Arens-Wiebel | Erwachsene mit Autismus begleiten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 257 Seiten

Arens-Wiebel Erwachsene mit Autismus begleiten

Ein Praxisbuch für Eltern und Fachkräfte
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-17-039260-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Praxisbuch für Eltern und Fachkräfte

E-Book, Deutsch, 257 Seiten

ISBN: 978-3-17-039260-1
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wenn ein Mensch mit Autismus erwachsen wird, ist es in der Regel nicht er selbst, der seine Lebensplanung in die Hand nimmt; diese Aufgabe übernehmen oft die Eltern, unterstützt von Fachkräften aus Schule und Therapiezentrum. Das Buch gibt bei Fragen der Lebensplanung konkrete Hilfestellungen: vom Ende der Schulzeit über den Auszug aus dem Elternhaus bis hin zu Arbeits- und Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Autismus. Zudem werden wichtige Themen des Erwachsenseins wie Selbstbild, Freundschaft und Sexualität oder Freizeitgestaltung erörtert. Auch den Veränderungen im Alter, Krankheit und Krankenhausaufenthalten sowie Trauer und Verlust ist jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet. Das Buch besticht dabei durch zahlreiche Praxisbeispiele, Tipps für den Alltag und Visualisierungshilfen für problematische Situationen, die den Umgang mit erwachsenen Menschen im Autismus-Spektrum erleichtern.

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3
Arbeiten mit Autismus
Menschen mit Beeinträchtigung sollten wie andere Menschen einer Tagesbeschäftigung nachgehen. Dies hat mehrere Gründe. Autistische Menschen wollen beschäftigt und wertgeschätzt werden. Ihnen liegen Routineaufgaben, sie arbeiten sehr gewissenhaft und versuchen, Fehler zu vermeiden. Die Voraussetzung ist, dass sie verstehen und wissen, was sie zu tun haben. Manchmal hat man den Eindruck, sie würden sich nicht für eine Beschäftigung interessieren, lieber umherlaufen oder die anderen Gruppenmitglieder bzw. Arbeitskolleg*innen stören. Dies ist aus meiner Sicht ein Trugschluss. Das mangelnde Interesse an einer Arbeitsaufgabe liegt in der Regel daran, dass der Mensch nicht gelernt hat, diese Aufgabe zu erledigen, d. h. er weiß nicht, was zu tun ist. Außerdem hat ihm niemand gesagt, dass er dies tun ›muss‹. Es wird ihm nicht zugetraut, dass er/sie etwas kann, und deshalb sitzt er den ganzen Tag mit anderem Kolleg*innen in der Werkgruppe und tut nichts. Die Meinung der Mitarbeiter*innen ist dann häufig, dass derjenige bzw. diejenige nicht arbeiten will und sowieso nicht versteht, was er/sie machen soll. Deshalb ist z. B. seine/ihre einzige Aufgabe, einmal täglich den Müll auf den Hof zu bringen und in den Container auszuleeren. In einer Werkstatt (Bereich Verpackung und Montage) eines großen Trägers der Behindertenhilfe traf ich Herrn H. Er war Anfang 40, und es gab zunehmend Probleme mit ihm. Er ging fast täglich auf Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen los, und manchmal waren ernstzunehmende Verletzungen hieraus entstanden. Alle hatten Angst vor Herrn H. Das Sozialamt erklärte sich bereit, für ein halbes Jahr Autismustherapie zu finanzieren. Ich fuhr wöchentlich in die Einrichtung und konnte Herrn H. erst einmal in mehreren Einzelsituationen kennenlernen. Eine Pädagogin der Werkstatt war mit anwesend, weil man nie wissen konnte, wie Herr H. sich verhalten würde. 90 Minuten standen mir mit Herrn H. zur Verfügung, geteilt durch eine kleine Pause. Herr H. absolvierte vom ersten Termin diverse Aufgaben aus dem TEACCH-Bereich, also Farben, Formen, Muster sortieren, Gleiches einander zuordnen, verpacken, Fehler erkennen und korrigieren u. v. m. Er verstand die Aufgaben in der Regel sofort, arbeitete zügig, ließ Korrekturen zu und schaffte es nach kurzer Zeit, bei Übergängen zwischen zwei Aufgaben weiterzumachen. Beim vierten Termin wurde der Ablauf in die Werkstattgruppe übertragen, und Herr H. arbeitete nun in einer Gruppe von ca. acht Personen. Gleichzeitig gab es immer wieder Gespräche mit den Mitarbeiter*innen der Werkstatt, um ihnen die besondere Art von Herrn H. zu erklären und gemeinsam zu überlegen, wie er mehr beschäftigt und eingebunden werden konnte. In der Folge traten fast keine Probleme mehr mit Herrn H. auf. Er hatte verstanden, was von ihm erwartet wurde, fand Gefallen an der Beschäftigung und freute sich über den ›Neid‹ der Kolleg*innen, von denen einige die neuen Aufgaben ebenfalls bearbeiten wollten. Auch in Bereichen außerhalb der Gruppe ging es Herrn H. besser, er war psychisch ausgeglichener, und die Mitarbeiter*innen verstanden, was er brauchte, und wie sie ihn wertschätzen und verstehen konnten. 3.1       Voraussetzungen und Arbeitsbedingungen
Zunächst einmal ist zu klären, welche Motivation und welches Potential bei dem autistischen Menschen zur Aufnahme und Durchführung von Arbeitstätigkeiten bestehen. Die Möglichkeiten der Eingliederung ins Arbeitsleben sind bei jedem Menschen unterschiedlich, können sich im Laufe der Zeit verbessern, aber auch stagnieren oder sich zurückentwickeln. Wichtig ist, eine genaue Beobachtung vorzunehmen, um den geeigneten Arbeitsbereich und die möglichen Arbeitsleistungen zu erkennen und der Person die richtigen Aufgaben zuzuweisen. Erleichtert wird dies durch eine Befragung der Eltern und der (ehemaligen) Lehrer*innen, die in der Regel auf Erfahrungen zurückgreifen können, die sie im Laufe der Zeit mit dem Menschen gemacht haben. Allerdings ist auch immer möglich, dass etwas nicht ausprobiert wurde, also noch ganz andere Interessen oder Fähigkeiten vorliegen, als sie sich in der Vergangenheit gezeigt haben. Eingewöhnung
Veränderungen sind für autistische Menschen in jeder Lebensphase eine große Herausforderung. Der Weg zur Arbeit ist ein anderer, die geliebten Süßigkeiten werden in einer neuen Verpackung angeboten, der ehemalige Betreuer ist in Rente gegangen, der Schulbus ist ein neues Modell, die Sitzordnung bei der Taxifahrt wurde umgestellt usw. All dies sind Veränderungen, die auf den ersten Blick wenig bedrohlich erscheinen, für den betroffenen Menschen jedoch eine große Umstellung bedeuten. Wie man an den vorangegangenen Beispielen sieht, reichen schon kleine Veränderung oder Neuerungen, dass ein autistischer Mensch irritiert und verunsichert ist. Manchmal dauert es Stunden oder auch Tage, bis eine Veränderung akzeptiert wird, und der Mensch wieder zufrieden ist. Es gibt jedoch Möglichkeiten, die Probleme mit Veränderungen zu reduzieren. Dies hat mit einer guten Vorbereitung zu tun. Wenn dem Menschen Informationen an die Hand gegeben werden, was wann und wo auf ihn bzw. sie zukommt, wer seine/ihre Betreuer*innen sein werden, wie er/sie zu diesem Ort hinkommen kann und was dort passieren wird, werden die Probleme deutlich geringer sein. Hier bietet sich wieder an zu visualisieren, da der autistische Mensch Bilder und ähnliche Darstellungen gut versteht. Bevor die Ausbildung oder Berufstätigkeit losgeht, sollte der Mensch die zukünftigen Räume bereits einmal besuchen, sich mit den Verhältnissen dort vertraut machen, seinen Arbeitsplatz kennenlernen, einen Kontakt zu Betreuer*innen und Kolleg*innen wahrnehmen. Es werden Fotos gemacht, mit denen an den Tagen danach der Ort, die Personen und vor allem die notwendigen Wege regelmäßig angeschaut werden, um eine Art Vertrautheit zu bewirken. Falls sinnvoll, wird noch ein weiterer Besuch verabredet, um dem Menschen die Angst und Verunsicherung zu nehmen. Wenn sich im Laufe der Zeit eine gewisse Vertrautheit eingestellt hat, wird es für den Menschen einfacher sein, den ersten Tag und die erste Woche gut zu verbringen, sich also positiv einzugewöhnen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass es auch ein bis sechs Monate dauern kann, bis sich ein autistischer Mensch an eine neue Umgebung und Situation gewöhnt hat – man sollte also keinesfalls zu früh aufgeben. Zu einer guten Eingewöhnung kann auch beitragen, dass die Anwesenheitszeiten reduziert werden, der junge Mensch also anfangs nur zwei oder drei Stunden an der Ausbildungs- oder Arbeitsstelle sein muss und dann wieder nach Hause fahren kann. So vermeidet man Reizüberflutung bzw. eine negative Einstellung zu der Situation. Das Ziel ist, dass er oder sie irgendwann die übliche Zeit am Arbeitsplatz verbringen kann. Eine weitere Option ist, die Arbeitseinheiten kurz zu gestalten, also lieber drei halbstündige Arbeitseinheiten einzurichten mit jeweils zehn Minuten Arbeitspause dazwischen statt 90 Minuten am Stück mit einer sich anschließenden Pause. Wichtig ist, von vorneherein eine Struktur darzustellen und einzuhalten, die die Aufgaben an sich, die Menge jeder einzelnen Aufgabe und der Arbeitsleistung für den Tag vermittelt, und die einzelnen Arbeitsschritte visualisiert. Hierfür lässt sich die Methode des TEACCH ( Kap. 3.4) mit all ihren Facetten bestens nutzen. Räumliche Bedingungen
Menschen mit Autismus leiden an einer schweren Störung der Wahrnehmungsverarbeitung. Sie können Probleme in einzelnen oder allen Wahrnehmungsbereichen haben, jeder und jede auf seine bzw. ihre Art. So werden bspw. Geräusche als zu laut empfunden, sich bewegende Personen als Stressauslöser, ein instabiler Stuhl als Bedrohung des Gleichgewichts, der Körpergeruch eines anderen Menschen als olfaktorische Überforderung. Häufig sind diese zugrundeliegenden Probleme dem Umfeld nicht bewusst, und die Folge ist, dass der autistische Mensch als launisch, schwierig oder nicht förderbar eingestuft wird. Deshalb ist es so wichtig herauszufinden, ob auftretende Probleme mglw. aus der anderen Wahrnehmungsverarbeitung resultieren. Dennoch bleiben immer wieder Fragen offen, d. h., dass sich bestimmte Verhaltensweisen nicht erklären lassen oder plötzlich etwas Neues auftritt (auf einmal weigert sich die Person in einen bestimmten Raum zu gehen). Das eine ist, zu beobachten und nach Erklärungen zu suchen, das andere, die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Gelingen der Arbeitssituation zu schaffen. Praxistipp zu einem autismusspezifischen Arbeitsplatz
   Arbeitsplatz, der klar als solcher definiert bzw. erkennbar ist,    genügend Platz zu beiden Seiten, sodass die Person nicht immer wieder von jemand anderem versehentlich berührt...


Christiane Arens-Wiebel ist Dipl.-Sozialpädagogin und leitete die Beratungsstelle des Vereins Autismus Bremen e.V. Im Ruhestand ist sie weiterhin als Autismus-Beraterin und Fortbildungsreferentin tätig.



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