihnen ist um der Programmatik willen. Es ist die Authentizität des Gestus, die nur...


Beyer, Marcel
Marcel Beyer lebt als freier Schriftsteller in Dresden. 2001 war er neben Klaus Reichert und Klaus Kastberger Mitherausgeber von Friederike Mayröckers 'Gesammelter Prosa' in fünf Bänden, 2004 gab er ihre 'Gesammelten Gedichte 1939–2003' heraus, und 2024 die 'Gesammelten Gedichte 2004–2021'. 2016 wurde er für sein Werk mit dem Georg- Büchner-Preis ausgezeichnet.



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