E-Book, Deutsch, Band 448, 64 Seiten
Reihe: Alpengold
Anrainer Alpengold 448
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7517-7830-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Herrgottsschnitzer von Königswang
E-Book, Deutsch, Band 448, 64 Seiten
Reihe: Alpengold
ISBN: 978-3-7517-7830-5
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Im idyllischen Bergdorf Königswang prägen alte Traditionen und unausgesprochene Regeln das Leben der Bewohner. Toni Burger, ein charismatischer junger Tischler, hat sein Herz an Anni Wallheimer verloren, die Tochter des einflussreichen Bürgermeisters und wohlhabendsten Bauern der Gegend. Doch ihre Liebe steht von Beginn an unter einem schlechten Stern - Sepp Wallheimer, Annis Vater, verfolgt ehrgeizige Pläne für seine Tochter, die Toni nicht einschließen. Als eines Tages die Fremde Tanja Petersen aus Norddeutschland im Dorf sesshaft wird, bringt sie die verschworene Dorfgemeinschaft mächtig durcheinander. Vorurteile und Ablehnung schlagen ihr entgegen, und niemand ist so entschlossen, sie aus Königswang zu vertreiben, wie Bürgermeister Wallheimer. Doch er hat die Rechnung ohne Toni gemacht. Der junge Tischler, der selbst schon viele Enttäuschungen verkraften musste, zeigt Mut und stellt sich entschlossen an Tanjas Seite ...
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Der Herrgottsschnitzer
von Königswang
Warum er im Dorf nicht geachtet wurde
Von Traudl Anrainer
Im idyllischen Bergdorf Königswang prägen alte Traditionen und unausgesprochene Regeln das Leben der Bewohner. Toni Burger, ein charismatischer junger Tischler, hat sein Herz an ausgerechnet Anni Wallheimer verloren, die Tochter des einflussreichen Bürgermeisters und wohlhabendsten Bauern der Gegend. Doch seine Liebe steht von Beginn an unter einem schlechten Stern – denn Sepp Wallheimer, Annis Vater, verfolgt ehrgeizige Pläne für seine Tochter, die Toni nicht einschließen.
Als eines Tages die Fremde Tanja Petersen aus Norddeutschland im Dorf sesshaft wird, bringt sie die verschworene Dorfgemeinschaft mächtig durcheinander. Vorurteile und Ablehnung schlagen ihr entgegen, und niemand ist so entschlossen, sie aus Königswang zu vertreiben, wie Bürgermeister Wallheimer. Doch er hat die Rechnung ohne Toni gemacht. Der junge Tischler, der selbst schon viele Enttäuschungen verkraften musste, zeigt Mut und stellt sich entschlossen an Tanjas Seite ...
Es war schon ein Graus, wie arg das Schicksal den Burger-Toni zeit seines Lebens gebeutelt hatte. Damit hatte es schon begonnen, als er noch ein Bub gewesen und zur Schule gegangen war.
Damals gab es in Königswang, diesem idyllischen kleinen Dörfchen, das in einem abgelegenen Bergtal lag, noch eine eigene Schule. Der Lehrer unterrichtete alle Klassen auf einmal, und jeden Tag schaute der Pfarrer vorbei, um sich davon zu überzeugen, dass der Nachwuchs auch in rechter Gottesfurcht erzogen wurde.
Einer dieser Kinder war der Burger-Toni gewesen. Acht Jahre war er damals gewesen. Vom Lernen hielt er nicht viel, er zog lieber an den Zöpfen der Madln und setzte dem Lehrer Käfer auf den Rücken, wenn dieser gerade mal nicht aufpasste.
»Der Bub ist zwar faul wie die Sünd'«, sagte Tonis Vater einmal, »aber er ist net auf den Kopf gefallen. Der geht später einmal aufs Gymnasium, und wenn er das Abitur gepackt hat, schick' ich ihn nach München auf die Universität. Ein Studierter soll er werden, damit er sich später einmal net so abrackern muss wie ich.«
Das mit dem Abrackern, das durfte man beim Burger-Sepp aber nicht ganz wörtlich nehmen. Er tat seine Arbeit nämlich in aller Beschaulichkeit, dafür aber mit umso größerem Erfolg. Längst war er einer der bekanntesten Madonnenschnitzer weit und breit.
So war es denn kein Wunder, dass er gut verdiente und es sich leisten konnte, mit dem Gedanken zu spielen, seinen Buben aufs Gymnasium in der Kreisstadt und später sogar auf die Universität zu schicken.
Doch als sein Sohn, der Toni, gerade acht Jahre alt gewesen war, brach dieser Traum jäh entzwei.
An einem Tag im Januar war es, als im Dorf ein Suchkommando zusammengestellt wurde, das in die Berge aufsteigen und zwei Freunde suchen sollte, die trotz aller Warnungen zu einer Skitour aufgebrochen waren. Über Nacht waren sie nicht heimgekommen, und als sie auch am nächsten Tag nicht auftauchten, gingen die Männer los, um nach ihnen zu fahnden.
Sie fanden die beiden auch. In einer Berghöhle hatten sie sich in Sicherheit gebracht. Einer von ihnen hatte sich einen Haxen gebrochen, und der andere hat nicht ins Tal absteigen und Hilfe holen können, weil Nebel und Schneefall ihn daran gehindert hatten.
Die Vermissten, unter denen sich auch der Burger-Sepp befand, wurden ins Tal gebracht, doch dabei passierte es.
An einer eigentlich harmlosen Stelle rutschte der Burger-Sepp aus, stürzte und schlug so unglücklich mit dem Kopf gegen einen Felsbrocken, dass er tot liegen blieb.
Von einem Augenblick zum anderen hatte der Toni also keinen Vater mehr. Die Mutter wurde krank vor lauter Kummer, und wenn ihr Mann nicht ein kleines Vermögen hinterlassen hätte, dann hätte sie nicht gewusst, wie sie sich und den Buben über die Runden bringen sollte.
So war es denn also aus mit dem Studieren, und das war für den Toni ein harter Schlag, denn er war ein intelligenter Bub und hätte es bestimmt zu etwas bringen können. Er absolvierte die Volksschule, und weil daheim in der Werkstatt die Schnitzgeräte seines Vaters noch herumlagen, versuchte er sich bald an ihnen. Dabei stellte sich heraus, dass er das Talent seines Vaters geerbt hatte.
Ja, und so wurde aus dem Burger-Toni im Laufe der Zeit ein Herrgottsschnitzer. Freilich hatte er bei Weitem nicht so viel Erfolg wie sein Vater, denn erstens hatte er keine richtige Ausbildung, und zweitens besaß er nicht mehr die Verbindungen, die sein Vater hatte.
So musste Toni also zusehen, wie er sich durchschlug. Er verkaufte seine Schnitzereien an die Bauern des Dorfes und auch in den umliegenden Gemeinden. Es reichte gerade eben für seine kranke Mutter und für ihn selbst, denn vom Vermögen des Vaters war nicht mehr viel übrig geblieben.
Als der Burger-Toni achtzehn Jahre alt geworden war, fand er an einem Aprilmorgen die Mutter tot im Bett. In aller Stille hatte der liebe Herrgott sie zu sich geholt.
Ein neuer harter Schlag für den jungen Burschen. Nun musste er zusehen, wie er allein weiterkam.
Zunächst einmal schloss Toni das Haus ab und ging zu einem Schnitzer in die Lehre, genauso, wie sein Vater es getan hatte. Toni lernte viel dazu, und als er wieder in sein Heimatdorf zurückkehrte, waren die Figuren, die er schnitzte, viel besser und viel künstlerischer geworden.
Jetzt freilich musste er bloß schauen, wie er sie an den Mann brachte, denn die Bauern konnten sich ja nicht ihre guten Stuben mit seinen Figuren vollkommen zustellen. Da hatte der Burger-Toni einen sehr guten Einfall.
Drüben in Gaigenberg arbeitete nämlich ein früherer Schulfreund von ihm in einem Hotel.
Gaigenberg, das muss man wissen, war in den letzten zwanzig Jahren zu einem gut besuchten und beliebten Urlaubsort geworden. Jetzt tummelten sich dort die Fremden, stiegen in den Bergen herum und machten die Kühe auf den Almen narrisch, tranken das gute bayerische Bier und merkten vor lauter Ferienseligkeit nicht, dass sie von den Einheimischen nach Strich und Faden ausgenommen wurden.
Tonis Freund, der Wastl, hatte als Hausdiener angefangen und war, weil er sich anstellig zeigte, allmählich aufgestiegen. Jetzt arbeitete er als Oberkellner im Speisesaal, und es konnte einen beinahe zerreißen, wenn man ihn in seiner langen schwarzen Hose, dem weißen Jackett und mit der schwarzen Fliege um den Hals daherkommen sah.
In seinem Herzen aber war der Wastl ein echter Königswanger geblieben. Und außerdem wusste er, wo die Glocken hingen, denn es war ja klar, dass die jungen, knusprigen Urlauberinnen nicht allein nach Gaigenberg kamen, um dort in den Bergen herumzusteigen, sondern sie wollten auch mal tanzen und sich amüsieren. Dazu brauchten sie bevorzugt einen feschen Burschen, der in diesem herrlichen Bergland geboren worden war und wusste, wie man mit den Madln umzugehen hatte.
So einer war Wastl also, und als der Burger-Toni zu ihm mit seinem Anliegen gekommen war, da hatte er ihm sofort seine volle Unterstützung versprochen.
Es passierte nämlich immer wieder, dass irgendwelche Gäste nach einem Ortskundigen fragten, der sie durch die Berge führen konnte. Wenn der Wastl von nun an nach einem solchen Burschen gefragt wurde, nannte er stets den Toni und vermittelte ihm die Touren, die von den Leuten gewünscht wurden. Zwar ließ sich der Wastl einen kleinen Anteil geben, denn ganz so selbstlos war er nun auch wieder nicht, aber der Toni behielt den Großteil des Honorars für sich, stieg mit den Fremden durch die Berge und versuchte vor allem, ihnen seine Schnitzereien zu verkaufen.
Stets hatte er ein paar davon in seinem Rucksack, und wenn er mit seinen Schäfchen droben in den Bergen war und die Leute vor lauter Bergseligkeit nicht mehr wussten, was sie anstellen sollten, dann brachte er wie durch einen Zufall seine Schnitzereien hervor und ließ sie bewundern. Er tat das so geschickt, dass es nur äußerst selten passierte, dass er dieses oder jenes Stück wieder nach Hause brachte.
Der Absatz, den der Burger-Toni auf diese Weise erzielte, stieg rapide an. Doch das hatte natürlich auch seine Grenzen, denn er konnte nur verkaufen, was er hergestellt hatte, und da er mit den Fremden in den Bergen herumsteigen musste, blieb ihm nur eine begrenzte Zeit zum Schnitzen, und außerdem waren die Fremden nur zu den Saisonzeiten im Sommer und im Winter in Gaigenberg.
Toni war also gezwungen, in diesen Zeiten so viel zu verdienen, dass er den Rest des Jahres von seinen Ersparnissen leben konnte.
So hatte er also ein schweres Stück Arbeit, um an das Geld anderer Leute zu kommen und sich Tag für Tag durchzuschlagen. Aber er biss die Zähne zusammen, stieg tagsüber in den Bergen herum, auch wenn sich ihm beim Zusammensein mit den Fremden oft die Nackenhaare sträubten, und am Abend hockte er in seiner Werkstatt und schnitzte, bis ihm die Augen zufielen.
Aber zu dieser Mühsal kam noch etwas anderes hinzu, das ihm sehr zu schaffen machte, und das war die Wallheimer-Anni.
***
Ihr Vater, der Wallheimer-Sepp, war der Bürgermeister von Königswang, ein massiger, selbstbewusster Mann, dem man auf den ersten Blick ansah, dass er im Dorf das Sagen hatte und sich als dessen unumschränkter Herrscher fühlte.
Man konnte das fast verstehen, denn er war nicht nur Bürgermeister, sondern auch der...




