ARCH+ Verlag | Posthumane Architektur | Buch | 978-3-931435-53-0 | sack.de

Buch, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 235 mm x 2200 mm, Gewicht: 817 g

Reihe: Arch+

ARCH+ Verlag

Posthumane Architektur


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-931435-53-0
Verlag: Arch+

Buch, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 235 mm x 2200 mm, Gewicht: 817 g

Reihe: Arch+

ISBN: 978-3-931435-53-0
Verlag: Arch+


Wir sind nie human gewesen. Posthumane Architektur und algorithmische Planung

Beim Posthumanismus geht es nicht darum, den Humanismus zu Grabe zu tragen, vielmehr geht es um das Eingeständnis der menschlichen Fehler und Fehleinschätzungen hinsichtlich der Frage, was uns überhaupt zum Menschen macht. Der Humanismus hat dem Menschen die zentrale Stellung zugewiesen. Aber dieser Anthropozentrismus steht heutzutage, angesichts des menschengemachten Klimawandels und der fortschreitenden Zerstörung der Umwelt, vor allem für die ethische Überhebung des Menschen.

Hinzu kommt die zunehmende Marginalisierung des Menschen durch autonom agierende Technik. Gerade für den Bereich der Architektur hat diese Entwicklung weitreichende Folgen. Mit dem Smart-City-Diskurs dringen Technologieunternehmen schon weit in das Feld der Architekt*innen und Planer*innen vor. Grundlage der Entwicklungen, von mobilen Anwendungen wie Liefer- oder Mobilitätsservices bis zu den städtebaulichen Projekten von Alibaba und Alphabet, bilden unsere (Nutzer-)Daten. Sie ermöglichen nicht zuletzt neue Planungs- und Entwurfswerkzeuge. Die Algorithmen, Gleichungen und Schlüsse hinter diesen Werkzeugen und Anwendungen sind jedoch keine unhinterfragbaren Wahrheiten. Sie sind weder neutral noch objektiv oder gar faktisch. Hinter ihnen stehen Menschen – Datenanalysten und Programmierer, Konzerne und private Netzwerke –, deren Entscheidungen unsere Vorstellungswelt prägen und über unser Zusammenleben bestimmen.
Die Smart City verspricht Sicherheit, Komfort und Nachhaltigkeit, ohne über gleiche Voraussetzungen und Lebensverhältnisse für die Bürger*innen zu sprechen. Sie unterwandert damit die tradierten Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als gesellschaftliche und städtebauliche Leitmotive der Stadt. Die Implikationen betreffen also nicht nur das gesellschaftliche Miteinander, sondern auch unser Selbstverständnis. Das zu gewährleisten, war und ist die Kernaufgabe von Architekt*innen. Und daran sollte sich auch im Zeitalter der posthumanen Architektur nichts ändern.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


01 Editorial
Arno Brandlhuber, Olaf Grawert, Anh-Linh Ngo mit Angelika Hinterbrandner

03 Bildbeitrag: Architecting after Politics
Christopher Roth

14 Datenkörper in Coderäumen
Shannon Mattern
Bildbeitrag: SUR-FAKE
Antoine Geiger

24 Handlungsmacht im Zeitalter der Dezentralisierung
James Bridle im Gespräch mit Michaela Friedberg und Olaf Grawert

32 Bildbeitrag: New Trees
Robert Voit

38 „Daten sind keine unhinterfragbaren Wahrheiten, sondern Gestaltungswerkzeuge“
Philippe Rahm im Gespräch mit Anh-Linh Ngo

48 Smart City

50 Die Stadt des Plattform­kapitalismus
Deane Simpson im Gespräch mit Arno Brandlhuber und Olaf Grawert

56 Alphabet World
David Djuric, Kristof Croes

58 Auf der Suche nach einer demokratischen Zukunft der Smart City
Bianca Wylie

66 Sidewalk Labs
Projekttext: Melissa Koch

72 Nichts ist gratis – was kostet Öffentlichkeit?
Michaela Friedberg

78 Luxus und Paranoia, Zugang und Ausgrenzung
Anastasia Kubrak, Sander Manse

86 Ein politisches Forum für eine digitale Öffentlichkeit
Ludger Hovestadt im Gespräch mit Arno Brandlhuber

90 Die Herausforderungen des Plattformkapitalismus
Nick Srnicek

93 ARCH+ features 85 Gig Space
Harald Trapp
Callum Cant im Gespräch mit Harald Trapp und Robert Thum
Bildessay: Immo Klink

114 Schein und Sein – Glaubwürdigkeit als Währung im kollaborativen Konsum
Farah Michel

116 Das Verschwinden von Architektur und Gesellschaft im Algorithmus
Christian von Borries im Gespräch mit Arno Brandlhuber und Olaf Grawert

124 BAT vs. GAFA
Kristof Croes

126 Songdo – Die „verhängnisvolle Hoffnung“ der Smart City
Orit Halpern, Gökçe Günel

136 Xiong’an New Area – Chinas Planstadt der Zukunft
Pan Hu, Projekttext: Melissa Koch

144 Public Face
Julius von Bismarck, Benjamin Maus, Richard Wilhelmer
Projekttext: Melissa Koch

148 KI und Architektur

150 KI und Architektur –
der entwerfende Computer Stanislas Chaillou

160 Bauen ohne Diskriminierung – Eine Architektursprache des Post-Binären
Hannah Rozenberg

168 Programmierte Architektur: NFS Digitale Fabrikation
Projekttext: Dorothee Hahn, Christine Rüb

176 Drohnenhafen Ruanda: Norman Foster Foundation
Projekttext: Melissa Koch

184 Wohin die Stadt nicht sehen kann: Liam Young
Projekttext: Frederick Coulomb

192 Eine Wand aus Datenpunkten
Dennis Häusler, Johannes Rebsamen, Matthias Vollmer

204 Strelka Netzwerk
David Djuric, Kristof Croes

206 Posthumanismus in der Architektur
Rem Koolhaas im Gespräch mit Benjamin H. Bratton

212 Datencenter
Lukas Graf, Selina Sigg

224 Hyperscale oder die posthumane Stadt
Donal Lally

226 Fotoessay Farm (Council Bluffs, Iowa): John Gerrard

232 Autor*innen

240 Impressum


Wir sind nie human gewesen. Posthumane Architektur und algorithmische Planung
Arno Brandlhuber, Olaf Grawert, Anh-Linh Ngo mit Angelika Hinterbrandner

Ein unauflösbares Problem des post­modernen Diskurses liegt in der Ambi-guität des Präfixes „post-“. Während im allgemeinen Verständnis damit eine historische Epocheneinteilung und vermeintliche Ablösung der Moderne ge-meint war, wird im diskursiven Sinne damit eher ausgedrückt, dass das mo-derne Denken komplexer werden muss und einer kritisch-reflexiven Weiter-entwicklung, einer „Komplikation“ bedarf. Wie jedoch kann eine „Revision der Moderne“, wie sie Heinrich Klotz bei Betrachtung der Postmoderne konsta-tierte, eine kritische Infragestellung der modernen Grundsätze gelingen, ohne in die Falle des Revisionismus zu tappen?

Einer, der diese Komplikation nicht nur im philosophischen, sondern bewusst auch im technischen Sinne – wie bei einem Uhrwerk – produktiv gemacht hat, ist der französische Philosoph Bruno Latour, der nonchalant feststellte: „Wir sind nie modern gewesen.“1 Denn wenn modern sein heißt, nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu handeln und eine „reinigende“ Trennung von Natur und Kultur, Technik und Gesellschaft, Mensch und Ding vorzunehmen, dann ist es uns in der Tat nie gelungen, diese Reinheit durchzuhalten.
Latour schreibt: „Wenn man […] von Embryonen im Reagenzglas, Expertensystemen, digitalen Maschinen, Robo-tern mit Sensoren, hybridem Mais, Datenbanken, Drogen auf Rezept, Walen mit Funksendern, synthetisierten Genen, Einschaltmeßgeräten, etc. überschwemmt wird, wenn unsere Tageszeitungen all diese Monstren seitenweise vor uns ausbreiten und wenn diese Chimären sich weder auf der Seite der Objekte noch auf der Seite der Subjekte, noch in der Mitte zu Hause fühlen, muß wohl oder übel irgend etwas geschehen. […] Es sieht so aus, als gäbe es nicht mehr genug Richter und Kritiker, um die Hybriden einzuteilen. Das Reinigungssystem ist genauso überfordert wie unser Rechtssystem.“2
Diese Chimären, Mischwesen oder Quasi-Objekte haben immer schon im Zwischenraum der kategorialen Trennung der Moderne existiert. Mit dem Vor- und Eindringen von Künstlicher Intelligenz in unseren Alltag werden sie jedoch zu Akteuren, die man nicht mehr ausblenden kann. Sind selbstlernende Algorithmen nicht Quasi-Objekte par excellence? Welchen Status weisen wir ihnen zu, und welche Handlungsmacht? Ist es nicht längst so, dass sie die Handlungs-macht besitzen und uns kontrollieren? Dies wirft radikale Fragen nach dem Status des Menschen auf, die seit einiger Zeit angesichts neuer technischer Bedingungen und Möglichkeiten wie Künstlicher Intelligenz, Genetik, Prothetik oder Bionik unter dem Stichwort des Posthumanismus diskutiert werden.
So wenig wie es in der Diskussion um die Postmoderne um eine Ablösung der Moderne ging, so wenig geht es beim Posthumanismus um eine dystopische Ablösung des Menschen. Vielmehr beobachten wir „eine Komplikation der Idee des Menschen und einer ‚menschlichen Natur‘ als solche“, wie es der Kulturtheoretiker Stefan Herbrechter formuliert hat.3 In Anlehnung an Latour gilt es zu fragen, ob wir jemals human gewesen sind. Statt den Humanismus also zu Grabe zu tragen, geht es wie bei der reflexiven Moderne um das Eingeständnis der menschlichen Fehler und Fehlein-schätzungen, dieses Mal hinsichtlich der Frage, was uns überhaupt zum Menschen macht. Der Humanismus hat dem Menschen die zentrale Stellung zugewiesen. Aber dieser Anthropozentrismus steht heutzutage, angesichts des men-schengemachten Klimawandels und der fortschreitenden Zerstörung der Umwelt, vor allem für die ethische Überhe-bung des Menschen.
Hinzu kommt die zunehmende Marginalisierung des Menschen durch autonom agierende Technik. Gerade für den Bereich der Architektur hat diese Entwicklung weitreichende Folgen. Mit dem Smart-City-Diskurs dringen Technolo-gieunternehmen weit in das Feld der Architekt*innen und Planer*innen vor. Im Mittelpunkt steht dabei die algorithmi-sche Postplanung, wie Deane Simpson diese Entwicklung nennt. In der Stadt der Zukunft werden aus Bürger­*innen User*innen, so Christian von Borries in dieser Ausgabe: „Architektur wird zum Instrument der Statistik und gibt Auf-schluss über das Nutzerverhalten. Die Rolle der Architekt*in gibt es in diesem Szenario nicht mehr, beziehungsweise sie beschränkt sich auf die Gestaltung einzelner Punkte im Stadtraum, die vom Algorithmus vorbestimmt sind.“ Sind Architekt*innen in der Postplanung obsolet?
Wenn man so will, ist das auch die Kernfrage des neuen Films Architecting after Politics von Brandlhuber+ und Christopher Roth, auf dem viele der Gespräche in dieser Ausgabe basieren. Was die Gesprächspartner*innen und Autor*innen beschreiben, ist eine Radikalisierung des ökonomischen Denkens, in dem Stadt als exklusiver Raum verstanden und produziert wird. Städte werden zum zentralen Geschäftsfeld großer Technologieunternehmen, die sich an eine urbane Elite wenden. Die Kritik an diesen Unternehmen beschränkt sich derzeit noch allein auf ihre enorme Monopolmacht und digitale Dominanz, die unsere Konsum-, Kommunikations- und Lebenspraktiken bestimmt. Ihr Wechsel vom digitalen in den physischen Raum stellt uns jedoch noch vor andere, neue Herausforderungen. Grund-lage der Entwicklungen, von mobilen Anwendungen wie Liefer- oder Mobilitätsservices bis zu den städtebaulichen Projekten von Alibaba und Alphabet, bilden unsere (Nutzer-)Daten. Sie ermöglichen nicht zuletzt neue Planungs- und Entwurfswerkzeuge. Die Algorithmen, Gleichungen und Schlüsse hinter diesen Werkzeugen und Anwendungen sind jedoch keine unhinterfragbaren Wahrheiten. Sie sind weder neutral noch objektiv oder gar faktisch. Hinter ihnen stehen Menschen – Datenanalysten und Programmierer, Konzerne und private Netzwerke –, deren Entscheidungen unsere Vorstellungswelt prägen und über unser Zusammenleben bestimmen.
Die Smart City verspricht Sicherheit, Komfort und Nachhaltigkeit, ohne über gleiche Voraussetzungen und Lebens-verhältnisse für die Bürger*innen zu sprechen. Sie unterwandert damit die tradierten Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als gesellschaftliche und städtebauliche Leitmotive der Stadt, wie es Rem Koolhaas formuliert hat. Doch was bedeutet es für die Stadtgesellschaft, wenn private Unternehmen zunehmend die Aufgaben der öffentlichen Hand übernehmen? Wenn Städte einer unternehmerischen Logik und technokratischen Idealen der Datafizierung fol-gen? „Die Quantifizierung von Menschen und Lebensräumen verwandelt sie in biometrische Einheiten und Street-scores. Diese ontologische Reduktion führt unweigerlich zu einer verarmten Vorstellung von Stadtplanung und bürger-lichem Engagement“, warnt die Anthropologin Shannon Mattern in ihrem Beitrag. In dieser Vision, so Mattern weiter, sind Stadt, Gesellschaft und Mensch nichts weiter als „algorithmische Assemblagen“. Die Implikationen betreffen also nicht nur das gesellschaftliche Miteinander, sondern auch unser Selbstverständnis. Entsprechend lautet der Anspruch des Center for Urban Science and Progress, das führend in urbaner Informatik ist und derzeit ein Forschungsprojekt mit dem sprechenden Namen HUMAN durchführt: „Zum ersten Mal sind wir jetzt in der Lage, das Menschsein zu quan-tifizieren.“4
Wie können Architekt*innen auf Smart City und Datafizierung reagieren? Auch hier ist der Blick in die Debatte um den Posthumanismus erhellend, weil er uns aufzeigt, was der Architektur als materieller Kulturform ins Haus steht: „Gegenwärtige Themen in der posthumanistischen Debatte […] sind zum einen ein Weiterdenken der Biopolitik […] im Zeitalter des globalen Kapitalismus, der Migration und dem Aufflammen diverser Fundamentalismen. Im Zusammen-hang mit einer Ethik und Politik nichtmenschlicher Akteure steht die Frage nach dem Status der ‚Objekte‘.“5
Will heißen: Wir sollten damit aufhören, uns Sorgen um die Rolle von Architekt*innen zu machen. Stattdessen ist die Frage nach dem Status der Architektur als Quasi-Objekt, als nichtmenschlicher Akteur im Arsenal der Biopolitik zu stellen. Denn „woran uns die hier diskutierten Datenkörperprojekte schließlich auch erinnern“, um Shannon Mattern ein weiteres Mal zu zitieren, „ist die Tatsache, dass das liberale Subjekt einen physischen Körper hat, dessen Gesundheit und Krankheit, Freude und Schmerz, Affekt und Kogni­tion, Ethnie und Klasse, Geschlecht und sexuelle Orientierung seine Fähigkeit beeinflussen können, sich sicher durch die Welt zu bewegen und sich inmitten der unzähligen digitalen und physischen Öffentlichkeiten sichtbar und hörbar zu machen.“6 Das zu gewährleisten, war und ist die Kernaufgabe von Architekt*innen. Und daran sollte sich auch im Zeitalter der posthumanen Architektur nichts ändern.
1 Bruno Latour: Wir sind nie modern gewesen – Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Frankfurt am Main 2015
2 Ebd., S. 67–68
3 Stefan Herbrechter: „Kritischer Posthumanismus und die ‚Humanities‘ der Zukunft“, philosophie.ch online, 22.12.2016, www.philosophie.ch/­philosophie/highlights/zukunft/kritischer-posthumanismus-und-die-humanities-der-zukunft (Stand 10.9.2019)
4 Shannon Mattern: „Datenkörper in Coderäumen“, S. 17 in dieser Ausgabe
5 Herbrechter 2016 (wie Anm. 3)
6 Mattern 2019 (wie Anm. 4), S. 23



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