Ansell | Tief im Land | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Ansell Tief im Land

Meine Jahre in den Wäldern von Wales
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8437-1448-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Meine Jahre in den Wäldern von Wales

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1448-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Konzentriert, bildhaft, melodisch erzählt, hat der Text meditativen Charakter. Er vermittelt, was es heißt, ganz im Hier und Jetzt zu sein. 'Tief im Land' entführt uns in die Ruhe eines archaischen, asketischen Lebens. Neil Ansell verbrachte fünf Jahre zurückgezogen in den Hügeln von Wales. In exzellenter Prosa erzählt er von seinem Alltag in einem alten, halb verfallenen Cottage ohne Strom und Gas. Im Laufe der Zeit verschmilzt er immer mehr mit seiner Umgebung. In bemerkenswerter Selbstvergessenheit beschreibt er Landschaft, Tier- und speziell die Vogelwelt. Auf wunderbare Weise gelingt es ihm, uns in die Stille des Landes hineinzuziehen. Begeisterte Stimmen 'Dieses Buch ist ein Kleinod.' BBC 'Außergewöhnlich. Tief im Land ist so kraftvoll. Ansell zeigt uns, was wir sehen können, wenn wir allein sind.' Independent 'Das Besondere ist die Langsamkeit. Man taucht ein in einen Ort und eine Zeit, die anders ist.' Guardian 'Eine wunderschöne, zarte/klare Darstellung von Wales' Jay Griffiths 'Berührend. Ansell erzählt mit Charme und Liebe zum Detail Geschichten im Rhythmus des Lebens in der Britischen Wildnis.' Financial Times 'Bemerkenswert, Faszinierend' Time Out 'Ein Juwel von einem Buch, ein außergewöhnliches Märchen. Lehne dich in deinen tiefsten, bequemsten Sessel zurück und fliehe in eine andere Welt.' Countryfile

Neil Ansell ist ein mit Preisen ausgezeichneter britischer Fernsehjournalist der BBC und schreibt für verschiedene Zeitungen wie Guardian und New Statesman. Er hat über 50 Länder bereist, bevor er sich für fünf Jahre in ein abgelegenes Cottage in Wales zurückzog. In England wurde sein Buch Tief im Land zweifach für literarische Auszeichnungen nominiert. Er lebt heute mit seiner Familie in Brighton, England.
Ansell Tief im Land jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Prolog

Diejenigen, die so nett sind, mich mit dem Auto mitzunehmen, scheinen immer verwirrt zu sein, wenn ich ihnen sage, wo sie mich absetzen können. Die von eng geschlossenen Kiefernreihen flankierte Straße macht an der Stelle, an der ein Pfad in den Wald abzweigt, einen langen, schwungvollen Bogen. Allerdings ist der Pfad für den, der nicht genau weiß, wonach er suchen soll, unsichtbar. Gewissermaßen ein Hauch von einem Pfad – ich bezweifle stark, dass ihn irgendjemand außer mir in den letzten Jahren benutzt hat. Ich betrete die kühle Stille des Kiefernwaldes und gehe zur Talsohle hinunter. Durch die Baumstämme kann ich den Lichtschimmer auf dem Wasser weit dort unten sehen. Hoch über mir vollführt ein Sperberweibchen kunstvolle Kreise im Balzflug.

Über den Fluss führt ein Steg, eine alte Hängebrücke, auf der ich stehen bleibe. Ich lehne mich ans Geländer und sehe flussabwärts aufs Wasser hinab, das über untergetauchte Felsen schießt und hier und da kleine, moosbedeckte Inseln freigibt. Die Stunden, die ich damit verbracht habe, diesem Fluss zuzusehen, ziehen vorbei, manchmal im Schneckentempo und manchmal als reißender brauner Sturzbach. Dann sehe ich auf: Der Tag schreitet voran, und ich muss noch einen Berghang hinaufklettern. Das steilste aller steilen Felder – streckt man die Arme nach vorn aus, während man es hinaufgeht, kann man beinahe den Boden vor sich berühren. Es ist Mai, über dem Feld liegt ein blauer Schleier, die Luft ist schwer von Duft. Eigentlich wachsen die violetten Hasenglöckchen im Wald, nicht auf Wiesen, doch vor langer, langer Zeit war dieses Feld hier bewaldet, und so ist die Erde immer noch von den größten Zwiebeln, die selbst ein Traktor nicht herausziehen kann, durchsetzt. In Erinnerung an alte Zeiten zeigen sich hier jedes Frühjahr Tausende von Hasenglöckchenblüten; die Ableger des Geistes eines Waldes.

Jenseits eines morschen Gatters befindet sich die Heide. Die fest eingerollten Blätter des Farnkrauts entfalten sich, und der ganze Abhang explodiert geradezu vor neuem Leben. Bald wird der Farn Kopfhöhe erreicht haben, während der Pfad sich wie ein grüner Tunnel durch ihn hindurchschlängelt. Ein Rotmilanpaar kreist gemächlich über dem Tal, ein einzelner Rabe überfliegt, gerade und entschlossen, die Felder unter mir und krächzt, als er mich sieht. Ich folge ihm, ich weiß genau, wohin er will. Der helle, trillernde Ruf eines Brachvogels rinnt die Talflanke hinunter. Die Hügel rufen; immer rufen sie mich zurück.

Für den Uneingeweihten ist das Cottage außerordentlich schwer zu finden, und genau das gefällt mir. Ich komme knapp vor Einbruch der Nacht dort an und trete die Hintertür auf – anders kann man sie nicht öffnen. Die Dunkelheit bricht bald herein, und ich muss noch eine Menge erledigen, solange ich etwas sehen kann: Wasser holen, Holzscheite aus dem Schuppen ins Haus bringen, die Lampen befüllen. Feuer anzünden, ein Bett herrichten, einen Kessel Wasser fürs Abendessen aufsetzen. Danach werde ich es mir mit einer Tasse Tee vor dem Haus bequem machen, den Sonnenuntergang ansehen und die Fledermäuse vom Speicher zählen. Es tut gut, wieder hier zu sein.

An manchen Tagen fühlt es sich hier wie auf einer Insel an. Nachts füllt sich das Tal mit Nebel; in der Dunkelheit kann ich nur einen schmalen Streifen davon ausmachen, der sich im Talgrund niederlässt und an den Kurven und Windungen des Flusses entlangmäandert. Doch wenn ich aufwache, strömt das Sonnenlicht durch die geschlossenen Vorhänge herein; ich werfe sie zurück und blicke auf ein schäumendes Meer. Bis hier oben, auf dreihundert Meter Höhe, dringt der Nebel fast nie. Die Kronen der nächststehenden Bäume tauchen wie Mangroven aus dem Nebelmeer auf; dahinter wird erst wieder in über dreißig Kilometer Entfernung Festland sichtbar, die angedeuteten Walrücken der Black Mountains und die kirchturmartigen Spitzen der Brecon Beacons. Manchmal allerdings ist der Nebel so dicht, dass er in Wellen gegen meine Füße brandet, wenn ich vor die Tür trete, und ich kaum die Hand vor Augen sehe, wenn ich ein paar Schritte den Hügel hinuntergehe. Doch dann brennt die immer höher steigende Sonne den Nebel weg: Die Gezeiten wechseln, der Nebel zieht sich, einen tauglitzernden Abhang hinter sich lassend, ins Tal zurück.

Der Morgen dämmert, und ich bin allein und auch wieder nicht allein. Auf einer Überlandleitung sitzt ein Gartenrotschwanz, auf dem Dach hüpft eine Bachstelze herum. Im Schuppen nisten Amseln. Sie haben ihr Nest auf einer umgekehrten Hacke, die an einem Nagel an der Wand hängt, gebaut. Die Gartenrotschwänze wiederum nisten offenbar im Giebel, sie scheinen das neue Dach zu mögen. Ihren alten Nistkasten haben sie den Kohlmeisen überlassen. Als ich den Deckel anhebe, blicke ich auf acht hungrige, weit geöffnete Schnäbel. Nach einigen Sekunden sinken vier der Küken ins Nest zurück, doch die anderen, hungrigeren, drängen weiter nach oben und weigern sich zu akzeptieren, dass ich nichts für sie habe. Auch das Baumloch in der Esche vor dem Cottage wird jedes Jahr von einem Vogel bezogen, und nun ist endlich ein Paar scheuer Hohltauben an der Reihe. Im frühmorgendlichen Licht der Sonne genießen sie das Balzen, fliegen aus ihrem Nistbaum auf und drehen gemeinsam einen engen Kreis in der Luft – so nah beieinander, dass sie sich fast berühren. Der voranfliegende Vogel trägt einen kleinen Zweig im Schnabel, als ob er zur Arche zurückkehren wollte.

Ich setze mich vor das Cottage, sehe über das Tal bis zu den Hügeln in der Ferne und schärfe meine Säge. Einundzwanzig Striche nach rechts und dann einundzwanzig Striche nach links. Nach der Dürreperiode in letzter Zeit ist es sinnvoll, während meines Aufenthalts hier so viel Holz wie möglich zu zersägen, es in Scheite zu spalten und im Schuppen zu lagern, bevor es nass werden kann. Das Wetter in dieser Gegend ist so unberechenbar, dass es beruhigend ist, einen Holzvorrat für mehrere Wochen als Reserve im Schuppen zu wissen. Während ich meine Kettensäge dafür bereit mache, fällt mir auf, dass die Schwalben ein Nest unter dem Eingang des Hauses gebaut haben. Vorsichtig greife ich hinein und fahre mit dem Finger über die glatte Lehmauskleidung. Ein einziges Ei liegt darin, das Schwalbenweibchen hat heute ihr erstes Ei gelegt. Es wird jeden Tag ein weiteres legen, bis das Gelege vollständig ist und bebrütet werden kann. Dann wird es Zeit, meine »Veranda« an die Schwalben abzutreten und nur noch die Hintertür zu benutzen.

Als ich hier das ganze Jahr über lebte, war ich schon erstaunt gewesen, wie viele Vögel in unmittelbarer Nähe zum Cottage nisteten. Und nun, da der Ort noch ungestörter ist, gibt es mehr Vögel denn je. Zum allerersten Mal nistet ein Distelfinkpaar im Garten. Es dauert eine Weile, bis ich das Nest in den Schlehen vor dem Gatter an der Stelle gefunden habe, an der es sich auch die Buchfinken hin und wieder gern gemütlich machen. Die Distelfinken, auch als Stieglitze bekannt, sind entzückende, kleine Vögel mit kirschroten Gesichtern und leuchtend gelben Streifen auf den Flügeln. Sie bauen ihre Nester üblicherweise weit vom Stamm entfernt, wo sie dem Wind als Spielball dienen; allerdings sind die kleinen, mit Moos ausgepolsterten Körbchen so stabil konstruiert, dass noch nicht einmal ein Sturm sie umstürzen kann. Dieses Nest hier befindet sich in etwa zwei Meter Höhe, zu hoch, um hineinzusehen. Also halte ich einen Spiegel darüber, um die vier winzigen, dicht beieinanderliegenden Eier in seinem Inneren zu inspizieren.

Ich habe mir einen wunderbaren Zeitpunkt für meinen Besuch ausgesucht. Der Frühlingsabend ist so mild, milder könnte auch ein Sommerabend nicht sein. Morgen werde ich mich zu den Hügeln aufmachen, vorausgesetzt, das Wetter hält.

Während sich die Dunkelheit über das Land breitet, taucht plötzlich ein Falke über dem Feld vor dem Cottage auf. In der Regel kann man Greifvögel im Flug nur schwer auseinanderhalten, doch diesen erkenne ich an seinem Flugbogen, an seinem Temperament sofort als Baumfalken. Er ist weit von seinem üblichen Revier entfernt; selbst nach all den Jahren hält der Ort hier immer noch Überraschungen für mich bereit. Auf der Jagd scheint der Baumfalke nicht zu sein – er scheint sich einfach nur seines Lebens zu freuen. Und während sich die Nacht herabsenkt, beobachte ich verzaubert, wie er auf seinen sichelförmigen Schwingen dahingleitet, herabstößt, eindreht und abschwenkt, bis ich ihn nicht mehr sehen kann. Noch nie zuvor habe ich einen solchen Vogel gesehen, einen Vogel, der wirkt, als tanze er in der Luft.

In den Monaten, die seit meinem letzten Besuch vergangen sind, ist das Gras im Garten, vor den Schafen durch einen Zaun geschützt, hoch und üppig gewachsen. Ich kann kaum noch die Umrisse meiner ehemaligen Gemüsebeete erkennen. Ich würde das Gras ja schneiden, wären da nicht die Feldhasen. Hasen gehören zu den widerstandsfähigsten Tieren überhaupt: Sie leben das ganze Jahr über auf den Feldern und können jederzeit Junge bekommen. Dieses Jahr haben sie sich dafür das Frühjahr und meinen Garten ausgesucht. Nur ein paar Schritte von mir entfernt knabbern zwei Hasenjunge an dem saftigen Gras auf dem fruchtbaren Boden, der früher mein Gemüse genährt hat. Sie sind schon fast so groß wie Kaninchen und müssen bereits entwöhnt sein, sonst würde die Häsin sie noch nicht größtenteils sich selbst überlassen. Das Hasenweibchen habe ich erst einmal gesehen. Die beiden Jungen beobachten mich dabei, wie ich sie beobachte, scheinen sich jedoch nicht an mir zu stören, solange ich den Blick auf sie gerichtet halte. Schweifen meine Augen auch nur einen Moment lang ab, verschmelzen sie augenblicklich mit dem langen Gras.

Ich habe fünf Jahre lang allein in diesem...


Kretschmer, Ulrike
Ulrike Kretschmer (geb. 1968 in Leipzig) schloss ihr Studium der Englischen und
Deutschen Philologie sowie der Kunstgeschichte an der Universität Münster/Westf.
mit der Promotion ab. Ihre Dissertation Der Mensch – Affe oder gottähnliches Wesen?
Philosophisch-anthropologische Vorstellungen im Werk Aldous Huxleys absolvierte sie
als Stipendiatin im Rahmen der Graduiertenförderung.
Nach einigen Jahren als Verlagslektorin machte sie sich 2004 als Lektorin,
Ghostwriterin und Übersetzerin in München selbstständig und spezialisierte sich auf
Sachgebiete wie Reiseliteratur, Kulturgeschichte, Biografie/Memoir, Natur, Fotografie,
Kunst, Philosophie, Film und Gesundheit (siehe Liste der Übersetzungen anbei). Ihre
Übersetzungen zeichnen sich durch Genauigkeit sowie sehr gute Detailkenntnis,
gepaart mit literarischem Impetus und großer Empfindsamkeit für den Autor und
sein Werk, aus.
Aufgrund ihres Interesses an Figurentheater und Schauspiel engagiert sie sich seit
1999 in dem 1947 gegründeten gemeinnützigen Marionettentheater für Erwachsene
'Kleines Spiel' in München als Mitglied und Pressesprecherin, wo sie u.a. die
Inszenierung und Regie von Macbeth verantwortete. Zudem nahm sie Unterricht in
Sprecherziehung und arbeitet regelmäßig mit dem Puppenspielensemble
'Thalias Kompagnons' in Nürnberg zusammen.

Ansell, Neil
Neil Ansell ist ein mit Preisen ausgezeichneter britischer Fernsehjournalist der BBC und schreibt für verschiedene Zeitungen wie Guardian und New Statesman. Er hat über 50 Länder bereist, bevor er sich für fünf Jahre in ein abgelegenes Cottage in Wales zurückzog. In England wurde sein Buch Tief im Land zweifach für literarische Auszeichnungen nominiert. Er lebt heute mit seiner Familie in Brighton, England.

Neil Ansellist ein mit Preisen ausgezeichneter britischer Fernsehjournalist der BBC und schreibt für verschiedene Zeitungen wie Guardian und New Statesman. Er hat über 50 Länder bereist, bevor er sich für fünf Jahre in ein abgelegenes Cottage in Wales zurückzog. Er lebt heute mit seiner Familie in Brighton, England.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.