Arnold / Bajohr / Hiller | Das Subjekt des Schreibens | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band Sonderband, 211 Seiten

Reihe: TEXT+KRITIK

Arnold / Bajohr / Hiller Das Subjekt des Schreibens

Über Große Sprachmodelle

E-Book, Deutsch, Band Sonderband, 211 Seiten

Reihe: TEXT+KRITIK

ISBN: 978-3-96707-983-8
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



KI: ChatGPT, LLaMA oder Gemini: Angesichts der Textproduktionen durch Große Sprachmodelle stellt sich auf einer sehr elementaren Ebene die Frage, wer – oder was – hier eigentlich schreibt.
Die doppelte Standardannahme, die unser Nachdenken über Schreibpraktiken bislang bestimmt hat – dass nämlich alles Geschriebene zuerst als menschengemacht gelesen werde und dass unser sogenanntes Schreibzeug immer nur passive Gerätschaft sei –, steht angesichts der gegenwärtigen Large Language Models (LLMs) zur Disposition.
Der Sonderband untersucht den Status des Subjekts darum auf zweierlei Art: Zum einen geht es darum, den Ort des oder der Menschen in hybriden Konstellationen verteilter Urheber- oder gar Autorschaft nüchtern zu reflektieren. Und zum anderen darum, Maschinen, die bislang lediglich den Status des Instrumentariums genossen, selbst unaufgeregt als Subjekte des Schreibens in Betracht zu ziehen. Das ›Subjekt des Schreibens‹ soll als begriffliche Alternative dienen, die einerseits den bloß kausalen, instrumentellen Charakter von Urheberschaft übersteigt und andererseits den ideellen, romantischen Charakter von Autorschaft unterschreitet: Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein variabel besetzbarer Ort in historisch situierten Gefügen des Schreibens. Es geht, mit einem Wort, um ›Schreibszenen Großer Sprachmodelle‹.
Wenn Schreiben nicht mehr exklusiv mit einer menschlichen Subjektivität in Verbindung steht, sondern auch Maschinen Urheber- oder gar Autorschaft an Texten zukommt, berührt das offenkundig elementare Kategorien der Literatur-, Medien- und Kulturwissenschaft. Besteht Anlass, so wäre zu fragen, einige ihrer etablierten Annahmen, Begriffe und Modelle grundständig zu überarbeiten? Geben sich andere – man denke an die Postulate und Programme des sogenannten Poststrukturalismus – erst in dieser historischen Lage als vollumfänglich zutreffend zu erkennen? Für den Band stellen die Herausgeber daher Positionen zusammen, die sich der Frage nach dem (kommenden) Subjekt des Schreibens aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Das schließt grundsätzliche Überlegungen theoretischer und begrifflicher Natur – über Schreibprozesse, Textbegriffe und Autorschaftskonzepte – ebenso ein wie Medienarchäologien historischer und gegenwärtiger Sprachmodelle, die Analyse ihrer Produkte, Politiken, Techniken und Ästhetiken sowie Anthropologien ihrer Praktiken oder des rechtlichen Status ihrer Agenten.
Arnold / Bajohr / Hiller Das Subjekt des Schreibens jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Sandro Zanetti Multiautomatismen
Schreiben, Subjektivität und Körperlichkeit im Zeitalter generativer Künstlicher Intelligenz
Die möglichen Antworten auf die Frage nach einem Subjekt des Schreibens – oder mehrerer Schreibsubjekte – erweisen sich im Zeitalter generativer Künstlicher Intelligenz als noch komplexer, als sie es vor dem Einzug immer potenterer elektronischer Schreibprogramme schon gewesen sind beziehungsweise gewesen sein werden. Denn was soll ein ›Subjekt des Schreibens‹, sagen wir, vor 100 Jahren oder gar noch früher gewesen sein? Schon die beiden chronologisch ersten (deutschsprachigen) Belege für die Wendung ›Subjekt des Schreibens‹, die man momentan via Google Books angezeigt bekommt, lassen aufhorchen. Sie machen deutlich, wie sehr das ›Subjekt‹, das hier zur Diskussion steht, für wechselnde Besetzungen offen ist. In beiden Textstellen ist die Wendung ›Subjekt des Schreibens‹ sogar explizit Gegenstand einer kritischen Auseinandersetzung mit der Frage, wer oder was schreibt, wenn geschrieben wird. Beide Belege stammen aus dem späten 19. Jahrhundert, beide aus dem Bereich der Theologie. Im ersten Fall geht es um einen Widerspruch zwischen zwei Stellen aus dem Alten Testament beziehungsweise der Thora, die zusammengenommen erläuterungsbedürftig lassen, ob bei der Beschriftung der Gesetzestafeln auf dem Berg Sinai nun Gott (Exodus 34, 1) oder Moses (Exodus 34, 28) das »Subjekt des Schreibens« gewesen sei.1 Der andere Fall hat die Apostelgeschichte und den Römerbrief im Neuen Testament zur Grundlage. Vorgetragen und erläutert wird die These, dass der »heilige Geist«, sofern er als »Subjekt des Sprechens« infrage komme, auch als »Subjekt des Schreibens« gelten können müsse.2 In beiden Fällen erscheint das Subjekt des Schreibens nicht von vornherein, wie man vielleicht meinen könnte, als menschliches Subjekt. Vielmehr erweist sich die Frage nach einem Subjekt des Schreibens als Katalysator entsprechender Zuschreibungen und Besetzungen sowie ihrer Kritik, zudem offenbar als eine Glaubensfrage: Wer oder was steckt ›eigentlich‹ – als Subjekt im Sinne einer als primär wirkend gedachten Instanz – hinter dem Schreiben? Die genannten Beispiele aus der Theologie weisen den Vorzug auf, von vornherein die Unselbstverständlichkeit offenzulegen, die in der Rede von einem ›Subjekt des Schreibens‹ bis heute mitschwingt. Man kann sich dieser Unselbstverständlichkeit noch von einer anderen Seite her nähern, wenn die Recherche sich auf lateinische Quellen oder Übersetzungen konzentriert, die von einem »subjectum scripti« handeln,3 oder wenn man sich vergegenwärtigt, wie beispielsweise der italienische Philosoph und Theologe Bonaventura im 13. Jahrhundert vier Arten zu schreiben differenziert, die er zugleich mit vier unterschiedlichen Begriffen für das entsprechende ›Subjekt des Schreibens‹, wie man heute sagen könnte, belegt: Man kann Fremdes schreiben, ohne etwas hinzuzufügen oder zu verändern, dann ist man ein Schreiber (scriptor). Man kann Fremdes schreiben und etwas hinzufügen, das nicht von einem selbst kommt, dann ist man ein Kompilator (compilator). Man kann auch schreiben, was von anderen und von einem selbst kommt, aber doch hauptsächlich das eines anderen, dem man das Eigene zur Erklärung beifügt, und dann ist man ein Kommentator (commentator), aber nicht ein Autor. Man kann auch Eigenes und Fremdes schreiben, aber das Eigene als Hauptsache und das Fremde zur Bekräftigung beifügen, und dann muss man als Autor (auctor) bezeichnet werden.4 Interessanterweise ist hier der eigentliche Schreiber (scriptor) gerade derjenige, der nichts Eigenes schreibt, sondern im Grunde nur abschreibt: ein Kopist, einer also, der etwas tut, das seit einigen Jahrzehnten Fotokopierer wesentlich schneller und günstiger erledigen können, wobei selbstverständlich die bei Bonaventura noch nicht absehbare Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern die erste entscheidende Etappe in dieser Geschichte nach dem Zeitalter einer Kultur das Abschreibens darstellt. Für den auctor wiederum hebt Bonaventura hervor, dass er nichtnur »Eigenes« schreibe, sondern Eigenes »als Hauptsache« und Fremdes »zur Bekräftigung«. Offenbar ist hier eine Vorstellung von Autorität (auctoritas) im Spiel, die darum weiß, was als Fremdes überhaupt der Bekräftigung, dadurch wohl auch der Konturierung des Eigenen dienlich sein kann. In der weiteren Geschichte bildet dieses ›Eigene‹ dann gerade den Dreh- und Angelpunkt für das Subjekt des Schreibens in einem modernen auktorialen Sinne. * Die Wendung ›Subjekt des Schreibens‹ weist gegenüber anderen Bezeichnungen wie ›Autor‹ oder ›Kompilator‹ allerdings den Vorzug auf, dass sie mindestens eine Doppeldeutigkeit mit sich führt, die aufschlussreich ist. Denn offen bleibt beim ›Subjekt des Schreibens‹ letztlich, ob man das ›Subjekt‹ primär – im Sinne des lateinischen Partizips ›subiectum‹ – als das be­­greift, was einem Prozess oder Geschehen ›unterlegen‹ oder ›unterworfen‹ ist, oder umgekehrt als Vorlage (?p??e?µe???), als Substrat oder Agens, das die ›Grundlage‹ für entsprechende Vorgänge wie jene des Schreibens bildet. Letztere Auslegung gelangt im modernen Verständnis von Autorschaft als insbesondere auch rechtsgültig wirksame Urheberschaft5 sowie in dessen ästhetischer Nobilitierung im Begriff des Genies6 als Schöpfer zu seiner ideologischen Apotheose.7 Allerdings lässt sich gerade am Diskurs über Autorschaft – und erst recht an jenem über das Genie – zeigen, dass dieser Diskurs … ein Diskurs eben ist. Und das heißt: dass die Vorstellungen und Konzepte von Autorschaft – dasselbe gilt jedoch für die Annahme eines Schreibsubjektes (und diejenige eines Genies ohnehin) – ihrerseits jeweils auf eine historisch und situativ spezifische Weise hervorgebracht worden sind, und zwar in elementarer Weise durch Schriften. Mit anderen Worten: durch Geschriebenes. Also auch: durch Schreibprozesse. Womit gleichzeitig gesagt ist, dass Subjektivität, um bei diesem Begriff zu bleiben, ein Konzept ist, das heteronom bestimmt oder zumindest mitbestimmt ist und auch weiterhin unterschiedlich bestimmbar bleibt.8 Noch, ja gerade im Moment maximaler Autonomiebehauptung (das Subjekt, radikal gefasst, als Grundlage, idealiter unabhängig von äußerlichen Faktoren) wird dieses Konzept, einschließlich das mit ihm Gemeinte, jedenfalls nicht in der Lage sein, seine eigene Ver­strickung in einer heteronomen, nicht zuletzt sprachlichen und schriftlichen Bestimmtheit (das Subjekt als Unterworfenes) gänzlich loszuwerden. So gesehen ist gerade die Rede von einem ›Subjekt des Schreibens‹ interessant. Der doppelte Genitiv lässt zu, dass nicht nur das ›Subjekt‹, sondern auch das ›Schreiben‹ – grammatikalisch, aber wohl nicht nur – in Subjektposition rückt (genitivus subjectivus). Damit kommt man zugleich dem Sachverhalt näher, dass das, was man unter Subjektivität allenfalls fassen möchte, gerade im Falle des Schreibens tatsächlich komplex ist, ja immer schon komplex war oder komplex gewesen sein wird (wenn auch nicht immer gleich komplex): Wenn jemand – als Subjekt? – schreibt, wird nie auszuschließen (gewesen) sein, dass er oder sie durchs Schreiben ›selbst‹ mit geformt, ›diskursiviert‹ oder schlicht hervorgebracht worden sein wird.9 Und mehr noch: Die Art der durchs Schreiben mit bewerkstelligten Hervorbringung (p???s??) eines Schreibsubjektes – oder mehrerer Schreibsubjekte – ist ihrerseits neben den diskursiven Implikationen eines Schreibaktes auch von den technischen und körperlichen Beteiligungen an einem solchen Akt abhängig. Der von Rüdiger Campe geprägte Begriff der ›Schreibszene‹ soll genau dies deutlich machen: Schreiben ist nie nur ein mentaler und nie nur ein sprachlich-semantischer Akt, es gehören dazu immer auch technische und körperliche Beteiligungen, und alle drei Faktoren sind als Bestandteile eines heterogenen und nicht-stabilen Ensembles historisch und situativ jeweils spezifisch bestimmt.10 Teil dieser situativen Bestimmungen sind auch die Ansprüche, die sich jeweils mit der Ausrichtung des Schreibens auf bestimmte Textsorten und eine entsprechende Poetik oder Pragmatik verbinden (es macht einen Unterschied, ob Waschmaschinenanleitungen verfasst werden oder Dissertationen, kalligrafische Meisterwerke, Schulaufsätze oder experimentelle Lyrik …). Die möglichen Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Subjekt(en) oder Subjektivität(en) und Schreiben sind demnach ihrerseits zu spezifizieren im Hinblick auf die Subjektkonzeptionen und Textsortenorientierungen, die sich im Verhältnis zu einer jeweiligen Schreibpraxis als triftig erweisen. Dabei lässt sich im Hinblick auf jede Schreibpraxis die folgende Frage stellen: Was passiert, wenn die an einem Schreibprozess beteiligten technischen Faktoren eine Eigenlogik entfalten? Es ist leicht nachvollziehbar, dass humane Akteure, die sich selbst als Schreibsubjekte in einem starken, aktiven, grundlegenden Sinne verstehen, im Umgang mit Techniken, die diese Subjekte wie im Falle generativer Textprozessierungen durch Künstliche Intelligenz auf eine ausgeprägte Eigenlogik – einen generativen...


Bajohr, Hannes
Hannes Bajohr ist Assistant Professor of German an der University of California, Berkeley. Er forscht zu Theorien des Digitalen und digitaler Literatur. Zuletzt erschienen: 'Digitale Literatur II' (2021), 'Schreibenlassen. Texte zur Literatur im Digitalen' (2022) sowie 'Schreiben in Distanz' (2023); demnächst erscheint 'Postartifizielle Literatur. Lesen nach Künstlicher Intelligenz'.

Hiller, Moritz
Moritz Hiller arbeitet an der Professur für Geschichte und Theorie der Kulturtechniken der Bauhaus-Universität Weimar. Er ist Mitherausgeber der Werkausgabe Friedrich Kittlers und forscht zur Mediengeschichte des Digitalen. Zuletzt erschienen: 'Maschinenphilologie' (2023).


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.