Arendt | Rahel Varnhagen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Arendt Rahel Varnhagen

Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-99846-8
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-492-99846-8
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Mit der Biografie Rahel Varnhagens, einer der außerordentlichsten und bedeutendsten Frauen der ausgehenden Goethezeit, deren Berliner Salon alle Geistesgrößen der Zeit frequentierten, ist Hannah Arendt zugleich ein herausragendes Stück Geschichtsschreibung über das deutsche Judentum im 19. Jahrhundert und das Doppelgesicht der jüdischen Assimilation gelungen.

Hannah Arendt, am 14. Oktober 1906 im heutigen Hannover geboren und am 4. Dezember 1975 in New York gestorben, studierte unter anderem Philosophie bei Martin Heidegger und Karl Jaspers, bei dem sie 1928 promovierte. 1933 emigrierte Arendt nach Paris, 1941 nach New York. Von 1946 bis 1948 arbeitete sie als Lektorin, danach als freie Autorin. Sie war Gastprofessorin in Princeton und Professorin an der University of Chicago. Ab 1967 lehrte sie an der New School for Social Research in New York.
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Vorwort


Das Manuskript dieses Buches war bis auf die letzten beiden Kapitel fertig, als ich Deutschland 1933 verließ, und auch die beiden letzten Kapitel sind vor mehr als zwanzig Jahren geschrieben. Ich beabsichtigte ursprünglich, dem Buch einen ausführlichen Anhang und Anmerkungsapparat beizugeben, in welchem ein Teil des ungedruckten Brief- und Tagebuchmaterials, das sich im Varnhagen-Archiv der Handschriften-Abteilung der Preußischen Staatsbibliothek befand, veröffentlicht werden sollte. Das Varnhagen-Archiv, das außer dem Rahel-Nachlaß sehr reiche Bestände aus dem Romantiker-Kreis besaß,[1] ist während des Krieges zusammen mit anderen wertvollen Handschriften in eine der östlichen Provinzen Deutschlands ausgelagert worden und nicht wieder nach Berlin zurückgekehrt; über seinen Verbleib ist meines Wissens nichts bekannt. So ist es mir unmöglich, meinen damaligen Plan auszuführen, und ich habe mich statt dessen begnügen müssen, aus meinen alten Exzerpten, Fotokopien und Abschriften das mitzuteilen, was mir auch ohne nochmalige Vergleichung mit den Originalen als einigermaßen gesichert erscheint. Besonders bedauerlich ist, daß auf diese Weise der vollständige Text der Briefe von Gentz an Rahel, von denen in den vorliegenden Veröffentlichungen sehr interessante und für die Vorurteilslosigkeit der Zeit sehr bezeichnende Teile der Biedermeier-Moral zum Opfer gefallen sind, wieder nicht publiziert werden kann; in meinen Abschriften finden sich nur diejenigen Ergänzungen, die ich für meine Darstellung brauchte. Für die Darstellung selbst ist der größte Verlust der umfangreiche Briefwechsel zwischen Rahel und Pauline Wiesel, der Geliebten des Prinzen Louis Ferdinand, der einhundertsechsundsiebzig Briefe von Pauline an Rahel und hundert Briefe von Rahel an Pauline umfaßte. Sie waren die wichtigste Quelle für Rahels Leben nach ihrer Heirat mit Varnhagen, und auf sie vor allem stützen sich die zuweilen recht radikalen Korrekturen an dem gängigen Rahel-Bild der Literatur, die sich in meiner Biographie finden. Dieser Briefwechsel ist kaum je benutzt worden, weil Varnhagen, der die meisten Briefe der Rahel in seiner leserlichen Handschrift abgeschrieben (diese Abschriften bildeten einen Teil des Varnhagen-Archivs) und so zum Druck bereits vorbereitet hatte, von den Briefen an Pauline nur siebzehn kopierte; die späteren Bearbeiter des Nachlasses dürften dieses Material wohl schon darum nicht benutzt haben, weil Handschriften und Orthographie beider Frauen schwer leserlich waren. Eine Auswahl aus dieser Korrespondenz hat Carl Atzenbeck in seinem Briefband Pauline Wiesel veröffentlicht.

Abgesehen von den bekannten Publikationen der Rahel-Briefe, die in der Bibliographie aufgezählt sind, stützt sich die Darstellung auf ein recht umfangreiches, nicht gedrucktes Material. Hierhin gehören auch zahlreiche Korrekturen und Ergänzungen der Briefe und Tagebucheintragungen, die Varnhagen in den drei Bänden Buch des Andenkens 1834 veröffentlicht hat.[2] Die große Eigenmächtigkeit Varnhagens in der Veröffentlichung oder Vorbereitung des Rahelschen Nachlasses, die in manchen, nicht häufigen Fällen auch vor Interpolationen und Vernichtung oder Verstümmelung von Briefen nicht zurückscheute,[3] durchgängig korrigierte, wesentliche Abschnitte ausließ und Personennamen so verschlüsselte, daß der Leser absichtlich irregeführt wurde, ist bekannt genug.[4] Das hat nicht hindern können, daß sich Varnhagens Auffassung der Rahel, seine Platt- und Schönmalerei wie seine absichtlichen Verfälschungen ihres Lebens nahezu unumstritten durchgesetzt haben. Was die letzteren betrifft, so ist für uns vor allem von Belang, daß die Auslassungen und irreführenden Verschlüsselungen von Namen in nahezu allen Fällen dazu dienen sollten, Rahels Umgang und Freundeskreis weniger jüdisch und mehr aristokratisch zu machen und Rahel selber in einem konventionelleren und dem Geschmack der Zeit genehmeren Licht erscheinen zu lassen. Für das erstere ist charakteristisch, daß Henriette Herz immer als Frau von B. oder Frau von Bl. erscheint, auch an den Stellen, wo Rahel sich nicht weiter ungünstig über sie äußert; daß Rebecca Friedländer, die sich als Schriftstellerin Regina Frohberg nannte, stets mit der Chiffre Frau von Fr. bezeichnet ist; für das letztere, daß die wenigen Briefe und Briefauszüge an Pauline Wiesel als Tagebuchnotizen frisiert oder an eine Frau von V. gerichtet erscheinen, so daß die Rolle, die diese Freundschaft in Rahels Leben spielte, aus den Dokumenten herausredigiert ist.

Es hat immer etwas Mißliches, wenn ein Autor über sein eigenes Buch spricht, auch wenn seine Entstehung ein halbes Menschenleben zurückliegt. Da aber die Darstellung aus einem in der Biographien-Literatur ungewohnten Aspekt entstanden und geschrieben ist, darf ich mir vielleicht doch einige erläuternde Bemerkungen erlauben. Ich hatte niemals die Absicht, ein Buch über die Rahel zu schreiben, über ihre Persönlichkeit, die man psychologisch und in Kategorien, die der Autor von außen mitbringt, so oder anders interpretieren und verstehen kann; oder über ihre Stellung in der Romantik und die Wirkung des von ihr eigentlich inaugurierten Goethe-Kultes in Berlin; oder über die Bedeutung ihres Salons in der Gesellschaftsgeschichte der Zeit; oder über ihre Gedankenwelt und ihre »Weltanschauung«, sofern sich eine solche aus ihren Briefen konstruieren lassen sollte. Was mich interessierte, war lediglich, Rahels Lebensgeschichte so nachzuerzählen, wie sie selbst sie hätte erzählen können. Warum sie selbst sich, im Unterschied zu dem, was andere über sie sagten, für außerordentlich hielt, hat sie in nahezu jeder Epoche ihres Lebens in sich gleichbleibenden Wendungen und Bildern, die alle das umschreiben sollten, was sie unter Schicksal verstand, zum Ausdruck gebracht. Worauf es ihr ankam, war, sich dem Leben so zu exponieren, daß es sie treffen konnte »wie Wetter ohne Schirm« (»Was machen Sie? Nichts. Ich lasse das Leben auf mich regnen.«[5]), und weder Eigenschaften noch Meinungen – über die ihr begegnenden Menschen, über die Umstände und Zustände der Welt, über das Leben selbst – dazu zu benutzen, sich selbst einigermaßen zu schützen. Hierzu gehört, daß sie nicht wählen und nicht handeln kann, weil Wahl und Handeln bereits dem Leben zuvorkommen und das reine Geschehen verfälschen würden. Was ihr zu tun verblieb, war ein »Sprachrohr« des Geschehenen zu werden, das Geschehene in ein Gesagtes umzuwandeln. Dies gelingt, indem man in der Reflexion sich selbst und anderen die eigene Geschichte immer wieder vor- und nacherzählt; dadurch wird sie zum Schicksal: »Es hat ein jeder ein Schicksal, der da weiß, was er für eines hat.« Die einzigen Eigenschaften, die man hierzu haben oder in sich mobilisieren muß, sind eine nie nachlassende Wachheit und Schmerzfähigkeit, um treffbar und bewußt zu bleiben.

Das romantische Element, das in diesem Unterfangen steckt, hat Rahel selbst sehr klar bezeichnet, als sie einmal sich den »größten Künstlern« verglich und meinte: »Mir aber war das Leben angewiesen.« Das Leben so zu leben, als sei es ein Kunstwerk, zu glauben, daß man aus seinem eigenen Leben durch »Bildung« eine Art Kunstwerk machen könne, ist der große Irrtum, den Rahel mit ihren Zeitgenossen teilte, oder vielleicht auch nur das Selbstmißverständnis, das unausweichlich war, wollte sie ihr Lebensgefühl – die Entschlossenheit, das Leben und die Geschichte, die es den Lebendigen diktiert, wichtiger und ernster zu nehmen als die eigene Person – in den Kategorien ihrer Zeit verstehen und aussprechen.

Die Darstellung also folgt, wiewohl sie sich naturgemäß einer anderen Sprache bedient und nicht nur in Variationen von Zitaten besteht, mit größtmöglicher Genauigkeit den Reflexionen der Rahel und tritt auch dann nicht aus deren Rahmen, wenn anscheinend so etwas wie Kritik an Rahel geübt wird. Die Kritik entspricht der Rahelschen Selbstkritik, und da sie, von modernen Minderwertigkeitsgefühlen unbeschwert, mit Recht von sich sagen konnte, daß sie nicht eitel nach Beifall strebe, »den ich mir nicht selbst gebe«, hatte sie es auch nicht nötig, »Schmeichelvisiten bei sich selbst abzulegen«. Ich kann hier natürlich nur davon sprechen, was ich beabsichtigte; wo immer mir dies Beabsichtigte nicht geglückt ist, mag es dann so aussehen, als ob von irgendeiner höheren Warte über Rahel geurteilt würde; dann ist mir eben das, was ich eigentlich wollte, mißlungen.

Ähnliches gilt für die behandelten Personen und die Literatur der Zeit. Sie ist durchgängig aus ihrem Aspekt gesehen, und es wird kaum ein Autor erwähnt, von dem es nicht sicher oder zumindest wahrscheinlich ist, daß sie ihn gekannt und daß das, was er geschrieben hat, von Bedeutung für ihre eigene Reflexion geworden ist. Schwieriger schon ist, daß das gleiche auch für die Judenfrage gilt, die für Rahels Schicksal ihrer eigenen Meinung nach entscheidend war. Denn in diesem Falle ist ihr Verhalten und ihre Reaktion maßgebend geworden für Verhalten und Seelenverfassung eines Teils des gebildeten deutschen Judentums und hat daher eine begrenzte geschichtliche Bedeutung bekommen, auf die aber dies Buch gerade nicht eingeht.

Das deutschsprachige Judentum und seine Geschichte ist ein durchaus einzigartiges Phänomen, das auch im Bereich der sonstigen jüdischen Assimilationsgeschichte nicht seinesgleichen hat. Die Umstände und Bedingungen dieses Phänomens zu erforschen, das sich unter anderem in einem geradezu bestürzenden Reichtum an Begabungen und wissenschaftlicher und geistiger Produktivität äußerte, wird eine historische Aufgabe ersten Ranges sein, die aber natürlicherweise erst heute in Angriff genommen werden kann, nachdem die Geschichte der deutschen...



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