E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Tiroler Heimat 86/2022
Zeitschrift für Regional- und Kulturgeschichte Nord-, Ost- und Südtirols
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Tiroler Heimat 86/2022
ISBN: 978-3-7030-6594-1
Verlag: Universitätsverlag Wagner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
ergänzen den Band ebenso wie Rezensionen zu neuesten Publikationen.
Inhalt (Titel gekürzt): Christina Antenhofer: Witwen und ihre Netzwerke David Fliri: Der historische Erzbergbau im Vinschgau Tobias Pamer: Der Rotulus des Peter von Spaur Simon Rabensteiner: Politische Kommunikation zwischen Nikolaus Cusanus und dem Brixner Domkapitel Anton Strobl: Die lateinischen autobiographischen Fragmente Kaiser Maximilians I. Gottfried Eugen Kreuz: Gaspar Brusch in Tirol Hansjörg Rabanser: Hippolyt Guarinoni und seine Beschreibung der Grafschaft Tirol in Gestalt des Riesen Haymon Wolfgang Strobl: Dr. Franz Töpsl als Archäologe und Antiquar Hubert Held: Carl Ghega und die Handelsstraße von der oberen Adria zum Bodensee Francesca Brunet, Siglinde Clementi: Überlegungen zur Entwicklung der Frauen- und Geschlechtergeschichte in der Region Tirol-Südtirol-Trentino
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Mentalitäts- und Sozialgeschichte
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften: Allgemeines Zeitschriften, Periodika, Abstracts, Indizes
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Europäische Geschichte
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Der historische Erzbergbau im Vinschgau*
DAVID FLIRI 1. Einleitung
Einer der frühen Geschichtsschreiber des Bergbaus in Tirol, Freiherr Joseph von Sperges (1725–1791), erwähnt in seiner vor knapp 250 Jahren erschienenen Bergwerksgeschichte für das Gebiet des Vinschgaus Bergwerke in „Prad, Stilves [!] und Goldran (Colran) [!]“. Seine Aussagen zu diesen Abbauorten haben nach wie vor bis zu einem bestimmten Grad Gültigkeit: „Ich habe aber keine nähere [!] Nachrichten, um anzeigen zu können in welchem Jahre bey jedem vorgedachter Bergwerke eingeschlagen, und der Grubenbau angefangen worden. Eben so wenig weiß ich zu sagen, wer dabey die Fundgrubner und ersten Gewerken gewesen sind.“1 Wir wissen heute zwar aufgrund einschlägiger archäologischer Befunde, dass bereits in der Bronzezeit etwa im Gebiet von Prad am Stilfserjoch und Stilfs Erze abgebaut und zu Metall weiterverarbeitet wurden, aber über den Bergbau im Westen des südlichen Tirol in historischer Zeit ist unser Kenntnisstand relativ gering.2 Die Auseinandersetzung mit den montanarchäologischen Spuren des Mittelalters und der Neuzeit steckt noch in den Kinderschuhen und die dazu verfügbaren schriftlichen Quellen fließen äußerst dürftig, wie noch zu zeigen sein wird. Die verfügbare überblicksartige montanhistorische Literatur für den Tiroler Raum behandelt den Vinschgau aus den angeführten Gründen meist etwas stiefmütterlich.3 Der einzige wissenschaftliche Beitrag, der sich in den vergangenen 50 Jahren auf solider archivalischer Grundlage dezidiert mit dem Bergbau im geographischen Einzugsgebiet des Vinschgaus, jenem im Suldental, auseinandersetzt, ist der 1975 erschienene Aufsatz von Rainer Loose.4 Seine Ausführungen haben die bis dahin gedruckt vorliegenden Materialsammlungen der beiden Lokalchronisten Heinrich Waschgler und Josef Pardeller ergänzt, erstmals breiter kontextualisiert und kritisch beleuchtet.5 Seither hat sich anscheinend keine Arbeit eingehender mit den Spuren des Erzbergbaus im Vinschgau befasst, die wesentlich darüber hinausreichende Erkenntnisse gebracht hätte.6 Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, alle verfügbaren schriftlichen Quellen zum Abbau von Erzen in dieser Gegend systematisch neu zu sichten, nach Abbauorten einzuordnen, zusammenzufassen und einer Bewertung zu unterziehen. Dabei kann selbstredend kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden. Den historischen Bezugsrahmen bietet das Gebiet der einstigen Grafschaft Vinschgau. Deshalb werden für die Zeit bis etwa 1500 auch eingeschränkte Exkurse auf die Bergbauaktivitäten bei S-charl im Unterengadin und am Ofenpass (heute beides Kanton Graubünden, Schweiz) gemacht, zumal die ältesten erhaltenen Schriftquellen sich genau auf diese beiden Bergwerke beziehen. 2. Die berggerichtliche Zugehörigkeit des Vinschgaus
Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts existierte in Tirol ein loses Netz „autonomer bergrechtlicher Sondergerichte“, das zur besseren Kontrolle und Reglementierung des damaligen „Bergbaufiebers“ gespannt worden war. Die Rechtsgrundlage für diese Gerichte leitete sich aus dem Bergregal ab, das der Tiroler Landesfürst innehatte.7 Zuständig waren die Berggerichte in ihren Sprengeln für jegliche Rechtsprechung hinsichtlich der im Bergbau tätigen Personen und aller übrigen Bergwerksangelegenheiten – dadurch waren diese dem Zugriff der Landgerichte entzogen, was immer wieder zu Kompetenzkonflikten führte.8 Der Vinschgau gehörte spätestens seit 1475 zu einem geographisch relativ weit gefassten Berggerichtsbezirk, der sich über weite Teile des heutigen Südtirol und Teile des heutigen Trentino erstreckte. Erhart Krinnecker bewarb sich nämlich in diesem Jahr „als perkhrichter an der Etsch, am Eizackh, in Vinßgew, am Eyers, auf Nons, in Valczigan, im Fleimbs und an anderen Enden“, wofür ihm ein Jahressold in Höhe von 25 Mark zustehen sollte.9 1479 war hingegen der Bergrichter Niklas Genswayder für den Bergbau in und um Gossensass und im Vinschgau zuständig.10 Ende Juni 1480 wurde der Vinschgau zu einem eigenen Berggericht; als dessen Richter erscheint ein gewisser Friedrich Umreuter. Sein Wohnort und der seiner Nachfolger, wie beispielsweise Hans Guntzenhauser, befand sich in Latsch. Eine eindeutig festgeschriebene geographische Zuständigkeit dieses Sondergerichts hat es in diesen ersten Jahrzehnten des Bestehens offenbar aber nicht gegeben, denn 1485 war der neue Bergrichter Jörg Schreiber wieder nicht nur für den Vinschgau, sondern auch für das Burggrafenamt, den Nonsberg sowie das Gebiet von Terlan und Nals zuständig; in den Jahren 1499 bis 1501 sprach man deshalb richtiger von einem Bergrichter an der Etsch. Der Wohnort desselben wurde vermutlich in Folge der Nachwirkungen des schweizerischen Einfalles in den Vinschgau 1499 vorerst nach Meran und schließlich ab 1510 nach Nals ins Etschtal verlegt. Dort gab es in jener Zeit einen respektablen Abbaubetrieb. Schließlich wurde 1548 im benachbarten Ort Terlan ein Haus als fester Amtssitz für die jeweiligen Bergrichter angekauft, war doch schon davor öfters vom Berggericht Nals und Terlan die Rede. Ab spätestens 1494 reglementierte eine eigene Gerichtsordnung die Tätigkeit dieses Gerichts.11 Dass das Berggericht Nals und Terlan auch weiterhin für die Bergwerke im Vinschgau zuständig blieb, erhellt sich aus dem Umstand, dass etwa 1551 Angelegenheiten des Bergwerks in Eyrs vom dortigen Richter geregelt wurden.12 1656 spricht man jedenfalls wieder von einem „Bergrichter an der Etsch“.13 Über die weitere Geschichte des Berggerichts Nals und Terlan und seine Zuständigkeit für den Vinschgau sind bisher keine zusätzlichen Informationen bekannt.14 Als sich bald nach 1700 im Vinschgau neuerlich ein gewisses Aufblühen des Bergbaus bemerkbar machte, gehörte das Gebiet offenbar schon zum Sprengel des Berggerichts Imst, dessen Amtssitz sich im Oberinntal befand. Die Erbauung des staatlichen Schmelzwerks in Prad im Jahr 1725 erfolgte unter der Federführung des Imster Bergrichters Joseph von Kapeller, dem von Amts wegen auch weiterhin die Aufsicht über diese Hütte übertragen blieb.15 Die verschiedenen montanistischen Aktivitäten im Vinschgau dürften in rechtlicher Hinsicht bis 1783 dem Berggericht Imst unterstanden haben. In jenem Jahr wurde in Schwaz ein eigenes Provinzialberggericht eingerichtet, das allerdings auch wieder einen Substituten in Imst hatte. Der besondere Gerichtsstand der im Bergbau tätigen Personen in Straf- und bürgerlichen Sachen war schon 1781 aufgehoben worden.16 3. Die einzelnen Bergbauaktivitäten im Vinschgau in Mittelalter und Neuzeit
Die ersten verlässlichen schriftlichen Nachrichten zum Bergbau im Vinschgau stammen aus dem Spätmittelalter. Die Nennung von Pingen auf dem Tartscher Bühel, die ins 9./10. Jahrhundert datieren soll,17 ist ins Reich der Sage zu verweisen, zumal man heute weiß, dass sich unterhalb dieser Senkungen Ruinen vorgeschichtlicher Häuser verbergen. Die Nennung von Bergbaurechten der edelfreien Vögte von Matsch für 1191 ist mit Vorsicht zu behandeln. Damals soll Kaiser Heinrich VI. Egno von Matsch das Recht verliehen haben, in seinem Gebiet und auf seinen Gütern Silber und andere Metalle zu gewinnen. Es handelt sich bei der Urkunde, die heute nur mehr als deutsche Übersetzung des 17. Jahrhunderts mit falscher Datierung zu 1199 überliefert ist, mit ziemlicher Sicherheit um ein verunechtetes oder zumindest zweifelhaftes Stück.18 Die von manchen Autoren irrigerweise auf den Vinschgau bezogene weitere Nennung von Bergwerken der Matscher im Jahr 1239 betrifft nur deren Rechte im Puschlav/Poschiavo.19 Ebenso wenig nachvollziehbar ist ein angeblicher „lebhafter Betrieb“ eines Bergwerks im Martelltal im 13. Jahrhundert, der ebenfalls jeder Quellengrundlage entbehrt.20 Im Folgenden wird nun auf die tatsächlich belegbaren Bergbauaktivitäten im Vinschgau eingegangen, wobei die Anordnung in der chronologischen Reihenfolge des Auftretens der jeweiligen Bergwerke bzw. Bergbaueinrichtungen erfolgt. Die unterschiedliche Verfügbarkeit von schriftlichen Quellen zu einzelnen Erzbergbauen bedingt zwangsläufig im Umfang der einzelnen Ausführungen eine mitunter merkliche Ungleichgewichtung. Vereinzelte Probegrabungen, die quellenmäßig nur äußerst dürftig belegbar sind, blieben dabei außer Betracht. 3.1 Der Bergbau bei S-charl Am Allerheiligentag des Jahres 1317 belehnte Titularkönig Heinrich von Böhmen und Polen als Landesfürst von Tirol Ritter Eberhard von Gand, Sohn des verstorbenen Egno von Seus [= Susch], Albrecht genannt Pagan und seinen Bruder Werner, Söhne des verstorbenen Albert von Porta, Balthasar von Seus, Sohn des verstorbenen Wulfing von Seus, sowie Konrad und Friedrich von Planta mit den Silberbergwerken in S-charl sowie im gesamten Unterengadin („contulimus et commisimus mineram seu argentifodinam in valle dicta Scharla, sita in Engedina, cuius fines se extendunt a ponte dicto Pons Martini usque ad pontem dictum Pontalt“).21 Folglich verfügte er zu jener Zeit über das Bergregal im Unterengadin, das damals zur Grafschaft Vinschgau...